Interview mit Ariel Gottlieb von Maavak Sozialisti, Schwesterorganisation der SAV in Israel, über den „Entkoppelungsplan“.
Am 15. August beginnt der Abzug der israelischen Armee aus dem Gaza-Streifen und die Räumung der jüdischen Siedlungen dort. Von Beginn an war der Entkoppelungsplan Sharons jedoch selbst in dessen eigener Partei sehr umstritten, einige der orthodoxen Koalitionspartner Scharons verließen die Regierung. In den letzten Monaten haben rechte Siedlergruppen immer wieder zu Massenprotesten mobilisiert. Die Berichte in den deutschen Medien geben den Eindruck einer großen Polarisierung der Bevölkerung in Israel gegenüber dem Rückzug aus Gaza wie groß ist die Unterstützung für den Entkoppelungsplan?
Auch in Israel dominieren die Proteste gegen den Abzugs-Plan die Medien, von Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen, Verhaftungen und so weiter. Viele haben von diesem Medienbombardement schon lange die Nase voll. Allen Umfragen zufolge liegt die Anti-Abzugs-Plan Fraktion bei zirka 30 bis 40 Prozent, ungefähr 50 Prozent der israelischen Bevölkerung unterstützten den Plan. Viele Leute verstehen, dass er keine Lösung bietet, sehen aber zumindest der Abzug aus Gaza als etwas Positives an, der Zuspruch gilt also vor allem diesem Teil des Plans.
Im Befürworter-Lager herrscht mäßige Begeisterung, da der Staat hinter dem Plan steckt und all seine Kräfte mobilisiert, um ihn durchzuführen. Es besteht also keine Notwendigkeit, auf die Straße zu gehen. Die linksliberalen Organisationen veranstalten keine großen Demos, sondern führen eher Aktion durch wie das Verteilen von blauen Bändchen (Frieden jetzt inserierte sogar in Zeitungen auf der Suche nach Leuten, die das für Geld machen). Sie haben damit weniger Erfolg als die Siedler, die orangefarbene Bänder benutzen und ausreichend Leute haben, die bereit sind, sich den ganzen Tag an Straßenkreuzungen zu stellen und sie an Autos zu binden.
Was steckt hinter dem Entkoppelungs-Plan?
Zum einen die öffentliche Meinung in Israel, die – müde von der zweiten Intifada, den Bombenattentaten und der Wirtschaftskrise – Sharon unter Druck setzt. Der Abzug jetzt ist eigentlich Teil des Oslo-Abkommens in den 90ern, des Gaza-Jericho-Plans. Gaza wurde deshalb ausgewählt, weil der Militärdienst dort sehr unpopulär ist. Die betroffenen Israelis wollen zum Beispiel nicht mehr länger mit zehn SoldatInnen einen Tumult von zehn SiedlerInnen in Schach halten müssen.
Zum anderen gibt es massiven Druck der israelischen Kapitalisten, die mehr Stabilität haben wollen. Israel soll wieder zu einem sicheren Ort werden, schon wegen des Einbruchs beim Tourismus. Darüber hinaus fürchten sie eine weitere internationale Isolation Israels verbunden mit wirtschaftlichen Sanktionen.
Interessant ist auch, dass der Abzugs-Plan Anfang 2004 ausgearbeitet wurde, als Scharon gerade in Korruptionsskandale verstrickt war. Einige Zeit nach Veröffentlichung des Plans stellte sich heraus, dass man diesen Korruptionsfällen nicht mehr weiter nachgehen wird.
Warum stellt der Plan deiner Meinung nach keine Lösung dar?
Israel wird den Gaza-Streifen weiterhin kontrollieren, seine Streitkräfte sind sowohl zu Lande wie zu Wasser als auch in der Luft um das ganze Gebiet postiert. Zwar werden die Siedlungen in Gaza geräumt, in der Westbank werden sie jedoch erweitert – dort leben 98 Prozent der SiedlerInnen. Es ist immer noch nicht klar, wie der Durchgang zwischen der Westbank und dem Gaza-Streifen aussehen soll, sicher ist allerdings, dass die israelische Armee ihn vollständig kontrollieren wird. Jetzt kann die Scharon- Regierung diesen Abzug und dien Widerstand dagegen sogar noch als Druckmittel gegen die PalästinenserInnen benutzen, nach dem Motto: Wir haben getan was wir konnten, nun muss Palästina mit den Bomben aufhören! Es wird keine weiteren Zugeständnisse geben, schaut euch nur die ganzen Proteste an, mit denen wir uns jetzt schon herumschlagen mussten!
Das Leben der Menschen in Gaza wird sich nicht wesentlich verbessern, da der Staat keine Arbeitserlaubnisse mehr für Israel ausstellen will. Aber auch der Lebensstandard der israelischen ArbeiterInnen wird nicht steigen, denn der Entkoppelungsplan geht einher mit einem offensiven Kürzungspaket der Regierung, das vor allem verschärfte Privatisierung, inklusive der Kommerzialisierung der Bildungswesens, und massive Kürzungen bei Arbeitslosenunterstützung und Kinderbetreuung enthält.
Wird das unter den palästinensischen Massen auch so gesehen?
Die palästinensischen Massen haben wirklich keinerlei Illusionen in den Entkoppelungsplan, sie wissen, dass sie von Scharon nichts geschenkt kriegen. Sobald der Plan abgeschlossen ist, werden wir eine sehr explosive Situation haben, es gibt schon den Ruf nach einer dritten Intifada.
Natürlich ist der Abzug der Armee und der 8000 SiedlerInnen ein Fortschritt. Letztere beanspruchen schließlich ein Drittel des gesamten Gebiets, im restlichen Teil leben mehr als eine Million PalästinenserInnen – damit ist der Gaza-Streifen weltweit das Gebiet mit der h&öuml;chsten Bevölkerungsdichte. Obwohl es sie betrifft, gab es mit diesen palästinensischen Massen jedoch keinerlei Diskussionen über den Entkoppelungsplan, die Regierung hat ihn von oben entschieden.
Der Punkt ist: Der Abzug aus Gaza ist nicht das Ende der Besatzung! Vielleicht in Gaza, ja, aber was ist mit der Westbank? Und auf der anderen Seite wird die Mauer hochgezogen, um den Abzug aus Gaza sozusagen vorzubereiten und Israel von den palästinensischen Gebieten abzuschirmen. Die meisten Israelis sehen sie immer noch als ein Mittel, sie gegen die Bombenattentate zu verteidigen und verstehen nicht, was sie für die PalästinenserInnen bedeutet. Tausende von ihnen werden jeden Zugang zu Versorgung und Arbeitsplätzen verlieren. Mehr Armut wird zu mehr Wut und Frustration führen, wovon die Hamas dann – aus Mangel an Alternativen – profitieren kann. Die terroristischen Angriffe gegen israelische ZivilistInnen haben seit dem Beginn des Mauerbaus schon zugenommen.
Es gibt allerdings auch Proteste dagegen seitens der Dorfbevölkerung in Palästina, die von der Mauer betroffen sind, außerdem gibt es noch Protest-Zeltlager israelischer AktivistInnen gegen die Mauer. Sie werden mit Tränengas, Gummigeschossen und Granaten angegriffen, viele werden verletzt. Aber die Aktionen gehen trotzdem weiter, die Dorfleute organisieren wöchentliche Demos. Diese Organisation läuft über demokratische Koordinationskomitees, die einen sehr guten Kampf ohne Waffen führen. Da sie von unten aufgebaut wird und nichts mit den Milizen, mit Hamas oder der Fatah zu tun hat, ist diese Bewegung eine wirkliche Alternative zum bewaffnetem Kampf und den Selbstmordattentaten. Es wird immer offensichtlicher, dass die Methoden der Hamas und anderen fundamentalistischen Gruppen nicht der Ausweg aus der Misere sind, sondern dass die Intifada wieder zu einem Massenaufstand von unten werden muss.
Was macht Maavak Sozialisti, um die Bewegungen aufzubauen? Was sind Eure Alternativen?
Wir sind sowohl aktiv bei den Protesten gegen die Mauer als auch dem Widerstand der Arbeiterklasse gegen die neoliberale Offensive in Israel, denken aber, dass diese die Kämpfe der palästinensischen Massen mit denen israelischen Arbeiterklasse verbunden werden müssen. Wir alle müssen für die Wirtschaftkrise in Israel mit zunehmender Unterdrückung der palästinensischen und Verarmung der israelischen Massen bezahlen. Gemeinsam können wir die korrupten Eliten auf beiden Seiten loswerden und endlich selbst über unser Leben bestimmen. Keine der Lösungen unter kapitalistischen Bedingungen, wie Oslo-Abkommen oder der Entkoppelungsplan hat funktioniert oder wird jemals Frieden oder Wohlstand für alle bringen. Deshalb bauen wir Maavak Sozialisti auf, um für ein unabhängiges sozialistisches Palästina und ein sozialistisches Israel zu kämpfen.
Das Interview führte Conny Dahmen