Vorschläge der SAV für die Aktions- und Strategiekonferenz
Am 19. und 20. November findet die vom Deutschen Sozialforum beschlossene Aktions- und Strategiekonferenz der außerparlamentarischen Bewegungen statt. Diese Konferenz muss zum Ausgangspunkt für den Beginn von realem und praktischem Widerstand gegen die Kürzungspläne der Großen Koalition und die fortgesetzte Offensive der Kapitalisten beim Abbau von Arbeitsplätzen und der Senkung von Löhnen in den Betrieben werden. Sie findet statt vor einer, im Vergleich zur letzten Konferenz im Januar 2004, gänzlich veränderten Situation: Erstens gibt es die Erfahrungen mit den Massenprotesten gegen Agenda 2010 und Hartz IV, zweitens gibt es nun eine starke linke Fraktion im Bundestag und den Neuformierungsprozess einer linken Partei. Aus ersterem müssen die Lehren und praktische Schlussfolgerungen gezogen werden. Letzteres wirft die Frage nach dem Verhältnis außerparlamentarischer Bewegungen, Gewerkschaften und politischer Partei(en) der Linken auf.
Der Ausgang der Bundestagswahl ist Sand im Getriebe der neoliberalen Offensive, aber er hat den Kapitalisten keinen Strich durch die Rechnung gemacht. Diese setzen ihre Offensive in den Betrieben gegen die Arbeiterklasse fort. Ein Unternehmen nach dem anderen kündigt Arbeitsplatzabbau, Entlassungen oder gar Werksschließungen an. Flankiert werden solche Ankündigungen von Forderungen nach längeren Arbeitszeiten, niedrigeren Löhnen und einer weiteren Absenkung der so genannten Lohnnebenkosten.
Auch wenn die Bundesregierung vorerst auf die gesetzliche Zerschlagung des Flächentarifs, Eingriffe in die Mitbstimmung und die Besteuerung von Schichtzulagen zu verzichten scheint, wird sie schon bald eine Reihe von Angriffen auf den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiterklasse ankündigen. Nach der Bekanntgabe der SPD-Minister im neuen Kabinett jubilierte die Financial Times Deutschland: "Ministerauswahl zeigt Wille zu Reformen".
Keine Zeit
So wenig Regierung und Kapital sich Zeit lassen werden, so wenig haben GewerkschafterInnen, die Linke und AktivistInnen der sozialen Bewegungen Zeit, den Widerstand zu planen. Die Voraussetzungen für diesen sind durch die Existenz der WASG und das Ergebnis der Bundestagswahl erheblich verbessert. Das gilt in jeder Hinsicht: Die Idee, dass es eine Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik geben kann, hat Millionen erfasst; die Bruchlinien innerhalb der Gewerkschaften zur SPD wachsen täglich; die Bewegungen der Jahre 2003 und 2004 birgen wichtige Lehren und haben Hunderttausende politisiert und aktiviert; die Existenz der WASG und der Formierungsprozess einer neuen Linken sollten es vereinfachen, Kämpfe zu verbinden und ihnen eine politische Dimension zu geben; die Bundestagsfraktion der Linken hat 54 Abgeordnete plus MitarbeiterInnen und monatlich in etwa eine Million Euro (inklusive der überzogenen Diäten) zur Verfügung, die sie auch zur Unterstützung des Widerstandes nutzen könnte.
Dabei ist die Bilanz seit dem 18. September bescheiden. Aus der Fraktion heraus gab es noch keine Signale und keine konkreten Initiativen für die Organisierung von Protesten (wenn man mal von einer kleinen pressewirksamen Aktion der Abgeordneten gegen die Ausweitung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr absieht). Das zeigt: Die Genossinnen und Genossen Abgeordneten brauchen Druck von der Basis und Feuer unterm Allerwertesten, damit sie nicht im parlamentarischen Sumpf versinken.
Gewerkschaften
Den brauchen die Gewerkschaftsführungen nicht minder. Diese haben nur mit mehr oder weniger markigen Worten reagiert, aber keine konkreten Schritte für Proteste unternommen. Dass Gewerkschaftsvorsitzende wie Wiesehügel (IG BAU) davon sprechen, dass manche Kapitalisten Feinde sind, die man zur Not bis zur Vernichtung bekämpfen müsse und der rechtssozialdemokratische IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt mit – als illegal geltenden – politischen Streiks im Falle gesetzlicher Eingriffe in die Tarifautonomie gedroht hat, drückt aber den Unmut und die Erwartungshaltung vieler KollegInnen in den Betrieben aus. Die Kampfbereitschaft zeigte sich zuletzt bei den Beschäftigten der Universitätskliniken in Baden-Württemberg, so wie sie sich 2003 und 2004 immer dann zeigte, wenn die Gewerkschaftsführungen ernsthafte Aufrufe zu Streiks und Demonstrationen getätigt haben. Der Kongress der Initiative zur Vernetzung der gewerkschaftlichen Linken vom 1. Oktober führte aber leider vor Augen, dass die Organisierung einer schlagkräftigen und handlungsfähigen innergewerkschaftlichen linken Opposition nicht fortgeschritten ist.
Auf betrieblicher Ebene ist die Auseinandersetzung in der IG Metall im DaimlerChrysler-Werk Mettingen von großer Bedeutung. Die kämpferischen "Mettinger Rebellen" werden von der IG-Metall-Liste für die anstehenden Betriebsratswahlen ausgeschlossen und planen einen eigenständigen Antritt. Solche betrieblichen Auseinandersetzungen, die Bildung von alternativen gewerkschaftlichen Betriebsratslisten, können KollegInnen Mut machen und die Opposition auf betrieblicher Ebene stärken. Ausgehend von solchen Entwicklungen und Erfolgen die bundesweite Vernetzung anzugehen, kann zu einer Stärkung der gewerkschaftlichen Opposition führen.
Verhältnis zu WASG und Linkspartei
Der Umgang mit WASG, Linkspartei/PDS und der neuen linken Bundestagsfraktion wird sicher auch ein Thema des Kongresses sein. Forderungen, dass sich politische Parteien nicht in die außerparlamentarischen Bewegungen direkt einbringen sollen, müssen zurückgewiesen werden. Die Chance der "neuen Linken" kann nur genutzt werden, wenn diese offensiv als Teil der Bewegung agiert und entsprechend Forderungen an sie gerichtet werden können. Dies ist ebenfalls nötig, um den Bruch von GewerkschafterInnen und ihren Organisationen mit der SPD zu forcieren. Andererseits darf es keinerlei politische Rücksichtnahme auf WASG und vor allem Linkspartei/PDS geben. Sich im Widerstand aufgrund parteipolitischer Interessen bremsen lassen, darf nicht geschehen. Das gilt vor allem im Bezug auf die in Landesregierungen Sozialabbau betreibende Linkspartei/PDS. Wo diese eine Politik gegen Beschäftigte und Erwerbslose betreibt, ist sie Gegnerin und muss ihre Politik – nach Möglichkeit gemeinsam mit möglichst vielen ihrer tatsächlich linken Mitglieder – bekämpft werden.
Bundesweite Demo nötig
Der Aktions- und Strategiekongress sollte einen Aufruf an alle Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte, WASG- und Linkspartei-Gliederungen, soziale Bewegungen und linke Organisationen verabschieden. Dieser sollte zu einer Gegenoffensive gegen Große Koalition und Kapital aufrufen. Die politische Kernaussage sollte sein, keinerlei Sozialabbau und Arbeitsplatzvernichtung mehr zu akzeptieren. Stattdessen sollte um eine Reihe zentraler Forderungen herum eine Kampagne in alle Betriebe, Dienststellen, Nachbarschaften, Schulen und Hochschulen getragen werden, die in einer bundesweiten Demonstration für diese Forderungen gipfelt. Gefordert werden sollte die komplette Rücknahme von Hartz IV, ein Verbot von Studiengebühren, Arbeitszeitverkürzung auf real 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich, die Ablehnung von Arbeitsplatzvernichtung und Werksschließungen und ein öffentliches Investitionsprogramm in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Umwelt und Verkehr finanziert durch eine deutlich stärkere Besteuerung von Gewinnen und Vermögen.
Eine bundesweite Demonstration gegen die Große Koalition könnte eine enorme Wirkung haben. Sie würde den Widerstand gegen unterschiedliche Angriffe verbinden und die Bewegung auf die Ebene zurück bringen, die sie schon erreicht hatte. Sie würde ermöglichen, in die politische Offensive zu kommen und der Forderung nach einer grundsätzlich anderen Politik massenhaften Nachdruck verleihen.
Doch die Erfahrungen von 2003 und 2004 haben auch unterstrichen, dass die Wirkung von Demonstrationen allein begrenzt ist. Es war ein schwerwiegender Fehler, dass nach dem 3. April durch die Gewerkschaftsführungen keine Streikbewegung organisiert wurde, weil erstens kein wirtschaftlicher Schaden für die Kapitalisten entstanden ist (ihnen die Proteste also nicht wirklich weh taten) und zweitens die Macht der Arbeiterklasse nur begrenzt zum Ausdruck kam. Die letzte Aktionskonferenz vom Januar 2004 hatte die Forderung nach politischen Streiks aufgestellt. Daran muss nun angeknüpft werden und die Gewerkschaftsführungen in dieser Frage offensiv herausgefordert werden.
In den letzten Wochen gab es General- und Massenstreiks in Frankreich, Belgien, Indien, Kolumbien. Warum nicht auch in Deutschland? Eine bundesweite Demonstration muss als erster Schritt hin zu Streiks und einem nötigen eintägigen Generalstreik verstanden werden. Schritte in diese Richtung können auch auf lokaler und regionaler Ebene ergriffen werden. So wie die Kasseler Gewerkschaften im Dezember 2003 einen regionalen Streik- und Protesttag gegen die Agenda 2010 und Kürzungspläne der hessischen Landesregierung durchführten, an dem sich tausende KollegInnen aus Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst beteiligten, könnten lokale Streiktage den Druck auf die Gewerkschaftsführungen erhöhen, einen bundesweit vereinheitlichten Streik- und Protesttag durchzuführen.
Kämpfe verbinden
Gerade weil Streiks entscheidend sein werden, um ein Sparpaket der Großen Koalition zurückzuschlagen, ist es von besonderer Bedeutung, den Widerstand dagegen mit den betrieblichen Auseinandersetzungen zu verbinden. Hier spielen die Gewerkschaften die entscheidende Rolle. Deshalb sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, GewerkschafterInnen, aber auch VertreterInnen gewerkschaftlicher Gliederungen, zur Aktions- und Strategiekonferenz zu mobilisieren. Bei einer guten Beteiligung aus Betrieben und Gewerkschaften könnte von ihr ein Appell zur Einberufung eines bundesweiten Notkongresses aller von Arbeitsplatzvernichtung, Werkschließungen und Lohnkürzungen betroffenen GewerkschafterInnen ausgehen. Ein solcher Kongress könnte die KollegInnen zusammen bringen, die sich in aktuellen Konflikten befinden und eine große Dynamik entfalten. Er könnte sowohl politische und ökonomische Alternativen als auch eine Kampfstrategie diskutieren und würde ein Beitrag zur Überwindung der Vereinzelung der verschiedenen Belegschaften sein. Ausgehend von einem solchen Kongress könnte die Mobilisierung zu einer bundesweiten Demonstration massenhaft in die Betriebe getragen werden.
Und die Linke im Bundestag?
Eine Protestbewegung gegen die Politik der Großen Koalition und gegen die Offensive der Bosse wäre eine notwendige Voraussetzung, um aus dem Vereinigungsprozess von WASG und Linkspartei/PDS eine wirkliche Neugründung zu machen, an der sich tausende bisher unorganisierte ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche beteiligen und eine wirklich neue Partei schaffen würden.
Der Druck einer Bewegung ist auch nötig, um zu verhindern, dass eine neue Partei die politische Praxis der Linkspartei/PDS übernimmt und sich auf Landes- und kommunaler Ebene an Sozialabbau beteiligt. Deshalb muss es für kämpferische Linke und SozialistInnen in WASG und Linkspartei/PDS eine vordergründige Aufgabe sein, den Widerstand mitzuorganisieren. Gleichzeitig muss Druck auf die Führungen und die Bundestagsfraktion ausgeübt werden, damit diese nicht nur zurückhaltende verbale Unterstützung für Proteste geben, sondern diese mit organisieren und praktisch-materiell unterstützen. Dann könnte das Jahr 2006 der Anfang vom Ende der kürzesten Kanzlerschaft in der Geschichte der Bundesrepublik und der Anfang des Aufbaus einer neuen sozialistischen Arbeiterpartei sein.
von Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV