Das Bundestagswahlergebnis widerspiegelt die Instabilität in Deutschland
Das Ergebnis ist aus Sicht der Wirtschaft bitter enttäuschend. Es macht das Regieren sehr schwierig. So das Fazit unmittelbar nach der Bundestagswahl von Jürgen Thumann, dem Präsidenten des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie). Die Politik für Banken und Konzerne wurde abgestraft: Rot-Grün wurde für die Agenda-2010-Politik abgewählt. Merkel erhielt keine Mehrheit zum Durchregieren der vom Kapital gewünschten schwarz-gelben Angriffskoalition gegen die Gewerkschaften, gegen Flächentarifverträge und Kündigungsschutz. Doch das Wichtigste: Die Linke ist mit 8,7 Prozent im Bundestag und damit eine Ermutigung für alle AktivistInnen in Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen.
Das Wahlergebnis legt vor allem offen: Der sozialen Instabilität, wirtschaftlicher Stagnation und Massenarbeitslosigkeit folgt die politische Instabilität. SPD und CDU bekommen zusammen erstmals seit 50 Jahren weniger als 70 Prozent. Das Wahlergebnis spiegelt vor allem eine Suche der WählerInnen nach Alternativen: Gewählt wurde gegen die Regierungsparteien in Bund und dem jeweiligen Bundesland, gegen Sozialkahlschlag und Kürzungen.
Das folgende Gerangel um die Regierungsbildung beinhaltet zwar auch, dass die Unternehmer die unterschiedlichsten Konstellationen nützen können, um ihre Politik ausüben zu lassen. Es zeigte aber, dass stabile Mehrheiten für die Banken und Konzerne schwieriger zu organisieren sind. Der Versuchung, diesen Spielraum für seine persönliche Interessen zu nutzen, konnte Noch-Kanzler Schröder nicht widerstehen – und produzierte eine peinlich-witzige Elefanten-Runde. Es wird für´s Kapital schwieriger, die eigenen Politiker zu kontrollieren.
Und für die Masse der Bevölkerung wurde erneut sichtbar, wie wenig die Herrschenden ihr System im Griff haben. Sie schaffen es nicht, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Sie sind nicht in der Lage, für soziale Sicherheit zu sorgen. Und jetzt bekommen sie es nicht einmal auf die Reihe, eine Regierung zu zimmern, ohne miese Intrigen und lächerliche Ränkespiele.
Die Sichtbarkeit der Instabilität hat in erster Linie damit zu tun, dass sich die Wut und Frustration der Regierten, der Opfer von Schröders Agenda-Politik und der potenziellen Opfer der Merkel-Pläne, einen Ausdruck suchten: Die Entstehung der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) und die Kandidatur der WASG auf den Listen der in Linkspartei umbenannten PDS führte zu einem Erdbeben in der politischen Landschaft. Und der Ausdruck auf Wahlebene davon, die 8,7 Prozent, geben das nur verzerrt wider.
Veränderung der Parteienlandschaft
Die SPD verlor eine Million Stimmen an die Linkspartei und konnte schlimmeres nur durch dreiste Lügen verhindern. Sie inszenierte sich im Wahlkampf als kleineres Übel, als Verteidigerin von Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechten. Nicht wenige wählten tatsächlich SPD, um die CDU zu verhindern und nicht in einer Großen Koalition zu landen.
Die Steuerpläne des Finanzexperten der CDU, Kirchhof, und die Ankündigungen, den Konflikt mit den Gewerkschaften zu suchen (Kündigungsschutz, betriebliche Bündnisse gegen den Flächentarifvertrag) schufen eine polarisierte Stimmung gegen die CDU. Ironischerweise konnte davon auch die FDP profitieren, die sich im Wahlkampf mit ihren wirtschaftsradikalen Thesen eher zurück hielt. Mit einem ehrlichen Wahlkampf wollte Merkel die Masse der Bevölkerung schon darauf einstimmen, ihre Reformen durchzusetzen. Auch hier verkalkulierten sich die Unternehmer und ihre Politiker: Sie unterschätzten den Widerstand bei den arbeitenden Menschen gegen eine solche Politik.
Die Erleichterung am Wahlabend, Schwarz-Gelb verhindert zu haben, versuchte Schröder denn auch gleich als eigenen Erfolg darzustellen. Doch mit der Realität hat das wenig zu tun. Allein die Kandidatur der Linkspartei konnte verhindern, dass der Einbruch von Rot-Grün direkt in eine CDU-FDP-Regierung mündete. Und die SPD wurde massiv abgestraft: Sie verlor gegenüber 2002 jeden zehnten und gegenüber 1998 jeden fünften Wähler.
Große Koalition
Nun scheint eine ungeliebte Große Koalition konstruiert zu werden. Schon am 12. September schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: Mancher setzt in dieser Lage auf eine Große Koalition, in der die CDU für das Antreiben und die SPD für das Bremsen zuständig wäre. Doch dieses Gespann käme nicht weit, da die SPD von der PDS und dem eigenen linken Flügel unter Druck gesetzt, ständig Stöcke in die Speichen stieße. Mit diesen Befürchtungen werden die Banken und Konzerne vom ersten Tag an alles tun, um eine solche Regierung vor sich her zu treiben und unter Druck zu setzen.
Einerseits sind ihre Pläne zur Neuwahl gescheitert: Ihre Rechnung – Union und FDP ziehen in der Regierung durch, die SPD sammelt die Opposition – ging nicht auf. Andererseits werden sie versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn schon Große Koalition, dann werden sie versuchen, diese Mehrheiten zu nutzen. Auch wenn sich einzelne Abgeordnete zieren, es bleibt genug Spielraum für Rücksichtslosigkeiten.
Der Chefvolkswirt der Hypo-Vereinsbank, Jürgen Krämer, jammerte am Wahlabend: Die betrieblichen Bündnisse für Arbeit, das wird jetzt so nicht kommen. Zu einer Lockerung des Kündigungsschutzes – wie von der CDU geplant – wird es wohl auch nicht kommen, auch eine Kopfpauschale wird es nicht geben. Mag sein, dass sich solche Pläne verzögern. Wenn der Katzenjammer nach der Wahl verflogen ist, werden die Bosse jedoch versuchen, sich schadlos zu halten. Die Angriffe werden verzögert – aber nicht abgesagt. Widerstand muss organisiert werden.
von Stephan Kimmerle, Berlin