Nur unter massiven Polizeischutz konnten Nazis in Hamburg aufmarschieren.
Am 30. Juli scheint über Hamburgs Bezirk Mitte der Ausnahmezustand verhängt worden zu sein. Einheiten der Bundespolizei reisten bereits einen Tag vorher an. Ganze Straßenzüge sind abgesperrt. Der Verkehr staut sich in den Straßen. Um die Route Burgstraße bis Wandsbek ist eine Art Armee zusammen gezogen: Mehrere Wasserwerfer, Räumpanzer, Hundertschaften schwer gepanzert mit Schildern und Schlagstöcken, die Umgebung wird von Streifenwagen und Zivilfahndern überwacht. Der Grund für diesen Ausnahmezustand: Zirka 100 Neonazis, die von der Burgstraße bis Wandsbek marschierten.
Wo du stehst kann kein Nazi stehen
Waren diese 100 Gestalten derartig gefährlich? Gefährlich waren sie nicht, aber gefährdet. Am Hauptbahnhof hatten sich rund 1500 Menschen zu einer Gegendemonstration versammelt, um sich dem Naziaufmarsch in den Weg zu stellen. Auch in den betroffenen Stadtteilen regte sich Widerstand. Auf Initiative der Bezirksgruppe Mitte der WASG Hamburg wurde auch eine Gegendemonstration in Hamm organisiert. Ziel war gemeinsam mit den AnwohnerInnen des Bezirks gemeinsam gegen den Naziaufmarsch zu protestieren. Zuvor hatten wir Flugblätter verteilt, Plakate aufgehangen und ein Treffen veranstaltet, um die Aktion bekannt zu machen. Tatsächlich zogen rund 150 Menschen mit Transparent , Demowagen und lauten Sprechchören durch die Wohnviertel von Mitte, trotz sintflutartiger Regenfälle. Solch ein Protest war zwischen diesen Häuserwänden lange nicht zu sehen.
Antifaschismus ohne Antworten auf die soziale Frage ist hilflos
Die RednerInnen in Hamm betonten, dass Antifaschismus mehr bedeutet als den Neonazis nicht die Straße zu überlassen. Es bedeutet genauso mit KollegInnen gemeinsam gegen Entlassungen und Lohnraub zu kämpfen- auch über Ländergrenzen hinweg. Oder gemeinsam mit sozialen Bewegungen anderer Länder gegen eine unsoziale Globalisierung anzugehen. Gemeinsamer Kampf für ein besseres Leben ist die beste Grundlage dem Rassismus den Boden zu entziehen. Wir dürfen uns nicht wegen unserer Religion, unserem Geburtsort oder sexuellen Orientierung gegeneinander ausspielen lassen. Die Regierung verordnet Armut per Gesetz, nicht meine Mitschülerin aus Makedonien. Die Deutschen Bank entlässt KollegInnen, um ihre Profite zu sanieren, nicht mein Kollege aus der Türkei. Deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass Rassisten diese Tatsachen verdrehen und MigrantInnen die Schuld für das Versagen dieses Wirtschaftssystems zuschieben.
Die aktuelle Krise: Gefahr und Chance
Solange eine Polizeiarmee notwendig ist, um den Neonazis einen Marsch durch unsere Stadt zu ermöglichen, kann von einer Rechtsverschiebung unserer Gesellschaft nicht die Rede sein. Die Erfolge der Nazis drücken vor allem eins aus:
1. Dass die soziale Entwicklung viele Menschen von den bürgerlichen Parteien und Institutionen entfremdet hat ( zeigt sich zum Beispiel an dem Heer von Nichtwählern)
2. Dass bisher eine glaubwürdige Alternative zu den etablierten Parteien gefehlt hat. Dieses politische Vakuum versuchen die Neonazis zu füllen. Dafür geben sie sich gern als nationale, soziale Alternative zum neoliberalen Einheitsbrei.
3. Dass gerade auch Vertreter der bürgerlichen Parteien und Medien rassistisches Gedankengut verbreiten (beispielsweise Debatte über Auffanglager in Afrika). Die Nazis können sich dann als konsequente Vollstrecker dieser Ideen präsentieren.
Die Erfolge der Nazis sind also weniger Ausdruck ihrer eigenen Stärke. Vielmehr sind sie ein Ergebnis der sozialen und wirtschaftlichen Krise, als auch das Versagen der etablierten Parteien darauf eine befriedigende Antwort zu geben. Deswegen müssen wir eine glaubwürdige Alternative aufbauen, die eine wirkliche Antwort hat auf die wirtschaftliche und soziale Krise. Die Initiative in Hamm ist ein konkretes Beispiel wie diese Aufbauarbeit aussehen kann. Mit dem Aufbau einer WASG Jugend hier in Hamburg werden wir bald ein weiteres Beispiel dafür geben können.
Eine letzte Frage
Zum Schluß bleibt noch eine Frage. Warum wurde am 30. Juli solch ein Aufwand betrieben, um die Freiheit von Menschen durchzusetzen, deren Vorbild der industriell organisierte Terror des dritten Reiches ist. Ist es gerechtfertigt für ca. 100 Neonazis eine Art Ausnahmezustand zu verhängen? Für den Hamburger Senat anscheinend schon. Noch ein Grund mehr eine politische Alternative aufzubauen.
von Andreas Schmidtke aus Hamburg