Iran nach den Wahlen – zurück in die Vergangenheit?

Ahmadinedschad, ein konservativer Islamist, ist neuer Präsident


 

Der islamistische Hardliner Ahmadinedschad hat sich bei der Stichwahl zum iranischen Präsidenten im Juni mit knapp 62 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen seinen Rivalen Rafsandschani durchgesetzt. Damit schlägt der Iran ein neues Kapitel sozialer Konflikte auf.
Es wäre zu vereinfacht, den Wahlerfolg Ahmadinedschads, seit 2003 Bürgermeister Teherans, nur auf die Unzufriedenheit der verarmten Massen zu reduzieren. Sicher hat dieser geschickt soziale Rhetorik angewendet, um die wachsende Unzufriedenheit für sich zu nutzen. So versprach er den Schutz des staatlichen Ölsektors vor einer Plünderung durch westliche Konzerne und eine Reichensteuer zur Finanzierung sozialer Projekte.
Aber seine Wahl ist Ausdruck eines tiefsitzenden Konflikts innerhalb der herrschenden Elite des Landes. Im Iran schwillt seit Jahren dieser Konflikt an. Auf der einen Seite repräsentiert Rafsandschani den Teil der iranischen Kapitalisten, der für eine weitere Öffnung des Marktes eintritt. Darum setzten die meisten westlichen Konzern- und Regierungschefs auf ihn (allerdings nicht Bush, weil dieser auf eine stärkere Konfrontation aus ist). Auf der anderen Seite steht Ahmadinedschad für die meist kleineren Kapitalisten und kleinen Händler und ihre Angst, unter dem Druck der großen multinationalen Konzerne zerrieben zu werden. Sowohl Ahmadinedschad wie auch Rafsandschani sind lediglich Repräsentanten zweier Flügel der herrschenden Schicht des Iran.

Reformer am Ende

Im ersten Wahlgang konnte der als Reformer geltende Mustafa Moin nur knapp 14 Prozent aller Stimmen für sich gewinnen. Das ist eine Ohrfeige für Chatami, der ursprünglich für soziale und demokratische Erneuerung angetreten war und so 1997 mit 70 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde. Große Teile der iranischen Arbeiterschaft und der Jugend setzten ihre Hoffnungen in die Reformer. Acht Jahre später sind die Illusionen längst von der Realität eingeholt.
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 bis 35 Prozent. Unter der Jugend ist fast jeder Zweite ohne Arbeit. Mindestens 40 Prozent der IranerInnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das Pro-Kopf-Einkommen ist heute um ein Drittel niedriger als im Jahre 1978. Selbstmorde, Drogenmissbrauch und Prostitution nehmen zu. Die Öl-Einnahmen haben sich seit 1999 verdreifacht. Jedoch profitiert nur die reiche Minderheit davon. Die große Mehrheit ist mit zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit und einer Inflation von beinahe 20 Prozent konfrontiert. Diese Entwicklungen haben sich seit Chatamis Amtsantritt durch seine Politik der Liberalisierung und Privatisierung beschleunigt.
Aber auch die versprochenen persönlichen und kulturellen Freiheiten blieben aus. Es gab lediglich ein paar Lockerungen bestimmter Kleiderordnungen. Da Chatami kein Interesse hatte, sich mit den mächtigen klerikalen Führern anzulegen, ließ er zu, dass reformorientierte Zeitungen verboten, oder sogar seine engsten Vertrauten verhaftet wurden. Als es wiederholt zu Protesten der Jugend kam, lieferte Chatami sie ans Messer. So verloren die Reformer die Unterstützung der Bevölkerung.

Neue Etappe sozialer Konflikte

Trotzdem hatte die Chatami-Ära einen wichtigen Effekt. Dadurch dass Chatami – wenn auch immer abgeschwächter – sich für soziale und demokratische Erneuerung aussprach und sich damit gegen den radikalen Klerus stellte, wuchs das Selbstbewusstsein der IranerInnen. Es ist weniger der Realpolitik der Reformer zu verdanken, als dem Willen der Jugend nach Freiheit und Solidarität, dass öffentliche Kritik, wenn auch begrenzt, möglich ist und wieder Feste gefeiert werden können. Beides ist offiziell verboten.
In den letzten Jahren waren die Radikalislamisten um den ’Revolutionsführer" Chamenei immer wieder gezwungen, Rückzieher zu machen. Das führte jedesmal zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins der Massen. Mit dem Hardliner Ahmadinedschad als Präsident werden sie versuchen, durch stärkere Repressionen, durch massive Einschränkung der gewonnenen Freiheiten ihre Position zu festigen. Ahmadinedschad ist der Kopf der militanten Organisation Bassij und bekannt für seine Erfahrungen im Bereich Folter und Terror.
Allerdings bewegen sich die Hardliner auf dünnem Eis. Nur die Hälfte der Bevölkerung nahm an den Wahlen teil. Darunter viele, die auf die soziale Rhetorik von Ahmadinedschad hereingefallen sind. Wahrscheinlich, dass der neue Präsident den Sozialabbau der letzten Jahre fortsetzt. Entscheidend ist aber, dass die iranische Arbeiterklasse und die Jugend ihr einmal gewonnenes Selbstbewusstsein nicht kampflos aufgeben werden. Damit ist der Iran in eine neue Phase eingetreten. Schon eine Provokation der Machthaber kann schnell zu massiver Gegenwehr führen und die Situation eskalieren lassen. Größere soziale Bewegungen und neue Aufstände stehen bevor.
Nach der Ära der Reformer ist die Frage nach Alternativen zu Islamismus und Imperialismus wieder sehr konkret geworden. Die Illusionen in eine schrittweise Veränderung des Iran sind erschüttert. Die Frage nach Systemalternativen und Sozialismus hat eine neue Aktualität erreicht.

von Toufan Azadi, Köln