60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
„Der jetzige Krieg – der zweite imperialistische Krieg – ist kein Zufall, er rührt nicht aus dem freien Willen dieses oder jenes Diktators her. Er wurde lange vorher vorausgesagt. Er folgte unerbittlich aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen. Entgegen den offiziellen Fabeln, die das Volk einlullen sollen, ist die Hauptursache des Krieges, wie aller anderen sozialen Übel – Arbeitslosigkeit, hohe Lebenskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung – das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der bürgerliche Staat, der darauf beruht“
Leo Trotzki, russischer Revolutionär und Gegner des Stalinismus, zum Beginn des Zweiten Weltkriegs im „Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution“
Am 8. Mai jährt sich zum 60. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und andere die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass alle Deutschen damals große Schuld auf sich geladen hätten. Alle Deutschen hätten den Faschisten zur Macht verholfen und deswegen sei der Krieg der Allierten gerechtfertigt gewesen. Diese Kollektivschuldthese stimmt nicht.
Der Zweite Weltkrieg war ein imperialistischer Krieg. Darüber kann Schröder nicht sprechen. Es würde zu viele Fragen über die Gegenwart aufwerfen. Wieder sind Arbeitslosigkeit und Armut ein Massenphänomen, wieder steckt die kapitalistische Wirtschaft in einer tiefen Krise.
Die Widersprüche des Kapitalismus, die zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führten, bestehen auch heute. Dem Beginn des Krieges 1939 ging die Weltwirtschaftskrise 1929-32 voraus. Die Zahl der Arbeitslosen in den Industrieländern schnellte von sechs auf 40 Millionen in die Höhe. 1937 war die US-Wirtschaft erneut auf dem Weg in die Rezession.
Heute geht es mit der Marktwirtschaft ebenfalls bergab. Überproduktion, Überkapazitäten und Schuldenberge prägen das Bild. Heute wie damals gibt es Handelskonflikte zwischen den imperialistischen Staaten, Aufrüstung und Kriegszüge. Zwar steht kein Dritter Weltkrieg auf der Tagesordnung, doch verstärkt erleben wir, wie die Herrschenden sich Märkte und Rohstoffe mit militärischen Mitteln streitig machen. Auch die Bundeswehr ist in Afghanistan, im Kosova, in Dschibuti und in anderen Ländern dabei, um den deutschen Kapitalisten ein Stück vom Kuchen zu sichern.
Der Erste Weltkrieg und seine Folgen
Kriege sind nicht auf diplomatische Fehler oder den Größenwahn einzelner Herrscher zurückzuführen, wie es die bürgerliche Geschichtsschreibung gerne vermitteln will. Sie sind Ausdruck der inneren Widersprüche eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln im Kapitalismus zwingt zur Konkurrenz zwischen den Konzernen. Dieser Konflikt, der sich auf verschiedene Staatsapparate mitsamt Armeen und Rüstungsgütern stützt, bedeutet, dass der Weltkrieg im Kapitalismus von Anfang an steckt.
Schon der Erste Weltkrieg war ein Versuch, den Widerspruch zwischen der Entwicklung eines Weltmarktes und dem Fortbestehen von Nationalstaaten zu lösen. Die Warenproduktion war enorm gesteigert worden und das verlangte nach neuen Absatzmärkten. Die Eroberung von Kolonien war wichtig für die Schaffung neuer Märkte, der Sicherung billiger Arbeitskräfte und dem leichten Zugang zu Rohstoffen. Nachdem die führenden Industriestaaten die Welt untereinander aufgeteilt hatten, musste es zum Versuch einer Neuaufteilung mit militärischen Mitteln kommen.
Der Erste Weltkrieg hat die Probleme der deutschen Herrschenden, die gegenüber England und Frankreich im Hintertreffen waren, nicht lösen können. Nach der Niederlage hinderte der Versailler Vertrag ihre Möglichkeiten auf eine zukünftige Expansion und musste daher aus ihrer Sicht vom Tisch. Deshalb ging die zweite Initiative zur Neuaufteilung der Welt von deutschem Boden aus.
Während das Kapital in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg außenpolitisch schlechtere Karten hatte als zuvor, sah es auch die Herrschaft im eigenen Land bedroht. Schließlich kam es am Ende des Krieges zu einer Welle von revolutionären Bewegungen der Arbeiterklasse. Die politische Radikalisierung und die Stärkung sozialistischer und revolutionärer Ideen führte 1918/19 zur Gründung der KPD, mit der neben der SPD eine zweite Massenpartei der deutschen Arbeiterklasse entstand.
Die faschistische Bewegung war die Antwort auf diese beiden Probleme der deutschen Unternehmer.
Wie kamen die Faschisten an die Macht?
Die Bewegung der Nazis wurde in den zwanziger Jahren zu einer Masssenbewegung. Die Basis war das Kleinbürgertum, das damals zahlenmäßig erheblich stärker war als heute. Wirtschaftlich ruiniert und in die Armut gestoßen, blickten viele Handwerker oder Ladenbesitzer zunächst auf die Klasse der Lohnabhängigen. Nachdem sich die revolutionären Kämpfe 1918-23 jedoch erst mal erschöpft hatten, wendeten sich viele von der Arbeiterbewegung wieder ab und erhofften sich von den Nationalsozialisten einen Ausweg.
Die Machtergreifung der Faschisten in Deutschland war nur möglich, da das deutsche Kapital sie massiv förderte. Von Anfang an war die faschistische Bewegung vom Großkapital finanziert worden. Einige der ersten Großspender waren zum Beispiel die Industriellen Ernst von Borsig, Hugo Stinnes, Emil Kirdorf und Fritz Thyssen. Heute wie damals dienen die Faschisten als Kettenhunde des Kapitals. Daher wurden nach der Machtergreifung 1933 als allererstes SPD, KPD, andere Linke und Gewerkschaften verboten und das „Führerprinzip“ auch in den Betrieben eingeführt. Mit dem Faschismus konnten die Löhne der ArbeiterInnen herabgesetzt und die Ausbeutungssituation verschärft werden.
Dennoch hat die NSDAP zu keinem Zeitpunkt eine absolute Mehrheit auf Wahlebene erreichen können, sondern war auf die Schützenhilfe von Zentrum (CDU-Vorläuferorganisation) und anderen Bürgerlichen angewiesen. Bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 – unmittelbar vor Hitlers Machtergreifung – kamen die Nazis auf 33 Prozent, während SPD und KPD zusammen 37 Prozent der Stimmen gewinnen konnten.
Der Erfolg des Nationalsozialismus war nur möglich, weil die Führungen von SPD und KPD keinen gemeinsamen Kampf der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus organisierten. Die SPD vertraute gegen die Nazis auf den Staat, nicht auf die Arbeiterklasse. Sie ließ sich dazu herab, erst Brünings Notverordnungen zu unterstützen und dann Hindenburg zum Reichspräsidenten zu wählen – der schließlich Hitler zum Kanzler ernannte. Die KPD wiederum, unter dem Einfluss Stalins, weigerte sich strikt, für eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie gegen die faschistische Gefahr einzutreten, beschimpfte die SPD als „Sozialfaschisten“ und „Zwillingsbruder“ der Faschisten und spaltete damit die Arbeiterklasse. Gleichzeitig verschloss sie die Augen vor dem Ausmaß der faschistischen Gefahr und vertröstete sich mit der Phrase: „Nach Hitler kommen wir.“
USA und Großbritannien im Kampf gegen den Faschismus?
In den Schulbüchern steht vor allem der Kampf der Westmächte gegen Deutschland im Vordergrund. Großbritannien und die USA hätten den Faschismus besiegt und die Demokratie nach Deutschland gebracht.
Abgesehen davon, dass das faschistische Spanien und viele andere Diktaturen unbehelligt blieben, hatten vor 1939 weder die Regierungen Britanniens, Frankreichs oder der USA auf den Sturz des Faschismus hingearbeitet. Die Verletzung der Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages, die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes, die Annektierung Österreichs wurden geduldet. Ihren Höhepunkt erreichte diese als „Appeasement“ (Beschwichtigung) in die Geschichte eingegangene Politik mit der Münchner Konferenz vom Herbst 1938, bei der Britannien und Frankreich trotz ihrer „Schutzverpflichtungen“ gegenüber der damaligen Tschechoslowakei die Annektierung des Sudetenlandes durch Hitler akzeptierten.
Dahinter steckte die Hoffnung, die Expansionspläne Hitlers auf die Sowjetunion lenken zu können, da das stalinistische System in der Sowjetunion von den Herrschenden in den westlichen Ländern als die größere Bedrohung angesehen wurde.
Als klar war, dass die Nazis nicht nur gegen die Sowjetunion vorgehen würden, sondern auch gegen Frankreich, Belgien oder die Niederlande, konnten die Regierungschefs Roosevelt (USA) und Churchill (Britannien) nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Aber selbst dann wurde noch nicht energisch der Kampf gegen Hitler aufgenommen, sondern gehofft, dass Deutschland zunächst die Sowjetunion schwächen und sich selbst gleichzeitig aufreiben würde. Roosevelts Nachfolger, Harry Truman, wurde am 24. Juli 1941 in der New York Times folgendermaßen zitiert: „Wenn wir sehen, dass Deutschland den Krieg gewinnt, sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen und die Deutschen auf diese Weise so viele wie möglich umbringen lassen.“
Es gab in den herrschenden Eliten Britanniens und Nordamerikas beträchtliche Sympathien für Hitler, solange sich das Nazi-Regime vorwiegend der Unterdrückung der Arbeiterbewegung widmete und durch die massive Aufrüstung Möglichkeiten für Extraprofite eröffnete. Autokönig Henry Ford gehörte ebenso zu seinen Bewunderern wie der britische Monarch Edward VIII.
Gute Geschäfte mit dem faschistischen Deutschland
Der Zweite Weltkrieg „brach“ nicht einfach „aus“, sondern war das zwangsläufige Ergebnis des Konkurrenzkampfes zwischen den kapitalistischen Großkonzernen und den führenden imperialistischen Staaten, die sich mit der bis dahin schwersten Krise ihres Systems konfrontiert sahen. Da für den einzelnen Kapitalisten letztendlich nur der Profit zählt, hatten die ausländischen Unternehmer kein Problem damit, trotz Kriegsvorbereitungen in Deutschland Geld zu verdienen.
Vor allem US-Konzerne erzielten in Deutschland nach 1933 eine hohe Rendite: Ford Deutschland steigerte seine Gewinne von 63.000 Reichsmark 1935 auf 1,28 Millionen Reichsmark 1939. Coca-Cola verfünfzehnfachte seinen Umsatz im gleichen Zeitraum in Deutschland. Noch 1939 verteidigte der General-Motors-Vorstandsvorsitzende Sloan die Aktivitäten im Hitlerdeutschland wegen der hohen Rentabilität (General Motors und Ford produzierten 70 Prozent der deutschen Autos). Nach 1933 stiegen die Investitionen US-amerikanischer Firmen in Deutschland sogar noch an.
Aber auch mit der faschistischen Regierung wurde gerne zusammengearbeitet: Die IBM-Tochter DEHOMAG lieferte den Nazis die Lochkartentechnik für die Automatisierung der Judenvernichtung, Du-Pont investierte in deutsche Waffenfabriken, Texaco-Chef Torkild Rieber war ein guter Freund von Göring. Im Juli 1941 stammten 44 Prozent der deutschen Ölimporte aus den USA.
Erst als Hitlers Welteroberungspläne den britischen und US-amerikanischen Imperialismus unmittelbar bedrohten, wurden auch die Mitglieder der herrschenden Eliten zu „Antifaschisten“. Auch rechte Politiker wie Churchill, die die Appeasement-Politik abgelehnt hatten, taten das nicht aus prinzipieller Feindschaft gegen den Faschismus. Churchill schrieb noch 1939: „Ich habe immer gesagt, dass wenn Großbritannien in einem Krieg besiegt würde, ich hoffen würde, dass wir einen Hitler finden, der uns zu unserer uns zustehenden Stellung unter den Nationen zurückführt“ (Winston S. Churchill, Große Zeitgenossen).
Es ging den Herrschenden in den USA und Britannien nie um den Faschismus, sondern um eine konkurrierende Wirtschaftsmacht. Für sie standen politische (Schwächung der Sowjetunion) und vor allem ökonomische Gründe (neue Absatzmärkte) im Vordergrund. In den eroberten Gebieten war das Ziel nicht das Ausmerzen des Faschismus, sondern die Rettung des Kapitalismus. Dabei scheuten sie nicht davor zurück, sich auf Kräfte zu stützen, die mit den Nazis zusammengearbeitet hatten und weiterhin reaktionäre Ziele verfolgten, und andererseits Kräfte zu unterdrücken, die im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben riskiert hatten.
Darum kann man den 8. Mai 1945 auch nicht einfach als „Tag der Befreiung“ bezeichnen. Zwar war die deutsche Arbeiterklasse endlich frei vom Nazi-Terror. Doch im von den Allierten besetzten Teil hatten die ArbeiterInnen nicht die Freiheit, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen (nachdem sich in einer Volksabstimmung in Hessen zum Beispiel mehr als 70 Prozent für die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien aussprachen, wurden alle weiteren Abstimmungen kurzerhand untersagt).
In Ostdeutschland kam es zwar zu einem grundlegenden Wandel der ökonomischen Verhältnisse, allerdings entrechtete die SED-Diktatur die Lohnabhängigen politisch.
Die Sowjetunion
90 Prozent der Verluste der Wehrmacht wurden ihr durch die Rote Armee zugefügt. Die Sowjetunion hatte dementsprechend mit über 20 Millionen Toten die größten Verluste zu verzeichnen. Auf einen gefallenen GI kamen 53 Soldaten der Roten Armee. Es kam den Westmächten ganz gelegen, dass die Rote Armee die Hauptlast des Kriegs trug – so konnten sie ihre Kosten gering halten. Die Hilfslieferungen an die Sowjetunion machten zu keinem Zeitpunkt mehr als vier bis fünf Prozent des Militäretats aus.
Die stalinistische Bürokratie hatte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch mit den Faschisten paktiert (Hitler-Stalin-Pakt). Stalin gratulierte Hitler noch am 20. April 1941 persönlich zum Geburtstag. Alles in der absurden Hoffnung, einer deutschen Invasion entgehen zu können. Als die Nazis Russland im Sommer 1941 schließlich den Krieg erklärten, war die Verteidigung der Sowjetunion enorm geschwächt. Hinzu kamen die stalinistischen Säuberungsaktionen gegen Oppositionelle (darunter auch die Auslieferung von 800 AntifaschistInnen an Deutschland, die dann in den Konzentrationslagern endeten).
Die Sowjetunion konnte den Krieg nur aufgrund zweier Tatsachen gewinnen: Der enormen Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse in der Sowjetunion und der Existenz einer Planwirtschaft (obgleich das Potenzial dieser Produktionsverhältnisse durch Diktatur und bürokratische Gängelung enorm beeinträchtigt wurde). Dank der Erfolge der Roten Armee wurde der Faschismus in Deutschland entscheidend geschlagen. Die Westmächte hielten sich mit einer Intervention so lange zurück, bis sie Angst bekommen mussten, die Rote Armee könnte ganz Europa erobern.
Während die faschistischen Kräfte und ein Großteil der Unternehmer vor den sowjetischen Panzern in Richtung Westen flohen, hofften viele ArbeiterInnen, nicht nur in Osteuropa, auf einen wirklichen sozialistischen Neuanfang. Doch die Sowjetbehörden und die von ihren Gnaden in Schlüsselpositionen der neu entstehenden Ostblockstaaten eingesetzten Führer der Kommunistischen Parteien würgten sehr schnell jeden Ansatz zur Selbstorganisation ab und errichteten Regimes nach dem Muster der stalinistischen Sowjetunion. In der DDR war die SED das Herrschaftsinstrument der Bürokratie, sie organisierte eine Reihe von Säuberungen und schlug den Arbeiteraufstand im Juni 1953 nieder.
Antifaschistischer Widerstand in Westeuropa
In den vom deutschen Faschismus besetzten Ländern spielte die Widerstandsbewegung eine große Rolle. Es waren die Mitglieder der Resistance, der Partisanen oder anderer Widerstandsgruppen, die beim Sieg über den Faschismus wichtig waren.
In Italien führten die verheerende Wirtschaftslage und die faschistischen Niederlagen in Nordafrika und Stalingrad im März 1943 zu einer Streikwelle, die das Ende des Mussolini-Faschismus bedeutete. Danach liefen die italienischen Kapitalisten auf die Seite der Alliierten über. Vor allem in Mittel- und Norditalien bildeten sich antifaschistische Komitees, es gab Streiks und Demonstrationen, die von der neuen Badoglio-Regierung gewaltsam unterdrückt wurden. Badoglio selbst war einer von Mussolinis führenden Militärs gewesen.
Die brutalste Unterdrückung der „Befreiten“ durch die „Befreier“ fand aber in Griechenland statt. Obwohl bereits im Sommer 1944 die Besatzungstruppen vertrieben worden waren, landeten erst im Oktober 1944 britische Truppen in Griechenland. Die „Sicherheitsbatallione“, welche die Nazi-Marionettenregierung zum Kampf gegen den antifaschistischen Widerstand organisiert hatte, terrorisierten weiterhin die Bevölkerung.
Auch in ihren eigenen Kolonien waren die Allierten nicht zimperlich: In Indien unterdrückte die britische Regierung zum Beispiel die Widerstandsbewegung; Gandhi und viele andere wurden in dieser Zeit ins Gefängnis gesteckt.
Der Bombenkrieg der Allierten
Die Fragen nach dem Charakter des Zweiten Weltkriegs und der Rolle der Allierten wurden gerade in den letzten Wochen in der Bundesrepublik erneut diskutiert. Die Arbeiterbewegung muss darauf Antworten geben, um die notwendigen Lehren ziehen zu können und im Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
Am 13. Februar auf der Demonstration von 5.000 Nazis in Dresden sagte Franz Schönhuber, der Mitglied der Waffen-SS war, er erkenne keinen Unterschied zwischen einem KZ-Aufseher und einem britischen Bomberpiloten. Was passierte vor 60 Jahren in Dresden?
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 warfen 770 britische Bomber riesige Mengen Sprengbomben auf die ungeschützte Stadt. Dort hielten sich damals neben den 630.000 EinwohnerInnen auch zahlreiche Flüchtlinge auf. Es folgte der Abwurf von mehr als einer halben Million Brandbomben, die einen fürchterlichen Feuersturm entfachten. An den nächsten beiden Tagen folgten weitere Flächenbombardements durch 310 amerikanische Flugzeuge.
Der Bombenkrieg gegen Dresden, aber auch gegen andere Städte Deutschlands richtete sich gegen die Zivilbevölkerung. In der Regel wurden die Wohngebiete des wohlhabenderen Bürgertums und Industrieanlagen verschont (bei den Produktionsstätten bestand schließlich die Hoffnung, diese nach Kriegsende selber nutzen zu können). Da der Zusammenbruch des NS-Regimes nur noch eine Frage der Zeit war, verfolgten die Allierten damit vor allem ein Ziel: die deutsche Arbeiterklasse massiv einzuschüchtern, um dem Neuaufbau der Arbeiterorganisationen und Bestrebungen für ein sozialistisches Deutschland entgegenzuwirken.
Außerdem war der Bombenangriff auf Dresden eine Machtdemonstration gegenüber der Sowjetunion: „Ich bin der Meinung, dass unsere Luftwaffe der Trumpf ist, mit dem wir nach dem Krieg zur Friedenskonferenz ziehen werden, und dass dieses Unternehmen unsere Position grenzenlos stärken, das heißt die russische Kenntnis unserer Stärke vergrößern wird“ (General David M. Shlatter, stellvertretender Befehlshaber der Luftwaffe im Hauptquartier der alliierten Streitkräfte).
Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus
Die Neonazis wollen mit dem Hinweis auf die Verbrechen der Westmächte von den Verbrechen der Faschisten ablenken. Als SozialistInnen werden wir mit aller Kraft gegen jegliche Versuche des Geschichtsrevisionismus von Nazis und Rechtsextremisten auftreten. Die Faschisten sind die energischsten Feinde der Arbeiterklasse, ganz gleich welche sozialen Phrasen sie dreschen. An der Macht dienen sie sich dem Kapital an.
Allerdings zeigt die Geschichte auch, dass wir uns im Kampf gegen den Faschismus oder gegen andere Diktaturen nicht auf den bürgerlichen Staat und seine Institutionen verlassen können. Die Krise des kapitalistischen Systems hat in den zwanziger und dreißiger Jahren zu faschistischen oder anderen diktatorischen Regimes nicht nur in Deutschland, sondern in einer ganzen Reihe von Ländern geführt: Italien, Spanien, Polen, Rumänien, Japan und einige weitere. Das hätte nicht so kommen müssen, wenn die damalige Führung der Arbeiterorganisationen nicht erhebliche politische Fehler begangen hätte (wie eben jenen, die Unterstützung großer Teile des Kapitals für die Faschisten zu verkennen).
Nur wenn der Kapitalismus abgeschafft wird, können weitere Katastrophen wie Rüstungswettrennen, neue Kriege, Völkermorde und die völlige Entrechtung der Lohnabhängigen verhindert werden. Obgleich die deutsche Arbeiterklasse durch den Hitlerfaschismus in einem Maß niedergehalten wurde, dass sie das Nazi-Regime nicht selber stürzen konnte, zeigte der Zweite Weltkrieg dennoch, dass die Arbeiterklasse die Kraft ist, der die Aufgabe zufällt, eine neue Gesellschaft aufzubauen.
Es waren die ArbeiterInnen der Sowjetunion, die zentral für die Niederlage Hitlers waren. Es waren die Hunderttausenden von Widerstandskämpfern in den Reihen der Arbeiterbewegung in ganz Europa, die den Faschismus von Anfang an bekämpften. Es waren ArbeiterInnen, die nach dem Sturz des Faschismus antifaschistische Komitees aufbauten, Großbetriebe enteigneten und unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung weiterführten. Damals wie heute ist es die Klasse der abhängig Beschäftigten, die den ganzen Reichtum der Gesellschaft erwirtschaftet und aufgrund ihrer Rolle im Produktionsprozess die Fähigkeit besitzt, ein kollektives Bewusstsein als Klasse zu erlangen und eine Welt ohne Unterdrückung und Ausbeutung zu erreichen.
von Holger Dröge, Mitglied der Bundesleitung der SAV