Bericht von der Aktions- und Strategiekonferenz 19. und 20. November in Frankfurt am Main >
Am Wochenende des 19. und 20. November kamen 330 AktivistInnen aus sozialen Bewegungen und VertreterInnen verschiedener sozialistischer Gruppen in Frankfurt zusammen, um über die nächsten gemeinsamen Schritte zu debattieren. Vereinbart wurde eine Arbeitskonferenz am 17. Dezember zur Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration, die für Frühjahr 2006 terminiert wurde. Im Februar soll eine Folgekonferenz die Mobilisierung zur Demonstration unterstützen.
Auch der Aufruf zur Demonstration soll beim Dezember-Treffen vereinbart werden. Verschiedene Redebeiträge plädierten für eine Orientierung am Frankfurter Appell. Auch der Vorschlag des Arbeitsausschusses der Gewerkschaftslinken lehnt sich daran an. Eine Diskussion auf der Konferenz am Wochenende über die inhaltiche Gestaltung des Demo-Aufrufs wurde allerdings abgelehnt.
Die “APO-Konferenz” in Frankfurt am Main ging vom Treffen des deutschen Sozialforums in Erfurt aus. Sie stand aber gleichzeitig in der Tradition der Aktionskonferenzen 2003 und 2004. Diese Aktionskonferenzen hatten zum Beispiel die Demonstration am 1. November 2003 gegen Sozialabbau mit über 100.000 Menschen in Berlin auf den Weg gebracht. Dass aus diesen beiden Richtungen konkurrierende Vorstellungen entstanden, wurde durch die Moderation, bis Sonntag früh, bis zu ihrer Abwahl, vor allem in den Händen von Sabine Leidig, Attac, verdeutlicht: Kritik an den Gewerkschaftsspitzen und eine Ausrichtung auf eine bundesweite, zentrale Aktion im Frühjahr (die mit der Metalltarifrunde zusammenfallen würde) sollten mit unterschiedlichsten Mitteln verhindert werden.
Der Arbeitsausschusses der Gewerkschaftslinken brachte einen Vorschlag zu einer bundesweiten Demo (am 18. März – eine Woche vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) und einer Aktionswoche ein. In die gleiche Richtung gingen die Vorschläge des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di sowie die Vorstellungen verschiedener sozialistischer Gruppen. Auch die TeilnehmerInnen der SAV argumentierten für eine zentrale Aktion (siehe auch das Flugblatt der SAV zur Aktionskonferenz).
Wenig betriebliche AktivistInnen, wenig Erwerbslose selbst
Trotz enormer Wut und Unzufriedenheit und einer Zunahme der Streiks in den Betrieben, sehen sich viele Beschäftigte mit dem Rücken zur Wand: Die Erpressung der Unternehmer in den Betrieben und der Verzicht der Gewerkschaftsführungen auf gemeinsame Gegenwehr isolieren kämpferische Belegschaften. Zur Debatte um zentrale oder dezentrale Aktionen sprach auch Axel Hopfmann, ver.di-Aktivist vom LBK, Landesbetrieb Krankenhäuser, Hamburg: “Was wir selber machen ist schon dezentral: wir protestieren und streiken, Wenn man also bundesweit zusammen kommt, dann ist es paradox dezentrale Aktionen zentral planen zu wollen. Was wir aber gut gebrauchen können – und ich kann mir gut vorstellen, dass das anderen in ähnlichen Konflikten auch hilft – ist, dass rüber kommt: Wir sind mit unserem dezentralen Konflikt nicht alleine. So eine bundesweite zentrale Aktion könnte uns Rückenwind geben.”
Doch die Zusammensetzung der Konferenz war nicht von solchen AktivistInnen geprägt. Anders als bei vorherigen Aktionskonferenzen nahmen nur wenige VertreterInnen aus Betrieben und Gewerkschaften teil. Auch VertreterInnen von Anti-Hartz- und Erwerbslosen-Gruppen waren weniger zahlenmäßig erschienen. Ihre Wut wurde diesesmal kaum artikuliert. ImmigrantInnen, Frauen und Jugendliche waren unterrepräsentiert.
Berichte von KollegInnen aus dem Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung blieben isoliert. Kämpferisch wurde der Widerstand bei Alstom Mannheim eingebracht und ein Bild der gemeinsamen Aktionen von Studierenden, kommunalen und Landesbeschäftigten in Stuttgart beziehungsweise Baden-Württemberg gezeichnet; doch weder die allgemeinen Bedingungen sozialer Bewegungen 2005 noch die Zunahme der betrieblichen Auseinandersetzungen (Infineon München, AEG Nürnberg, Samsung Berlin, Telekom, Einzelhandelstarifrunde, …) wurden tiefergehend erörtert.
Die VertreterInnen sozialer Bewegungen rückten reale Bewegungen nicht in den Mittelpunkt ihrer Debatte.
Horst Schmitthenner, IG-Metall-Kontaktmann zu sozialen Bewegungen, nahm als Vertreter der Gewerkschaftsführungen teil. Er sprach über die Notwendigkeit der Neuformierung der sozialen Bewegungen parallel zum Neuformierungsprozess der Linken auf Parteiebene. Er nahm positiven Bezug auf den Wahlerfolg der Linken und forderte dabei aber eine Orientierung der Fraktion auf außerparlamentarische Proteste ein. Er betonte die Macht der Gewerkschaften, die im Vergleich zu anderen sozialen Bewegungen auch über eine zusätzliche Machtbasis in den Betrieben verfügen. Wie diese Macht genutzt werden würde, wurde von ihm nicht geschildert.
Eine Diskussion darüber kam nicht zustande, da am gesamten Samstag nur 60 Minunten zur offenen Debatte eingeplant wurden, während Einleitungen zur aktuellen Situation – Reichtum besteuern (von Michael Schlecht, ver.di-WiPo-Abteilung) zur Energiewende, zu Globalisierung – zwar wichtige Themen anschnitten, aber ohne Diskusion dazu und in der Kürze der für jedes Thema zur Verfügung stehenden Zeit, nur schwer darüber hinaus kommen konnte, alt bekanntes zu wiederholen. Die Endlichkeit der Öl- und Gasvorräte war den allermeisten der 350 TeilnehmerInnen wohl schon zuvor bekannt. Eine Strategie zur Verhinderung der Angriffe der Großen Koalition oder eine genauere Einschätzung der Bedeutung der Angriffe auf den Kündigungsschutz blieben in den “Inputs” wenig behandelt.
Von der Linksfraktion im Bundestag waren knapp ein Dutzend Abgeordnete erschienen, ohne aber ein gemeinsames Auftreten, Initiativen oder Vorschläge zu präsentieren.
Peter Grottian, Professor und Aktivist zum Beispiel gegen den Bankenskandal in Berlin, forderte ein, dass eine bundesweite Demonstration nur dann Sinn machen könne, wenn sie den Auftakt zu weiterem Widerstand bilden würde. Applaus fand sein Vorschlag, “Demo im März, ziviler Ungehorsam im Mai”, in der Arbeitsgruppe zu “Arbeit und Sozialem”. Dass eine solche Strategie nötig ist, die über eine bundesweite Ermutigung durch eine erfolgreiche Demo hinausgeht, teilten wohl die meisten Anwesenden.
Wie weiter?
Die SAV sieht in den Protestwelle 2003 und 2004 eine Bestätigung dafür, dass Demonstrieren und Protestieren alleine nicht ausreicht. Arbeitsniederlegungen und Streiks sind nötig, um die Auftraggeber der Kahlschlags-Politik, die Banken und Konzerne, ins Visier zu nehmen und anzugehen. Doch soll die Macht der organisierten Arbeiterbewegung, die Kraft der Beschäftigten in den Betrieben genutzt werden, dann wird dies nicht freiwillig von den Gewerkschaftsführungen ausgehen.
Um von einer Strategie- und Aktionskonferenz auch in diesem Bereich von unten weiter zu kommen, sind gezielte Anstrengungen nötig, Beschäftigte, Vertrauensleute, Betriebs- und Personalräte von unten zusammen zu bringen.
Eine Konferenz der AktivistInnen aus Betrieben und Gewerkschaften, mit dem Ziel, Belegschaften im Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub zu vernetzen und gemeinsame Strategien gegen die Offensive der Arbeitgeber und der Regierung zu vereinbaren ist nötig.
Ein Aufruf zu einer solchen Konferenz, ausgehend vom Arbeitstreffen der sozialen Bewegungen am 17. Dezember und dem Arbeitsausschuss der Gewerkschaftslinken wäre ein großer Schritt nach vorn.
von Stephan Kimmerle, Berlin