Eine Kritik am Wahlprogrammentwurf der Linkspartei/PDS vom 15. Juli 2005
鋚s läuft noch nicht rund" ist der Titel des Newsletters Nr. 16 der WASG vom 18. Juli. Gemeint ist unter anderem der Entwurf des Wahlprogramms des Parteivorstands der Linkspartei/PDS.
Siebzig oder achtzig Prozent des Linkspartei/PDS-Programms entsprechen dem Wahlmanifest, das am 3. Juli beim WASG-Parteitag in Kassel beschlossen wurde. Zwanzig Prozent stehen in deutlichem Widerspruch zur Programmatik der WASG. Am deutlichsten werden die programmatischen Unterschiede beim Thema Arbeitslosigkeit.
Eine Kritik am Linkspartei/PDS-Programm ist aus drei Gründen nötig. Erstens weil WASG-KandidatInnen formal auf dieser Grundlage in den Bundestag gewählt werden. Zweitens weil die Linkspartei/PDS die Zustimmung der WASG zum Programmentwurf fordert und der WASG-Bundesvorstand in die Debatte bereits eingestiegen ist – leider mit falschen Vorschlägen. Drittens weil spätestens nach der Bundestagswahl mit dem Neuformierungsprozesses einer neuen linken Partei begonnen wird, in der WASG und Linkspartei/PDS eine große Rolle spielen werden. In diesem Prozess muss es zu einer Diskussion über die inhaltlichen Differenzen und der Realpolitik der Linkspartei/PDS in den Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kommen. Der Programmentwurf der Linkspartei/PDS umfasst einen wichtigen Teil dieser Differenzen und sollte deshalb in der WASG-Mitgliedschaft diskutiert werden.
Weg mit ein bißchen Hartz IV
Das Wahlmanifest der WASG fordert: भie Verschlechterungen durch die Hartz-Gesetze müssen zurück genommen werden. Jobs, die schlechter als tariflich oder ortsüblich bezahlt werden oder die Qualifikationen der Menschen nicht berücksichtigen, müssen wieder als unzumutbar abgelehnt werden können. Ein-Euro-Jobs müssen abgeschafft und durch öffentlich geförderte Beschäftigung ersetzt werden."
Der thematisch entsprechende Absatz im Linkspartei/PDS-Programmentwurf mit dem Titel ’Statt Arbeitslosigkeit Arbeit finanzieren – Weg mit Hartz IV" hält dagegen erstens nicht, was er ankündigt und steht zweitens im Widerspruch zum Wahlmanifest der WASG.
So fordert die Linkspartei/PDS nicht die Abschaffung von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs, sondern lediglich einen Arbeitsvertrag für Ein-Euro-Jobber, um ’Zwänge und Demütigungen, die ihnen bei ALG II und Ein-Euro-Jobs zugemutet werden" abzuschaffen. Mit diesem Vorschlag erhalten Ein-Euro-Jobber in Zukunft genauso wenig wie heute. Hartz IV mit Stempel und Segen von Linkspartei/PDS.
An anderer Stelle wird eine bedarfsorientierte Grundsicherung von 750 Euro netto gefordert. Bis diese eingeführt wird, soll das ALG II auf 420 Euro heraufgesetzt werden. Die Forderung nach der Anhebung des ALG II bedeutet im Umkehrschluss eine Akzeptanz von ALG II und kommt lediglich einer Nachbesserung gleich.
Niedriglohnsektor für Langzeitarbeitslose, Frauen und ältere Menschen
Sollte es jedoch möglich sein – durch höhere Steueraufkommen (zum Beispiel durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer) – Ein-Euro-Jobs durch reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen, sollen diese ’zusätzlich dort entstehen, wo für die Privatwirtschaft Dienstleistungen für einzelne oder für das Gemeinwesen nicht rentabel sind." Die Profitinteressen der Privatwirtschaft sind damit für die Linkspartei/PDS Ausgangslage ihrer Forderungen. मine Beeinträchtigung der Privatwirtschaft muss vermieden werden" heißt es im Programmentwurf.
So soll ein gemeinnütziger Beschäftigungssektor eingerichtet werden, für den untertarifliche Bedingungen ausgehandelt werden können. Im Original heißt es: मine gegenüber bestehenden Tarifen für vergleichbare Tätigkeiten einstweilen geringere Bezahlung soll durch kürzere Arbeitszeiten, durch familien- und qualifizierungsfreundliche Artbeitsbedingungen, Chancen für Ã"ltere und Geschlechtergerechtigkeit kompensiert werden."
Konkret übersetzt: Langzeitarbeitslose, Frauen und ältere ArbeitnehmerInnen sollen für weniger Lohn arbeiten! Oder: Frauen bekommen von Anfang an nur einen Teilzeitjob. Das läuft dann unter ’Geschlechtergerechtigkeit und Chancen für Ã"ltere." Der Niedriglohnbereich wird dabei nicht bekämpft, sondern gesetzlich festgelegt. Die Tariflöhne im öffentlichen Dienst würden weiter unter Druck gesetzt.
Pro Kombilöhne
Unter dem Titel पrbeit zu menschenwürdigen Bedingungen" werden �rfsgerechte Qualifizierungsangebote" für gering Qualifizierte gefordert. Diese sollen für die Betroffenen ’und für die Unternehmen lohnender werden." Der Vorschlag der Linkspartei/PDS sind Lohnkostenzuschüsse aus öffentlicher Hand. So sollen zum Beispiel die Sozialabgaben von gering Qualifizierten durch den Staat finanziert werden. ’Lohnkürzungen und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors, wie von anderen Parteien gefordert, sind kein gangbarer Weg zu mehr Beschäftigung," resümiert der Parteivorstand der Linkspartei/PDS. Ihre Vorschläge bewirken jedoch genau das: Durch Kombilohnmodelle/Lohnkostenzuschüsse werden die Löhne insgesamt unter Druck gesetzt. Wenn der Staat die Lohnnebenkosten für gering Qualifizierte übernimmt, bekämpft das nicht den Niedriglohnsektor, sondern festigt ihn – und beschenkt die Arbeitgeber.
Reaktion des WASG-Bundesvorstandes
鋚s läuft noch nicht rund" und भie Wahlalternative tut sich schwer mit den Vorschlägen der PDS/Linkspartei gegen den Niedriglohnbereich", bemerkte auch der WASG-Vorstand im WASG-Newsletter Nr. 16. Da der entsprechende Absatz im Programmentwurf so verstanden werden könne, 鋚ss wir Hartz IV und die Ein-Euro-Jobs im Grundsatz akzeptieren und lediglich durch eine veränderte Umsetzung eine gewisse Verbesserung der Lage der Betroffenen erreichen wollen," fordert der Bundesvorstand eine Neufassung des Abschnitts ’Statt Arbeitslosigkeit Arbeit finanzieren. Weg mit Hartz IV".
Positiv ist, dass der WASG-Bundesvorstand die Abschaffung von Ein-Euro-Jobs fordert. Ein Skandal ist jedoch, dass er sich die Vorschläge der Linkspartei/PDS, einen gemeinnützigen Beschäftigungssektor zu schaffen, der Langzeitarbeitslose, Frauen und ältere Menschen zu untertariflichen Standards beschäftigt, zu eigen macht! Das steht in deutlichem Widerspruch zu den entsprechenden Stellen im WASG-Wahlmanifest, in dem untertarifliche Jobs abzulehnen sind. Dieser Absatz muss ersatzlos gestrichen werden.
Bezüglich des Abschnitts पrbeit zu menschenwürdigen Bedingungen" wird मine Subventionierung von Niedriglohnbeschäftigung, wie sie im Text formuliert ist" durch den WASG-Bundesvorstand abgelehnt. Der Ansicht des Bundesvorstands zufolge sollen diese stattdessen ’gezielt vergeben werden." Das sieht dann wie folgt aus: ’Soweit gering qualifizierte Arbeitslose nicht durch geeignete Weiterbildungsmaßnahmen wieder in Arbeit gebracht werden können, sollen befristete Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber aus öffentlicher Hand Anreize für ihre Beschäftigung bieten." Damit wird Lohnkostenzuschüssen aber kein Riegel vorgeschoben, sondern sie werden zeitlich befristet befürwortet.
Arbeitszeitverkürzung nur bedingt mit Lohnausgleich
Doch auch an anderen Stellen stellt das Linkspartei/PDS-Programm eine Verschlechterung dar. So wird im Kapitel पrbeit umverteilen" Arbeitszeitverkürzung mit Lohnkürzungen akzeptiert: भie fortschreitende Steigerung der Produktivität ermöglicht auch in Zukunft Arbeitszeitverkürzungen, ohne dass Lohnsenkungen die notwendige Folge sein müssen. Zumindest für Beschäftigte mit geringeren Einkommen muss ein Lohnausgleich gewährleistet werden."
Das hört sich erst einmal wie eine Bevorteilung von NiedriglöhnerInnen an. In Wirklichkeit ist es eine Bevorteilung von Niedriglohnjobs. Das Lohnniveau insgesamt darf abgesenkt werden. Niedriglohnjobs sollen sich weiter ’lohnen".
Eine weitere Verschlechterung gegenüber der WASG-Programmatik ist, dass eine Privatisierung von Bildungsträgern nicht ausgeschlossen wird. Im WASG-Wahlmanifest heißt es: ’Wir kämpfen gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Versorgung der Menschen mit Wasser, Strom, Gesundheitsversorgung, Bildung und öffentlichen Transportmitteln ist eine gesellschaftliche Aufgabe, (…) ." Auch das Wahlprogramm der Linkspartei/PDS spricht sich gegen Privatisierung von Bildung aus, räumt aber ein, 鋚ss auch private Initiativen und gemeinnütztiges Engagement von Bildungsträgern sinnvoll" seien, wenn eine Bildung für alle durch die öffentliche Hand ausreichend gefördert ist.
Leider wird auch dieser Punkt vom WASG-Bundesvorstand nicht kritisiert.
Deutliche Absage nötig!
Den Vorschlägen der Linkspartei/PDS zu Niedriglohn, Lohnkostenzuschüsse und Privatisierung muss daher eine deutliche Absage erteilt werden. Die Forderung nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 1500 Euro für alle muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Die WASG darf keiner Spaltung von normal abhängig Beschäftigten und Beschäftigten zweiter Klasse zustimmen. Denn genau das wollen die Arbeitgeber: Ein Teil der abhängig Beschäftigten soll gegen den anderen Teil ausgespielt werden und der Widerstand gegen Massenarbeitslosigkeit und Armut soll geschwächt werden.
Durch öffentliche Investitionsprogramme und eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich kann die Arbeit auf alle verteilt werden.
Die Bedürfnisse von abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und ihrer Familien muss für die WASG bedingungslos im Mittelpunkt stehen und nicht die Profitinteressen und sogenannten Sachzwänge, die uns die Herrschenden weis machen wollen.
Positiver Bezug auf Regierungsbeteiligung der PDS
Es erscheint als logische Schlussfolgerung der programmatischen Zugeständnisse der Linkspartei/PDS an die sogenannten Sachzwänge des kapitalistischen Systems, dass sie im Wahlprogramm die ’positiven Erfahrungen der rot-roten Landesregierung in Schwerin" im Bereich der Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungspolitik betont. Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts in Mecklenburg-Vorpommerns werden dagegen eine andere Bilanz ziehen. Viertausend Stellen sollen in der Landesverwaltung abgebaut werden. Auch wenn fünf von dreizehn PDS-Abgeordneten bei der Beschlussfassung mit Nein stimmten, trägt dieser Beschluss die Handschrift der SPD/PDS-Regierung.
Die WASG wurde aus Ablehnung von Sozialkahlschlag, Privatisierung und Arbeitsplatzvernichtung gegründet. Auch ehemalige PDS-Mitglieder sind ihr beigetreten, nachdem sie sich enttäuscht von der realen PDS-Politik in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern von der PDS abgewendet haben. Der WASG-Parteitag am 3. Juli schrieb im Wahlmanifest das Selbstverständnis der WASG fest: ’ Wir sind die Opposition gegen die herrschende, neoliberal bestimmte Politik. An einer Regierung im Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel auf der Basis unseres Gründungsprogramms führt. Wir werden uns nicht an einer Regierung beteiligen oder sie tolerieren, die Sozialabbau betreibt."
Diese deutlichen Positionen müssen vom WASG-Bundesvorstand gegenüber der Linkspartei/PDS vertreten werden. Der positive Bezug auf die Regierungsbeteiligung der PDS sollte gestrichen werden.
Eigene Inhalte ins Zentrum rücken
Auf dem Parteitag am 3. Juli und der folgenden Urabstimmung wurde der Antritt von WASG-Mitgliedern auf den offenen Listen der Linkspartei/PDS beschlossen. Es wurde aber auch ein Wahlmanifest beschlossen, das die programmatische Grundlage der WASG im Wahlkampf sein soll. Deshalb darf der Bundesvorstand keinem Programm der Linkspartei/PDS zustimmen, das diese deutlichen Verschlechterungen gegenüber dem WASG-Wahlmanifest enthält. Wenn die Linkspartei/PDS sich nicht auf unsere inhaltlichen Schwerpunkte einlässt, ist die WASG doppelt gefordert, im Wahlkampf eigene Inhalte ins Zentrum des Wahlkampfes zu stellen – durch eigenes Material, durch ihre KandidatInnen, durch einen aktiven Straßenwahlkampf mit eigenen WASG-Infotischen und Veranstaltungen. In dieser Hinsicht ist es positiv, dass es in Berlin eine WASG-Wahlkampfzeitung geben soll, in der sich ein Teil auch mit der Landespolitik in Berlin beschäftigten soll.
von Lucy Redler, Mitglied im WASG-Länderrat