Trotz „Zukunftsvereinbarung“ drohen Entlassungen bei DaimlerChrysler. Ein Gespräch mit Betriebsratsmitglied Michael Clauss vom DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim* und Mitherausgeber der oppositionellen Betriebszeitung alternative. Mit ihm sprach Daniel Behruzi
Laut Presseberichten sollen bei DaimlerChrysler statt der bisher bekannten 8 500 nun mehr als 16 000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Gleichzeitig will man den Konzerngewinn auf über neun Milliarden Euro steigern. Wie empfinden die Beschäftigten solche Nachrichten?
Das ist doch ziemlich entlarvend. Der Masse der Kollegen wird der Zusammenhang zwischen Personalabbau und Gewinnsteigerung – mit weniger Beschäftigten mehr produzieren und eine höhere Rendite erwirtschaften – so klar vor Augen geführt.
Die im Sommer 2004 geschlossene „Zukunftsvereinbarung“ sieht neben Lohnkürzungen für Neueingestellte und Dienstleister vor, dass keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden sollen. Wie will der Konzern den Arbeitsplatzabbau denn dann realisieren?
Konkrete Aussagen dazu gibt es noch nicht. Die Ankündigungen zeigen aber, dass die „Zukunftvereinbarung“ die Arbeitsplätze eben nicht sichert. Die Schlechterstellung Neueingestellter ist für das Unternehmen ein Anreiz, in den nächsten Jahren möglichst viel Personal auszutauschen. Im Rahmen des angeblich „sozialverträglichen“ Personalabbaus finden schon seit Wochen Gespräche statt, in denen das Management Kollegen zur Annahme der Abfindungen bewegen will.
Einige Personalchefs drohen damit, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen seien. Und tatsächlich schließt der im vergangenen Jahr geschlossene Vertrag diese nur für den Fall aus, dass die Annahmen der sogenannten strategischen Geschäftsfeldplanung eintreffen. Die Absatzzahlen sind nun aber deutlich nach unten korrigiert worden. Arbeitsrechtlich wären Entlassungen damit möglich – im Gegensatz zu den Behauptungen der IG-Metall- und Betriebsratsspitzen.
Der Konzern spricht von „Personalüberhang“. Gibt es den?
Ganz und gar nicht. Wir haben in den letzten Jahren an vielen Stellen mit extremer Personalunterdeckung gearbeitet. In vielen Bereichen hatten die Kollegen im Durchschnitt 200 bis 250 Freischichtstunden, das entspricht etwa drei bis vier Wochen, auf dem Konto.
Warum forciert der Konzern dann den Arbeitsplatzabbau?
Der Vorstand will die Angst vieler Kollegen, die ganz bewusst geschürt wird, ausnutzen, um die Leistungsschraube noch stärker anzuziehen. Außerdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass in den nächsten Jahrzehnten durch die technische Entwicklung große Rationalisierungsfortschritte auf uns zukommen. Nach kapitalistischer Logik führt das zur stetigen Vernichtung von Arbeitsplätzen.
Was wäre die Alternative dazu?
Im Grunde stellt dies die Frage nach der Überwindung dieses Systems insgesamt. Aber auch im Hier und Jetzt wäre Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine Alternative zur Arbeitsplatzvernichtung.
Der Abbau geht auch bei VW, Opel oder Ford weiter. Könnte die anstehende IG-Metall-Tarifrunde nicht zur Klammer des Widerstands verschiedener Belegschaften werden?
Jede Tarifauseinandersetzung bietet die Chance, Bewegung zu initiieren und die Kollegen zum Nachdenken über ihr Dasein als abhhängig Beschäftigte zu bringen. Um diese zu nutzen, ist aber ein offensives Herangehen notwendig. Das kann ich in der jetzigen Forderung, die sich irgendwo zwischen viereinhalb und fünf Prozent bewegt, allerdings nicht entdecken. Sie liegt noch unter den Forderungen der letzten Jahre, als wir bekanntermaßen Reallohnverluste hinnehmen mussten.
Dennoch liegt in der Tarifrunde durch die Kündigung des „Lohnrahmentarifvertrags II“, der unter anderem die „Steinkühler-Pause“ beinhaltet, eine Menge Sprengstoff.
Das stimmt, aber dieser ist von der IG-Metall-Spitze schon dadurch wieder herausgenommen worden, dass diese Frage mit der Lohnrunde vermischt wird, anstatt sofort nach Ablauf der Friedenspflicht Ende Januar in Arbeitskampfmaßnahmen einzutreten. Wir sollen den „Lohnrahmen II“ noch einmal bezahlen. Es droht erneut eine Mogelpackung.
* Angabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person
Was Maloche ohne Steinkühler-Pause“ bedeutet
Juli 2005, im LKW-Werk von DaimlerChrysler in Wörth: „Hochkonjunktur“ für den Nutzfahrzeugverkauf. Dementsprechend werden im Werk Leute eingestellt, Ferienarbeiter, befristete, Zeitarbeiter über die Firma Gabis und vereinzelt unbefristete. Viele kommen aus Karlsruhe, mit dem Auto sind es keine 15 Minuten. Aber weil Wörth hinter dem Rhein liegt, fängt hier ein anderes Bundesland an, Rheinland-Pfalz. Und weil die IG Metall es in den Siebzigern versäumt hat, die Regelungen der „Steinkühler-Pause“ nicht nur in Nordwürttemberg und Nordbaden, sondern auch in anderen Tarifgebieten einzuführen, gelten hier diese geregelten zehn Minuten Erholzeiten pro Stunde nicht…
von Stefano Coppi, Stuttgart
Ich arbeite an der „Stoßfänger-Station“. Das ist ziemlich am Ende der Montage, die „Hochzeit“, also die Vereinigung von Fahrgestell und Fahrerhaus ist schon vollzogen, und ein paar Meter weiter rollen die LKWs, meist Modelle Actros oder Axor, fertig vom Band.
In der Station vor mir arbeitet ein Kollege, dem im Werk Sindelfingen ein befristeter Vertrag nicht verlängert wurde. Also bewarb er sich hier in Wörth, zog alleine in die Pfalz, und pendelt jedes Wochenende nach Stuttgart. Er montiert Reifen. Seit Monaten macht er diese Station. Er sagt, dass er jeden Tag fertig ist.
Ohne „Steinkühler-Pause“
Den Stoßfänger montieren wir zu zweit. Das Ganze wird mit einer Hebemaschine an den LKW gedrückt – es muss genau passen, und alles ohne Kratzer – und dann werden die Schrauben reingemacht, besser gesagt reingehämmert, die Kabel von Blinker und Scheinwerfer verbunden, Spoiler befestigt. Passiert ein Fehler, bei uns oder beim Nebenmann, packen alle mit an, um ihn zu beheben. Steht das Band oder wird ein Fehler übersehen, kommt der Meister und es gibt Ärger. Bei den vielen befristeten Verträgen haben die wenigsten Lust, sich mit ihm anzulegen.
Bei der schweren Arbeit wären angemessene Pausen also ein Muss, um durchzuschnaufen, auf Toilette zu gehen, im Sommer genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Unsere Arbeitszeit ist von 6 bis 14.30 Uhr. Wir haben zwei Pausen. Eine von 8.15 bis 8.30 Uhr, und die Mittagspause von 11.30 bis 12 Uhr. Und das ist einfach zu wenig. Alle versuchen in den zwei Pausen aufs Klo zu gehen, klappt das aber mal nicht, dann geht die Hektik los, man versucht den Ausfall so gut es geht zu kompensieren.
Mit Pausenregelung
Dezember 2005, im PKW-Werk von DaimlerChrysler in Rastatt (Baden-Würt-temberg). Hier wird die A- und B-Klasse produziert. Ich arbeite an der Schleiflinie, an der die Oberfläche der Karossen bearbeitet wird. In den Neunzigern mussten einige KollegInnen eine Zeitlang im Motorenwerk in Stuttgart-Bad-Cannstatt aushelfen, weil die Produktion hier runtergefahren wurde. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Weil beide Modelle guten Absatz haben, arbeiten hier Abordnungen aus Bremen und aus Sindelfingen. Aus Sindelfingen fahren zu jeder Schicht zwei Busse nach Rastatt (90 Kilometer), in Bremen wurde eine Sozialauswahl getroffen, um KollegInnen nach Rastatt zu schicken. Bis vor kurzem gab es hier noch unbefristete Einstellungen, jetzt nur noch befristete und Ferienarbeiter. Rastatt liegt im Tarifgebiet Nordbaden, hier gilt die „Steinkühler-Pause“. Das bedeutet für uns, dass wir unsere persönlichen Bedürfnisse in den bezahlten Pausen erledigen können. Trinken, Essen, Toilette, Durchschnaufen, in die Kantine gehen und was einkaufen. Die Regelung wird nicht so gehandhabt, dass exakt nach einer Stunde zehn Minuten Pause für alle ist. Wir arbeiten mit Springer, das heißt man wird für die Pause abgelöst, die Produktion läuft weiter. Aber wir können uns darauf verlassen, dass im Schnitt alle eineinhalb Stunden Pause ist.