– ein persönlicher Bericht von Sascha Stanicic und ein Brief an die WASG-Mitglieder in Bayern
Nachdem ich am Freitag Abend bei einem Besuch in München erfahren habe, dass am Sonntag Landesparteitag der WASG Bayern sein wird, bin ich dort kurz entschlossen hingefahren, um daran teilzunehmen.
Meine Anwesenheit war sicher überraschend für die bayrischen KollegInnen und da gerade in Bayern oftmals Schauermärchen über die SAV verbreitet werden, war ich schon etwas überrascht, als mich das Präsidium offiziell und freundlich als „einziger Gast, der nicht aus Bayern kommt“ und als „WASG-Mitglied aber auch Bundesvorsitzender der SAV“ begrüßte. Daraufhin gab es sogar zurückhaltenden, aber freundlichen Applaus und ich war von soviel Gastfreundschaft positiv beeindruckt. Im nächsten Moment änderte sich dieser Eindruck aber, als es zu einer Abstimmung über die Frage ging, ob alle Gäste oder nur die geladenen Gäste (mir ist kein anderer „ungeladener“ Gast als ich selber bekannt gewesen) Rederecht erhalten sollten. Diese Abstimmung entzog mir dann mit 36 zu 28 Stimmen das Rederecht, bevor ich überhaupt einen Versuch gewagt hatte, mich zu Wort zu melden.
Der Parteitag fand in Nürnberg statt und war dementsprechend auch vom Kampf der AEG-KollegInnen um ihr Werk geprägt. Leider musste der AEG-Betriebsratsvorsitzende und Streikleiter Harald Dix seine Teilnahme kurzfristig absagen und auch sonst waren keine KollegInnen von AEG anwesend. Es wurde aber deutlich, dass der Landesverband eng an den betrieblichen Auseinandersetzungen dran ist, was ja durch die hohe Anzahl von IG Metall-Funktionären in der bayrischen WASG kein Wunder ist. Anni Heike, die auch IGM-Sekretärin in Fürth ist, berichtete u.a. von der mit 77,7 Prozent knapp gewonnenen Urabstimmung im AEG-Werk Rothenburg, wo massiver Druck und Mobbing auf die KollegInnen ausgeübt wird. Fritz Schmalzbauer berichtete von begeisterten Reaktionen der ArbeiterInnen bei Besuchen von Oskar Lafontaine in Betrieben und von den „Oskar, Oskar“-Sprechchören und rhythmischem Klatschen, dass er seit der „Willy-Wahl“ 1972 nicht mehr erlebt habe. Kollege Schmalzbauer betonte auch die Bedeutung der WASG für betriebliche Auseinandersetzungen, wie bei AEG. Denn der Kampf der IG Metall für einen Sozialtarifvertrag stelle ja die Schließung des Werks nicht in Frage. Deshalb müsse sich eine politische Bewegung die Frage stellen, was in der Gesellschaft zu verändern sei, damit so etwas nicht mehr passiere. Man müsse darüber sprechen, ob die gesellschaftlichen Verhältnisse im völligen Widerspruch zu den berechtigten Ansprüchen der Menschen stehen. Eine deutlichere Aufforderung, wenn auch ohne die Begriffe zu nennen, eine Debatte über Kapitalismus und Sozialismus zu führen, hätte es kaum geben können.
Eindringliche Appelle des Präsidiums und des die Konferenz eröffnenden Kollegen Harald Weinberg aus Nürnberg, dass die Berliner Frage nicht im Mittelpunkt der Debatte stehen solle, verhinderten nicht, dass sich in der Diskussion über den Parteibildungsprozess recht viele RednerInnen mit Berlin auseinander setzten.
In seinem Bericht zum Parteibildungsprozess behandelte Klaus Ernst die Frage von Regierungsbeteiligungen und der Berliner Situation auch relativ ausführlich, nachdem er die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit der gemeinsamen Partei aus WASG und Linkspartei.PDS betont hatte.
Für mich, der ich ja auch Klaus Ernsts Rede beim Berliner Landesparteitag im November letzten Jahres, beiwohnte, war der Inhalt der Rede eine – positive – Überraschung. Ich habe nämlich noch in den Ohren, wie der Kollege Ernst in Berlin sagte, dass man über Sinn und Unsinn der Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin diskutieren könne. Ich hatte ihn damals in meinem Redebeitrag gefragt, ob er das ernst meine und geäußert, dass aus Sicht der von der arbeitnehmer- und erwerbslosenfeindlichen Senatspolitik Betroffenen der Unsinn dieser Regierungsbeteiligung feststehe. Mit dreimonatiger Verspätung bekam ich nun eine Antwort auf meine Frage.
Klaus Ernst folgte offensiv der neuen Linie Oskar Lafontaines und rief aus, dass sich die neue Partei klar vom neoliberalen Kurs absetzen müsse. Er betonte, dass die neue Partei auch in Landesregierungen keinen Privatisierungen und Tarifbruch zustimmen dürfe. Dann entwarf er ein hypothetisches Szenario: wenn diese Partei bundesweit gegen die Einführung von Studiengebühren eintreten, dürfe sie in keiner Landesregierung der Einführung von Studiengebühren zustimmen mit der Begründung, da es die anderen Bundesländer machen, müsse man nachziehen. Kollege Ernst betonte mehrmals dies sei ein rein hypothetischer Fall ….
Klaus Ernst lehnte eine prinzipielle Festlegung auf Regierungsbeteiligung „ja oder nein“ ab und sagte, dies müsse von den Inhalten abhängig gemacht werden. Um dann zu sagen: „Wir werden uns an keiner Regierung beteiligen, in der wir unsere Grundsätze nicht wiederfinden.“
So weit sprach er mir geradezu aus der Seele. Als es dann konkret um Berlin ging, kam er aber zu anderen Schlussfolgerungen, als die Berliner WASG sie bisher gezogen hat. Man müsse nicht nach hinten, sondern nach vorne schauen und es sei ein Fehler der Berliner WASG, die Hürden für die Linkspartei.PDS so hoch zu hängen, dass diese gar nicht drüber springen könne. Konkurrierende Kandidaturen würden nur den gemeinsamen Kandidaturen in Rheinland-Pflaz und anderen Bundesländern schaden und deshalb sollten sie unterlassen werden. Er bedauere auch das öffentliche Austragen dieser Debatte, was mich wiederum überraschte, denn ich erinnere mich noch gut an die Pressestatements von Bundesvorstands- und Fraktionsmitgliedern nach unserem Landesparteitag im November. Dann beschwörte er noch die Gefahr, dass die Bundestagsfraktion aufgrund von konkurrierenden Kandidaturen auseinander fliegen könnte, ohne diese Gefahr konkret auszuführen.
In Berlin sitze „der Wahnsinn zwar auf der anderen Seite“, aber Rom sei auch nicht an einem Tag erbaut worden und wenn es im ersten Anlauf in Berlin nicht so gut mit einer gemeinsamen Kandidatur klappt, müsse man das hinnehmen. Alles andere sei Beschiss an den vier Millionen Wählerinnen und Wählern, die die gemeinsame Partei wollen.
Eine Rede also, die inhaltlich deutlich links steht von seinen Ausführungen beim Landesparteitag in Berlin und der inhaltlichen Kritik der WASG Berlin am SPD/PDS-Senat hundertprozentig Recht gibt. Während der Tenor seiner Rede in Berlin noch war: „das, was Ihr hier macht, geht nicht!“, war der Tenor dieser Rede: „das, was die LP.PDS an der Landesregierung macht, geht nicht!“
Der Druck, den die Berliner WASG und viele andere Gliederungen seit November entfaltet haben, führt also zu Bewegung an der Spitze der Partei, wenn auch erst mal nur verbaler Bewegung.
Das Thema Urabstimmung vor dem Bundesparteitag wurde natürlich auch angesprochen. Allerdings recht nebulös. Obwohl der Landesvorstand Bayern in dieser Frage gemeinsam mit den Vorständen aus Hessen und Rheinland-Pfalz vorprescht, wurde dem Landesparteitag dazu weder eine Formulierung für die Urabstimmung noch ein Antrag vorgelegt. Laut Klaus Ernst soll es bei der Urabstimmung darum gehen, ob der Parteibildungsprozess zielgerichtet fortgesetzt werden soll oder nicht. Nach meinen Informationen konnte sich aber selbst der Landesvorstand Bayern bisher auf keinen Text für eine solche Urabstimmung einigen. In bayrischen Zeitungen war dann überraschenderweise von einer Resolution zum Thema Urabstimmung die Rede, die der Parteitag angeblich verabschiedet habe.
Es war offensichtlich, dass die große Mehrheit der Delegierten den Kurs von Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer mitträgt. Bemerkenswert waren aber eine Reihe kritischer Wortmeldungen und scharfe Kritik von Delegierten an der Politik der Linkspartei.PDS im Berliner Senat. Während meiner Anwesenheit (ich musste um 17 Uhr die Veranstaltung verlassen) hatten sich immerhin zwei Delegierte für eine Unterstützung einer eigenständigen Kandidatur in Berlin ausgesprochen, dafür aber nur verhaltenen Applaus bekommen. Rederecht wurde mir auch nicht gewährt, nachdem ein Delegierter darauf hingewiesen hatte, dass es doch ein Gebot der Fairness sei, mich zu Wort kommen zu lassen, wenn man mich schon mehrmals direkt anspricht, wie bei einer Einleitung von Fritz Schmalzbauer geschehen.
Die Kritik an der LP.PDS wurde auch deutlich, als der Landessprecher der bayrischen LP.PDS sprach. Er meinte zwar, seine Partei hätte nicht in den Berliner Senat eintreten sollen, weil man denen, die den Karren in den Dreck gezogen haben, ja nicht beim Rausziehen helfen müsse. Andererseits sagte er: wer mit Dreck spielt, wird auch schmutzig. Da man ja den Parlamentarismus unterstütze und sich an die Gesetze halte, müsse man diese dann in Landesregierungen auch umsetzen. Je länger dieser Kollege sprach, desto lauter artikulierte sich der Unmut im Saal – von lautem Grummeln über Zwischenrufe bis zum lautstarken Hinweis darauf, dass er die Redezeit überschritten hatte.
Alles in allem war der Besuch beim Landesparteitag für mich, trotz Redeverbot, eine sehr interessante Erfahrung. Die bayrischen Verhältnisse sind tatsächlich anders, als die Verhältnisse in Berlin und anderen Bundesländern. Aber auch in Bayern wird die Politik des SPD/PDS-Senats in Berlin vollständig abgelehnt, gibt es bei einigen Delegierten ein kritisches Hinterfragen der Politik des WASG-Bundesvorstands und eine Reihe offener Ohren für die Argumente der Berliner WASG.
Und beim nächsten Mal darf ich mich dann auch zu Wort melden, wie mir das Landesvorstandsmitglied Frank Firsching zum Abschied erklärte: „Hättest Du Dich angemeldet, wärst Du auch eingeladen worden.“ Interessante Logik.
Sascha Stanicic, 14. Februar 2006
Brief an die WASG-Mitglieder in Bayern – Was ich Euch gerne gesagt hätte
Liebe Kolleginnen und Kollegen der WASG in Bayern,
am vergangenen Sonntag habe ich an Eurem Landesparteitag teilgenommen. Ich hatte bei einem Besuch in München von dem Parteitag erfahren und mich entschieden kurzfristig meine Reisepläne zu ändern und über Nürnberg zurück nach Berlin zu fahren.
Leider hat dann eine Mehrheit der Delegierten gleich zu Beginn des Parteitags – und gleich nachdem meine Anwesenheit bekannt gegeben wurde – das Rederecht für nicht geladene Gäste abgelehnt. Nachdem die Auseinandersetzung um den Sozialabbau des SPD/PDS-Senats in Berlin und die Frage der eigenständigen WASG-Kandidatur bei den diesjährigen Berliner Abgeordnetenhauswahlen in der Debatte um den Parteibildungsprozess eine große Rolle gespielt hat, hätte ich – als Mitglied der Berliner WASG – gerne ein paar Worte an Euch gerichtet.
Deshalb wähle ich jetzt diesen Weg, um Euch zu erreichen und ein paar Argumente zur Debatte um den Parteibildungsprozess im Zusammenhang mit Berlin beizutragen.
Klaus Ernst hat in seiner Rede zum Thema vieles gesagt, dass mir aus dem Herzen gesprochen hat und von der großen Mehrheit der Berliner WASG unterstützt wird. Seine unmissverständliche Ablehnung gegenüber Privatisierungen und Tarifflucht, auch im Falle einer Beteiligung an Landesregierungen war eine wichtige Klarstellung. Für mich war das in dieser Deutlichkeit neu. Denn noch beim Landesparteitag der Berliner WASG im November 2005 sagte Klaus, man könne über Sinn und Unsinn der Berliner Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS debattieren. Diesmal schien er sich entschieden zu haben: die Politik des Berliner Senats macht keinen Sinn.
Ich habe mich gefreut, als dann verschiedene Delegierte in ihren Redebeiträgen auf die unsoziale Politik von SPD und Linkspartei.PDS im Berliner Senat eingegangen sind und die Kritik konkretisiert haben: die Akzeptanz der Wasserprivatisierung, die Wohnungsprivatisierungen, die Kürzung des Blindengeldes, die Einführung von zehntausenden Ein-Euro-Jobs, die drohenden Zwangsumzüge, die Tarifflucht mit Folge erheblicher Lohnkürzungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Liste ließe sich erheblich fortsetzen.
Um die Haltung der Berliner WASG nachvollziehen zu können, muss man die Tragweite der Senatspolitik verstehen. Es geht hier nicht um eine Gebührenerhöhung dort und die Kürzung von ein paar Fördermitteln da (was auch nicht zu unterstützen wäre). In Berlin hat es in den letzten vier Jahren ein soziales Kettensägenmassaker gegeben, von dem hunderttausende Beschäftigte, Erwerbslose, MieterInnen, Jugendliche massiv betroffen sind. Berlin ist die Hauptstadt der Armut und die Linkspartei.PDS regiert und verwaltet diese Armut statt sie effektiv zu bekämpfen.
Der Kollege Harald Weinberg aus Nürnberg hatte in seiner Eröffnungsrede gesagt, Berlin sei eine Ausnahmesituation. Wenn dem so ist, dann bedürfen außergewöhnliche Situationen nun einmal außergewöhnliche Maßnahmen. Die Berliner WASG will ja nicht eigenständig kandidieren, weil ihr das besonders viel Spaß macht oder sie etwa, wie leider oft behauptet wird, gegen den Neuformierungsprozess der Linken generell wäre. Wir sehen uns gezwungen, eigenständig anzutreten! Denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Berliner LP.PDS einen politischen Kurswechsel hin zu sozialer Politik vollziehen wird.
Klaus Ernst hat in seiner Rede behauptet, dass eine konkurrierende Kandidatur in Berlin den gemeinsamen Kandidaturen in anderen Bundesländern schaden würde. Diese Behauptung entbehrt bisher jeder Beweisführung. Mir persönlich sind aus Hessen und Baden-Württemberg jedenfalls keine tatsächlichen Erfahrungen bekannt, dass WahlkämpferInnen der WASG auf der Straße oder vorm Betriebstor in größerer Zahl auf die Konflikte in Berlin angesprochen worden wären. Auf der anderen Seite aber steht die Berliner WASG in Meinungsumfragen ziemlich gut da. 4,3 Prozent würden in Berlin WASG wählen – ohne dass ein einziges Plakat hängt oder ein einziges Wahlkampf-Flugblatt verteilt worden wäre. Dies drückt den tiefen Unmut und die große Enttäuschung vieler Berlinerinnen und Berliner mit dem SPD/PDS-Senat aus.
Klaus Ernst sagte, durch eine eigenständige Kandidatur würde man die vier Millionen WählerInnen von der Bundestagswahl bescheißen. Das Gegenteil ist (leider) der Fall. Durch eine Unterstützung der Linkspartei.PDS in Berlin würden wir die WählerInnen in Berlin bescheißen. Denn wir sind angetreten, um auf allen Ebenen den Sozialkahlschlag und die Privatisierungspolitik zu bekämpfen und für die Rechte der Lohnabhängigen zu streiten. In Berlin muss man das nun einmal gegen die derzeitige LP.PDS-Politik tun. Dies auf dem Altar abstrakter linker Einheit zu opfern wäre Beschiss! Was hat denn der Ein-Euro-Jobber davon, wenn er von einer Regierung unter Beteiligung einer linken Einheitspartei ausgebeutet wird? Ganz abgesehen davon bin ich nicht das einzige WASG-Mitglied, das im Bundestagswahlkampf die Meinung zu hören bekam: diesmal wähle ich Euch zusammen mit der PDS, weil Bundestagswahlen sind, aber bei den Berliner Wahlen werde ich das nicht tun!
Es ist unsere Pflicht auch in Berlin dem Protest gegen Sozialabbau eine politische Stimme zu geben. Das geht zur Zeit leider nur gegen die LP.PDS. Ich bin übrigens auch davon überzeugt, dass eine erfolgreiche Kandidatur der WASG in Berlin, die möglicherweise dazu führt, dass die LP.PDS aus der Regierung fliegt, das beste Mittel ist, um Bewegung innerhalb der LP.PDS auszulösen. Mit guten Argumenten ist da leider wenig zu erreichen. Ein externer Schock wäre sicher wirkungsvoller.
Eine eigenständige Kandidatur der Berliner WASG würde auch nicht den Parteibildungsprozess torpedieren. Aus meiner Sicht wäre es sogar ein Beitrag dazu, das von Klaus Ernst formulierte Ziel zu erreichen: die neue Partei darf an Privatisierungen und Tarifflucht auch in Landesregierungen nicht teilnehmen. Denn so ein Sonderfall ist Berlin eben nicht: in Mecklenburg-Vorpommern betreibt die LP.PDS im Kern dieselbe Politik. In vielen ostdeutschen Kommunen privatisieren LP.PDS-Ratsfraktionen munter mit, zuletzt in Dresden öffentliche Wohnungen. Und auch der LP.PDS-Redner auf Eurem Parteitag hat zum Ausdruck gebracht, wie wenig Prinzipienfestigkeit in der LP.PDS zählt: wer mit Dreck spielt müsse sich schmutzig machen, Gesetze gehören umgesetzt, eine andere Politik in Berlin sei nicht möglich. Von der Parteispitze um Lothar Bisky wurde der Berliner Senat in den letzten Jahren kaum kritisiert. Im Gegenteil: der Eintritt in Landesregierungen ist für viele LP.PDS-Spitzenpolitiker die Strategie um 2009 eine bundesweite Koalitionsregierung mit der SPD zu bilden. Wenn dies zur Strategie der neuen linken Partei wird, wird diese die Unterstützung in der Bevölkerung schnell wieder verlieren – so wie die LP.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Unterstützung verliert. Parteien, die Sozialabbau betreiben gibt es nämlich schon genug!
Das bedeutet: die LP.PDS braucht Druck, damit sie sich nach links bewegt. Diesen Druck üben wir aus Berlin aus. Übrigens mit Erfolg auch auf unsere eigenen Leute. Oskar Lafontaine hat noch im November den Berliner SPD/PDS-Senat öffentlich verteidigt. Die prinzipienfeste Haltung der Berliner WASG hat offensichtlich auch ihn zum Nachdenken gebracht. Wenn wir den Parteibildungsprotess positiv beeinflussen wollen, müssen wir unsere eigene Identität und unsere eigenen Positionen beibehalten und selbstbewusst einbringen. Und in Berlin sind nun einmal in diesem Jahr Wahlen.
Deshalb kann ich Euch, Euren Landesvorstand und den Bundesvorstand nur auffordern eine demokratische Entscheidung der Berliner WASG zu akzeptieren und uns zu unterstützen. Die von Eurem Landesvorstand geplante bundesweite Urabstimmung ist dabei nicht hilfreich. Es gibt so gut wie niemanden in der WASG, der grundsätzlich gegen eine Neuformierung ist. Das gilt auch für die WASG Berlin und übrigens auch für die SAV. Allerdings gibt es viel Kritik daran, dass die Pläne der beiden Vorstände auf eine reine Fusion hinauslaufen und das Bedürfnis, sicher zu stellen, dass die neue Partei auch tatsächlich und überall linke Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen macht. Statt einer Fusion schlagen viele eine wirkliche Neuformierung unter Einbeziehung anderer linker Kräfte vor, wie das ja auch der bundesweite Beschluss eigentlich vorsieht. Die von Eurem Landesvorstand gemeinsam mit den Vorständen aus Hessen und Rheinland-Pfalz geplante Urabstimmung wird von vielen Landesvorständen abgelehnt, denn sie birgt die Gefahr einer Zerreißprobe für die Partei. Viele Mitglieder sehen darin den Versuch, Fakten zu schaffen bevor es eine wirklich breite Debatte gegeben hat.
Mich hat gewundert, dass bei Eurem Parteitag überhaupt nicht konkret über diese Urabstimmung berichtet wurde und auch nicht darauf hingewiesen wurde, dass viele VertreterInnen aus Landesvorständen ihre Opposition dagegen zum Ausdruck gebracht haben. Auch eine Formulierung wurde nicht vorgelegt. Eigentlich hätte doch der Landesparteitag eine so wichtige Frage debattieren und entscheiden können. Wenn es aber nur darum gehen soll, was Klaus Ernst in seiner Rede sagte: festzustellen, ob der Parteibildungsprozess zielgerichtet weiter gehen soll – dann kann man sich die 10.000 Euro für eine Urabstimmung sparen. Denn das stellt niemand in Frage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war sehr beeindruckt von der starken Orientierung Eures Landesverbandes auf die betrieblichen Kämpfe, die zur Zeit stattfinden. Die Unterstützung für die AEG-KollegInnen und die streikenden Beschäftigten der Länder und Kommunen ist wichtiger, als vieles andere! Nur wenn solche Kämpfe, auch durch unsere Unterstützung, wieder erfolgreich verlaufen, können wir die Kräfteverhältnisse in dieser Republik tatsächlich zugunsten der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen verändern. Bei dieser Aufgabe sollten wir an einem Strang ziehen, unabhängig von unseren möglichen Differenzen in der Frage der Berliner Abgeordnetenhauswahlen.
Aber eines solltet Ihr Euch überlegen. Was ist Euch lieber? Ein Berliner Abgeordnetenhaus mit ein oder zwei Alibi-WASG-VertreterInnen in der LP.PDS-Fraktion und einer Fortsetzung der SPD/PDS-Koalition. Oder eine WASG-Fraktion, die zur Stimme der Armen und vom Neoliberalismus Betroffenen in der Stadt wird, und deren Einzug ins Parlament dazu führt, dass die LP.PDS die Koalition mit der SPD nicht fortsetzen kann. Wenn wir nicht antreten ist die erste Option fast sicher. Wenn wir antreten, ist die zweite Option möglich. Ich finde, es lohnt sich, dafür zu kämpfen!
Solidarische Grüße
Sascha Stanicic, WASG-Mitglied Berlin-Neukölln und Bundessprecher der Sozialistischen Alternative (SAV)