Massenmord und Profite

Vor 60 Jahren wurden die Häftlinge des KZ Auschwitz befreit
 
Am 27. Januar 2005 jährte sich der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 60. Mal. Über 1,5 Millionen Menschen wurden an diesem Ort in den Gaskammern und durch Zwangsarbeit ermordet. Auschwitz gilt seither als Symbol für den organisierten Massenmord des nationalsozialistischen Regimes. An dieser Stätte mündeten imperialistische Expansionsbestrebungen und industrielle Ausbeutunginteressen im größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts.

Zentraler Punkt der nationalsozialistischen Eroberungspolitik in Osteuropa waren der Zugang zu den reichen Rohstoffquellen der Sowjetunion und der durch die NS-Ideologie propagierte Gewinn von „Lebensraum im Osten“. Nach der Besetzung erfolgte die gewaltsame Änderung der Bevölkerungsstruktur im Sinne des nationalsozialistischen Rassenwahns. Die jüdischen EinwohnerInnen wurden in Sammelstellen zusammengepfercht. Ziel war es, Platz für sogenannte Volks- und Reichsdeutsche zu schaffen. Die jüdische Bevölkerung sollte aus dem deutschen Machtbereich nach Sibirien, beziehungsweise Richtung Eismeer deportiert werden und dort an vermeintlich „natürlichen“ Todesursachen, wie Hunger, Kälte oder Zwangsarbeit sterben. Zwischen 1939 und 1941 waren Begriffe wie „Aussiedlung“, „Räumung“ und „Evakuierung“ in den Planungen der Nazis noch wörtlich gemeint. Da der rasche Sieg über die Sowjetunion aber ausblieb und sich die ursprünglichen Pläne nicht realisieren ließen, wurden sie in der Folge zu Synonymen für den nun einsetzenden Massenmord. Der geographische Schwerpunkt der Anfang 1942 beschlossenen sogenannten Endlösung, das heißt der Ermordung der europäischen Juden wurde nach Westen in das politisch und militärisch gesicherte Polen verlagert.

Musterstadt Auschwitz

Auch die Stadt Auschwitz veränderte sich durch die Politik der Nationalsozialisten grundlegend. Sie entwickelte sich zum Vorbild für ökonomische Erschließung und rassistische Auslese.
Charakteristisch für die Stadt wurde die enge Zusammenarbeit mit dem 1941 gegründeten Werk der IG Farben (Interessen-Gemeinschaft Farbenindustrie AG), dem seinerzeit wichtigsten deutschen Privatunternehmen. Der Frankfurter Chemiekonzern produzierte Buna, einen kriegswichtigen synthetischen Ersatzstoff für Benzin.
Auschwitz sollte auf Betreiben der Konzernleitung zu einem leistungsfähigen Industriezentrum umgewandelt werden. Aber nicht nur das. Als williger Helfer des Regimes trieb die ansässige Unternehmensleitung mit erstaunlicher Eigeninitiative auch den rassistischen Auftrag der „Germanisierung“ der Region voran. Deutsche Arbeiter wurden in großer Zahl nach Auschwitz geholt. Die polnische und jüdische Bevölkerung wurde größtenteils in das seit 1940 existierende benachbarte Konzentrationslager deportiert. Mit seinem großen Reservoir an billigen Arbeitskräften hatte das KZ Auschwitz einen nicht unentscheidenden „Standortfaktor“ in den Plänen der IG Farben gebildet.
Die Reichsministerien stellten der sogenannten Siedlungsmusterstadt Auschwitz große Summen zur Verfügung. Kaum ein Antrag auf staatliche Zuschüsse wurde abgelehnt und dies inmitten des Krieges und allen Sparmaßnahmen zum Trotz.

Die „IG Auschwitz“

Im Frühjahr 1941 begann das Vorhaben „IG Auschwitz“. Die IG Farben waren das erste Privatunternehmen, dass ein Heer von Zwangsarbeitern unterhielt. Von den insgesamt 35.000 Häftlingen in den Arbeitslagern des Chemie-Riesen starben mehr als 25.000 an den Folgen der Zwangsarbeit. Das Lager Auschwitz-Monowitz, dass eines der neugegründeten Hauptlager des späteren Vernichtungslagers Auschwitz bildete, war das erste von einem Privatunternehmen initiierte und finanzierte Konzentrationslager. Genügte die Arbeitsleistung eines Häftlings nicht mehr, forderte der Konzern Ersatz. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Häftlinge betrug in Monowitz nicht mehr als drei Monate.
Die Konzentrationslager bekamen ab 1941 den Auftrag, die Arbeitskraft der Häftlinge gewinnbringend für die deutsche Industrie auszunutzen. In der Folge wurden sie zu Schauplätzen eines geplanten, systematischen Massenmordes und zum Arbeitskräftereservoir der deutschen Großindustrie. Hunderttausende Häftlinge wurden von der SS an die Rüstungsindustrie und Großkonzerne verpachtet.

Industrieller Massenmord

In Auschwitz erreichte das Streben nach profitorientierter Verwertbarkeit des Menschen seinen verbrecherischen Höhepunkt. Selbst die auf der Rampe von Auschwitz als arbeitsunfähig eingeordnet und in den Gaskammern zu Hunderttausenden Ermordeten wurden bis zum Letzten ausgebeutet. Die Haare der Opfer wurden zu U-Bootdichtungen und Strümpfen verarbeitet, aus ihren Knochen wurde Seife produziert. Beides wurde anschließend gewinnbringend an die Wehrmacht verkauft. Den Weg in den Tod ließ sich die Reichsbahn gut bezahlen. Die Deportierten wurden gezwungen ihre Fahrkarte in das Vernichtungslager selbst zu bezahlen. Bei Transporten mit mehr als tausend Menschen gewährte die Reichsbahn „Mengenrabatt“.
In Auschwitz wurde die Verknüpfung von Vernichtungswillen und industriellen Ausbeutungsinteressen Wirklichkeit. Hier trafen sich die Interessen der SS und der deutschen Großindustrie und bildeten für mehr als anderthalb Millionen Menschen einen tödlichen Pakt.

Kritik ausgeblendet

In den Gedenkveranstaltungen von Regierung und Bundestag wird die Verwicklung der deutschen Großindustrie in Zwangsarbeit und Massenmord ausgeblendet. Stattdessen wird die These in den Vordergrund gestellt, alle Deutschen trügen die Schuld am Holocaust. „Uns Deutschen stünde es eigentlich gut an, angesichts des größten Menschheitsverbrechens zu schweigen“, so Gerhard Schröder kürzlich. Doch worüber soll nach dem Willen des Kanzlers geschwiegen werden?
Darüber, dass die Industriekonzerne IG Farben, Flick, Krupp und Thyssen, die Elektrokonzerne Siemens und AEG zu den größten Geldgebern Hitlers gehörten und der Machtübernahme der Nazis mit ihrem Geld den Weg ebneten. Die Naziführung revanchierte sich durch die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen, Abschaffung von Arbeiterrechten, der Vergabe großer Aufträge und mit der Bereitstellung eines schier endlosen Heeres von Zwangsarbeitern. Doch über diese Verbindung wird beim Gedenken an die NS-Verbrechen regelmäßig der Mantel des Schweigens gelegt.
Gerhard Schröder hielt im letzten Jahr die Eröffnungsrede bei der Kunstausstellung „Flick Collection“. Die Bilder waren vom Enkel des Großindustriellen Friedrich Flick zur Verfügung gestellt worden. Seine Bilder-Sammlung hat er aus dem geerbten Vermögen des einstigen NS-Rüstungsunternehmers erworben. Friedrich Flick hatte zehntausende Zwangsarbeiter beschäftigt und war 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt worden.      

von Sylla Kahl, Hamburg