Vor harter Auseinandersetzung

In der Tarifrunde 2005 für die Druckindsutrie steht eine harte Auseinandersetzung bevor, weil die Arbeitgeber das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen.

Interview mit Ralf Fenske
 
Die Drucker gehörten in der Gewerkschaftsbewegung immer zur Speerspitze. Sie haben als erstes im 19. Jahrhundert einen Tarifvertrag erkämpft. 1952 war die IG Druck und Papier die einzige Gewerkschaft die einen politischen Streik gegen die Verabschiedung des eingeschränkten Betriebsverfassungsgesetzes organisierte. 2 Tage lang erschienen damals keine Zeitungen. Auch im Kampf für Arbeitszeitverkürzung standen die Drucker immer in der vordersten Front. 1891 streikten 10.000 Drucker 11 Wochen lang für den 9-Stunden-Tag. 1984 streikten 46.000 Drucker Seite an der Seite mit den Metallern 13 Wochen lang für die 35-Stunden-Woche.

Sozialismus.info sprach mit mit Ralf Fenske. Er ist Betriebsratsvorsitzender der Pressehaus Stuttgart Druck GmbH und Konzernbetriebsratsvorsitzender der Südwestdeutschen Medienholding GmbH. Der Konzern hat 4.000 Beschäftigte und druckt und vertreibt unter anderem die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und weitere Lokalzeitungen in Stuttgart und Umgebung. Innerhalb von ver.di ist der Kollege Fenske unter anderem stellvertretender Landesfachbereichsvorsitzender des Fachbereich 8 von Baden Württemberg.

Sozialismus.info: Was wollen die Arbeitgeber?
Ralf Fenske: Im Einklang mit dem derzeitigen Zeitgeist, der predigt, dass Verzicht und Einschränkung nötig ist, wollen sie die Gunst der Stunde nutzen und fordern eine „Reform“ des Manteltarifvertrages.
Inhaltlich stehen so ziemlich alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte auf dem Spiel. Rapide Absenkungen der Zuschläge für Samstag, Sonn- und Feiertag, Streichung der Antrittsgebühren für Sonn- und Feiertag, Streichung der Zulagen für „ungünstigen Arbeitsbeginn“ und „verkürzte Ruhezeit,“ die Rückkehr zur 40-Stundenwoche ohne Lohnausgleich, den Samstag als Regelarbeitstag (also ohne Zuschläge), Streichung der drei Freischichten pro Jahr für Schichtarbeiter, Streichung der zwei Altersfreischichten für Beschäftigte ab 58 Jahren, Öffnungsklauseln für Urlaubsgeld und Jahresleistung (soll abhängig von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sein und ausschließlich durch die Betriebsparteien geregelt werden), die Flexibilisierung der Arbeitszeit mit dem Ziel dass keine Überstundenzuschläge mehr zu bezahlen sind, weil gearbeitet werden muss, wann Arbeit da ist und eine weitere Absenkung der tariflichen Besetzungsregeln von Rotationsmaschinen. Alleine die Absenkung der Besetzungsregel würde in unserem Betrieb bedeuten, dass im Drucksaal rechnungstechnisch 20% der Belegschaft überflüssig wäre.
Bei Teilen dieser Forderungen bieten sie einen Vertrauensschutz für „Alt-„Beschäftigte an, aber alle Neueinstellungen sollen in den Genuss der Absenkungen kommen.

Was erwarten die Kollegen von der Tarifrunde 2005 und was sind die Tarifforderungen von ver.di?
Die Kollegen erwarten, dass der MTV für alle so in Kraft bleibt, wie er momentan besteht. Zu redaktionellen Änderungen ist man jedoch durchaus bereit. Es ist zwar in den meisten Köpfen, dass das Hauptproblem dieses Landes die immer weiter sinkende innländische Kaufkraft ist, aber die geforderte Lohnerhöhung von 3,7 % spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die Forderungen der Arbeitgeber zum MTV würden bei einem Zeitungsdrucker eine Minderung des Einkommens von ca. 20% pro Jahr betragen. Es ist klar, dass der Erhalt dieser Einkommen die erste Geige spielt.
Die Forderungen von ver.di sind meiner Meinung nach dagegen eher moderat. Ver.di fordert die eben angesprochene Lohnerhöhung von 3,7 %, Vereinbarungen über Beschäftigungssicherung, geregelte Bedingungen bei der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, einen gewissen Rechtsanspruch darauf und eine Beteiligung der Arbeitgeber an der betrieblichen Altersversorgung. Das ist eigentlich schon alles, wenn man davon absieht, dass wir den Tarifvertrag so erhalten wollen wie er ist.

In den letzten Jahren haben fast alle Gewerkschaften mit Öffnungsklauseln betriebliche Vereinbarungen zugelassen, mit denen der Flächentarifvertrag unterlaufen wurde. Sieht das in der Druckindustrie ähnlich aus? Was ist noch übrig von der 35-Stunden-Woche?
Na ja, ich habe es oben schon angesprochen. Zumindest in der Frage der Jahresleistung und des Urlaubsgeldes sind diese Forderungen auf dem Tisch.
Ich persönlich halte es in dieser Frage mit der Präsidentin des BAG, die kürzlich geäußert haben soll, dass Sie Öffnungsklauseln in Tarifverträgen für verfassungswidrig hält.
Gewerkschaften können sich ja gegen Forderungen der Arbeitgeber zum Beispiel mit Mitteln des Streiks wehren, aber welche Möglichkeiten hätte ein Betriebsrat, sich gegen Nötigung durch die Arbeitgeber zur Wehr zur setzen? Keine! Das sieht unser Gesetz nicht vor und so soll es auch bleiben.

Wie hat sich die Lage der Drucker in den letzten Jahren verändert in Bezug auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Flexibilisierung, Arbeitsintensivierung und Reallohnentwicklung?
Der Drucker der modernen Druckmaschine ist nicht mehr ausschließlich Drucker. Er muss heute Kenntnisse in Maschinensteuerung haben, PC-Kenntnisse und dergleichen mehr. Nicht umsonst fordern die Arbeitgeber hier und da, dass eine Maschine zukünftig nicht mehr nur mit Druckern besetzt werden soll, sondern mit Druckern, Mechanikern und Elektronikern. Die Arbeitsbedingungen haben sich insoweit verändert, als dass ein körperlicher Stress, der an den alten Maschinengenerationen noch gegeben war, in einen mehr geistigen Stress verwandelt hat. Es wird alles nur noch über Computer gesteuert.
Die Arbeitsintensivität ist erheblich gestiegen, wogegen die Reallohnentwicklung rückläufig ist. Ich höre immer wieder von meinen Kollegen, dass sie zwar eine minimale Bruttolohnerhöhung erhalten haben, aber Netto einfach jedes Jahr weniger im Geldbeutel haben.

Viele behaupten die Drucker wären wegen der technologischen Entwicklung nicht mehr kampffähig. Wie siehst Du das?
Mit gemischten Gefühlen. In der Tat ist die Technik soweit fortgeschritten, dass man kurzzeitig Produktionen mit wenigen Streikbrechern bewerkstelligen kann. Langfristig leidet darunter natürlich der Service der Maschine. Reinigen, Warten und sauberes Einstellen gerät ins Hintertreffen.
Damit sind kurze Warnstreiks in der Tat mehr oder weniger wirkungslos. Anders wird es bei Erzwingungsstreiks sein, die sich über mehrere Tage hinstrecken. Die Entscheidung über Erscheinen eines Produkts spielt sich somit heutzutage mehr im Bereich der Produktionssteuereung oder im Bereich der Weiterverarbeitung/Versand ab. Eine Zeitung kann gedruckt werden, aber sie ist uninteressant, wenn sie nicht zum Leser kommt, weil zum Beispiel der Versand streikt.

Gibt es im Druckbereich ähnlich wie in der Metallindustrie Erpressungen mit Produktionsverlagerung in Billiglohnländer?
Ja natürlich, warum sollten sich die Arbeitgeber in der Druckindustrie sozialer verhalten als die in der Metallindustrie. Man muss hier jedoch noch Unterscheidungen machen. Im Akzidenz- und Tiefdruck finden solche Erpressungen statt. Da wird mit Verlagerungen gedroht, z.B. nach Polen in sogenannte Sonderwirtschaftszonen. Da baut sich ein deutsches Unternehmen mit finanzieller Unterstützung der EU (Steuergelder) eine neue Druckerei und erpresst gleichzeitig eigene Mitarbeiter/-innen im alten Standort durch Verzicht billiger zu arbeiten. In einigen Fällen kommt es allerdings gar nicht zu Erpressungen, sondern man entlässt das heimische Personal gleich. Ein ganz aktuelles Beispiel liefert gerade der Heinrich Bauer Verlag, der angekündigt hat, in Köln 470 von 950 Mitarbeitern/-innen zu entlassen. Gleichzeitig baut er mit Steuergeldern und wahrscheinlich polnischen Steuerfreiheiten in Polen ein nagelneues Werk.
Für den Bereich der Zeitungsdruckereien kann man dies derzeit noch verneinen, da eine Zeitung nur interessant ist, wenn sie aktuell ist. Kein Mensch interessiert sich für eine alte Tageszeitung. Bedingt durch zu lange Anfahrtswege bleibt die Zeitungsdruckerei von solchen „Nötigungen“ verschont.

Gewerkschaftsfunktionäre wiederholen ständig, dass die Kaufkraft erhöht werden müsste. Die Tarifforderungen sind aber äußerst bescheiden und die Abschlüsse bedeuten fortgesetzten Reallohnverlust. Wie sehen das die Mitglieder?
Das ist eine Frage der Wertigkeiten. Ich habe es eingangs schon erwähnt.
Einerseits klagen sie ständig über Reallohnverlust, andererseits wären sie bei den massiven Forderungen der Arbeitgeber froh, wenn sie keine weiteren Einkommensverluste hinnehmen müssten.
Ich persönlich bin allerdings auch der Ansicht, dass die Forderungen, bzw. die Abschlüsse höher liegen müssten, damit die innländische Nachfrage erheblich gesteigert werden kann und wieder Arbeitsplätze durch Nachfrage entstehen, anstatt dass sie auf Grund von Gewinnmaximierung ständig abgebaut werden.

Für die Drucker ist die Tarifrunde 2005 die erste härtere Tarifauseinandersetzung unter dem Dach von ver.di. Siehst Du das als Vor- oder als Nachteil?
Puh, gute Frage, nächste Frage. Nein, mal im Ernst. Einerseits müsste man annehmen, dass die Drucker auf Grund ihrer ständigen Streikerfahrung für einen positiven Ausgang sorgen können. Dies unterstellt, wäre es durchaus ein Vorteil, und zwar ein Vorteil und gutes Signal für ver.di insgesamt.
Problematisch dabei scheint mir allerdings, dass die alten streikerfahrenen Mitglieder meistens bereits nicht mehr in den Unternehmen beschäftigt werden. Allein im letzten Jahr wurden die Beschäftigtenzahlen im Druckbereich um ca. 7.000 Mitarbeiter/-innen abgebaut. Natürlich hat man in einer Art „Jugendwahn“ erst mal alle älteren Beschäftigten abgebaut.

Anfang 2004 haben die RedakteurInnen der Tageszeitungen 4 Wochen lang gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen gestreikt. Gab es bei Euch damals eine Solidarisierung mit den Kolleginnen in den Schreibstuben? Und ist diese Streikerfahrung nicht auch eine gute Grundlage dafür, dass die Journalisten Euch unterstützen werden?
Ja, hoffe ich zumindest. Wir haben den Kollegen/-innen damals angeboten einen Solidaritätsstreik durchzuführen, ließen es aber sein, da die Redakteure/-innen bei uns der Meinung waren, sie müssten es aus eigener Kraft schaffen, sonst hätte alles keinen Wert.
Die Einschätzung der Redakteure/-innen gegen die Streiks der Drucker hat sich aber auf jeden Fall gewandelt. Auch wenn ein Streik nicht in jedem Fall durch Solidaritätsstreiks begleitet werden würde, ist die Sympathie vieler Redakteure/-innen eindeutig auf Seiten der Streikenden. Das war in der Vergangenheit leider nicht immer so.

Wenn die Arbeitgeber Euch eine Niederlage beibringen, würde das von allen Gewerkschaftern als Niederlage gesehen. Müssen wir nicht ähnlich wie 1984 dafür sorgen, dass die Drucker massive Unterstützung aus anderen Betrieben und Gewerkschaften bekommen?
Das ist die leichteste Frage. Die Antwort ist ein eindeutiges JA. Soviel wie nur irgend möglich. Übrigens auch aus der Bevölkerung.

Das Druckzentrum in Möhringen war auch 1984 Streikbetrieb. Sind noch Kollegen im Betrieb, die aktiv waren im Streik damals und gibt es bei den jüngeren Kollegen das Bewußtsein, dass die Drucker sich alles was sie haben erstreikt haben und deshalb auch mit Streik verteidigen müssen?
Grundsätzlich sind nur noch wenige der alten Beschäftigten heute noch im Betrieb, und wenn ja sind sie überwiegend im mittleren Management tätig und tun sich mit Streiks etwas schwer.
Dass die jüngeren Kollegen in dem Bewusstsein groß geworden sind, dass alle Leistungen die sie erhalten ihr gutes Recht ist, ist die eine Seite, dass wir seit 1995 wieder an jedem Streik teilgenommen haben, die Andere. Auch die jüngeren Kollegen wissen, dass von „Nichts“ Nichts kommt.

Das Interview führte Ursel Beck, Stuttgart