Lebensmittelmarken, leben wie im Hundezwinger und Ein-Euro-Jobs

Die PDS im Praxistest
 

Das Cafe Sibylle in der Friedrichshainer Karl-Marx-Allee am Abend des 31. August: Der Unternehmerverband Friedrichshain-Kreuzberg hat zum Stammtisch eingeladen, unter den geladenen Gästen ist auch die Bezirksbürgermeisterin und Direktkandidatin des Bezirkes Cornelia Reinauer von der PDS. Die Politikerin wird freundlich empfangen und fühlt sich sichtlich wohl, in blumigen Worten wird sie an diesem Abend für die PDS als Bewahrerin der sozialen Gerechtigkeit werben.

Doch der Praxistest fällt nicht nur für die Berliner Landes-PDS, die zusammen mit der SPD den Senat bildet, negativ aus, sondern auch für Cornelia Reinauer. Nicht nur, das sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bei der Umsetzung der Hartz-IV-Zumutungen nicht von anderen Bezirken unterscheidet, in vielen Fällen fällt gerade dieser Bezirks besonders negativ auf.

Friedrichshain-Kreuzberg

Nach Angaben des Hauptpersonalrats des Landes Berlin, Uwe Januszweski, zeichnet sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dadurch aus, dass dort be-sonders massiv Stellen der unteren Lohngruppen gestrichen werden und sich der Verdacht aufdrängt, dass gerade in diesem Bezirk die weggestrichenen regulären Arbeitskräfte durch Ein-Euro-Jobber ersetzt werden sollen. Im Gartenbauamt werden Ein-Euro-Jobber zur Verrichtung von Tätigkeiten eingesetzt, die zuvor von regulären, tariflich bezahlten KollegInnen erledigt wurden. Von Qualifizierung und der Perspektive auf eine Rückkehr in tarifbezahlte Arbeit merken die Betroffenen nichts – und das, obwohl genau dies das angebliche Ziel dieser Maßnahmen sein soll. Sie fühlen sich als das, was sie objektiv sind: Billigkräfte, die zwangsweise eingesetzt werden, um die weggestrichenen Arbeitsplätze zu ersetzen. Ein Betroffener berichtet, dass er von den 180 Euro, die er monatlich zusätzlich bekommt, alleine 40 bis 45 Euro für die Fahrtkosten zum „Arbeitsplatz“ aufbringen muß.

Lebensmittelmarken als Disziplinierungsmaßnahme

Zwischenzeitlich gehen in der Hauptstadt die Job-Center immer rabiater gegen Hartz-IV-Betroffene vor. In zehn von zwölf Bezirken greifen die Job-Center zu einer „Strafmaßnahme“, wenn Betroffene sich etwa weigern, einen „Ein-Euro-Job“ anzunehmen.

Die von den Job-Centern ausgegebenen Bons können in größeren Lebensmittelketten eingelöst werden. Ausnahme: In Tempelhof-Schöneberg werden die Betroffenen zur „Naturalverpflegungsstelle des Sozialamtes“ geschickt – dort gibt es freilich weder Frischwaren noch Hygieneartikel.

Die Lebensmittelkarten-Praxis wird auch in PDS-regierten Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt, was den eh schon vorhandenen Unmut der Betroffenen weiter verstärkt.

Leben wie im Hundezwinger?

Aber auch das Wohnen kann für Hartz-IV-Betroffene im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zum Alptraum werden. Davon kann Thomas I. (Name geändert) ein Trauer-Lied singen. Der erwerbslose Schlosser wollte gerade umziehen. Grund: Seine Lebensgefährtin wird zu ihm ziehen. Das zuständige Job-Centler lehnte aber die Übernahme der Umzugskosten mit dem Bescheid vom 4. August ab. Begründung: „Der Zuzug der Lebensgefährtin in den vorhandenen Wohnraum ist zumutbar.“ Zieht man von den 30 Quadratmetern Bad, Küche und Flur ab, werden für die beiden Erwachsenen jeweils nur knapp neun Quadratmeter realer Wohnraum bleiben – ein durchschnittlicher Zwinger für einen größeren Hund ist größer.

Cornelia Reinauer, die stört sich augenscheinlich an alledem wenig. Im Gegenteil, in einem Interview mit dem ARD-Magazin FAKT gerät sie hinsichtlich der Berliner Senatspolitik und der Rolle ihrer Partei fast schon ins Schwärmen, wenn sie meint, dass die PDS, gerade was jetzt die Umsetzung von Hartz IV anbelangt, ein deutliches Profil zeigt. „Wir werden nicht zulassen, dass wir Arbeitsplätze abbauen und da Ein-Euro-Jobs anbieten. Und das muss auch kontrolliert werden.“ Die Realität sieht anders aus. In Berlin, und auch in Friedrichshain-Kreuzberg.

Aber nicht nur in Berlin ist die PDS durch die Umsetzung von Hartz IV in eine erneute Glaubwürdigkeitskrise geraten. Wie der MDR-Videotext bereits am 12. Juni meldete, ergab eine Umfrage des Thüringen Journal, dass alle hauptamtlichen PDS-Bürgermeister des Freistaates Ein-Euro-Jobber einsetzen. Auf den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis angesprochen, meinte der Bürgermeister von Werther, Hummitzsch, laut MDR, dass die „reine Lehre“ in der „Realität an ihre Grenzen“ stöße.

von Jörg Fischer, Berlin