Der Flächentarif Schutz vor Lohnkürzung und Arbeitszeitverlängerung soll abgeschafft werden
Der Flächentarifvertrag ist eine der größten Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung. Im Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt schätzte dieser den Einzelnen beim Verkauf seiner Ware Arbeitskraft. Die großen Flächentarifvertrage der Metallindustrie und der BAT im öffentlichen Dienst waren bisher Leitwährung und Lokomotive für Lohnniveau und Arbeitszeit in der gesamten Gesellschaft. Damit soll es bald vorbei sein.
Im Kampf um immer höhere Profite wollen die Unternehmer eine massive Absenkung der Löhne und die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit. Sie bauen darauf, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit und die Drohung mit Produktionsverlagerung Belegschaften gefügig macht.
Ihre Parteien FDP, CSU/CDU, SPD und Grüne unterstützen sie dabei. Bei der Verkündigung der Agenda 2010 im März 2003 drohte Gerhard Schröder mit einer Änderung des Tarifvertragsgesetzes, falls die Gewerkschaften nicht auf breiter Front Öffnungsklauseln für betriebliche Abweichungen vom Flächentarifvertrag zulassen. CDU/CSU und FDP haben im Herbst 2003 Gesetzentwürfe gegen die Tarifautonomie in den Bundestag eingebracht. Danach sollen in Zukunft die Betriebsräte Haustarifverträge unter dem Flächentarifvertrag abschließen können. Die Gewerkschaft soll gar nicht mehr gefragt werden. Das einzige, was die Unternehmer vom Flächentarifvertrag behalten wollen, ist die Friedenspflicht. Das bedeutet: Die Erpressbarkeit von Belegschaften ist grenzenlos.
Leider beteiligt sich auch die PDS aktiv daran, den Flächentarifvertrag zu zerschlagen. Das SPD/PDS-regierte Berlin ist mitten in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes 2003 aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgetreten und hat seither einen Absenkungstarifvertrag nach dem anderen durchgesetzt.
Verbetrieblichte Tarifpolitik
Nach dem Motto wir machen jede Verschlechterung mit Hauptsache, wir werden daran beteiligt haben die Gewerkschaftsspitzen in den letzten Jahren von sich aus auf breiter Front die Verbetrieblichung der Tarifpolitik und die Zerstörung des Flächentarifvertrags mit organisiert. Hintergrund ist die ideologische Kapitulation in der Tarifpolitik. Für Huber/Peters, Bsirske und Co. ist die Tarifpolitik keine Macht- und Verteilungsfrage mehr, sondern eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Im Pforzheimer Abschluss der Metallindustrie vom Februar 2004 steht der Erhalt und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erstmals als Ziel in einem von der IG Metall unterschriebenen Flächentarifvertrag. Den Unternehmern werden weitgehende Öffnungsklauseln angeboten. Mit Hilfe derer kann dann der einzelne Unternehmer Tarifabweichungen erpressen.
Häuserkampf
Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitszeiten werden infolge von Öffnungsklauseln zu Kämpfen einzelner Belegschaften. Daran hat offensichtlich auch die Gewerkschaftsbürokratie ein Interesse. Tarifauseinandersetzungen, erst recht wenn es zu Streiks kam, hatten in der Vergangenheit immer einen allgemeinen Charakter. Es gab kollektive Diskussionen, belegschaftsübergreifende Solidarität und gemeinsame Aktionen bis hin zu Streiks. Das schuf ein Bewusstsein über die Stärke der Gewerkschaft. Die Gewerkschaftsspitze stand unter Beobachtung der gesamten Mitgliedschaft. Dies beinhaltete auch immer die Gefahr breiter Kritik und Ablehnung. Streiks, die in Gang kamen, konnten nicht so einfach von oben wieder abgewürgt werden.
In den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst 2002/2003 und in der Tarifrunde bei Metall 2004 hat sich bei den Warnstreiks die enorme Kampfbereitschaft gezeigt. Wenn sich die angestaute Wut erst mal in einem Tarifstreik Luft machen würde, wäre die gesamte Stillhaltepolitik der Gewerkschaftsführung schnell am Ende. Dies will die Gewerkschaftsführung unter allen Umständen vermeiden. Die Verbetrieblichung der Tarifpolitik ist dafür aus ihrer Sicht ein geeignetes Mittel. Denn einzelne Belegschaften lassen sich leichter isolieren.
Diese von oben verordnete Verbetrieblichung und Vereinzelung muss von unten aufgebrochen werden. Belegschaften und Gewerkschaftsaktivisten müssen sich betriebs- und branchenübergreifend vernetzen und den gemeinsamen Kampf organisieren. Diese Vernetzung muss mit dem Aufbau einer innergewerkschaftlichen Opposition verbunden werden.
von Ursel Beck, Stuttgart