Venezuela: Millionen leiden unter Wohnungsmangel

Wohnungslose besetzen leerstehende Gebäude
 

Ganz oben an in Caracas steht die Wohnungsfrage. Millionen Menschen leben in Behausungen, die unter schlechtesten Bedingungen an den Hängen gebaut wurden, die Caracas umgeben. Von dort blickt man herab auf das Stadtzentrum. Einige dieser Verhaue bestehen einfach nur aus zusammengetragenem Material, das die BewohnerInnen irgendwie ergattern und transportieren konnten. Oft fehlt es an nötigsten Dingen wie Abwasserleitungen oder Stromversorgung.

Mehrere obdachlose Familien, deren Behausungen aufgrund starken Regens und der darauf folgenden Schlammmassen nun unbewohnbar wurden, haben in den letzten Wochen damit begonnen 32 leerstehende Gebäude der Hauptstadt zu besetzen. Sie verlangen, dass ihnen die Regierung dauerhaft angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellt.

Die Besetzungen stellen den bisherigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen im revolutionären Prozess Venezuelas dar. Sie spiegeln außerdem die wachsenden Widersprüche wider, in denen sich das Land mittlerweile befindet. Einerseits organisieren sich Arbeiterklasse und Arme, um selbstbestimmt leben zu können. Andererseits werden sie jedoch in diesem Bestreben vom zunehmenden Bürokratismus im Staatsapparat behindert.

Einer der Hausbesetzer erklärte: „Es ist das erste Mal, dass ich so etwas tue – Sie lassen uns aber keine Wahl. Wir waren in dieser Sache bereits auf den Ämtern, aber niemand wollte mit uns sprechen und passiert ist auch nichts.“

Wir haben mit Elvis Rivas gesprochen, der im Komitee von San Techo Mitglied ist, einer Basisgruppe, die Obdachlose unterstützt. Er meinte: „Die Revolution hat mich aus dem Slum herausgeholt, in dem ich lebte. Ich nahm Drogen und war kriminell. Es gab keine Alternative für mich. Dann gaben mir die Missionen (von der Chávez-Regierung ins Leben gerufene Sozialstationen) Hoffnung und jetzt gibt es wieder etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich will eine bessere Welt. Eine sozialistische Welt, in der jeder einen Job, eine Wohnung und Zugang zum Gesundheitssystem und zu Bildung hat.“

Als eine Frau namens Norma dazu kommt, ergänzt sie: „Ich arbeite in einer Genossenschaft mit, die die Armen mit Gas versorgt. Wir helfen denen, die Hilfe am dringendsten benötigen. Wir waren auch zu einem Genossenschafts-Treffen in der Mission Gasifera eingeladen.“

Es ist hervorragend, dass Leute wie Elvis und Norma sich zu organisieren beginnen und in ihren Communities Hilfe anbieten. Doch leider gibt es gleichzeitig und vermehrt die Tendenz, dass innerhalb der Bürokratie bewusst sabotiert und die Bewegung klein gehalten wird. „Wir werden keine Form von Besetzungen akzeptieren“, erklärte Raul Yepez, Polizeichef im Ministerium für Wohnungsbau und Justiz. Er warnte: „Jeder, der Privatbesitz in Frage stellt, wird geräumt, verhaftet und vor Gericht gestellt.“ Gegen einige Bedienstete der Stadtpolizei, die verdächtigt werden, die BesetzerInnen zu unterstützen, sind bereits Untersuchungen eingeleitet worden. Sie sehen sich Disziplinarverfahren gegenüber. Der Bürgermeister von Caracas, Juan Barreto, sagte, dass ihm eine Liste von Gebäuden vorliege, die für eine „legale“ Enteignung vorgesehen seien, um die Obdachlosen unterzubringen. „Illegale“ Besetzungen müssten allerdings sofort aufhören.

Doch der Sozialismus, wie Elvis ihn sich vorstellt, in dem die Bedürfnisse der Mehrheit befriedigt sind, wird nur möglich sein, wenn sich die sich selbst organisierende Arbeiterklasse und die Armen z.B. das Recht auf angemessenen Wohnraum erkämpfen. Dazu müssen nicht nur leer stehende Gebäude enteignet werden, sondern die Schlüsselindustrien, Banken inklusive der Finanzinstitutionen und der Großgrundbesitz müssen einbezogen werden. Demokratische Kontrolle und Planung von Wirtschaft und Gesellschaft auf allen Ebenen sind dafür die Voraussetzung!

von Christine Thomas, Socialist Party, Caracas