Unter dem Titel „Zukunft einer Linken in der WASG“ findet am 2. Juli ein bundesweites Treffen in Kassel statt, zu dem sechs WASG-Mitglieder eingeladen haben, die in den vergangenen Wochen als linke KritikerInnen am Kurs des WASG-Bundesvorstands in Erscheinung getreten sind. Darunter ist auch der SAV-Bundessprecher und WASG-Aktivist Sascha Stanicic. Wir dokumentieren hier den Einladungstext, eine Kritik daran von den WASG-Bundesvorstandsmitgliedern Joachim Bischoff und Bj?rn Radtke und eine Replik auf diese Kritik von Heino Berg, einem der Einlader zur Versammlung vom 2.Juli.
Unter dem Titel „Zukunft einer Linken in der WASG“ findet am 2. Juli ein bundesweites Treffen in Kassel statt, zu dem sechs WASG-Mitglieder eingeladen haben, die in den vergangenen Wochen als linke KritikerInnen am Kurs des WASG-Bundesvorstands in Erscheinung getreten sind. Darunter ist auch der SAV-Bundessprecher und WASG-Aktivist Sascha Stanicic.
Wir dokumentieren hier den Einladungstext, eine Kritik daran von den WASG-Bundesvorstandsmitgliedern Joachim Bischoff und Bj?rn Radtke und eine Replik auf diese Kritik von Heino Berg, einem der Einlader zur Versammlung vom 2.Juli.
Einladung zu einem bundesweiten Treffen am 2. Juli – Zukunft einer Linken in der WASG
Berlin, Bremen, Hamburg, K?ln, den 23. Juni 2005
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,
die Gr?ndung der WASG (auch) als Folge der breiten Protestbewegungen der Jahre 2003 und 2004, die Krise der SPD und die Ank?ndigung von Neuwahlen bedeuten eine gro?e Chance f?r die Entwicklung einer starken linken Kraft, die gesellschaftliche Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus entwickeln kann. Die Umfragewerte von bis zu 25 Prozent f?r eine Partei links von SPD und Gr?nen zeugen von einer Aufbruchstimmung, die Teile der Gesellschaft erfasst haben. Es wird wieder breit dar?ber diskutiert, dass die vorherrschende Politik nicht alternativlos ist. Die WASG hat das Potenzial diese Chance zu nutzen, wir sehen aber mit gro?er Sorge die Gefahr, dass diese Gelegenheit nicht ergriffen wird. Denn:
– in den Verhandlungen mit der PDS haben sich Intransparenz und Demokratiemangel in unserer Partei fortgesetzt;
– die Position des Bundesvorstands zur „Gr?ndung eines neues linken Projekts“ bereitet die Selbstaufl?sung der WASG in der PDS vor; politische Inhalte scheinen in den Verhandlungen mit der PDS eine untergeordnete Rolle zu spielen: es sind keine inhaltlichen Vorschl?ge des Bundesvorstands f?r ein Wahlprogramm bekannt;
– die Verhandlungen mit der PDS haben dazu gef?hrt, dass die ?ffentliche Kritik unserer Vorstandsmitglieder an der PDS-Politik in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nahezu vollst?ndig verstummt ist; das kommt einer politischen Anpassung an die PDS in dieser Frage gleich;
– es gibt kein Konzept f?r den Aufbau der WASG durch die Wahlkampagne.
Wir nehmen aktiv an der WASG teil, weil wir in ihr die Chance erblicken, endlich eine starke Partei zu schaffen, die die Interessen der abh?ngig Besch?ftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen nicht nur in Worten, sondern auch in Taten vertritt.
Einige von uns haben die PDS aufgrund ihrer antisozialen Politik in den beiden Landesregierungen verlassen und haben sich der WASG angeschlossen, um eine wirkliche Alternative aufzubauen.
Viele von uns haben in den letzten Monaten auf vielf?ltige Art und Weise konstruktive Vorschl?ge f?r eine Kurskorrektur gemacht und Kritik an der Vorgehensweise und der Politik des gesch?ftsf?hrenden Bundesvorstands ge?bt. Viele sind f?r eine eigenst?ndige Kandidatur der WASG zu den Bundestagswahlen eingetreten, andere haben den Gedanken einer Wahlpartei unterst?tzt oder halten selbst die Kandidatur auf einer offenen Liste der PDS f?r den einzig m?glichen Wahlantritt. Uns eint jedoch die Forderung nach einer eigenst?ndigen WASG-Wahlkampagne mit eigenem Material und nach der Aufrechterhaltung der Eigenst?ndigkeit der WASG als neuem Parteiprojekt in der Bundesrepublik. Uns eint auch der Wille, die Forderungen der WASG im Wahlkampf zu propagieren – auch wenn diese im Widerspruch zur PDS-Politik stehen. Dabei sehen wir die PDS nicht als Hauptgegner, auch k?nnen wir uns eine Kooperation mit der PDS oder Teilen dieser Partei vorstellen, wenn sie bereit sind, gegen Sozialk?rzungen und neoliberale Ma?nahmen zu k?mpfen. Eine Kritik an der PDS, die ihr den Sozialismus im Namen vorwirft, lehnen wir entschieden ab.
Wir treten u.a. ein f?r:
– Keine Verl?ngerung der Arbeitszeit bundesweit – aber auch nicht im ?ffentlichen Dienst in Berlin;
– Erhalt der Fl?chentarifvertr?ge bundesweit – aber auch R?ckkehr des Berliner Senats in den Kommunalen Arbeitgeberverband;
– Kampf gegen Hartz I bis IV – aber auch Widerstand gegen die Umsetzung der „Agenda 2010“-Politik auf Landesebene;
– Keine Privatisierungen von ?ffentlichen Dienstleistungen im Bund und in den L?ndern und Kommunen – auch nicht in Berlin;
– Kampf um jeden Arbeitsplatz – auch im ?ffentlichen Dienst von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
Unsere Unzufriedenheit ist gro?. Unser Wille, die WASG zu ?ndern, ist gr??er. Wir wollen in Zukunft unser Recht wahrnehmen, unsere Vorschl?ge abzusprechen und zu koordinieren. ?ber die M?glichkeiten daf?r wollen wir uns bei einem ersten bundesweiten Treffen beraten. Dort wollen wir neben den aktuellen Fragen zur Bundestagswahl auch zur Diskussion stellen:
– Wie k?nnen wir einen Beitrag zu demokratischeren und transparenteren Strukturen in der WASG leisten?
– Wie k?nnen wir sicher stellen, dass die WASG prinzipiell und auf allen Ebenen Sozialk?rzungen, Arbeitsplatzvernichtung, Lohnk?rzungen und Privatisierungen ablehnt?
– Wie k?nnen wir innerhalb der Partei die Argumente gegen einen Zusammenschluss mit der PDS verbreiten?
– Wie k?nnen wir die Verbindungen zu au?erparlamentarischen K?mpfen und Bewegungen, insbesondere betrieblichen und gewerkschaftlichen K?mpfen, verst?rken?
– Wie k?nnen wir in der WASG eine Diskussion ?ber gesellschaftliche Alternativen zum kapitalistischen System anregen und erreichen, dass das noch zu beschlie?ende Grundsatzprogramm keinen pro-marktwirtschaftlich/keynesianischen Charakter hat? In dieser Frage bestehen bei den Unterzeichnern dieses Aufrufs durchaus Differenzen.
Als eine vorl?ufige Tagesordnung schlagen wir vor:
1. Die WASG vor den Bundestagswahlen (allgemeine politische Diskussion zur aktuellen Lage)
2. Der Parteitag (Absprache ?ber m?gliche gemeinsame Initiativen und Vorschl?ge f?r den Parteitag)
3. Die Zukunft einer Linken in der WASG / wie kann praktische Zusammenarbeit aussehen
Das Treffen findet statt am 2. Juli ab 15 Uhr im Saal des Kasseler DGB-Hauses, Spohrstra?e 6-8.
Solidarische Gr??e
Angela Bankert (Mitglied des Pr?sidiums des NRW-Landesrats)
Heino Berg (Delegierter Bundesparteitag Bremen)
Hakan Doganay (Landesvorstand WASG Berlin)
Stefan M?ller (Mitglied des L?nderrats, Berlin)
Egbert Scheunemann (Mitglied der Bundesprogrammkommission)
Sascha Stanicic (Ersatzdelegierter Bundesparteitag, Berlin)
Kontakt: Heino Berg, 0421-592000, heinoberg@o2online.de / Stefan M?ller, 0172-3216083, / Sascha Stanicic, 0178-6341257, sst@sav-online.de
Zur Kritik an der Politik des Bundesvorstandes
Joachim Bischoff
Bj?rn Radke
In den politischen Auseinandersetzungen um ein Linksb?ndnis zu den Bundestagswahlen und der Entwicklung einer Perspektive f?r eine neue politische Formation der Linken gibt es massive Kritik innerhalb der eigenen Partei am Bundesvorstand der Wahlalternative. In best?ndig abgewandelten Versionen geht es zun?chst um die Vorhaltung: „Erst mit dem politischen Gegner verhandeln und dann mit den Mitgliedern reden. Diese Methoden haben unsere junge Partei in eine Zerrei?probe gef?hrt, die ihre Existenz gef?hrdet und in jedem Fall nachhaltig ihre ?ffentliche Glaubw?rdigkeit gef?hrdet.“
– Der Bundesvorstand hat dazu mehrfach erkl?rt: es gab auf dem Bundesparteitag einen Beschluss, sich zu den Bundestagswahlen um ein entsprechendes politisches B?ndnis zu bem?hen. Der Bundesvorstand ist diesem Parteitagsbeschluss nachgekommen. Diese Politik wurde best?rkt, durch viele Aufforderungen aus allen gesellschaftlichen Bereichen ein solche B?ndnis anzustreben.
– Der Bundesvorstand hat in diesen Gespr?chen das Ziel verfolgt, dem Bundesparteitag ein belastbaren Vorschlag unterbreiten zuk?nnen; nach der Debatte und Entscheidung auf dem Bundesparteitag soll dieses Resultat den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt werden.
– Die unhaltbaren Vorw?rfe, die satzungsgem??en Organe w?rden ausgehebelt, sind mittlerweile kassiert worden. Der Bundesvorstand besteht zu dem darauf, dass das Verfahren – Gespr?che, Debatte und Entscheidung auf dem Parteitag, Mitgliederabstimmung – durchweg demokratischer Willensbildung entspricht.
Zum Kasseler Kritik-Treffen
Die Kritiker der Politik des Bundesvorstandes haben f?r Samstag, dem 2. Juli zu einer Beratung nach Kassel eingeladen. Leider wird hier mehr mit Unterstellungen gearbeitet; die Konfrontation und das Abw?gen von Argumenten und Begr?ndungen ist der Ausnahmefall. Wir halten diese Unterstellungen nicht f?r einen Beitrag in Richtung auf eine neue politische Kultur:
„- Der BuVo hatte kein Mandat des Dortmunder Bundesparteitags, ?ber einen Verzicht auf die von diesem Parteitag beschlossene Kandidatur der WASG zugunsten eines gleichberechtigten Wahlb?ndnisses zu verhandeln…. Der Bundesvorstand hatte erst Recht kein Mandat dazu, Mitgliedern oder gar Vertretern der WASG die Kandidatur auf der Liste einer konkurrierenden Partei zu gestatten. Wenn die Formulierung „eine Kandidatur auf offenen PDS-Listen wird definitiv ausgeschlossen“ nicht nur eine Floskel war, mit denen die Mitglieder beruhigt und hingehalten werden sollten, dann h?tte der BuVo die Verhandlungen bereits abbrechen und eine eigenst?ndige Wahlkampagne vorbereiten m?ssen, als ein gleichberechtigtes Wahlb?ndnis offiziell gescheitert war. Die Fortsetzung der Verhandlungen war deshalb ein klarer Wortbruch des Bundesvorstands. Der BuVo selbst – und nicht die Mitglieder – hatten verk?ndet, nur ?ber ein gleichberechtigtes B?ndnis und keineswegs ?ber ein bedingungsloses Angebot mit der PDS verhandeln zu wollen.
– Der zus?tzliche Wortbruch beim Listennamen war dann schon nichts Neues mehr, stellt die Verl?sslichkeit k?nftiger Versprechungen aber deshalb umso gr?ndlicher in Frage. Jeder akzeptiert, dass man in Verhandlungen nicht alle Forderungen und W?nsche durchsetzen kann.“
Die weiteren Behauptungen sind:
– „in den Verhandlungen mit der PDS haben sich Intransparenz und Demokratiemangel in unserer Partei fortgesetzt;
– die Position des Bundesvorstands zur „Gr?ndung eines neues linken Projekts“ bereitet die Selbstaufl?sung der WASG in der PDS vor;
– politische Inhalte scheinen in den Verhandlungen mit der PDS eine untergeordnete Rolle zu spielen: es sind keine inhaltlichen Vorschl?ge des Bundesvorstands f?r ein Wahlprogramm bekannt;
– die Verhandlungen mit der PDS haben dazu gef?hrt, dass die ?ffentliche Kritik unserer Vorstandsmitglieder an der PDS-Politik in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nahezu vollst?ndig verstummt ist; das kommt einer politischen Anpassung an die PDS in dieser Frage gleich;
– es gibt kein Konzept f?r den Aufbau der WASG durch die Wahlkampagne.“
Wir gehen nicht erneut auf die Unterstellungen und Verd?chtigungen ein, sondern unterstreichen unsere Argumente. Auch bei grunds?tzlich unterschiedlichen Auffassungen und Strategien sollte es m?glich sein, eine scharfe, leidenschaftliche Debatte ohne Herabw?rdigung der Kontrahenten zu f?hren:
– Es gibt weder einen Demokratiemangel, noch wird in die Rechte des Parteitages oder der Mitgliedschaft eingegriffen.
Der Bundesvorstand bereitet keineswegs die Selbstaufl?sung der Wahlalternative vor. Die Kritiker bef?rchten, dass angesichts der ungleichen Kr?fteverh?ltnisse die von der Wahlalternative entwickelte Aufbruchstimmung verloren gehe. Die Vorbehalte speisen sich nicht zuletzt aus der Einsch?tzung, dass bei der Unterst?tzung der gemeinsamen Liste der PDS oder Linkspartei ?ber den zentralen Gesichtpunkt der Opposition gegen den Neoliberalismus die politisch-kulturellen Eigenheiten und die programmatischen Differenzen verloren gehen k?nnten.
– Mit vielen Aktiven in und au?erhalb der WASG sind wir der Auffassung, dass es eben nicht um Unterordnung oder Preisgabe unserer ?berlegungen und Konzeptionen geht, sondern dass diese in einem gr??eren Zusammenhang mit anderen aktiv vertreten und weiterentwickelt werden sollen.
Wir stehen in der Verantwortung: wir d?rfen den Erfolg der politischen ?ffnung und Erneuerung nicht gef?hrden – uns hilft weder strikte Abkapslung noch grunds?tzliche Infragestellung unserer Parteistrukturen weiter.
– Entscheidend sind letztlich nicht die auch berechtigten parteilichen Interessen, sondern die au?erparlamentarischen Kr?fte, wie die Gewerkschaften, Globalisierungskritiker, Gruppen der sozialen Bewegungen und die Teile der Bev?lkerung, die weder rot/gr?n noch gelb/schwarz w?hlen wollen. Alle diese Kr?fte sind heute in der Defensive vor den Angriffen der Arbeitgeberverb?nde und der politischen Elite. Wir pl?dieren f?r diesen Weg, weil der Wahlalternative im Wahlkampf und den nachfolgenden sozialen Auseinandersetzungen eine gro?e eigenst?ndige Rolle zuf?llt. Ein Erfolg bei den Bundestagswahlen wird deutlich machen, dass mehrere Millionen Menschen der neoliberalen Einheitspolitik nicht mehr folgen wollen und bereit sind eine politische Alternative zu unterst?tzen.
– Ein Erfolg der Linkspartei wird eine neue Dynamik freisetzen. Die Opposition wird als gesellschaftliche Kraft und Alternative wahrnehmbar. Die sich schon jetzt abzeichnenden sozialen Konflikte – massive Einschnitte in das soziale Sicherungssystem, Abschaffung der gesetzlichen solidarischen Krankenversicherung, massive Besch?digung der Arbeitnehmerrechte – k?nnen wir erfolgreicher durchstehen, wenn im Gefolge eines politischen Erfolges der “Linkspartei“ auch die Gr?ndung einer neuen politischen Formation der Linken zustande kommt.
Die Kritiker nehmen nach ihrem Selbstverst?ndnis „aktiv an der WASG teil, weil wir in ihr die Chance erblicken, endlich eine starke Partei zu schaffen, die die Interessen der abh?ngig Besch?ftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen nicht nur in Worten, sondern auch in Taten vertritt. Einige von uns haben die PDS aufgrund ihrer antisozialen Politik in den beiden Landesregierungen verlassen und haben sich der WASG angeschlossen, um eine wirkliche Alternative aufzubauen.“
Wir halten dagegen: Eine Unterst?tzung der Linkspartei ist politisch zu vertreten, weil es unsere zentrale Zielsetzung ist eine parlamentarische Vertretung der oppositionellen Positionen und Alternativen in einem neuen Bundestag zu erreichen. Die neue Linkspartei ist bereits bei einem Teil der W?hlerInnen angekommen. In der mittelfristigen Perspektive treten wir daf?r ein, eine starke politische Kraft mit einer neuen politischen Kultur zu schaffen, in der sowohl die beiden Parteien aufgehoben sein k?nnen, die aber auch offen f?r andere Kr?fte und Str?mungen ist.
28. Juni 2005
Eine Entgegnung auf Joachim Bischoff und Bj?rn Radke
Die Kollegen Bischoff und Radtke haben mit ihrem Text „Zur Kritik an der Politik des Bundesvorstands“ ihrerseits eine Kritik an dem f?r den 2. Juli in Kassel stattfindenden Treffen „Zukunft einer Linken in der WASG“ formuliert.
Es ?berrascht, dass sie dabei vor allem mit Textbausteinen aus schon vorhandenen Papieren arbeiten und kaum neue Argumente vortragen. Das l?sst zumindest bei mir den Verdacht aufkommen, dass dieser Text weniger einer inhaltlichen Debatte als dem Versuch dient, WASG-Mitglieder von der Teilnahme an der Versammlung vom 2. Juli abzuhalten.
Dabei wenden Joachim Bischoff und Bj?rn Radtke eine Methode an, die zur?ckgewiesen werden muss. Sie vermengen Zitate aus Diskussionsbeitr?gen von
Einzelpersonen (in diesem Fall aus einem Text von mir) mit Zitaten aus dem Einladungsschreiben f?r den 2. Juli. Das ist eine unsaubere Form der Kritik, vor allem, wenn dabei Quellen und Autoren nicht genannt werden. Der Einladerkreis f?r den 2. Juli umfasst Kolleginnen und Kollegen, die in verschiedenen Fragen unterschiedliche Auffassungen vertreten haben. Man kann sie daher nicht in eine Kollektivverantwortung f?r ?u?erungen von Einzelnen nehmen.
Vor allem f?llt aber auf, dass die inhaltlichen Kritikpunkte, die in dem Einladungsschreiben vertreten werden nicht aufgegriffen und beantwortet werden.
1. Die innerparteiliche Demokratie in den B?ndnisverhandlungen
Niemand kann bestreiten, dass die Entscheidung ?ber die Form des Wahlantritts der WASG in einer formal demokratischen Art und Weise durch die demokratisch gew?hlten Gremien der Partei und durch eine Urabstimmung gef?llt wird. Aber Entscheidungsprozesse und ihr Demokratiegehalt sind keine formale Sache, sondern ein lebendiger Prozess.
Im Gegensatz zur Behauptung von Bischoff und Radke gab es eben keinen Beschluss des Bundesparteitags zu B?ndnisbestrebungen im Hinblick auf die Bundestagswahlen. Die entsprechenden Antr?ge wurden nicht abgestimmt, sondern an den Bundesvorstand zur Ausarbeitung einer Vorlage f?r den n?chsten Parteitag verwiesen. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin des Bundesparteitags wei?, dass die Frage eines B?ndnisses mit der PDS gar nicht ausf?hrlich diskutiert wurde. Dementsprechend halte ich die Aussage f?r legitim, dass der Parteitag dem Bundesvorstand kein Mandat f?r ausschlie?liche Verhandlungen mit der PDS-Spitze erteilt hat.
Es ist eine Tatsache, dass der gesch?ftsf?hrende Bundesvorstand der WASG der Mitgliedschaft gegen?ber erkl?rt hat, dass eine „Kandidatur auf offenen Listen ausgeschlossen“ sei. Genau dies geschieht jetzt aber, wenn auch auf offenen Listen einer umbenannten PDS. Man kann es WASG-Mitgliedern kaum ?bel nehmen, dass sie sich in dieser Frage get?uscht und durch das Versprechen, es werde nur ?ber ein gleichberechtigtes B?ndnis verhandelt, hingehalten f?hlen.
Vor allem aber wurden politische, nicht formale, Fakten geschaffen. Es wurde geheim verhandelt und ihre Ergebnisse dann ?ffentlich-medial kommuniziert. Nicht selten erfuhren die WASG-Mitglieder den aktuellen Verhandlungsstand aus den Massenmedien oder durch Presseerkl?rungen der PDS. In Zeiten von Email und Internet ist diese Informationspolitik nicht zu begr?nden. Wenn sich jemand ?ber Spam-Mails beschwert, schafft es der WASG-Datenschutzbeauftragte ja auch innerhalb k?rzester Zeit eine Mail an die gesamte Mitgliedschaft zu richten.
Die ?ffentliche Erkl?rung einer Einigung zwischen WASG- und PDS-F?hrung und die Erkl?rung Oskar Lafontaines f?r eine solche Verbindung zu kandidieren, haben dann Fakten geschaffen, hinter die die WASG-Mitglieder nun kaum zur?ckfallen k?nnen, wenn sie denn verantwortlich agieren und die Chance einer ernsthaften Kandidatur bei den Bundestagswahlen nicht zunichte machen wollen. Dies gilt vor allem, weil der Bundesvorstand keine sichtbaren Vorbereitungen f?r eine eigenst?ndige Kandidatur im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen mit der PDS ergriffen hat. So wurde der Mitgliedschaft der Eindruck vermittelt, dass eine eigenst?ndige Kandidatur keine ernsthafte Option sei.In diesem Sinne gibt es deutliche Demokratiem?ngel im Entscheidungsprozess. Der gesch?ftsf?hrende Bundesvorstand hat seinen Informationsvorsprung und seine F?hrungsrolle nicht dazu genutzt, die Mitgliedschaft in die Lage zu versetzen, zwischen real existierenden Alternativen auszuw?hlen, sondern hat er politische Fakten geschaffen, die ihn selbst und vor allem die Mitglieder unn?tig unter Druck gesetzt und durch die PDS-F?hrung erpressbar haben.
Das ist der Grund, weshalb zum Beispiel die Berliner Landesmitgliederversammlung erkl?rt hat, dass sie die Kandidatur auf offenen Listen der PDS „akzeptiert“, weil es dazu keine „realistische Alternative“ mehr gibt. Das ist alles andere als ein Beschluss, der politische ?berzeugung zum Ausdruck bringt.
2. Die Verkn?pfung von Wahlb?ndnis mit der Bildung einer neuen „Linkspartei“
Der Bundesvorstand verkn?pft nun die Frage des Wahlantritts bei den vorgezogenen Bundestagswahlen in diesem Jahr mit dem Ziel der Bildung einer neuen Partei aus PDS, WASG und anderen Kr?ften. Offensichtlich soll auch ?ber diese Frage beim Bundesparteitag und der Urabstimmung entschieden werden, ohne da? die Mitglieder die entsprechenden Fragen getrennt voneinander beantworten k?nnen. Die Entgegnung, es gehe ja nur um die Fortsetzung von Gespr?chen, ist wenig stichhaltig, wenn die Beschlussvorlage die Bildung einer parit?tisch besetzten Kommission zur Erarbeitung von Programm, Statut etc. einer neu zu gr?ndenden Partei vorsieht.
Es gibt keinen Grund, ohne eine ausf?hrliche Debatte in den Kreis- und Landesverb?nden der WASG weitere konkrete Schritte zu einer Parteineugr?ndung zu ergreifen. Unter den gegebenen Voraussetzungen – die PDS hat 60.000 Mitglieder und einen millionenschweren Apparat, die WASG hat 7.000 Mitglieder – k?nnte eine Parteineugr?ndung nur unter der Vorherrschaft der PDS durchgef?hrt werden. Leider kann aus den Vorschl?gen des Bundesvorstands auch nicht erkannt werden, welche anderen „Kr?fte und Str?mungen“ f?r eine neue Partei gewonnen werden sollen und in den Gr?ndungsprozess einbezogen werden sollen, wenn die zu bildende Kommission nur aus WASG- und PDS-VertreterInnen bestehen soll.
Bischoff und Radke schreiben:
„Mit vielen Aktiven in und au?erhalb der WASG sind wir der Auffassung, dass es eben nicht um Unterordnung oder Preisgabe unserer ?berlegungen und Konzeptionen geht, sondern dass diese in einem gr??eren Zusammenhang mit anderen aktiv vertreten und weiterentwickelt werden sollen“.
Es mag durchaus sein, da? Bischoff und Radke ihre „?berlegungen und Konzepte“ im „gr??eren Zusammenhang“ einer gemeinsamen Partei nicht „preisgeben“ wollen. Die Frage ist nur, ob das auch f?r die Ziele und Konzepte der Wahlalternative gilt. Tatsache ist ja, das bereits jetzt, also noch vor dem Zusammenschlu? mit einer 8 mal so starken bzw. „reichen“ Partei, von unserer urspr?nglichen Kritik an der Mitarbeit der PDS-Vertreter in neoliberalen Landesregierungen in Wahlmanifest und Leitantrag nichts mehr zu h?ren ist. Das gilt auch f?r unsere Position, da? wir jede Beteiligung an Regierungskoalitionen mit der SPD ablehnen. Im Wahlmanifest hei?t es jetzt: „An einer Regierung im Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen f?hrt.“
Damit ist das Nein zur neoliberalen Politik und die R?cknahme der Sozialk?rzungen nicht mehr die VORAUSSETZUNG, sondern ZIEL einer Koalition mit der SPD. Entsprechende Absichtserkl?rungen und Schritte „in Richtung“ unserer Forderungen w?rden gen?gen, um unser Ziel, innerhalb und au?erhalb der Parlamente eine starke Opposition zur herrschenden Politik zu bilden, f?r die Teilhabe an der Regierungsmacht einzutauschen. Wohin diese Politik der Mitarbeit an neoliberalen Regierungen, um noch schlimmere ?bel zu verhindern, nur f?hren kann, hat die Bev?lkerung Berlins und Mecklenburgs bereits am eigenen Leibe erfahren und mit massivem Stimmenentzug f?r PDS und SPD bestraft.
Selbst wenn der Bundesparteitag dieses Zur?ckweichen vor einer taktisch nach links gewendeten SPD-F?hrung ohne Schr?der, die sich ja bereits jetzt verbal „in Richtung auf unsere Forderungen“ bewegt hat, ablehnen und das Wahlmanifest entsprechend ?ndern sollte – woher nehmen Bischoff und Radke die Gewissheit, da? sich auch die PDS von ihrer offenen Unterst?tzung f?r neoliberale Politik verabschieden wird? In den B?ndnisverhandlungen haben Gysi und Ramelow das – bisher jedenfalls – strikt abgelehnt.
Wenn sich die WASG jetzt genauso bedingungslos und unvorbereitet auf die Vereinigung mit der PDS festlegt, wie sie sich vor einigen Wochen f?r ein Wahlb?ndnis mit ihr ausgesprochen hat, dann sind die Vereinigungsverhandlungen eine Einbahnstra?e, die uns abh?ngig und zur politischen Geisel der PDS machen w?rde. Dies w?rde vor allem dann gelten, wenn der BuVo – wie im Leitantrag angek?ndigt – die Urabstimmungsfrage zum Wahlb?ndnis mit der Zustimmung zum Vereinigungsproze? koppeln und sie so f?r einen Blankoauftrag zur Integration der WASG in die PDS missbrauchen w?rde. Der Bundesvorstand m?sste sich dann auf alles einlassen, was der PDS-Apparat von uns verlangt, schon weil er ja den angeblichen Urabstimmungsauftrag der Mitglieder auszuf?hren h?tte.
Viele WASG-Mitglieder vermissen im augenblicklichen Medienrummel beim Bundesvorstand ein Minimum an Prinzipientreue und Glaubw?rdigkeit. Seine Vertreter, zu denen auch Radke und Bischoff geh?ren, handeln nicht mehr ziel- und selbstbewu?t, sondern reagieren auf die Vorgaben anderer. Dazu geh?rt auch die Tatsache, da? der BuVo auf eine ?ffentlich wahrnehmbare Kritik an der Position Lafontaines zur Besch?ftigung von ausl?ndischen Billiagarbeitskr?ften verzichtet hat. Dabei geht es ja nicht nur um den Begriff „Fremdarbeiter“, sondern um einen politischen Inhalt, von dem sich Lafontaine bisher nicht distanziert hat: Lafontaine hat nicht die Unternehmer, die ausl?ndische Arbeitskr?fte hier zum Niedriglohn der Herkunftsl?nder besch?ftigen, sondern diese Arbeitnehmer selbst f?r die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich macht und dementsprechend die EU-Osterweiterung in Frage gestellt. Die WASG hat aber mit Franzosen und Niederl?ndern die neoliberale EU-Verfassung abgelehnt, anstatt zusammen mit den Rechten die Beteiligung Osteuropas oder der T?rkei in den Mittelpunkt zu r?cken.
Das Abr?cken BuVo-Mehrheit von vielen Zielen, denen sich die Wahlalternative noch vor wenigen Monaten verpflichtet f?hlte, provoziert bei den Mitgliedern berechtigte Sorge und zum Teil offenen Widerstand. Sie haben sich schlie?lich f?r eine neue „Linkspartei“entschieden, und nicht f?r eine PDS, die sich nun mit unserem bisherigen Etikett schm?cken darf, ohne an ihrer Politik irgendwas ge?ndert zu haben.
Ich habe mit vielen anderen in der WASG die Verhandlungen ?ber eine Kandidatur auf PDS-Listen bek?mpft und stehe zu jedem Wort dieser Kritik. Dennoch mu? ich zur Kenntnis nehmen, da? die Politik meines eigenen, demokratisch gew?hlten Bundesvorstands Fakten geschaffen hat, die eine eigenst?ndige Kandidatur der WASG nicht mehr m?glich erscheinen l?sst. Die Konsequenz daraus kann gerade angesichts der fortschreitenden Krise der SPD und angesichts der wachsenden Ablehnung der Agendapolitik in der Bev?lkerung nat?rlich nicht der Verzicht auf jede Kandidatur sein. Wenn die W?rfel gefallen sind, mu? man nach vorne schauen. Ich sehe auch bei einer Kandidatur auf PDS-Listen gro?e M?glichkeiten, in den kommenden Bundestagswahlen ein millionenfaches Nein der W?hler zur neoliberalen Politik zu erreichen und damit dem sozialen Kahlschlag zumindest in den Arm zu fallen.
Die Voraussetzung daf?r ist jedoch, da? die Wahlalternative f?r die offene PDS-Liste einen eigenst?ndigen Wahlkampf f?hrt, der unter unserem Namen und f?r unsere eigenen, souver?n beschlossenen Ziele politische Kampagnen und Aktionen f?r die Einheit aller Linken organisiert. Das schlie?t auch das Recht ein, am B?ndnispartner dort zu Kritik zu ?ben, wo er vor dem gemeinsamen Gegner zur?ckweicht oder sich direkt an der Umsetzung von neoliberaler Politik beteiligt. Auch in einem B?ndniswahlkampf mu? es m?glich und „gestattet“ sein, das eigene politische Profil zu wahren, den Aufbau der eigenen Partei zu st?rken und dadurch diejenigen W?hlerschichten zu erreichen, die sich vom Stallgeruch der SED-Nachfolgepartei abgeschreckt f?hlen und dadurch bisher in die Wahlenthaltung getrieben wurden.
Um dar?ber zu diskutieren und gemeinsame Initiativen der Linken vorzubereiten, haben wir gemeinsam zu dem Treffen in Kassel am Vorabend des Bundesparteitags aufgerufen.
Die Einladung dazu haben wir auch dem Bundesvorstand zugestellt. Es ist kein Geheimtreffen, sondern eine offene Diskussion, ?ber deren Ergebnisse wir die Mitglieder informieren werden. Es steht jedem Mitglied der WASG – und nat?rlich auch Joachim Bischoff und Bj?rn Radke – frei, sich dort direkt mit ihren Kritikern auseinander zu setzen.
Heino Berg, 29. Juni 2005