Bundestagswahl: Rückenwind für die Linke

Erfolg der Linken nutzen gegen Klassenkampf von oben
 

Über vier Millionen Stimmen. 12 Prozent bei den „ArbeiterInnen“ (nach der bürgerlichen Definition, ohne Angestellte und Beamte). 25 Prozent bei den Erwerbslosen. Das sind einige Zahlen, die den Erfolg der Linkspartei/PDS bei der Bundestagswahl charakterisieren. Das ist eine Ermutigung für den Widerstand gegen die Offensive der Unternehmer und ihrer Regierungen. Wie kam dieser Erfolg zu Stande und wie geht es weiter für die Linke?

Die Bewegung gegen Sozialkahlschlag hat einen parlamentarischen Ausdruck gefunden. Der 1. November 2003 mit 100.000 Menschen in Berlins Straßen gegen die Agenda 2010, die Proteste danach, gegen die Angriffe auf die Tarifautonomie bis hin zu den Montagsdemos und Opel Bochum – das war der Hintergrund für die Formierung der neuen Partei Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). Die Kandidatur der WASG, mit Lafontaine an der Spitze, auf den Listen der Linkspartei/PDS machte möglich, dass die Linkspartei im Westen 1,9 Millionen Stimmen erhielt und im Osten der Frust über die Alltags-PDS in Landes- und kommunalen Regierungen zurückgestellt und die Linke gewählt wurde.

Widerstand organisieren

Entschieden wird im Kapitalismus letztendlich nicht im Parlament, sondern in den Chefetagen der Banken, Versicherungen und Konzerne. Daran wird auch die 54-köpfige Bundestagsfraktion der Linken nichts ändern. Doch darauf richteten sich die Hoffnungen bei der Kandidatur auch nicht. Es ging darum, mit einer Bundestagsfraktion eine starke Stimme zu gewinnen für die Masse der Bevölkerung, die von keiner der etablierten Parteien nennenswert vertreten wurde. Es ging darum, mit einer Bundestagsfraktion den Widerstand in den Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu stärken.

Antrag und Demo gegen Hartz IV

Mit den Diäten Widerstand finanzieren!
Alle Abgeordneten – auch die der Linkspartei – erhalten 7.009 Euro an Diäten, 3.589 Euro an Kostenpauschale und 10.660 Euro, um sich einen politischen Stab zu halten. Dazu kommen Reisekosten für Dienstreisen. Die Fraktion bekommt dazu zusätzliche Mittel. Die SAV tritt dafür ein, dass alle Einkünfte eines Abgeordneten, die 3.000 Euro brutto übersteigen, nachweisbar für politische Arbeit, Projekte und Parteien eingesetzt werden müssen

Hartz IV und Agenda 2010 – das waren für viele die Schlagworte, die den Bruch mit der SPD markierten und den Grundstein für eine umfassendere Neuformierung der Linken legten.

Was im Wahlkampf fehlte, muss jetzt nachgeholt werden: Eine Kampagne, die deutlich macht, dass sich die Linke nach wie vor dafür einsetzt: Hartz muss weg!

Ein Antrag der Bundestagsfraktion dazu muss eingebracht werden, um das zu unterstreichen. Doch das wird von den neoliberalen Parteien abgebügelt werden. Damit sich etwas ändert, ist außerparlamentarischer Protest nötig.

Ein solcher Antrag muss daher Anlass sein, bundesweit zu einer Demo aufzurufen: Zusammen mit Gewerkschaften, Erwerbslosen-Initiativen und anderen sollte eine solche Protestkundgebung auf den Weg gebracht werden. Diskutiert werden kann das zum Beispiel auf dem Kongress der außerparlamentarischen Opposition im November und bei den verschiedenen Treffen der Gewerkschaftslinken.

Um zu unterstreichen, dass es den linken Abgeordneten nicht um Selbstbereicherung im Parlament geht, können die gewonnenen Ressourcen in den Dienst der Bewegung gestellt werden. Wir fordern, dass für diese bundesweite Demonstration kostenlose Busse zum Beispiel für Hartz-IV-EmpfängerInnen von der Bundestagsfraktion bereit gestellt werden.

Mindestlohn

In Anzeigen versprach die Linkspartei, in ihrem ersten Antrag einen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern. Leider unterblieb eine genaue Zahl. Forderung der WASG sind 1.500 Euro.

Doch auch hier gilt: Ein Antrag allein wird es nicht richten. Es muss darum gehen, den Druck zu steigern. WASG, Linkspartei und die Bundestagsfraktion sollten offensiv auf die Gewerkschaften und die Gewerkschaftslinke zugehen und vorschlagen, auch hier am Tag der Debatte im Bundestag Protestaktionen durchzuführen: Ein Aktionstag in den Betrieben auf Kosten der Profite der Unternehmer mit gemeinsamen Aktionen in den Innenstädten kann dazu beitragen, das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Lohnabhängigen zu verändern und beim Kampf gegen Billiglohn, Superausbeutung und für einen Mindestlohn voran zu kommen.

Schlussfolgerungen aus dem Wahlk(r)ampf

Wir rufen dazu auf, mit uns für solche Forderungen in der WASG und im Neuformierungsprozess der Linken aktiv zu werden. Denn ohne Druck von unten droht auch bei der Bundestagsfraktion ein Nachgeben und Nachlassen.

Leider war das auch schon im Wahlkampf sichtbar und zu spüren. Die Dynamik der WASG-Gründung und ihr Aufstieg trug sie noch nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai von etwa 6.000 auf 9.500 Mitglieder. Doch in der „heißen“ Phase des Bundestagswahlkampfes tat sich nicht mehr so viel. Die WASG liegt bei 10.500 Mitgliedern.

Die WASG war attraktiv, da sie unbelastet war und konsequent gegen Sozialkahlschlag auftreten konnte. Sie war glaubwürdig, da ihre Aussagen nicht im Widerspruch zu ihrer praktischen Politik standen (und noch nicht stehen konnten).

Mit Lafontaine gibt es zwar eine Menge mehr Aufmerksamkeit – aber auch viel Skepsis und Zweifel, gerade wegen seiner früheren Politik und seiner Äußerungen zum Beispiel gegenüber „Fremdarbeitern“.

Die Kandidatur auf den Listen der Linkspartei/PDS brachte noch mehr Hypothek in den Wahlkampf: Ihre Beteiligung an den Sozialkahlschlag-Regierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern und ihre SED-Vergangenheit führen zu berechtigten Zweifeln an ihrer Glaubwürdigkeit. Die Linkspartei/PDS verunglimpft sozialistische Ideen dabei doppelt: Einmal, indem sie nach wie vor die Diktatur der Bürokratie der SED als Sozialismus bezeichnet, zum anderen, indem sie ihre heutige Kürzungspolitik – zum Beispiel in Berlin – als sozialistisch darstellt.

Dazu kamen Plakate, die darauf verzichteten, die Abschaffung von Hartz IV und Agenda 2010 zu fordern. Plakate, die stattdessen mit „witzigen“ Sprüchen („Dem Trübsinn ein Ende“ mit Regenschirm) in keiner Weise darauf ausgerichtet waren, den Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen einen Ausweg aufzuzeigen.

Und mitten im Wahlkampf beginnt dann Lafontaine, die eigenen Forderungen nach einem Mindestlohn herunter zu setzen.

Dieses Gemisch führte dazu, dass viele Linkspartei wählten, aber – vor allem später im Wahlkampf – nur wenige Menschen sich bereit erklärten, selbst aktiv zu werden. Es kam zu einer distanzierteren Haltung. Gerade betriebliche und gewerkschaftliche AktivistInnen stimmten für die Linkspartei. Aber die Euphorie, die nötig gewesen wäre, um sie dafür zu gewinnen, unter ihren KollegInnen massiv für die Linke zu werben, die gab es nicht.

Trotzdem: Das Abschneiden der Linken insgesamt gibt Mut. Schwarz-Gelb wurde verhindert. Die Linke ist drin. Das kann die Grundlage sein, jetzt nochmals neue Mitglieder und neue Mitstreiter zu gewinnen. Es kann eine Wirkung haben, wenn von der WASG jetzt Angebote gemacht werden.

Sozialistische Politik

Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei, sprach sich für eine schnelle Fusion seiner Partei mit der WASG aus. Einige waren schon im Wahlkampf erstaunt, dass es die WASG noch getrennt von der Linkspartei gibt. Wir brauchen die größtmögliche Einheit im Kampf gegen Sozialkahlschlag und die Raubzüge der Bosse. Dazu war die WASG ein Mittel und kein Selbstzweck. 10.000 Mitglieder reichen nicht.

Aber: Vor allem die AktivistInnen in den Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen müssen gewonnen werden. Zudem brauchen wir eine Partei, die sich konsequent auf die Seite der Arbeiterklasse, das heißt der Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen stellt.

Der Kapitalismus ist ein krisenhaftes System. Nötig ist eine Partei, die nicht daran herumdoktorn will, sondern aufzeigt, dass Profitstreben und Konkurrenz die Ursache für die Misere sind. Wenn Konzerne Massenentlassungen planen, dann müssen die Kapitalbesitzer, nicht die Beschäftigten den Hut nehmen. Die einzige Antwort auf Werkschließungen und Arbeitsplatzabbau ist die Überführung in gesellschaftliches Eigentum – demokratisch kontrolliert und verwaltet durch die arbeitende Bevölkerung. Nur dann kann der gesellschaftlich geschaffene Reichtum allen zu Gute kommen. Dann kann entschieden werden, ob die Produktion weitergeführt oder umgestellt werden soll. Das ist konkrete sozialistische Politik.

In Gemeineigentum überführte Betriebe dürfen nicht isoliert bleiben. Sie wären nur der Ausgangspunkt dafür, generell den Kampf für die Vergesellschaftung von Großunternehmen und für eine demokratisch geplante Wirtschaft aufzunehmen. Ein demokratischer Plan ist die Alternative zu Chaos und Konkurrenz in der Marktwirtschaft. Dann würde es keinen Mangel bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit und schwacher Kapazitätsauslastung geben.

Wie weiter für die WASG und die Linke?

Eine sozialistische Arbeiterpartei ist die WASG natürlich nicht. Jedes Zusammengehen mit Menschen, die dabei mitmachen wollen, die für eine kämpferische Ausrichtung sorgen, hilft. Dafür sollten vor Ort Aktionskonferenzen durchgeführt werden, dafür sollte der APO-Kongress genutzt werden. Dazu sollte die Zusammenarbeit beim Widerstand gegen betriebliche, lokale oder bundesweite Angriffe intensiviert werden.

Kern davon ist, eine glaubwürdige Kraft für die Masse der Bevölkerung aufzubauen. Das schließt eine Unterstützung oder Beteiligung an Regierungen, die Sozialkahlschlag betreiben, kategorisch aus. Die Einbeziehung der Linkspartei/PDS in ein solches Zusammengehen hängt davon ab, wie sie sich genau hier positioniert. Solange sie für eine Politik steht, die in Regierungsbeteiligungen a la Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mündet, stellt sie sich auf die Seite derjenigen, gegen die sich eine Neuformierung der Linken richtet.

Ein klares Angebot zum gemeinsamen Widerstand und eine Alternative zur kapitalistischen Kürzungslogik wird aber dringend benötigt. Das hat die Bundestagswahl unterstrichen. Eine solche Option ist nötig bei den kommenden Wahlen, in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz auf Landesebene am 26. März und am gleichen Tag auf kommunaler Ebene in Hessen. Zugespitzter wird das in Berlin im Herbst 2006.

Ein solches Angebot ist aber vor allem nötig als Antwort auf den Klassenkampf von oben, den die Unternehmer und ihre Regierungen auch jetzt fortsetzen wollen.

Widerstand im Betrieb und auf der Straße

Siemens wartete gerade noch die Wahlen ab. Am Montag danach wurden kurzerhand 10.000 Arbeitsplätze zum Abschuss frei gegeben. Ähnlich tönt es von Daimler, VW, Telekom, Reemtsma oder Samsung. Aber auch die Vorbereitung weiterer Angriffe der neuen Bundesregierung können weit weniger Zeit benötigen als die Regierungsbildung. Widerstand ist nötig.
In Jahren von Stagnation hat die kapitalistische Wirtschaft ihre Probleme nur wie eine Bugwelle vor sich hergeschoben. Riesige Überkapazitäten schmälern die Profite. Um in der globalen Konkurrenz dennoch mitzuhalten, werden Fabriken geschlossen, Beschäftigte entlassen und in neue Werke investiert – und damit neue Überkapazitäten aufgebaut. Massenarbeitslosigkeit ist die Folge. Ein Einbruch der Weltwirtschaft ist jederzeit möglich mit dann noch verheerenderen Auswirkungen.

Angriffe bei VW

Bei VW redet der Wolfsburger Werksleiter Dietmar Korzekwa von mangelnder Produktionsqualität und Arbeitsmoral in Wolfsburg, um dann folgenden Ton anzuschlagen: „Wenn ein Geschwür da ist, muss es rausgeschnitten werden“ (Die Zeit vom 8. September). Der „Autoexperte“ Ferdinand Dudenhöffer empfiehlt gleich eine Werksschließung bei VW: „Betriebswirtschaftlich sei eine solche Maßnahme immer besser, als parallel die Mitarbeiter in mehreren Werken abzubauen, erklärte Dudenhöffer in einer Stellungnahme. Das Werk in Brüssel sei veraltet und mit der Produktion von nur 176.000 Fahrzeugen pro Jahr nicht ausgelastet. Allerdings sind auch andere VW-Werke nicht ausgelastet, darunter das Stammwerk in Wolfsburg, wo nur 70 Prozent der Kapazität genutzt werden“ (Stuttgarter Zeitung vom 6. September).
Offizielles Ziel ist es, bis 2008 14.000 Stellen bei VW abzubauen – trotz „Zukunftstarifvertrag“, der bis 2011 den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen versprach. Das läuft dann über „Aufhebungsverträge, Altersteilzeit, Alters-Stafette, gestreckte Wiedereinstellungszusagen, Abbau von Leiharbeit, Zeitkontenabbau, Versetzungen, …“, so die Zeit vom 8. September. Diese Pläne kommen oben drauf auf die Einsparungen, die bis zum Jahresende 3,1 Milliarden Euro einbringen sollen.
Doch nach den Skandalen um Bestechungen auch des Betriebsrats wächst die Kritik bei den Beschäftigten. Als der Betriebsrat auf einer Betriebsversammlung „die Absicht der Firmenleitung bekannt gab, Krankheitstage in Zukunft nacharbeiten zu lassen, tobte die Halle.“

B 10 vorsorglich gesperrt

Mehr Gestalt nimmt der Unmut bei DaimlerChrysler an. Im Juli 2004 erpresste die Konzernleitung einen „Zukunftsvertrag“ mit Kürzungen in Höhe von 500 Millionen Euro. Die „Mettinger Rebellen“ blockierten eine Bundesstraße und machten den Unmut sichtbar. Doch die IG-Metall-Spitze und der Gesamtbetriebsrat akzeptierten die Kürzungen vor allem im Dienstleistungsbereich.
Statt gesicherter Arbeitsverträge und „Zukunft“ ist dieser Vertrag die Ermutigung für die Geschäftsleitung, nun nochmals nachzulegen. Diesmal geht es um Kostensenkungsprogramme im Volumen von sechs Milliarden Euro. Bis zu 5.000 Arbeitsplätze werden allein im Daimler-Werk in Sindelfingen in Frage gestellt.
Doch trotz der Zustimmung von IG Metall und Gesamtbetriebsrat ist die Schlacht vom Juli 2004 noch nicht beendet und die KollegInnen leisten nach wie vor Gegenwehr. Tom Adler, Betriebsrat im DaimlerChrysler-Werk in Untertürkheim/Mettingen, schreibt im Gewerkschaftslinken-Info Nr. 7: Im Werk Untertürkheim „hatte sich in den Dienstleistungsbereichen, die in den Billig-Tarif gedrängt werden sollten, Widerspruch geregt, von den betroffenen Logistik-Kollegen bis zu den KollegInnen in Küchen und Kantinen. Statt auf diesen Widerspruchsgeist zu setzen und ihn zu stärken, statt breit in der gesamten Belegschaft gemeinsamen Widerstand gegen Fremdvergaben zu entwickeln und zu organisieren, betätigte sich die Betriebsratsspitze als Lautsprecher der Firma und versuchte den KollegInnen mit der Parole >Verzichten oder Fremdvergeben werden!< den Widerstandswillen zu brechen. (…)
Bis heute ungebrochen ist der Widerstand in den betroffenen Bereichen der Logistik. Deren Kollegen hatten bereits mit mehreren Aktionen, spektakulär unter anderem auf der Betriebsversammlung im Juni, ihren Protest deutlich artikuliert. Die Unternehmensleitung lies am Betriebsversammlungstag sogar die Zufahrten zur vierspurigen B 10 von der Polizei absperren, weil sie befürchtete, die aufgebrachten Trucker, Staplerfahrer und Logistiker würden ihren Protest gegen Fremdvergabe und Billigtarif wieder auf die (Bundes-) Straße tragen.“

Arbeitskämpfe?

Erbitterte Kämpfe – im Großen bei Opel Bochum, im Kleinen bei Schefenacker, Märklin oder Siemens Kirchheim/Teck – gab es vor allem dann, wenn es um Werksschließungen oder Entlassungen ging. Hier wissen die KollegInnen, was ihnen mit Hartz droht. Bei anderen Angriffen gibt es zum einen die Hoffnung, irgendwie mit einem blauen Auge davon zu kommen, zum Anderen wenig Aussicht auf einen erfolgreichen Kampf: Da die Gewerkschaftsspitzen alles tun, den Widerstand nicht zusammen zu bringen und zu vernetzen, droht jede Belegschaft allein eingemacht zu werden.
Von unten gilt es, diese Vernetzung aufzubauen und die Gewerkschaftsspitzen herauszufordern. Doch auch jetzt schon werden sie gezwungen, mit „Aktionstagen“ Dampf abzulassen und zumindest halbherzige Gegenwehr zu organisieren. Das kann genutzt werden, wie es die „Mettinger Rebellen“ am 15. Juli 2004 mit einer inoffiziellen Blockade der Stadtautobahn auf dem Weg zur offiziellen Betriebsversammlung gemacht haben (die IG Metall hatte die Busse schon bereit gestellt, die KollegInnen wollten lieber „laufen“).

Rente, Gesundheit und andere Giftlisten

Aber auch die neue Bundesregierung wird keine Pause einlegen. Ob der von Merkel geplante Generalangriff auf die Gewerkschaften kommt, ist offen. Betriebliche Bündnisse gegen den Flächentarif? Schnelle Aufweichung des Kündigungsschutzes? Sollte es zu einer Großen Koalition kommen, so könnte die SPD nach ihrem Wahlkampfgetöse möglicherweise nicht sofort bei solchen Angriffen mitmachen. Auch die Polarisierung in den Gewerkschaften zwischen Linkspartei und SPD könnte dann aus Sicht der Sozialdemokraten zu schnell zu heftige Formen annehmen. Doch es gibt genug Einigkeit zwischen allen etablierten Parteien darüber, dass weitere „Reformen“ anstehen.
Der Bundeshaushalt weist nach allen Geschenken für die Konzerne und Superreichen für 2005 ein Minus von 51 Milliarden und für 2006 von geschätzten 54 Milliarden Euro aus. 2007 droht eine weitere Zuspitzung: Alles was mittels Privatisierungen den Konzernen zur Profitmaximierung verkauft werden konnte und viel Geld brachte, ist dann weg. Das Stopfen der Löcher mittels Ausverkauf im großen Stil geht zu Ende.
Daher sind sich Michael Meister, CDU-Finanzexperte, und der bisherige Finanzminister Eichel einig: Wegen des „Desasters“ beim Bundeshaushalt müsse ein „Konsolidierungspakt“ zwischen Bund und Ländern her.
Besonders drängend sind die geleerten Kassen auch bei Gesundheit und Rente. Auf Dauer sind bei Massenarbeitslosigkeit und Niedriglöhnen die Sozialausgaben nicht zu finanzieren – zumindest solange die Profite der Banken und Konzerne nicht dafür herangezogen werden. Die Zuschüsse des Bundes an die Rentenkassen mussten schon vorgezogen werden. Von einem tieferen Einschnitt bei den Renten hält die Regierenden bisher wohl vor allem der Blick ins Ausland ab: Regierungen, die Rentenkürzungen oder eine Heraufsetzung des Rentenalters ins Visier nahmen, waren mit massiven Gegenbewegungen, im Fall von Italien und Griechenland auch mit Generalstreiks, konfrontiert.
Beim Gesundheitssystem sollen nach dem Willen der Unternehmer weiter die Daumenschrauben angezogen werden. Der Kompromiss zwischen den großen Parteien unter Zustimmung der „Experten“ zeichnet sich dahingehend ab: Der Systemwechsel („Kopfpauschale“ oder „Bürgerversicherung“) wird eher nach hinten geschoben. Unmittelbar soll die Deregulierung fortgesetzt und der Arbeitgeberbeitrag „eingefroren“ werden. Das heißt, die Banken und Konzerne wollen sich weiter aus der Verantwortung stehlen. Die Pharmakonzerne sollen mehr Spielraum erhalten.
Daneben wünscht sich das Kapital noch von einer neuen Bundesregierung eine Unternehmenssteuerreform. Die Körperschaftssteuer soll weiter gesenkt, die Gewerbesteuer eventuell abgeschafft werden. Die Idee einer „flat tax“, wie Kirchhof sie mit seiner „Einfachsteuer“ von 25 Prozent formulierte, kommt europaweit bei den Kapitalbesitzern super an. Auch hier also: Die Zeichen stehen weiter auf Umverteilung von unten nach oben.

Gegenwehr

Einerseits werden die Unternehmer von der wirtschaftlichen Lage zu weiteren Angriffen getrieben. Ihr System, der Kapitalismus, lässt ihnen weniger Spielraum für Zugeständnisse wie in der Vergangenheit. Andererseits unterschätzen sie nach wie vor, welche Wut sich bei den Beschäftigten und der Masse der Bevölkerung aufgestaut hat.
Ein allgemeiner Angriff einer CDU-geführten Regierung würde ein enormes Echo provozieren. Die Angriffe der letzten Jahre nährten den Frust. Was wegfällt, ist die Möglichkeit der Gewerkschaftsspitzen, wie bisher mit Hinweis auf das „größere Übel“ ihren rot-grünen Freunden in der Regierung den Rücken frei zu halten. Auch in mittleren Schichten der Gewerkschaftsapparate gab es genügend Funktionäre, die bislang keine Alternative zur Sozialdemokratie sahen und mehr Hemmungen hatten, gegen „ihre“ Regierung zu mobilisieren.
Doch auch die sozialdemokratische Beteiligung daran, zum Beispiel als Junior-Partner in der Großen Koalition, wird nicht so viel nutzen: Mit der Linken gibt es eine Alternative, die stark genug war, in den Bundestag einzuziehen. Und diese Alternative hat mit der WASG genügend Verankerung in den Gewerkschaften selbst, um die Unterordnung unter die SPD herauzufordern.
Am 1. November 2003 wurde die Demonstration gegen die Agenda 2010 gegen den Willen der Gewerkschaftsspitzen und gegen ihr Stillhalten auf die Beine gestellt. Damals waren es vor allem untere ver.di-Gliederungen, die die Mobilisierung übernahmen und den Erfolg der Demonstration sicher stellten. Doch damals gab es keinerlei Vernetzung und keine politischen Antworten auf die bürgerliche Offensive. Das unterstreicht, was unter den kommenden Bedingungen an Potenzial darüber hinaus möglich ist.
Demonstrieren allein wird allerdings nicht ausreichen.
Es kann helfen, sich der eigenen Stärke bewusst zu werden. Entscheidend wird sein, den Schritt zu machen, der 2003/2004 bei den Bewegungen ausblieb: Den Schritt in die Betriebe. Dort können die Beschäftigten ganz anderen politischen und ökonomischen Druck aufbauen. Das wissen auch die Gewerkschaftsspitzen.
DGB-Chef Sommer im Tagesspiegel-Interview am 5. September:
„Frage: >Wenn die Gewerkschaften mit der Macht des 3. April die Montagsdemonstrationen begleitet hätten, würden wir in einem anderen Land leben.< Das Zitat ist von ihnen. Antwort Sommer: Mag sein, aber wir hatten gute Gründe, das nicht zu tun, weil Rechtsradikale, von Anfang an versucht haben, die Bewegung zu missbrauchen. Wir haben damals hohes demokratisches Verantwortungsbewusstsein bewiesen.“
Daraus leiten sich die Aufgaben der AktivistInnen der WASG und der Gewerkschaftslinken ab: Für uns muss es darum gehen, diese Blockade der Gewerkschaftsspitzen aufzubrechen und die konsequente Interessensvertretung der abhängig Beschäftigten und ihrer Familien auf allen Ebenen aufzunehmen.

von Stephan Kimmerle, Berlin

Politischer Streik?
Theodor Bergmann und Bernd Riexinger, Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer, machen sich richtigerweise im Netzwerk-Info der Gewerkschaftslinken Nr. 7 darüber lustig, dass auch IG-Metall-Chef Jürgen Peters mit Protesten „drohte“. Jürgen Peters: „Wir sind finster entschlossen (…), notfalls das Bundesverfassungsgericht anzurufen.“ Darauf Riexinger und Bergmann: „Nicht im Parlament wird entschieden, und keine Hilfe ist von der obersten Klassenjustiz zu erwarten. Der Druck von unten – in Betrieb, Gewerkschaft, in den Büros, auf den Arbeitsämtern, auf der Straße muss so stark werden, dass es der nationalen Einheit der prokapitalistischen Fraktionen im Bundestag in den Ohren gellt und dass wir schließlich unsere Führungen zum politischen Streik zwingen.“