Bolkestein: Sozialdumping made in EU

Am 14. Februar will das EU-Parlament über die Liberalisierung von Dienstleistungen beschließen
 

Die vom ehemaligen EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein Anfang 2004 vorgelegte Richtlinie ist auf die im Jahr 2000 bei einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs beschlossene „Strategie von Lissabon“ zurückzuführen. Nach dieser Strategie soll aus der Europäischen Union bis 2010 der „wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ werden.

von Franz Kühne, Köln

Von der Bolkestein-Richtlinie sind fast alle Dienstleistungen betroffen, die in der EU erbracht werden. Handel, Werbung, Personaleinstellung (einschließlich Zeitarbeit), Reinigungs- und Bauleistungen, öffentliche Bildung und Kultur, Dienstleistungen der Kommunen – alles das soll in vollem Umfang der freien Konkurrenz ausgesetzt werden. Lediglich der Gesundheitsbereich und „hoheitliche Aufgaben“, wie Militär und Polizei sollen ausgenommen bleiben.
Von den katastrophalen Auswirkungen, die den ArbeiterInnen der EU drohen, haben Beschäftigte in Deutschland bereits einen Vorgeschmack bekommen. So hat Franz Müntefering vor kurzem in einem Interview betont, dass mit der Agenda 2010 „weitreichende Fortschritte bei der nationalen Umsetzung der Lissabon-Strategie erzielt“ worden seien.
Der Gesetzentwurf ist einzig und allein den Unternehmern von Nutzen. Ein Beispiel: Bisher mussten die Kosten einer Produktionsverlagerung einkalkuliert werden, wenn ein Unternehmer von niedrigeren Löhnen und Sozialstandards in anderen EU-Staaten profitieren wollte. Dank Bolkestein braucht der Betrieb künftig nicht mehr verlagert zu werden, um von „billigen“ Lohnsklaven zu profitieren. Der Unternehmer kann sich in Zukunft ganz bequem Arbeitskräfte aus dem Herkunftsland „entsenden“ lassen, das den niedrigsten Kündigungsschutz und die niedrigsten Sozialstandards bietet. Dieses „Herkunftslandprinzip, nach dem der Dienstleistungserbringer einzig den Rechtsvorschriften des Landes unterliegt, in dem er niedergelassen ist“, bildet das Kernstück des neoliberalen Bolkestein-Gesetzentwurfs.

Freiheit der Unternehmer – Unfreiheit der ArbeiterInnen

Die Liberalisierung des EU-Dienstleistungsmarktes bedeutet nichts weiter als die Freiheit der Unternehmer, ihre Profite auf dem Rücken der ArbeiterInnen auszubauen. In Sachen Kündigungsschutz und Sozialversicherung soll durch die Bolkestein-Richtlinie der Dumpingwettbewerb verschärft werden. Einflussreiche Lobbyverbände der Wirtschaft, wie der European Round Table (ERT) ziehen die Fäden. Es besteht die Gefahr, dass das niedrigste nationale Niveau in der EU als Referenz für alle anderen EU-Staaten dienen wird. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft lag im Jahr 2004 das Gefälle zwischen den höchsten und niedrigsten sogenannten „Arbeitskosten“ in der EU bei über 8,5 : 1.

Rassistische Spaltung abwehren

Der „Bolkestein-Hammer“ soll die Konkurrenz zwischen den arbeitenden Menschen verschiedener Nationen und damit die Geschäfte der Unternehmer beleben. Dadurch, dass ArbeiterInnen von den Unternehmern quer durch Europa verschickt werden können, entsteht ein Wettbewerb um niedrige Löhne und Sozialstandards direkt am Arbeitsort. Das durch den Standortwettbewerb unter den EU-Staaten bereits geschaffene Klima des latenten Rassismus gegen sogenannte „Fremdarbeiter“ wird weiter angeheizt. Der Abwehrkampf gegen Lohn- und Sozialdumping, gegen nationale und rassistische Spaltung kann nur international erfolgreich sein.

Widerstand organisieren

Massiver länderübergreifender Protest auf der Straße ist wichtig. Das reicht aber erfahrungsgemäß nicht aus, um den Willen der herrschenden Klassen zur rücksichtslosen Entfesselung des Kapitalismus in Europa zu stoppen. Entscheidend ist der organisierte Kampf der europäischen Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. In den Gewerkschaften muss der Druck erhöht werden für einen kämpferischen Kurs der Führung bis hin zu einem europäischen Streiktag. Die Bolkestein-Richtlinie kann verhindert werden – wenn die Kraft der internationalen Solidarität aller ArbeiterInnen gezeigt wird.