Mitbestimmung verteidigen, Ausverkauf verhindern!
Jahrelang haben VW-Betriebsräte die KollegInnen verraten und verkauft – das sind die Anschuldigungen, die jetzte erhoben werden. Ungeklärt ist bislang, was davon stimmt. Geklärt ist aber, was die VW-Bosse in den letzten Jahren von Betriebsrat und IG Metall geschenkt bekommen haben: Verzichtsgehälter für Neueingestellte, Lohnraub mittels 28-Stunden-Wochen und 5.000 x 5.000, Zuschlagskürzungen in der letzten Tarifrunde, und und und. Für den aktuellen Skandal sollen nun nicht die Manager zahlen, die sich Betriebsräte kaufen; auch nicht diese „Arbeitervertreter“, die von der Gewerkschaftsbewegung leben statt für ihre KollegInnen zu kämpfen. Den Kopf hinhalten sollen die Beschäftigten: beim Generalangriff auf die Mitbestimmung und bei der Spezialattacke auf VW beziehungsweise das VW-Gesetz.
„Jetzt weiß man, warum die alles unterschrieben haben, was die Bosse wollten“, so ein Werkzeugmacher in Wolfsburg laut Frankfurter Rundschau (6. Juli 05). „Solche Betrügereien – und das über Jahre“, wird ein anderer Kollege zitiert, „wenn einer von uns eine kleine Schraube klaut, fliegt er raus, aber sofort. Der darf das Werk nicht mehr betreten“.
Der langjährigen Betriebsrats-Chef Klaus Volkert und andere Funktionäre sollen in eine Korruptionsaffäre verstrickt sein und sich jahrelang – abgesegnet vom VW-Vorstand – persönlich bereichert haben. „‚Seit mehr als einem Jahrzehnt‘, sagt ein Firmen-Insider, ‚wurde der Betriebsrat vom Vorstand gewissermaßen geschmiert.‘ Teure Lustreisen des Betriebsrates nach Brasilien oder in andere Länder per Firmenjet seien vom Vorstand genehmigt worden. Dazu habe ‚das Einfliegen von Luxus-Nutten gehört‘. Im Gegenzug seien Betriebsräte auffällig oft bereit gewesen, bei strittigen Entscheidungen auf Vorstandslinie zu argumentieren. ‚“ Mit diesem Bericht weitete die Süddeutsche Zeitung (5. Juli) die zuvor schon kursierenden Korruptionsvorwürfe auch auf den Betriebsrat aus. Dabei wird Prostitution mit dem Gerede von „Lustreisen“ verharmlost und die betroffenen Frauen werden von der Süddeutschen Zeitung unkommentiert als „Luxus-Nutten“ beschimpft.
Um zu wissen, dass der Betriebsrat – aber auch die Gewerkschaftsvertreter der IG Metall – immer wieder mit dem Vorstand kungelte und die Interessen der KollegInnen mit Füßen trat, brauchte es keine Affäre mehr. Die Einführung der 28,8-Stunden-Woche wurde mit Lohnverlusten im zweistelligen Prozentbereich von den Beschäftigten bezahlt. Eine enorme Flexibilisierung raubte danach Überstundenzuschläge und die Verfügung über die eigene Zeit. In vielen Werken wird zur Zeit zwischen 35 und 37 Stunden gearbeitet. Mit 5.000 x 5.000 wurde es VW erlaubt, Langzeitarbeitslose unter Tarif zu beschäftigen – die IG Metall stimmte niedrigen Einstiegslöhnen zu. Die Belegschaft wurde gespalten. Der letzte Tarifabschluss mit weiterem Verzicht bei Zuschlägen und Niedriglöhnen für Neueingestellte vervollständigte diese Strategie des Ausverkaufs.
Doch dafür gab es landauf, landab in den bürgerlichen Medien und von den Politikern der etablierten Parteien ausschließlich Lobeshymnen. Und Peter Hartz, Personalchef bei VW, wurde damit belohnt, seine Attacken mittels der Hartz-Kommission und Hartz I bis IV auf ganz Deutschland ausdehnen zu dürfen.
Widerstand in den Gewerkschaften statt bürgerlicher Heuchelei
Der „Autoexperte“ Ferdinand Dudenhöffer fordert, Betriebsräte sollten ihre Gehälter und etwaigen Vergütungen offen legen. „Aus Gewerkschaftskreisen hieß es dazu, man gehe davon aus, dass Dudenhöffer auch selbst bereit sei, sein Einkommen samt seiner Honorare für Gutachten offen zu legen“, schreibt die Frankfurter Rundschau (6. Juli).
Die Heuchelei eines Dudenhöffers anzugehen und die Mitbestimmung, die Arbeiterbewegung gegen die Angriffe der Bürgerlichen zu verteidigen, ist das eine. Das andere ist, dass Schlussfolgerungen nötig sind, in Gewerkschaften und Betriebsräten den Kurs von Ausverkauf und Co-Management zu stoppen und eine grundlegend andere Herangehensweise zu etablieren.
Jahrelang predigen die Gewerkschaftsspitzen, sie benötigten ihre Managergehälter, um mit den Konzernherren auf Augenhöhe zu verhandeln. Schon der Vorgänger des aktuellen IG-Metall-Chefs Peters, Zwickel, strich jeden Monat 17.700 Euro ein. ver.di-Chef Frank Bsirske mag mit knapp 14.000 Euro im Monat auf einem Level liegen, wie manch Arbeitgeber; in einer Welt mit dem Busfahrer in Berlin, dem er im letzten Monat einen Gehaltsverlust von zehn Prozent aushandelte, lebt er nicht mehr.
Diese Haltung der Leute, die von der Gewerkschaftsbewegung leben statt für sie, hat Konsequenzen – und die VW-Affäre ist ein Bestandteil davon.
Dagegen hilft nur eine Aktivierung der Mitglieder und Neubelebung der Gewerschaften. Bei VW sind 97 Prozent der ArbeitnehmerInnen gewerkschaftlich organisiert. Doch ein verknöcherter Vertrauensleuteapparat hat die KollegInnen im Griff, statt umgekehrt. Die Gewerkschaften müssen wieder zu dem gemacht werden, wofür sie gegründet wurden: Kampforganisationen der Arbeiterklasse. Statt Spitzengehaltsfunktionären an den Spitzen der DGB-Gewerkschaften, werden Funktionäre benötigt, die nicht mehr Verdienen als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn – und die damit mit den selben Nöten konfrontiert sind, wie die Menschen, die sie vertreten sollen. Alle Zusatzeinnahmen aus Aufsichtsräten oder sonstigen Vergünstigungen müssen zugunsten der Arbeiterbewegung abgeführt werden – und das muss endlich transparent gemacht werden.
Das gilt nicht nur für VW, sondern in allen Betrieben. Denn der Versuch, die VertreterInnen in den Betriebs- und Personalräten und die FunktionärInnen in den Gewerkschaften über den Tisch zu ziehen, zu korrumpieren und zu kaufen, sind im Kapitalismus so sicher, wie die Attacken auf den Lebensstandard der Masse der Bevölkerung.
Und für die Beschäftigten bei VW gilt: So, wie die VW-Manager den Skandal jetzt hindrehen wollen, folgen Angriffe. Die ganz offensichtliche Schwächung der Arbeitnehmervertretung muss schnellsten Überwunden werden. Eine kämpferische Führung in IG Metall und Betriebsrat ist dringend nötig, um die drohenden Gefahren zu meistern.
Volkswagen-Gesetz
Denn nun soll das Volkswagen-Gesetz auf den Prüfstand und die Mitbestimmung gleich mit. Zumindest erkennt der stellvertretende FDP-Vorsitzenden Rainer Brüderle darin schon „den Sargnagel des deutschen Mitbestimmungsmodells“. Dass die kleine Partei des großen Geldes jede mögliche und unmögliche Situation zu nutzen versucht, um gegen Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu hetzen – zu plump.
Die Mitbestimmung (Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten) wurde den Beschäftigten zugestanden, um die Arbeiterklasse in der Revolution 1918 und in der revolutionären Stimmung nach dem zweiten Weltkrieg vor drastischeren Maßnahmen der Enteignung der Kapitalisten und Alt-Nazis abzuhalten und sie zu beschwichtigen.
Nun ist die Mitbestimmung den Unternehmern ein Dorn im Auge: Sie wollen ungehindert und ungebremst Flächentarife aufbrechen, Arbeitszeiten verlängern und Löhne senken. Der damalige BDI-Chef Rogowski forderte 2003, das Betriebsverfassungsgesetz auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Der Fall Volkert, der neben seiner Tätigkeit als VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzender auch als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat saß, soll nun ebenfalls dazu dienen, den Einfluss der Gewerkschaften zu beschneiden – und ungehemmter gegen die Interessen der Beschäftigten vorgehen zu können.
Aktueller ist der Versuch – auch von Teilen des VW-Manangements – Volkswagen selbst anhand des schwelenden Skandals umzukrempeln.
Volkswagen wurde in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von den Nationalsozialisten mit Geldern der zerschlagenen Gewerkschaften gegründet. Die Produktion wurde – später auch mit Hilfe von ZwangsarbeiterInnen – aufgebaut mit dem Ziel, sowohl zivile als auch von vorneherein militärische Zwecke damit zu erfüllen.
Nach dem Krieg kam Volkswagen in das Eigentum der BRD. Schon in den 50er Jahren wurde teilprivatisiert, 20 Prozent behielt der Bund, die er 1988 verkaufte. Von den 20 Prozent des Landes Niedersachsen sind noch heute 13 Prozent in seinem Besitz, aktien-stimmrechtlich mehr als 18 Prozent.
Überrest der ehemaligen staatlichen Kontrolle ist das VW-Gesetz, wonach kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann, auch wenn er mehr Anteile besitzt. Das sichert dem Land Niedersachsen einen entscheidenden Einfluss zu und macht den Konzern für eine Übernahme uninteressant. (wikipedia.org, 6. Juli 05)
Im Zuge der jetzigen Vorwürfe soll das geschliffen werden. „Der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend sprach sich dafür aus, die Beteiligung des Landes Niedersachsens an VW mittelfristig zu beenden“, berichtet die Welt (6. Juli). Andere stellen die Regelungen des VW-Gesetzes unmittelbar in Frage. Kurz: Der Markt soll es richten, jegliche Regulierung soll zurück gedrängt, politischer Einfluss beendet werden.
Dabei belegen die Vorgänge jetzt das Gegenteil von der behaupteten Überlegenheit des Marktes. Hier zeigt sich nur, dass unter den Profitbedingungen Korruption und Betrug alltäglich sind. Oder, wie es Friedrich Engels vor 125 Jahren über die Anfänge des Kapitalismus schrieb: „An die Stelle der gewaltsamen Unterdrückung trat die Korruption, an die Stelle des Degens, als des ersten gesellschaftlichen Machthebels, das Geld.“ Winken Profite, so wirft dieses System alles andere über Bord. Mit Karl Marx: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“
Krise der Autoindustrie
Die Autokonzerne stehen weltweit vor riesigen Problemen. Das VW-Management macht sich Sorgen über die zukünftigen Profite. Weltweit gibt es etwa 20 bis 30 Prozent Überkapazitäten in der Autoindustrie. Das kommt daher, dass in der kapitalistischen Produktion jeder Konzern versucht, mit immer neuen Methoden die Konkurrenz auszustechen – und dabei immer neue Fabriken und Werke (jüngst vor allem in China, vor allem VW) aufbaut, obwohl längst Kapazitäten weltweit brach liegen. Da die Profite nicht ausreichen, lohnt es sich nicht, diese Produktionsmöglichkeiten und die dafür nötigen Arbeiter zu nutzen. Die Folge: Arbeitslosigkeit, weniger Produktion trotz enormem Bedarf weltweit (an Autos, aber vor allem an anderen, sinnvollen Produkten, die mit diesen Ressourcen und von den nun Arbeitslosen hergestellt werden könnten).
Lamentiert wird über Managementfehler. Doch diese Fehler entscheiden nicht darüber, ob sondern nur bei wem die Auto-Krise zuschlägt. In jedem Fall wird versucht, die Beschäftigten bezahlen zu lassen.
Menschen statt Profite
Die Abschaffung des VW-Gesetzes und der Verkauf der restlichen Anteile, die das Land Niedersachsen noch hält, werden VW weiter dem Markt unterwerfen. Diese Ausdehnung der Prinzipien der Profitproduktion und Kapitalverwertung löst allenfalls die Probleme der Spekulanten, die jetzt schon die VW-Aktie nach oben treiben: Die Finanzhaie schielen mit Milliardenbeträgen auf kurzfristige Verwertung an den Börsen und wünschen sich, zukünftig ganz anders mit VW umspringen zu können.
Statt des Irrsinns kapitalistischer Produktion ist die Überführung nicht nur von VW, sondern der gesamten Autoindustrie in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung nötig. Statt Profitherrschaft, Bürokratie und Korruption sind Transparenz und Demokratie nötig. Gewährleistet werden kann das, durch jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionäre sowie jederzeitiger Rechenschaftspflicht. Kein gewählter Vertreter darf mehr verdienen als einen durchschnittlicher Facharbeiterlohn.
Diese Prinzipien müssen endlich auch in der Gewerkschaftsbewegung durchgesetzt werden, um den Volkerts und Co das Handwerk zu legen.
Stephan Kimmerle.
[Stephan Kimmerle ist Mitglied im Sprecherrat des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di, www.netzwerk-verdi.de]