DGB-Spitze: Ideologische Kapitulation

Aufgabe des Flächentarifvertrags = Selbstaufgabe
 
Der Flächentarifvertrag ist eine der größten Errungenschaften der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Als Ausrede für die Kapitulation vor Schröders Sozialabbau erklärten Spitzenfunktionäre, dass sie sich jetzt auf ihr „Kerngeschäft“ Tarifpolitik konzentrieren werden. Das Ergebnis ist katastrophal.
Tariffragen waren für die DGB-Gewerkschaften bisher Verteilungs- und Machtfragen. Der Kampf für bessere Tarife wurde in der Vergangenheit mit den Komponenten Inflationsausgleich, Produktivitätszuwachs und Umverteilungskomponente begründet. Dass diese Komponenten von der Gewerkschaftsführung weder bei der Aufstellung von Tarifforderung und erst recht nicht bei der Durchsetzung ernst genommen wurden, steht auf einem anderen Blatt. Jetzt hat sich die Gewerkschaftsführung aber offen von der Tarifpolitik als Verteilungs- und Machtfrage verabschiedet.

„Wettbewerbsfähigkeit“

Für Huber/Peters, Bsirske und Co. ist die Tarifpolitik im Zeitalter der Globalisierung eine Frage der „Wettbewerbsfähigkeit“. Diese vollständige ideologische Kapitulation in der Tarifpolitik ist die politische Grundlage für die Mittäterschaft der Gewerkschaften an der Zerstörung des Flächentarifvertrags. Im Pforzheimer Abschluss der Metallindustrie vom Februar 2004 steht der „Erhalt und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ erstmals als Ziel in einem von der IG Metall unterschriebenen Flächentarifvertrag. Mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Privaten betreibt die ver.di-Führung Tarifabsenkungen im öffentlichen Dienst mit.
Durch weitgehende Öffnungsklauseln wird die Tarifpolitik verbetrieblicht. Den Unternehmern wurde damit die Möglichkeit gegeben, Belegschaften zu erpressen (siehe Siemens, Daimler, VW, Opel…).
Aufgabe des Flächentarifvertrages war es, die Konkurrenz zwischen den einzelnen Lohnabhängigen und einzelnen Belegschaften aufzuheben und allgemeinverbindliche Mindeststandards zu setzen. In der Regel wurden diese Mindeststandards von kampfstarken Gewerkschaften gesetzt. Andere Beschäftigte konnten von diesen Flächentarifverträgen profitieren, zum Beispiel die BeamtInnen. Mit der Verbetrieblichung der Tarifpolitik verliert der Flächentarifvertrag seine wichtige Schutzfunktion.

Kontrolle über die Basis

Früher gab es bei Tarifauseinandersetzungen kollektive Diskussionen, belegschaftsübergreifende Solidarität und gemeinsame Aktionen bis hin zu Streiks. Das schuf das Bewusstsein über die Stärke der Gewerkschaft. Wenn sich die angestaute Wut erst mal in einem Tarifstreik Luft macht, ist die gesamte Stillhaltepolitik der Gewerkschaftsspitze schnell am Ende. Dies will die Führung unter allen Umständen vermeiden. Die Verbetrieblichung der Tarifpolitik ist dafür aus ihrer Sicht ein geeignetes Mittel. Denn einzelne Belegschaften lassen sich leichter isolieren.
Auf die Dauer wird es dem Apparat nicht gelingen, die Kontrolle über den kämpferischen Teil der Arbeiterklasse zu behalten. Enorme innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen, Streiks von unten und massenweise Austritte werden die Folge sein. Selbst Abspaltungen und in dem einen oder anderen Fall Neugründungen von Gewerkschaften sind nicht auszuschließen.
Es kann nötig sein, in bestimmten betrieblichen Konflikten an der Gewerkschaft vorbei den Kampf aufzunehmen. Vor allem aber gilt es, der Gewerkschaftsbürokratie im DGB nicht das Feld zu überlassen und hier und jetzt mit innergewerkschaftlichen Initiativen von unten und dem Aufbau einer organisierten Opposition zu beginnen. Eine programmatische und personelle Alternative muss angeboten werden.
Über diesen Prozess können die Gewerkschaften demokratisiert und zu echten Kampforganisationen gemacht werden. n

von Ursel Beck, Gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV