Tarifflucht beendet

klinikZehn Tage Streik an den Unikliniken in Baden Württemberg
 
Einen Haustarifvertrag weit unter dem neuen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TvöD), das wollten die Vorstände der Unikliniken in Baden Württemberg mit ihrer Tarifflucht durchsetzen. Am Ende des Streiks steht ein Abschluss über dem TvöD. Damit bestätigt sich: Wer kämpft, kann etwas erreichen. Für die anderen Länderbeschäftigten kann es jetzt nur heißen: Urabstimmung und Streik für ein Ergebnis oberhalb des TvöD.

Die Auseinandersetzungen um einen Tarifvertrag für die Unikliniken sind Teil der Auseinandersetzung bei den Ländern. Nur, dass die Klinikvorstände noch einen Schritt weiter gegangen sind. Nachdem das Urlaubsgeld gestrichen, das Weihnachtsgeld gekürzt und die Arbeitszeit unbezahlt auf 41 Stunden erhöht worden war, traten die baden-württembergischen Unikliniken zum 31. Januar 2005 ganz aus dem öffentlichen Arbeitgeberverband aus. Per Haustarifvertrag wollten sie für die 25.000 Beschäftigten eine Absenkung der Gehälter um 15 bis 20 Prozent und die 41-Stunden-Woche für alle.
Klinikmanager und Landesregierung gingen davon aus, dass die Unikliniken eine Vorreiterrolle spielen könnten in Sachen Tarifabsenkungen. Sie setzten auf den niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, auf den selbstlosen Einsatz der Pflegekräfte für die PatientInnen und auf die einschüchternde Wirkung von Massenarbeitslosigkeit. Damit hatten sie sich gründlich verkalkuliert.

Gemeinsamer Kampf im öffentlichen Dienst blieb aus

Bereits im Sommer 2004 beteiligten sich mehr als 6.000 KollegInnen an Warnstreiks. Die AktivistInnen und Personalräte hofften damals auf einen gemeinsamen Streik mit den Beschäftigten von Bund, Ländern und Kommunen im Herbst für einen gemeinsamen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst. Doch ver.di organisierte diesen Kampf nicht, sondern schloss mit dem Bund und den Kommunen einen Tarifvertrag (TvöD) ab, der eine Verschlechterung gegenüber dem BAT und weitere Reallohnverluste bedeutet.
Die Klinikvorstände hatten inzwischen den Versuch unternommen, für jede Uniklinik einen eigenen Haustarifvertrag auszuhandeln. Sie scheiterten damit an der gewerkschaftlichen Solidarität. Nach fünf Verhandlungen weigerten sich die Arbeitgeber Mitte September, über die Forderungen von ver.di weiterzuverhandeln. Inzwi-schen hatten die Ärzte mit mehreren bundesweiten Streiks und einer 30-Prozent-Forderung für Schlagzeilen gesorgt und die Arbeitgeber in Sachen Tarifverbesserungen für Ärzte an den Verhandlungstisch gezwungen. Der Ärztestreik sorgte bei den Pflegekräften und ArbeiterInnen für das Gefühl: „Wenn die streiken können, können wir das auch.“

Streik

92,5 Prozent der ver.di-Mitglieder an den Unikliniken stimmten Anfang Oktober für Streik. Angesichts eines Organisationsgrades von um die 20 Prozent glaubten die Arbeitgeber, dass der Streik keine Wirkung habe. Sie dachten, sie bräuchten noch nicht mal eine Notdientsvereinbarung, weil sich ohnehin nur wenig Beschäftigte am Streik beteiligen.
Doch bereits der erste Streiktag war ein Paukenschlag. Von den 25.000 Beschäftigten traten 5.000 in den Streik. Ganze Schichten erschienen nicht zum Dienst. Die Streikleitungen mussten Beschäftigte zurückhalten, damit es überhaupt eine Notdienst-Besetzung gab. Auch Azubis und Nichtorganisierte beteiligten sich.
Trotz der Auseinandersetzung zwischen Marburger Bund und ver.di zeigten sich die meisten Ärzte in den Kliniken solidarisch. Die Streikmoral wurde unterstützt von der Solidarität der PatientInnen, von Belegschaften anderer Krankenhäuser und der umliegenden Betriebe sowie aus der gesamten Bevölkerung. Die enorm hohe Streikbeteiligung, die Streikunterstützung von außen, ein finanzieller Verlust von einer Million Euro pro Standort und Tag brachte die arroganten Klinikvorstände innerhalb von Tagen kleinlaut zurück an den Verhandlungstisch.

Ergebnis

Mit dem Abschluss wurde die 41-Stunden-Woche für die Angestellten und ArbeiterInnen und die Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld zurückgeschlagen. Für über 55jährige wurde die Arbeitszeit auf 38 Stunden verkürzt. Die unter 40jährigen müssen allerdings 39 Stunden arbeiten. Für Azubis und Beschäftigte zwischen 40 und 55 gilt weiter die 38,5-Stunden-Woche.
Von den geforderten 600 Euro im Jahr wurde nur eine Einmalzahlung von 390 Euro für 2005 und je 300 Euro Einmalzahlung für 2006 und 2007 durchgesetzt. De facto gilt der BAT bis 2007 fast unverändert weiter. Das heißt, der Tarifabschluss liegt über dem TvöD. Von vornherein wurde bei dem Tarifkampf die Übernahme des TvöD nicht zum Ziel erklärt. Zu viel Kritik hatte es aus den ver.di-Betriebsgruppen der Unikliniken am TvöD gegeben.
Mit einem längeren Streik und erst recht mit einer Ausdehnung des Streiks auf alle Landesbeschäftigten hätte die Arbeitszeitverlängerung für die unter 40jährigen verhindert und die volle Durchsetzung einer tabellenwirksamen Erhöhung der Monatsgehälter um die geforderten 50 Euro durchgesetzt werden können. Was bleibt, ist die Erfahrung, dass Streik notwendig ist, um was zu erreichen und dass selbst in Krankenhäusern mit niedrigem Organisationsgrad erfolgreich gestreikt werden kann. Auf dieser Erfahrung können die Klinikbeschäftigten aufbauen. Und alle Kolleginnen und Kollegen sollten den Streik an den Unikliniken nutzen gegen Funktionäre, die ihnen einreden wollen, ver.di wäre nicht streikfähig. Der Streik hat auch bestätigt, dass nur mit einem entschlossenen Kampf Mitglieder für die Gewerkschaften gewonnen werden können. Während der Warnstreiks im Jahr 2004 traten 1.000 Beschäftigte der Unikliniken in ver.di ein und während des zehntägigen Streiks nochmal 1.000.

von Ursel Beck, Stuttgart