"Wenn sie ein soziales Gewissen hätten, müssten sie sich schämen!"

Hunderte protestierten in Rostock gegen kommunale Kürzungen und Stellenabbau


 

Am 1. Februar hat die Rostocker Bürgerschaft den bisher weitestgehenden Sozialkahlschlag in der Geschichte der Stadt beschlossen. Doch von Seiten der Betroffenen regt sich Widerstand.

von Torsten Sting, Rostock

Die Hansestadt ist pleite. Knapp 90 Millionen Euro Haushaltsdefizit und über 150 Millionen Euro an Gesamtschulden haben sich in den vergangenen Jahren entwickelt. Angesichts dessen drohte das SPD/Linkspartei.PDS-regierte Land mit der Entmachtung der Kommune und dem Einsetzen einer Zwangsverwaltung, wenn nicht entschieden gekürzt würde.

Was folgte, war ein Überbietungswettbewerb der bürgerlichen Fraktionen mit dem parteilosen Oberbürgermeister Methling, wer am grausamsten „einspart“. Nach einigem Machtgeplänkel war man sich doch darin einig, dass 40 Millionen Euro bis zum Jahr 2009 gekürzt werden sollen. Dreimal darf man raten, wie das geschehen soll: Bei sozialen und kulturellen Einrichtungen, Lohnkürzungen, Personalabbau und durch weitere Privatisierungen. Das ging und geht der „rot-roten“ Landesregierung nicht weit genug: Genau das doppelte, nämlich 80 Millionen Euro Kürzungsvolumen, fordert Schwerin, unter anderem soll die größte kommunale Wohnungsgesellschaft WIRO verscherbelt werden!

„Das hier ekelt mich an“

Die SAV hat über mehrere Monate eine Kampagne gegen die Sozialkürzungen geführt. Mit Infoständen in den Stadtteilen und Aktionen haben wir zusammen mit der Jugendorganisation widerstand international (wi!) andere ermutigt, Widerstand zu leisten. Vor der Bürgerschaftssitzung am 1. Februar organsierte die Gewerkschaft ver.di eine Kundgebung mit 600 Menschen, in erster Linie Beschäftigte der Stadtverwaltung. Den meisten Applaus bekam unsere Abgeordnete Christine Lehnert, die darauf hinwies, dass die geplanten Kürzungen asozial sind. „Statt das Frauenhaus oder die Stadtteilbibliotheken zu schließen, muss das Geld dort geholt werden, wo es ist: bei den Konzernen und Superreichen. Allein der Vermögenszuwachs der 80 reichsten Milliardäre würde allen Kindern und Jugendlichen den Kindergarten, die Vorschule, Schule und Berufsausbildung bzw. das Studium finanzieren“ so Christine Lehnert. Als sie eine der Vertreterinnen der etablierten Kürzungsparteien auf der Kundgebung direkt ansprach, erntete diese bei ihrer anschließenden Rede immer wieder Buhrufe von den Protestierenden. In der Sitzung der Bürgerschaft selbst war die Abgehobenheit der Politiker beispielhaft. Sie beschlossen Kürzungen bei Behinderten, Obdachlosen und Haftentlassenen und schenkten sich anschließend Blumen für die „erfolgreiche Arbeit“. Beim Volkstheater Rostock soll ein Haustarif eingeführt werden, doch die Ehrenkarten für Bürgerschaftsmitglieder, die ihnen einen kostenlosen Eintritt ermöglichen, wurden nicht angetastet.

Christine Lehnert dazu „Das hier ekelt mich an. Wenn Sie ein soziales Gewissen hätten, würde ich Ihnen sagen, schämen sie sich.“

Rolle der Linke.PDS

Neben der Vertreterin der SAV, Christine Lehnert, lehnte auch die Linkspartei.PDS den Haushaltsentwurf der bürgerlichen Fraktionen und des OB ab. Typisch für die „Linke“ ist aber, dass nicht prinzipiell der gesamte politische Kurs kritisiert wurde. Stattdessen wurde angemahnt, dass man doch „vernünftig“ sparen solle, zudem war man sichtlich beleidigt darüber, dass CDU, SPD, FDP und Bündnis 90 quasi eine inoffizielle Koalition geschmiedet hatten und den Rest der Bürgerschaft vor vollendete Tatsachen stellten. Statt diese Situation zu nutzen und in die Offensive zu gehen, beklagte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, dass er noch nie so „politisch gedemütigt“ worden sei.

Ganz zaghaft sprach auch die Linke.PDS von den eigentlichen Ursachen der Krise der Stadt Rostock und vieler anderer Kommunen: Immer weniger Geld von Bund und Land, stattdessen mehr Aufgaben und Belastungen, letztes Beispiel Hartz IV. Der Aufruf unserer Abgeordneten Christine Lehnert, Druck auf die Linkspartei.PDS in Schwerin auszuüben und die Koalition mit der SPD zu verlassen, wurde nicht aufgegriffen. Hier ist alles beim alten: Während die Linke.PDS in Schwerin die finanzielle Mindestausstattung für Kommunen unterwandert, zetert sie in Rostock gegen Kürzungen! Mit dieser Partei kann leider kein wirksamer Widerstand auf die Beine gestellt werden.

Wie weiter?

Am 22. Februar organisiert die SAV eine Veranstaltung, bei der unter anderem mit dem lokalen ver.di-Vorsitzenden Geitmann die weiteren Schritte für den Widerstand diskutiert werden. Wir schlagen vor, dass – ausgehend von einer Betriebs- und Personalrätekonferenz – ein Signal an alle vom Sozialkahlschlag Betroffenen geht, gemeinsam Gegenwehr zu leisten. Mit einer Widerstandskonfernz können alle an einen Tisch geholt werden und die nächsten Schritte im Protest beraten werden. Ein Streik- und Protesttag könnte die Brücke zu den sich entwickelnden Kämpfen im Öffentlichen Dienst schlagen und die Forderung nach einer höherer Besteuerung der Reichen und Konzerne in den Mittelpunkt stellen. Mit diesem Geld könnten nicht nur Arbeitszeitverkürzungen und entsprechende Neueinstellungen, sondern auch dringend benötigte kommunale Investitionen in den Bereichen Bildung, öffentlicher Nahverkehr, Umwelt und Soziales ermöglicht werden.