Interview mit Terry Kelleher von der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV in Irland), Vorstandsmitglied der BeamtInnengewerkschaft CPSU und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Irischen Post, über die Bilanz und das möglicherweise bevorstehende Ende von 18 Jahren Sozialpartnerschaft im „neoliberalen Vorzeigeland“ Irland.
Irland wird gerne als Erfolgsgeschichte neoliberaler Politik dargestellt – niedrige Steuern und “verantwortungsvolle” Gewerkschaften die Sozialpartnerschaft betreiben werden als Ursachen des wirtschaftlichen Aufschwungs genannt. Wie hast du als Gewerkschafter die Entwicklungen der letzten Zeit erlebt?
Ein wichtiger Faktor für den Wirtschaftsboom war ein starker Anstieg ausländischer Investitionen, vor allem durch US-Amerikanische Firmen die in Irland eine Basis schaffen wollen, um sich in Europa zu betätigen. Die Sozialpartnerschaft hat dazu geführt, dass es wenige Arbeitskämpfe gab, was den Bürgerlichen das Argument gegeben hat, es gäbe Stabilität. Unserer Meinung nach war es kein besonders wichtiger Faktor. Während es phänomenale Wachstumsraten gab, wurde der Wohlstand sehr ungleich verteilt. Die Anzahl der Millionäre und Spitzenverdiener ist stark angestiegen, gleichzeitig haben in den letzten Jahren zwei verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass Irland nach den USA die zweithöchste Armutsrate aller westlichen Staaten hat. Jedes fünfte Kind in Irland lebt in Armut.
Die Sozialpartnerschaft hat dazu beigetragen dass dieser neue Wohlstand nicht gleichmäßiger verteilt wurde. Was die Frage der niedrigen Steuern betrifft, sind die direkten Steuern gesenkt worden. Die Körperschaftssteuer ist gesenkt worden, und es gibt zahlreiche Schlupflöcher, die Unternehmen nutzen können, um Steuern zu sparen und ihre Profite zu steigern. Es hat aber eine Zunahme der indirekten Steuern und Belastungen gegeben, durch die Einführung und Erhöhung diverser Gebühren für Krankenhäuser, Schulen, Müllabfuhr, in einigen Gebieten auch für das Wasser. Die Mehrwertsteuer ist auch ziemlich hoch. Kinderbetreuung kostet über 600 Euro im Monat, Dublin gilt als eines der teuersten Städte Europas, das billigste Haus dort kostet 350.000 Euro. Die Löhne sind zwar gestiegen, die Lebenskosten aber noch mehr. Man bemühte sich, die Lohnkosten zu begrenzen und tat nichts gegen die steigenden Kosten von Wohnraum, Kinderbetreuung, Bildung usw. unternommen.
Der Irische Gewerkschaftsverband gibt jetzt zu, dass die Lohnvereinbarungen der ersten paar Sozialpartnerschaftsverträge aufgrund von steigenden Lebenskosten und Inflation keinen Anstieg der Reallöhne brachten. Erst in den letzten 6-7 Jahren sind die Reallöhne angestiegen, und das nur deshalb, weil Aufgrund eines Mangels an Arbeitskräften und des Selbstvertrauens der Beschäftigten in einigen Bereichen, wie etwa im Einzelhandel, wurden die Vereinbarungen durchbrochen und höhere Löhne erkämpft.
Aktuell gibt es bei der Post eine Auseinandersetzung bei der das Thema Sozialpartnerschaft eine zentrale Rolle spielt…
Ja, also wir haben die letzten Jahre Produktivitätsvereinbarungen gehabt, die Einführung neuer Technologie und neuer Methoden der Arbeitsorganisation, und das hat eigentlich ganz gut funktioniert. Nur ist im Moment das zentrale Thema für den öffentlichen Dienst die Frage der Deregulierung und Privatisierung. Es gab eine bewusste Entscheidung der Regierung, Löhne und Bedingungen des öffentlichen Sektor und der BeamtInnen anzugreifen. Seit 2003 weigert sich die Post, die im Sozialpartnerschaftsvertrag vereinbarten Lohnerhöhungen zu zahlen, und sie fordern immer mehr Zugeständnisse von den Beschäftigten.
Bis zu einem gewissen Punkt konnte die Gewerkschaftsführung die Zugeständnisse an die Mitgliedschaft verkaufen, aber nun ist selbst aus Sicht der Rechten in den Gewerkschaften eine Grenze erreicht. So verdient jemand nach 25 Jahren bei der Post im Normalfall einen Basislohn von 463 EUR pro Woche, das entspricht 2/3 des durchschnittlichen Arbeitnehmerlohnes. Viele Postbeschäftigte machen Überstunden und bekommen Zuschläge, die den Verdienst dann etwas akzeptabler aussehen lassen. Nun will die Geschäftsleitung aber die Überstunden massiv abbauen und zahlreiche Teilzeitkräfte einstellen, wobei sie vor allem auf ausländische Arbeitskräfte schielen. Das ist selbst für die Rechten in der Gewerkschaft mehr als sie schlucken können, denn sie haben Schwierigkeiten, dieses Vorhaben an ihre Mitglieder zu verkaufen – an der Basis gibt es massiven Widerstand dagegen da nun wirklich der Lebensstandard der Menschen angegriffen wird, und dafür sind sie bereit zu kämpfen.
Die Regierung hat einen sehr harten Kurs eingeschlagen, offenbar ist es für sie ein bedeutsamer Teil von dem, was sie umsetzen wollen. Außerdem sehen sie in der Gewerkschaft der KommunikationsarbeiterInnen eine sehr starke Gewerkschaft mit einer sehr kämpferischen Tradition. 1979 haben sie 18 Wochen gestreikt, und viele Leute erwarten im aktuellen Kampf etwas ähnliches noch mal.
Die konservative Gewerkschaftsführung hat versucht, vor 3 Monaten einen Abschluss an die Mitglieder zu verkaufen, doch der Vorstand, in dem viele Leute von der Basis sind, lehnte einstimmig ab, und in der Urabstimmung stimmten 91% für einen Vollstreik. Dann schalteten sich hochrangige Minister ein, um einen Streik zu vermeiden. Es gab bereits im letzten Dezember einen eintägigen Streik, damals demonstrierten 8000 Postbeschäftigte – die größte Gewerkschaftsdemonstration seit den frühren 80er Jahren. Danach diskutierte die Gewerkschaft im Sozialpartnerschaftsforum und mit der Schlichtungskommission, bevor die Sache an das Arbeitsgericht überwiesen wurde um einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten. Dieser Vorschlag war aber dann vollständig auf der Seite der Geschäftsleitung und taugte daher nichts, es gab so gut wie keine Zugeständnisse bei dem, was die Geschäftsleitung durchsetzen wollte.
Nun haben wir also eine Situation in dem die Position festgefahren und die Konfliktlinien deutlich sind. Es herrscht unter großen Teilen der KollegInnen ein klares Verständnis davon, dass dies ein politischer Kampf ist. Als am letzten Montag bei der Zentrale der Post ein Halbtagsstreik war, habe ich beim Streikposten mit KollegInnen diskutiert und es war sehr deutlich dass die Einsicht in den politischen Charakter dieser Auseinandersetzung weit verbreitet ist. Interessant ist auch, dass der Generalsekretär der Gewerkschaft den Einsatz des zuständigen Ministers als Vermittler ablehnte, nachdem dieser Äußerungen von sich gegeben hatte, aus denen klar wurde, dass er absolut hinter der Position der Firmenleitung steht. Obwohl noch verhandelt wird herrscht Klarheit darüber, dass weitere Kampfmaßnahmen anstehen werden.
Du hast die Frage migrantischer Arbeitskräfte angesprochen – dieses Jahr gab es einige Skandale, die klar gemacht haben wie wichtig die Rolle ist, die die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte für den Erfolg der Irischen Wirtschaft ist. Dieses Thema sorgt zur Zeit für einige Kontroversen…
Genau. Irland hat bis jetzt kein großes Rassismusproblem gehabt, die herrschende Klasse hat diese Karte nicht wirklich eingesetzt, ein Grund dafür ist, dass sie zahlreiche Arbeitskräfte ins Land geholt hat, um zehntausende bestehende oder entstehende Arbeitsplätze zu besetzen, ausgehend von der Erwartung, dass die Wirtschaft weiter wachsen wird. Was noch viel wichtiger ist, sollten sie als Rammbock missbraucht werden, um die Löhne und Arbeitsbedingungen der Irischen Arbeiterklasse, die aus Sicht der Herrschenden zu hoch sind und die Konkurrenzfähigkeit gefährden, abzusenken. Es gab Fälle, in denen ImmigrantInnen weniger als den Mindestlohn bekommen haben. Neben der Affäre um die Türkische Baufirma GAMA, die massive Auswirkungen auf die Gewerkschaften hatte, da sie sich danach intensive mit diesem Thema beschäftigten, gibt es nun einen zweite große Auseinandersetzung beim Passagierschiffunternehmen Irish Ferries, die alle Irischen MitarbeiterInnen entlassen und durch ImmigrantInnen ersetzen wollen, die dann 2,50 oder 3 EUR pro Stunde verdienen sollen.
Für viele Menschen ist dies eine sehr wichtige Frage, die gelöst werden muss. Deswegen wurde eines der konservativsten Gewerkschaften, die Industrie-, Dienstleistungs- und Transportgewerkschaft SIPTU, die seit jeher ein Eckstein der Sozialpartnerschaft darstellt, gezwungen, nicht für die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Sozialpartnerschaftsabkommen zu stimmen. Viele sehen, wie von den Gewerkschaften verlangt wird, dass sie die Regeln einhalten, nicht streiken und ihre Interessen am Verhandlungstisch durchsetzen, während immer mehr Unternehmen gegen Gesetze verstoßen und auch die Sozialpartnerschaftsabkommen missachten, ohne dass der Arbeitgeberband, die Regierung oder andere staatliche Institutionen dies auch nur kritisieren.
Die Entscheidung, ob es eine Neuauflage des Sozialpartnerschaftsabkommens gibt, wurde auf Anfang des neuen Jahres verschoben, in der Zwischenzeit verlangen die Gewerkschaften neue Gesetze von der Regierung – doch in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage unseres Abgeordneten Joe Higgins hat die stellvertretende Premierministerin sehr deutlich gemacht, dass es kein Gesetz zum Schutz ausländischer ArbeitnehmerInnen geben wird. Es ist also unklar, wie diese Frage gelöst werden wird, aber es ist eine zentrale Frage für die Gewerkschaften. Es ist klar geworden, dass solche Probleme nicht auf nationaler Ebene gelöst werden können, nötig ist ein Handeln der Gewerkschaften auf Europäischer und internationaler Ebene – nur so kann diese Thema wirksam angegangen werden..
Fragen wie die Ausbeutung migrantischer ArbeitnehmerInnen und die Entwicklungen, die du geschildert hast, haben eine Situation herbeigeführt in dem die Zukunft der Sozialpartnerschaft in Irland zur Disposition steht. Wie siehst du diese Diskussion und Entscheidung ablaufen und was sind die wahrscheinlichen Auswirkungen?
Seit dem ersten Sozialpartnerschaftsvertrag 1987 haben die Gewerkschaft ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht. Und wenn du das machst, schneidet man irgendwann auf die Knochen. Dieser Punkt ist jetzt erreicht. Es geht um die zentralsten Sachen. Der wirtschaftliche Wachstum wurde begleitet von einem politischen Rechtsruck. Immer mehr von dem Wohlstand geht an immer weniger Leute, da müssen sich die Gewerkschaften auch eine Mitschuld vorwerfen lassen. Weniger Geld geht in das Gesundheitssystem, in die Bildung oder in andere Dienstleistungen, die die Arbeiterklasse in Anspruch nimmt, oder in die Taschen von arbeitenden Menschen. Das hat massive Auswirkungen. Den Leuten wird diese Propaganda vom „Keltischen Tiger“ (Die boomende Wirtschaft) aufgenötigt. Auch wenn Menschen jetzt mehr verdienen, und einige Haushaltmitglieder durch Teilzeitarbeit etwas beitragen können, was vorher nicht da war, müssen die Leute für das zusätzliche Geld auch härter arbeiten, und die Lebenskosten steigen wie gesagt an. Die Lebensqualität wird nicht besser. Das zusätzliche Geld wird für Kinderbetreuung oder für die zahlreichen ansteigenden Gebühren ausgegeben. Es gibt also eine große Wut.
Als der Generalsekretär der CPSU zum Vorstand kam und uns bat, für Gespräche über ein neues Sozialpartnerschaftsabkommen zu stimmen, war die Stimmung so, dass so lange, wie die vereinbarten Lohnsteigerungen verweigert wurden, sollten wir nicht anfangen, über eine neue Vereinbarung zu verhandeln. Das war auch die Stimmung auf der letzten Gewerkschaftskonferenz – obwohl von 13.000 Mitgliedern nur 500 bei der Post sind, war die Einbehaltung der Lohnsteigerungen der Postbeschäftigten das entscheidende Argument dafür, dass die Konferenz den Vorstand beauftragte, gegen die Eröffnung neuer Verhandlungen zu stimmen. Schließlich stimmte der Vorstand mit 15-1 gegen Verhandlungen, und eines der Argumente die wir gebracht haben war, dass Sozialpartnerschaft einfach nicht funktioniert – die Leute haben nicht das Gefühl, dass sie wie PartnerInnen behandelt werden. Es ist eine Arroganz unter den Bossen festzustellen, eine Überzeugung, dass sie endgültig gewonnen haben, die Gewerkschaften in der Tasche haben und alles durchsetzen können was sie wollen – ich glaube sie staunen teilweise selber, was sie alles durchgekriegt haben.
Und die Gewerkschaften geben zwar viel heiße Luft von sich, aber sie handeln nicht. Es gibt ein Gefühl der Verzweiflung unter den Rechten in den Gewerkschaften, sie sind überhaupt nicht optimistisch. Viele Leute die jetzt in den Gewerkschaften aktiv sind, sind in den letzten 18 Jahren dazugekommen, und sie kennen eben nur Sozialpartnerschaft. Sie haben keine Erfahrungen darin, eine Lohnforderung aufzustellen, und dann zu versuchen, diese in einer Tarifrunde durchzusetzen. Deswegen sind einige in der Hinsicht etwas nervös. Einige meinen sogar, dass die Unternehmer jetzt teilweise fragen, wozu sie noch nationale Lohnabkommen brauchen, da sie alleine sogar noch niedrigere Löhne durchsetzen könnten. Eine Möglichkeit ist, dass es eine Vereinbarung für den Privatsektor und einen separaten für den öffentlichen Sektor geben könnte. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie bei zentralen Themen wie die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte bereit sind, Kompromisse zu machen. Aber die Stimmung an der Basis ist jedenfalls so, dass die ganze Struktur so wie sie ist offenbar nicht funktioniert.
Das Interview führte Sean McGinley