Massenproteste ersch?ttern das sozial und ethnisch-religi?s tief gespaltene Land
Die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpr?sidenten Hariri f?hrte erst zu Gro?demonstrationen f?r den Abzug der syrischen Truppen und dem R?cktritt von Ministerpr?sident Karami. Nachdem am 8. M?rz eine Million (bei knapp vier Millionen EinwohnerInnen) gegen die Einmischung der USA demonstrierten, war Karami wieder im Amt.
Waren am 8. M?rz vor allem Schiiten auf der Stra?e, so setzte sich die wiederum gegen Syrien gerichtete Gro?demo am 14. M?rz, an der m?glicherweise noch mehr als am 8. M?rz teilnahmen, aus Christen, Drusen und Sunniten zusammen.
Hariri hatte in den etwa zehn Jahren, die er den Libanon regierte, Politik f?r die Reichen gemacht. Er selbst war Milliard?r, 2003 wurde sein Verm?gen auf 3,8 Milliarden Dollar gesch?tzt.
Gleichzeitig versank der Libanon in Schulden (35 Milliarden Dollar, 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Die Herrschenden versuchten, diese Lasten auf die Masse der Bev?lkerung abzuw?lzen. Gegen Preiserh?hungen und Privatisierungspl?ne gab es fast jedes Jahr Generalstreiks (die leider von der Gewerkschaftsf?hrung vor allem zum Dampf ablassen verwendet wurden). Beim letzten Generalstreik am 27. Mai 2004 schoss das Milit?r DemonstrantInnen zusammen, es gab mehrere Tote.
Nach dem Tod Hariris ist gerade unter Teilen des Mittelstandes die Sorge gro?, dass sich die Hoffnungen in einen stabilen Aufschwung der Baubranche und des Tourismus zerschlagen werden.
Syrien
F?r Syrien steht im Libanon ?konomisch als auch milit?risch einiges auf dem Spiel. In der Finanz- und Handelspolititk wird der Libanon als ein Juniorpartner gesehen (der syrische Markt ist f?nfmal so gro? wie der libanesische). Syrien hofft, mit den im Libanon stationierten 14.000 Soldaten ein Druckmittel zu besitzen, um die von Israel 1967 besetzten syrischen Golanh?hen perspektivisch zur?ckerhalten zu k?nnen.
Im September 2004 dr?ckten die USA und Frankreich die UN-Resolution 1559 durch, die den Abzug der syrischen Truppen und die Entwaffnung der schiitischen Hisbollah fordert. Syrien lie? daraufhin die Amtszeit des ihm h?rigen libanesischen Pr?sidenten Lahoud um drei Jahre verl?ngern. Hariri trat aus Protest im Oktober als Ministerpr?sident zur?ck und baute darauf, bei den n?chsten Wahlen als Oppositionsf?hrer an die Macht zur?ckzukehren. Nach seiner Ermordung haben seine Anh?nger und die USA nicht gez?gert, Syrien die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ob der syrische Geheimdienst dahinter steckte oder Gesch?ftskonkurrenten oder sonst wer, ist keineswegs klar.
Der Mord f?hrte zu gro?er Emp?rung weit ?ber Hariris Anh?nger hinaus. Die Erinnerung an den B?rgerkrieg mit 150.000 Toten ist frisch. Hariris Anh?nger versuchten, diese Stimmung f?r sich auszuschlachten. Sie veranstalteten Demonstrationen, an denen sich vor allem Christen, Sunniten und die wohlhabende Minderheit der Bev?lkerung (die ?berwiegend Christen sind) beteiligte. Am 28. Februar trat der pro-syrische Ministerpr?sident Karami zur?ck. Die USA jubelten ?ber die ?Zedern-Revolution?. Sie verlangten die sofortige Umsetzung der UN-Resolution 1559 ? w?hrend sie andere Resolutionen, die ihnen nicht passen, seit Jahrzehnten ignorieren.
Nach der gegen die USA gerichteten Gro?demonstration am 8. M?rz mobilisierten die anti-syrischen Kr?fte wiederum und konnten am 14. M?rz mindestens eine Million Menschen auf die Stra?e bringen. Damit ist der Libanon von einer enormen Polarisierung gekennzeichnet.
US-Einmischung
Die USA bestehen auf vollst?ndigen Abzug der syrischen Truppen vor den libanesischen Wahlen im Mai. Dagegen preisen sie die Wahlen im Irak mit 140.000 US-Besatzungssoldaten als Muster der Demokratie.
Da Washington den Irak nicht unter Kontrolle bekommt, hofft Bush, dass es dem neuen pal?stinensischen Pr?sidenten Abbas gelingt, die unterdr?ckten Massen in Israel und Pal?stina in Schach zu halten. Dort soll sich die Lage erst einmal beruhigen. Syrien wird dabei als Unsicherheitsfaktor eingestuft.
Die Demonstration am 8. M?rz wurde vor allem von der schiitischen Hisbollah organisiert. Die Massen riefen Parolen gegen die USA und gegen Israel und f?r die Freundschaft mit Syrien. Die Hisbollah wollte eine Demonstration der ?nationalen Einheit? veranstalten. Es stimmt, dass die Einmischung der USA zum Nachteil der gro?en Bev?lkerungsmehrheit w?re. Verhindern l?sst sich das aber nicht durch ?nationale Einheit?, sondern durch einen gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Arbeitslosigkeit.
Der B?rgerkrieg 1975-90
Jahrzehntelang stellten die Christen im Libanon die Bev?lkerungsmehrheit. Als der Anteil der Schiiten wuchs, soziale Spannungen zunahmen und der Israel/Pal?stina-Konflikt die Region ersch?tterte, sahen die christlichen Clanchefs im Libanon ihren Einfluss bedroht. Um die Kontrolle ?ber die christlichen Massen zu behalten, versuchten sie von den wirklichen Problemen abzulenken, indem sie die pal?stinensischen Fl?chtlinge im Libanon angriffen.
1975 brach der B?rgerkrieg zwischen den christlichen Falange-Milizen (benannt nach der Organisation der spanischen Faschisten der drei?iger Jahre) und linken und pal?stinensischen Milizen aus. In diesem Kampf ging es zun?chst im Kern um soziale Fragen. Da die linken libanesischen Organisationen aber (gem?? der stalinistischen ?Etappentheorie?) erst mit ?fortschrittlichen Kapitalisten? gemeinsam f?r Reformen k?mpfen wollten (und erst sp?ter irgend wann mal f?r Sozialismus), hatten sie kein Programm, mit dem sie die christlichen ArbeiterInnen und Armen f?r einen gemeinsamen Kampf h?tten gewinnen k?nnen. So entwickelte sich ein blutiger B?rgerkrieg zwischen Kriegsherren, die sich auf Religionsgruppen st?tzten.
Die Pal?stinensische Befreiungsorganisation (PLO) hatte jahrelang vom Libanon aus Siedlungen in Israel beschossen, wollte sich aber nicht in die libanesische Innenpolitik einmischen. Die Benachteiligung der pal?stinensischen Fl?chtlinge im Libanon und die sozialen Konflikte griff sie nicht auf. Wenn sie ihre Milit?rmacht auf Seiten der linken libanesischen Milizen entschlossen in die Waagschale geworfen h?tte, w?ren die reaktion?ren Clanchefs bald am Ende gewesen. So zog sich der Kampf hin. Trotzdem gerieten die Falangisten in die Defensive.
Das syrische Regime, das im eigenen Land Verstaatlichungen und andere radikale Ma?nahmen durchgef?hrt hatte, kam der reaktion?ren Falange zu Hilfe. Mit logistischer Hilfe Syriens schlachteten die Falangisten Tausende pal?stinensische Fl?chtlinge im Lager Tal al-Zataar ab. W?hrend die USA heute den Abzug Syriens aus dem Libanon fordern, begr??ten sie damals den Einmarsch, weil er eine Revolution von unten verhinderte. Das gleiche galt f?r Israel, die arabischen Diktatoren und die stalinistische B?rokratie in der Sowjetunion (die die gr??te Angst vor revolution?ren Bewegungen irgendwo auf der Welt hatte).
Aussichten
Nach dem Sturz Saddam Husseins ist Syrien f?r die USA eines der gr??ten Feindbilder geworden. Es wird vor allem beschuldigt, die Hisbollah im Libanon zu unterst?tzen (die wiederum die Pal?stinensergruppen st?rkt, die aus Sicht der US-Regierung das Haupthindernis f?r den Frieden in Israel/Pal?stina sind). Durch Syrien und die Hisbollah sieht das Wei?e Haus die Position der f?r ihre Interessen genehmen israelischen Scharon- und der pal?stinensischen Abbas-Regierung gef?hrdet.
Die Hisbollah ist die einzige arabische Kraft, die von sich behaupten kann, Israel milit?risch geschlagen zu haben. Schlie?-lich konnte sie im Mai 2000 den vorzeitigen Truppenabzug Israels aus dem Libanon erzwingen. Auf Basis ihres Widerstandskampfes und jahrelanger Sozialarbeit unter den verarmten Schiiten konnten sie eine bedeutende Bastion aufbauen.
Bush nahm die Demonstrationen der Mittelschicht im Libanon und den R?cktritt der Regierung zum Beweis f?r die Ausbreitung der ?Demokratie? im Nahen Osten. Er hoffte, eine US-h?rige Regierung installieren zu k?nnen. Ein solcher Prestigeverlust Syriens h?tte ein Schritt zum Sturz des syrischen Pr?sidenten Assads sein k?nnen. Das hat bislang nicht geklappt.
Leider dr?ckt die libanesische Arbeiterklasse den Ereignissen heute nicht ihren Stempel auf. Die Wahlen im Mai werden gepr?gt sein von prokapitalistischen Kandidaten, die weiter religi?se Konflikte sch?ren. Die Lage schreit nach einer Arbeiterpartei, die alle sozial Benachteiligten unabh?ngig von der Religion anspricht und ein k?mpferisches Programm gegen Armut und Arbeitslosigkeit anbietet. Sowohl imperialistische Interventionen als auch die Besatzungspolitik Syriens m?ssten abgelehnt werden. Eine solche Partei m?sste aufzeigen, warum der Ausweg nicht nationale Einheit, sondern Arbeitereinheit ist. Die ArbeiterInnen und armen Bauern k?nnen die Macht ?bernehmen, Gro?grundbesitzer und Kapitalisten enteignen und an die ArbeiterInnen in Syrien, in Israel und Pal?stina, im ganzen Nahen Osten appellieren, ihrem Beispiel zu folgen. Eine freiwillige sozialistische F?deration des Nahen Osten mit dem Recht auf Selbstbestimmung f?r alle Minderheitenist auf Dauer die einzige Alternative zu Krieg, B?rgerkrieg, Elend und Unterdr?ckung.
von Wolfram Klein, Stuttgart