Einige Bemerkungen zum Film ?Sophie Scholl ? die letzten Tage?
Marc Rothemund hat eine große Chance vertan. Er hat einen Film über eine der bekanntesten antifaschistischen Widerstandskämpferinnen gedreht und nach dem Film weiß man wenig über die Ideen der Sophie Scholl und ihrer Mitstreiter in der Weißen Rose. Und noch weniger weiß man über Ursachen und Charakter des Nazi-Regimes. Da hilft die beeindruckende schauspielerische Leistung von Julia Jentsch in der Rolle der Sophie Scholl wenig. Ein gesellschaftliches Drama wird zu einem individuellen Drama inszeniert. Aufklärung findet nur am Rande statt. Was bleibt ist die Bewunderung für eine mutige, charakterstarke und prinzipienfeste junge Frau. Ihre Prinzipien aber, und wie sie zu diesen gekommen ist, werden nur am Rande beleuchtet.
Für den Film wurden die bis in die 90er Jahre in der DDR unter Verschluss gehaltenen Verhörprotokolle verarbeitet. Man erwartet packende Rededuelle zwischen Scholl und Mohr, dem das Verhör führenden Gestapo-Agenten. Doch nur in einigen wenigen Momenten haben die Dialoge zwischen Nazi und Antifaschistin inhaltlichen Tiefgang und lassen die Ideenwelt von Sophie Scholl erkennen. Diese wird vor allem auf ihren christlichen Glauben reduziert. Sopie Scholl als moralische Person, die alle Menschen als gleich betrachtet. Neben dieser Idee eines christlich gepägten Humanismus wird immer wieder die Einsicht erwähnt, dass der Krieg 1943, zum Zeitpunkt von Verhaftung, Verhör, Prozess und Hinrichtung, für Hitler-Deutschland nicht mehr zu gewinnen ist. Eine Einsicht, die ein Jahr später Teile der deutschen herrschenden Klasse und der Militärspitzen zum Attentat gegen Hitler am 20. Juli führen sollte. Doch die Weiße Rose ist von diesen bürgerlichen und nationalistischen sogenannten Widerstandskämpfern um Graf von Stauffenberg, die jahrelang treue Gefolgsleute des Regimes waren, meilenweit entfernt. Aber die Ideen der Weißen Rose werden nicht tiefgehend beleuchtet ? und es bleib vollkommen unerwähnt, dass sie nicht nur für Frieden und Demokratie, sondern auch für ein sozialistisches Deutschland eingetreten ist. Dies geht aus folgender Textstelle des fünften Flugblattes der Weißen Rose hervor:
„Der imperialistische Machtgedanke muß, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in Deutschland und Europa auszuüben versucht hat, muß im Keime erstickt werden. Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein. Nur eine gesunde föderalistische Staatenordnung vermag heute noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen. Die Arbeiterschaft muß durch einen vernünftigen Sozialismus aus ihrem Zustand niedrigster Sklaverei befreit werden. Das Truggebilde der autarken Wirtschaft muß in Europa verschwinden. jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter der Welt!
Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer GewaltStaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.“
Der Film lässt die Frage „was war der Hitler-Faschismus?“ völlig unberührt. Die historische Funktion des Faschismus, das kapitalistische System von der Bedrohung durch eine sozialistische Revolution der Arbeiterklasse zu retten indem alle Arbeiterorganisationen (Sozialdemokratische Partei, Kommunistische Partei, Gewerkschaften) zerschlagen werden und dadurch den deutschen Imperialismus wieder kriegstauglich zu machen, bleibt unerwähnt. Die Darstellung, dass Scholl im Gefängnis mit einer Kommunistin eine Zelle teilt, wird nicht für die Darstellung politischer Gespräche genutzt. Diese darf ihre kommunistische Überzeugung dadurch erklären, dass ?die Kommunisten zusammen halten? und sie das beeindruckt habe. Zuguterletzt wünscht sie Sophie Scholl zum Abschied ein ?Gott sei mit Dir? – reichlich untypisch für KommunistInnen.
Überaschend sind auch die zivilisierten Zustände im Gestapo-Knast. Diese mögen authentisch im Falle der Sophie Scholl sein. Wer aber einmal die Gedenkstätte im ehemaligen Gestapo-Gefängniss in Köln besucht hat, weiß unter welch unmenschlicher Behandlung die Gefangenen dort zu leiden hatten. Eine Zwei-Personen-Zelle, in der auch zwei und nicht zehn oder zwanzig Personen einsaßen, war die Ausnahme. Abgesehen von dem offensichtlichen Schauprozess, der gegen Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst geführt wird, sind die Verhöre geradezu fair. Das mag daran liegen, dass Mohr insgeheim Sympathien für Sophie Scholl hegte oder daran glaubte, sie umerziehen zu können. Das mag aber auch daran liegen, dass schriftliche Verhörprotokolle nicht immer die ganze Wahrheit wiedergeben. Und eine Frage bleibt: warum werden Nazi-Verbrecher eigentlich von ihrer ?menschlichen Seite?dargestellt und der alltägliche Terror wird nur gestreift?
Für alle, die ein persönliches Drama sehen wollen, lohnt sich der Film. Will man etwas über den Faschismus und die Weiße Rose erfahren, sollte man lieber Trotzkis Schriften zum Nationalsozialismus (im Internet unter http://www.sozialistische-klassiker.org/dir/lt.html ) und die Originaldokumente der Weißen Rose (zu finden im Internet unter: http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/widerstand/weisserose/ ) lesen.
von Sascha Stanicic, Berlin