Ärmste sollen zahlen

1 € pro Woche den Ärmsten wegnehmen stärkt das „Selbstwertgefühl der Betroffenen“, laut Rostocks „Sozial“Senator Nitzsche (PDS)
 
Im Dezember vergangenen Jahres wurde der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der BRD-Regierung erstellt und im März diesen Jahres auch veröffentlicht. Demnach gibt es in der BRD 11 Millionen Menschen die arm sind. Arm ist, wer mit weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens auskommen muß. In der BRD liegt diese Grenze bei 938 €. Der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung ist seit dem letzten Armutsbericht (1998) von 12,1 % auf 13,5 % gestiegen. Dies, daß darf man dabei nicht vergessen, unter einer SPD-geführten Regierung.

Viele Menschen in der BRD (nach wie vor einem der reichsten Länder der Erde) haben aber weit weniger als diese 938 € zur Verfügung. Durch die Einführung der Zwangsarmut per Gesetz zum 1. Januar für einige Millionen Menschen (bekannt als Hartz IV) wird nur noch 331 € (Ost) bzw. 345 € (West) plus einem Teil der „Unterbringungskosten“ zur Grundsicherung zugestanden. Vielen wurde komplett die Leistung versagt, durch die restriktive Anrechnung von Partnereinkommen und anderen Schikanen, die einer Zwangsenteignung gleichkommen.

Aufgrund dessen steigt die Zahl der Bedürftigen, die nicht genug Geld selbst für Lebensmittel mehr haben (auch AlgIIer müssen ja zB für Praxisgebühr, Medikamente, Bewerbungen und vieles andere ihr Geld aufwenden) und die auf Hilfe angewiesen sind, um zu überleben. In vielen Städten gibt es entsprechende Vereine, die versuchen diesen Menschen zu helfen. In Rostock gibt es den Verein „Rostocker Tafel“, der sich seit Jahren in diesem Bereich engagiert und dafür auch den Sozialpreis 2000 erhielt.

Die „Rostocker Tafel“ gibt Lebensmittel an Bedürftige aus. Diese Lebensmittel werden von Discountern und anderen Sponsoren gespendet. Bislang erfolgte die Ausgabe der Lebensmittel kostenlos an die ärmsten Rostocker. Seit Januar ist die Zahl der Bedürftigen so dramatisch angestiegen (in vielen Stadtteilen hat sich die Bedürftigenzahl verdoppelt), daß natürlich auch mehr Aufwand betrieben werden muß, um diese Menschen noch versorgen zu können. Daher fallen auch ein paar Kosten an (zB um die Transporte für die gespendeten Lebensmittel zu organisieren oder für Zwischenlagerungen.). Da der Tafel-Verein finanziell das nicht auf die Reihe bekommt, plant der Verein künftig von den Betroffenen einen Obolus zu verlangen. Je Tafel-Besuch sollen die Ärmsten so künftig 1 € berappen.

1 € hört sich nicht viel an, aber für Menschen die eh schon nix haben, ist 1 € eine Menge Geld. Geld das an anderer Stelle wieder eingespart werden muß und dort fehlt. (ZB könnte es dadurch dazu kommen, daß vielleicht der nächste notwendige Arztbesuch ausfällt, da man nix mehr für Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlung berappen kann.) Für die meisten Betroffenen würde dieser 1 € wieder einen drastischen Einschnitt bedeuten und damit ein weiteres Absinken des Lebensniveaus.

Damit dies nicht geschehen muß, brachte die Abgeordnete der SAV, Christine Lehnert, in der Rostocker Bürgerschaft einen Antrag ein, damit die Stadt Rostock aus ihrem Haushalt Geld locker macht und der „Rostocker Tafel“ unter die Arme greift. Aber nein, dafür sei kein Geld da. (Was so nicht stimmt, wenn man sich den Haushalt ansieht, denn für so manches Prestige-Objekt ist auch Geld da und für eine Erhöhung der Fraktionsgelder im letzten Jahr, die natürlich auch zu Folgekosten 2005 führen, war auch beispielsweise Geld da usw usw.) Der Antrag wurde also abgelehnt. In einer schriftlichen Stellungnahme zum Antrag schrieb der Rostocker „Sozial“Senator Nitzsche (PDS), daß dieser Obolus „zur Stärkung des Selbstwertgefühls der Betroffenen“ beitrage. Bei diesem Zynismus kann man nur noch mit dem Kopf schütteln und man sieht daran, wie weit selbst Kommunalpolitiker schon den Bezug zur Realität verloren haben, abgehoben sind und überhaupt offenbar nicht mehr wissen für wen sie eigentlich da sind und welche Probleme die Leute haben.

Bei Besuchen an den Ausgabestellen der „Rostocker Tafel“ in den Stadtteilen sprachen wir mit den Betroffenen vor Ort. Dabei schilderte wir ihnen diese Vorhaben und keiner sah darin eine Stärkung seines Selbstwertgefühls wenn ihm wieder in die eh schon löchrige Tasche gegriffen werden soll. Die Leute die zur Tafel kommen sind schon ganz unten und haben oft absolut nix mehr. Und nun sollen sie wieder abgezockt und bestraft werden?

Dies zeigt wie „sozial“ diese Gesellschaft ist. Es zeigt, daß denen da oben die da unten völlig egal sind. Die Schere zwischen Arm und Reich in der BRD wird immer größer. Die 80 reichsten Personen der BRD besitzen 328 Milliarden Euro Vermögen, das obere Zehntel besitzt 46,8 % der Gesamtvermögen in der BRD (entspricht pro Haushalt ca 600.000 €). Dagegen besitzen 50 % der Bevölkerung zusammen nur 4 % am Gesamtvermögen, also defacto nix. 6,2 % der Haushalte verfügen in der BRD über die Produktionsmittel und bestimmen so was produziert wird und wer produzieren darf (also wer in „Lohn und Brot“ ist und wer an der „Tafel“-Ausgabe landet letztlich).

An der Armut sind nicht die Betroffenen schuld, sondern das Gesellschaftssystem in dem wir leben. Den Ärmsten der Armen noch wieder in die Tasche zu greifen trägt mit Sicherheit nicht zur Stärkung des Selbstwertgefühls der Betroffenen bei. Und auch die Begründung, daß halt bedauerlicherweise kein Geld da sei, ist schlicht unwahr. Zum 1. Januar wurde der Spitzensteuersatz erneut gesenkt. Die eh schon Megareichen erhalten so noch mehr Geld zugeschanzt. Einkommensmillionäre, also die Herren in den Chefetagen der Banken und Konzerne, erhalten so monatlich bis zu 8.800 € geschenkt, was jährlich ein zusätzliches Einfamilienhaus ergibt, während andere nicht die Wohnungskosten sich mehr leisten können.)

Damit den ärmsten Rostockern nicht weiter in die Tasche gegriffen wird, versuchen wir derzeit die Betroffenen zu mobilisieren und nicht die geplante Abzocke hinzunehmen sondern sich zu wehren. Dazu hat die SAV Rostock auch ein Flyer erstellt, den ihr hier findet.

1 € ist ein € zuviel! – Wir kämpfen dafür an der Seite der Betroffenen, damit die Ausgabe der Lebensmittel weiterhin kostenfrei erfoklgen kann.

(Alle Zahlenangaben entstammen dem isw-wirtschaftsreport 37 vom April 2005)

von Heike Hörig, Rostock