"Verzichtsangebote beschwichtigen den Arbeitgeber nicht"

Gespräch mit Carsten Becker, Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe am Uniklinikum Charité in Berlin


 

Am Berliner Universitätsklinikum Charité finden wöchentlich Protestaktionen der Beschäftigten statt. Wogegen richten sich diese?

Schon Anfang 2003 hat der Berliner SPD/PDS-Senat Tarifflucht begangen. Seither gibt es für uns keinerlei Lohnerhöhungen. Neueingestellte müssen länger für weniger Geld arbeiten.

Jetzt sagt der Charité-Vorstand, dass dem Klinikum ab 2007 eine Notlage droht. Die Gründe: Zum einen hat der Senat die Zuschüsse für die Universitätsmedizin um 98 Millionen Euro gekürzt. Zum anderen drohen der Charité durch die Umstellung der Krankenhausfinanzierung – der Einführung von Fallpauschalen – größere Einnahmeausfälle. Mit dieser Begründung will der Vorstand nun 266 Millionen Euro bis 2010 einsparen – davon 90 Millionen durch Personalabbau und jährlich 40 Millionen durch Tarifabsenkung. Gegen diesen Lohnraub und die Vernichtung von Arbeitsplätzen setzen wir uns zur Wehr.

Nun hat ver.di bereits die Senkung der Lohnkosten um 30 Millionen Euro angeboten.

Der Vorstand droht mit der betriebsbedingten Kündigung von über 3.000 Beschäftigten. Durch einen bis 2010 befristeten Verzicht haben wir versucht, diese Arbeitsplätze abzusichern. Dieses Angebot war an klare Bedingungen geknüpft: die Mitgliedschaft der Charité im Kommunalen Arbeitgeberverband, sowie der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und von Privatisierungen.

Den letzten Punkt hat der Charité-Vorstand schon jetzt – mit dem Einstieg des privaten Krankenhausbetreibers Helios in der Pädiatrie (Abteilung für Kinderheilkunde) im Benjamin-Franklin-Krankenhaus in Steglitz – geknackt.

Das ist nicht der einzige von uns formulierte "K.o.-Punkt", gegen den sie verstoßen haben. Der Vorstand hat auch klargemacht, dass er weiteren Personalabbau will. Die von uns geforderte automatische Einführung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVÖD) ab 2010 wollten Vorstand und Aufsichtsrat auf keinen Fall zusichern. Stattdessen haben sie noch eine Schippe draufgelegt: Jetzt wollen sie die Löhne um 40 statt um 30 Millionen Millionen Euro kürzen.

Wie haben die Beschäftigten auf diese Provokation reagiert?

Am Anfang war die Stimmung im Betrieb zur Frage des Lohnverzichts sehr unterschiedlich. Einige meinten, dass wir uns einen Verzicht einfach nicht mehr leisten können. Andere – vor allem bei den Arbeitern, die zwar gewerkschaftlich am Besten organisiert sind, wegen der Ausgründung der technischen Bereiche aber um ihre Arbeitsverträge fürchten – waren hingegen zu Zugeständnissen bereit. Durch die neuerliche Provokation des Vorstands ist aber allen Kollegen klargeworden, dass Verzichtsangebote den Arbeitgeber nicht beschwichtigen. Die ver.di-Tarifkommission hat deshalb einstimmig beschlossen, zu unseren Ausgangsforderungen zurückkehren: Kein Lohnverzicht, die Übernahme des TVÖD ohne Abstriche, keine betriebsbedingten Kündigungen und Privatisierungen. Außerdem fordern wir jetzt eine Einmalzahlung von 1.000 Euro an alle Beschäftigten – quasi als Schmerzensgeld für die bisherigen Unverschämtheiten.

Verwundert es, dass die Zuspitzung ausgerechnet durch einen SPD-PDS-Senat herbeigeführt wurde?

Die Beschäftigten der Charité sind ja nicht die einzigen, die von diesem Senat zum Lohnverzicht erpresst werden. Schon vor über einem Jahr haben SPD und Linkspartei/PDS mit dem Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft bei den Landesbeschäftigten den Vorreiter beim Lohndumping gespielt – gefolgt von Lohnkürzungen bei vivantes und der BVG. Es hat wohl vorher keinen Senat gegeben, der so massiv und konsequent Tarifabsenkungen und Privatisierungen betrieben hat, wie dieser.

Was müsste ver.di dieser Entwicklung entgegensetzen?

Schon bei den Landesbediensteten, bei der BVG und vivantes hat die Gewerkschaftsspitze den Verzicht mit durchgesetzt, statt die Kolleginnen und Kollegen dagegen zu mobilisieren. Deswegen hat unsere Betriebsgruppe von vornherein festgelegt, dass wir jede Tarifkommissionssitzung mit einer Mitgliederversammlung nachbereiten, damit die Mitglieder über jeden Verhandlungsschritt abstimmen können und keine Vorentscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.

Die Gewerkschaft müsste vor allem mehr dafür tun, die betroffenen Belegschaften zusammenzubringen – in Berlin und bundesweit. Wegen der dramatischen Veränderungen im Gesundheitswesen schlagen wir vor, dass ver.di einen Kongress von Aktivisten aus diesem Bereich organisiert. Das wollen wir auch in Berlin durchsetzen. ver.di muß deutlich machen, dass das, was auf die Krankenhäuser zukommt, nicht vom Himmel fällt, sondern politisch gewollt ist.

Ist das nicht auch ein ideologisches Problem? Die ver.di-Spitze selbst befürwortet den "Wettbewerb der Gesundheitsanbieter".

Diese Position muss sich ändern. Hier hat sich auch im Bewusstsein der Bevölkerung einiges getan: Privatisierung wird viel stärker als noch vor einigen Jahren abgelehnt. Das merken wir auch in der eigenen Belegschaft.

Das Interview führte Daniel Behruzi