Irak: Auf dem Weg in den Bürgerkrieg?

Der Widerstand gegen die Besatzer als auch Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten nehmen zu
 
Die USA befinden sich im Krieg. Das erklärte George W. Bush nicht im Irak-Krieg vor zwei Jahren, sondern in diesem Sommer. Die Mehrheit des US-Establishments – ob Republikaner oder Demokraten – hält diesen Krieg längst für verloren. Die USA und Großbritannien würden sich lieber heute als morgen zurückziehen und die Macht an ein Marionettenregime übergeben, um im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Sie finden aber keine politische Kraft im Land, die im Stande wäre, in ihrem Sinne Stabilität zu sichern. Im Gegenteil – der Irak schliddert scheinbar unaufhaltsam in einen Bürgerkrieg.
Der US-Imperialismus hat keines seiner Ziele im Irak erreicht. Der Widerstand sorgt dafür, dass die weltweit führende Supermacht nicht in der Lage ist, den Drohungen gegenüber dem Iran oder Syrien Taten folgen zu lassen. Das schiitisch dominierte Parlament wirft die Frage auf, ob eine iranisch-irakische Allianz entstehen könnte. Davor sorgen sich besonders ölreiche Staaten wie Saudi-Arabien und die Emirate, in denen es eine sunnitische Bevölkerungsmehrheit gibt, wo die dort besonders unterdrückten Schiiten allerdings eine relevante Kraft darstellen.

Horror ohne Ende

Die Lebensbedingungen sind heute schlechter als unmittelbar nach Saddams Sturz. Zerstörte Infrastruktur, Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Stromausfälle, Bombenterror und Übergriffe des Besatzungsregimes prägen den Alltag. Die 135-150.000 US-Soldaten sind damit beschäftigt, ihre eigene Haut zu retten. Selbstschutz ist neuerdings der Hauptauftrag der US-Armee im Irak. Das stärkt nicht unbedingt das Selbstvertrauen der amerikanischen Soldaten. Viele haben in ihrer Verzweiflung Geld angeboten, damit sie außer Landes gebracht werden.

Bewaffneter Widerstand

Die Selbstmordangriffe werden nur von einer kleinen Minderheit von reaktionären Islamisten propagiert und durchgeführt. Aus Hass auf die Besatzung und aus Verzweiflung über den unerträglich gewordenen Alltag sind unendlich viele bereit, die Bomben zu zünden.
Der bewaffnete Widerstand ist aber viel breiter und vielfältiger als die Zahl der Selbstmordattentäter. In Kurdistan haben die beiden großen bürgerlichen Parteien PUK und PDK jeweils ihre eigene Armee (Peschmergas-Kämpfer). Unter den Sunniten gibt es unterschiedliche bewaffnete Gruppen, von ehemaligen Soldaten aus Saddams Armee und Mitgliedern der Baath-Partei über verschiedene islamische Gruppen der Al-Qaida. Bei den Schiiten haben die verschiedenen Parteien eigene Milizen. Sie halten sich momentan zurück, weil sie noch darauf hoffen, über ihre Mehrheit im Parlament Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen zu können. Die Aufständischen können schätzungsweise bis zu 200.000 Kämpfer aufstellen, deutlich mehr als die Besatzer.

Neuer Libanon?

Die überwältigende Mehrheit der IrakerInnen war und ist noch froh darüber, dass Saddam vertrieben wurde. Sie hassen jedoch die Besatzung. Die imperialistische Taktik von „Teile und Herrsche“ hat es geschafft, die IrakerInnen entlang ihrer ethnischen oder religiösen Linien gegen einander aufzubringen.
Die Bomben gegen die Besatzer und ihre Vasallen in der irakischen Armee und Polizei wurden noch von vielen begrüßt. Heute terrorisieren reaktionäre Gruppen wahllos die Bevölkerung, lassen Bomben in schiitischen und sunnitschen Moscheen oder auf öffentlichen Plätzen hochgehen. Erpressung und Geiselnahme sind alltäglich. Wer einen Job bei der Verwaltung oder bei den Hilfsorganisationen hat, gilt als Kollaborateur.
Der Irak droht zu einem neuen Libanon zu werden. „Der Bürgerkrieg tobt viel-leicht noch nicht im Parlament und nicht in der Regierung, aber sonst überall auf den Straßen und in den Stadtvierteln“, so Woria Ahmadi, Vorstandsmitglied der Arbeiterkommunistischen Partei Irak (Deutschland).
Die Wahlen und nun die Verfassung haben dazu beigetragen, die ethnischen und religiösen Unterschiede in den Vordergrund zu schieben. Die in der Verfassung vorgeschlagenen föderalen Strukturen missfallen besonders den Sunniten im Zentralirak, weil sie von den ölreichen Regionen im kurdischen Norden und schiitischen Süden abgeschnitten wären.
Die aktuellen Kämpfe um die Stadt Kirkuk zeigen, wohin die ethnischen Auseinandersetzungen führen können. Kirkuk soll nach der neuen Verfassung zum sunnitischen Teil gehören, liegt aber in einer Ölregion, die mehrheitlich von KurdInnen bewohnt wird und steht bereits unter Kontrolle von bewaffneten kurdischen Kräften. AraberInnen und KurdInnen haben jahrelang (trotz Saddams Versuchen, KurdInnen umzusiedeln) friedlich miteinander gelebt. Heute werden unter der Führung von PUK und PDK AraberInnen aus ihren Wohnungen vertrieben. An den Straßensperren werden die Fahrzeuge von AraberInnen angehalten, die Besitzer rausgeworfen und die Fahrzeuge beschlagnahmt.

Kein Ausweg?

Nicht nur die Besatzer hetzen die Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf, auch die reaktionären Islamisten unternehmen alles, um das Chaos zu vergrößern und den Bürgerkrieg anzuheizen. Die US-Besatzung hat die reaktionärsten Kräfte gestärkt, sie treibt Al-Qaida Menschen in die Arme.
Nur die vereinte Arbeiterklasse kann die nötige Stärke aufbringen, die unterdrückte Landbevölkerung mitzumobilisieren, die Besatzer zu vertreiben, die ethnische und religiöse Spaltung zu überwinden und den Zerfall des Landes zu verhindern. Als SozialistInnen verteidigen wir das Recht des irakischen Volkes auf Selbstverteidigung gegen die Besatzer. Nötig ist der Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften und einer multiethnischen Arbeiterpartei, die Vergesellschaftung von Öl- und Schlüsselindustrien unter Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitenden Menschen, gleiche Rechte für alle ethnischen und religiösen Gruppen sowie öffentliche Investitionen zur Schaffung von Wohnungen und Arbeitsplätzen. Nur ein sozialistischer Irak als Teil einer sozialistischen Föderation kann dauerhaft Armut und Elend beseitigen.

von Gaetan Kayitare, Aachen