Die Revolution auf der Leinwand

„Panzerkreuzer Potemkin“ in restaurierter Fassung auf den 55. Berliner Filmfestspielen gezeigt
 
Ein Höhepunkt der diesjährigen Berlinale war die Wiederaufführung von Sergei Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“. Zum ersten Mal seit seiner Weltpremiere 1925 wurde der Film in der weitgehend wiederhergestellten Originalversion gezeigt. Ein Jubiläum im Jubiläum: Gedreht wurde der „Panzerkreuzer“ vor achtzig Jahren – anlässlich des zwanzigsten Jahrestags der Russischen Revolution von 1905 – die sich heute zum hundertsten Mal jährt.
Nach seiner Uraufführung in Moskau erwarb der linke Verleih „Prometheus“ die Rechte für Deutschland. Die Berliner Premiere 1926 wurde ein sensationeller Erfolg. Von dort trat der „Panzerkreuzer“ seinen Siegeszug um die Welt an. Allerdings kam der Film zensiert in die deutschen Kinos. Deutsche Matrosen sollten nicht auf falsche Ideen kommen. In dem Maße, in dem der Film in der Weimarer Republik immer neue Begeisterungsstürme auslöste, wurde das Werk weiter traktiert.
Später fielen Passagen des „Panzerkreuzers“ Stalins Schere zum Opfer. Trotz alledem wurde Eisensteins Werk auch in der gekürzten und veränderten Form zu einem Meilenstein der Filmgeschichte, bis heute unübertroffen in der Darstellung der revolutionären Bewegung.

Die Revolution exemplarisch anhand des Matrosenaufstands

Der Film ist in fünf Akte eingeteilt. Die Laufzeit entspricht jeweils der Länge einer Filmrolle:
1. Männer und Maden: Auf dem Panzerkreuzer, der vor Odessa liegt, verweigert die Mannschaft von Maden übersätes Fleisch. Die Matrosen fragen: „Ganz Russland erhebt sich. Sollen wir die letzten sein?“
2. Drama im friedlichen Hafen: Ein Exekutionskommando soll alle erschießen, die sich weiterhin weigern, die Suppe zu essen. Im letzten Moment wird der Erschießungsbefehl boykottiert. Die Meuterei beginnt.
3. Der Appell eines Toten: Wakulintschuk, der als erster rebellierte und dabei umkam, wird im Hafen aufgebahrt: „Wegen eines Löffels Suppe.“ Er wird das Ziel einer nicht enden wollenden Prozession.
4. Solidarisierung und Massaker: Kosaken räumen die Hafentreppe, Stufe für Stufe, von oben nach unten. Soldaten schießen in die von Panik ergriffene Menge – bis ein Kanonenschuss von der Potemkin dem Blutvergießen ein Ende setzt.
5. Begegnung mit der Admiralsflotte: Alles wird für eine Schlacht vorbereitet. Doch die Mannschaften der anderen Schiffe weigern sich, gegen den Panzerkreuzer vorzugehen.
Ursprünglich wollte Eisenstein einen sechsteiligen Filmzyklus mit dem Titel „Das Jahr 1905“ drehen. Die „Panzerkreuzer“-Episode sollte eigentlich nur 44 von 820 Einstellungen umfassen. Während der Dreharbeiten entschied sich Eisenstein jedoch, die ganze historische Tragweite der Revolution exemplarisch auf ein Ereignis zu konzentrieren.
Der Einzelfall zeigt, wie ´die Beherrschten nicht weiter beherrscht werden wollen und die Herrschenden ihre Herrschaft nicht weiter aufrechterhalten können` (Lenin). Ausgehend von der Auflehnung gegen die unerträgliche Versorgung auf dem Schiff, erfasst der Aufstand Akt für Akt immer mehr Menschen: erst die Besatzung, dann die Stadtbevölkerung, schließlich die Admiralsflotte.
Die Meuterei im Sommer 1905 in Odessa markierte ein Schlüsselereignis: Zum einen blieb die Rebellion der Matrosen eine Ausnahme, der Staatsapparat wurde nicht vollständig paralysiert, die Erhebung der ArbeiterInnen und Bauern führte damals nicht zur uneingeschränkten Solidarisierung seitens der Soldaten. Zum anderen drückte der „Panzerkreuzer“ “die Hoffnung” aus, war die Generalprobe, auf die in der Russischen Revolution 1917 “die Erfüllung” folgte.
Der Film zeigt viel: Die Kraft der Revolution, die Begeisterung, die sie bei großen Teilen des Kleinbürgertums auslöste, (welches zwischen der Arbeiterklasse und den herrschenden Eliten schwankt), die aktive Rolle von Frauen im Aufstand, die Versuche der Kirche, die alte Ordnung zu stützen.
Die Meuterei auf der Potemkin vollzog sich vor der Bildung von Arbeiterräten – der großartigen „Erfindung“ der Revolution von 1905, mit der sich die arbeitende Bevölkerung Russlands eigene Organe zum Kampf, zur Machtergreifung und zur Organisation der neuen Gesellschaft geschaffen hatte. Dennoch vermittelt der Film vielfältig die Vitalität und den Hunger nach Debatten und Ideen, ob die Matrosen auf der Potemkin vor Beginn der Erhebung oder die unterdrückten Massen im Hafen Odessas.

Revolutionär in Stil und Technik

Der Film ist eine Wucht – nicht nur dank der Thematik, sondern auch aufgrund der Darstellung. Eisenstein revolutionierte Erzählweise und Erzähltechniken. Einmalig die starke Symbolik: So die Meereswellen in den ersten Bildern, die gegen eine Mole brandend, die aufbegehrenden Massen darstellen.
Neue Wege geht der Regisseur auch beim Filmschnitt: „Berühmt ist das Beispiel von den drei steinernen Löwen: einer schläft, einer liegt wach, einer sitzt aufrecht; schnell hintereinander montiert, werden sie zu einem sich aufrichtenden Löwen: der Stein schreit auf“ (Enno Patalas, Filmkritiker, zeichnet sich für die Restauration des „Panzerkreuzers“ verantwortlich). Rhythmische Bewegung wird gegen chaotische geschnitten, Großaufnahme gegen Totale: Erst die aufgerissenen Augen einer Frau aus der Mittelklasse beim Aufmarsch der Kosaken, dann der Kinderwagen die Hafentreppe herunterrollend, schließlich die Mutter, ihr getötetes Kind den Soldaten entgegen tragend. Sie wendet sich seitwärts, spricht damit Kamera und Zuschauer direkt an: Klage, Anklage und Appell zugleich. In seinem Film „Streik“ (1924) hatte Eisenstein mit der „Montage der Attraktionen“ gearbeitet: ein Kapitalist, der eine Zitrone auspresst, wird gegen die gewaltsame Räumung einer Streikversammlung geschnitten.
Unvergesslich, wie der Film das Wechselspiel zwischen Kollektiv und Individuen aufzeigt: Ob die Initiative des Matrosen Wakulintschuk zur Meuterei oder die aufrüttelnden Reden einer Revolutionärin beim aufgebahrten Leichnam im Hafen – es kommt auf Einzelne an, die den ersten Schritt wagen. Trotzdem wird Geschichte von den unterdrückten Massen gemacht, nicht von dem einen oder anderen „Helden“.
Davon ausgehend arbeitet Eisenstein mit „Typisierungen“, zeigt Figuren als Repräsentanten ihrer gesellschaftlichen Klasse, die so wie sie agieren, ein bestimmtes Verhalten ihrer Klasse veranschaulichen: zum Beispiel der Schiffsarzt mit dem Kneifer, der die Maden im Fleisch leugnend für den feigen Teil der Mittelklasse steht.

Wiederherstellung des Originals

Die restaurierte Fassung beginnt, wie vor achtzig Jahren, wieder mit einem Zitat von Trotzki, das unter Stalin weggestrichen und durch Lenin-Sätze ersetzt wurde: „Der Geist der Revolution schwebte über dem russischen Lande. Irgendein gewaltiger und geheimnisvoller Prozess vollzog sich in zahllosen Herzen: die Individualität, die eben erst sich selbst erkannt hatte, ging in der Masse auf und die Masse in dem großen Elan.“
Außerdem waren Zwischentitel aus dem Film herausgenommen worden, zum Teil hatte man den „Panzerkreuzer“ unter den bürgerlichen Zensurbehörden Weimars und im stalinistischen Russland neu geschnitten.
Die bei den Berliner Filmfestspielen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gezeigte Originalversion wurde mit der Orchestermusik unterlegt, die von Edmund Meisel in Absprache mit Eisenstein für die deutsche Premiere 1926 geschrieben worden war.
Noch heute packt einen der „Panzerkreuzer Potemkin“, noch heute kann man nachvollziehen, wie beispielsweise Albert Einstein reagierte, als er das Werk 1930 im Kino sah: „Er stimmte zu, ereiferte sich, füllte den Vorführsaal mit lautem Gebrüll – schade, dass Sie nicht da waren“, beschrieb ein Freund Sergei Eisenstein die Resonanz Einsteins auf den Film.

von Aron Amm, Berlin