SAV-Bundesleitung am 25. Februar 2005
Liebe Genossinnen und Genossen,
12 Tage nach den gegen die SAV gerichteten Beschl?ssen des ASG-Bundesvorstands gibt es immer noch keine ?ffentliche Stellungnahme Eurer Organisation bzw. von Christine Buchholz zu dieser Frage. Nicht nur das: Christine hat bisher nicht erkl?rt, ob sie bei der n?chsten ASG-Bundsvorstandssitzung die R?cknahme des Beschlusses beantragen wird und sie h?lt sich an die Geheimhaltungspolitik des Bundesvorstands hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens im Gremium.Von Euch gibt es nur einen Brief, der allerdings an die SAV gerichtet ist und nicht etwa an den ASG-Bundesvorstand. In diesem bringt Ihr es auch noch fertig, die H?lfte Eurer Ausf?hrungen darauf zu verwenden uns zu kritisieren, statt Solidarit?t in den Mittelpunkt zu stellen. Und es gibt ein paar Zeilen von Christine Buchholz auf der Berliner ASG-Mailingliste, in der sie den Beschluss ?pers?nlich bedauert?.
Wir sind emp?rt ?ber diese Ignoranz und Passivit?t. Nicht einmal in erster Linie weil versucht wird uns aus der ASG zu dr?ngen. Sondern weil diese Auseinandersetzung offensichtlich die Zukunft des Projektes ASG gef?hrdet und es die Aufgabe von SozialistInnen in der Partei sein sollte, hier entschieden einzugreifen und einen Weg aufzuzeigen, auf dem die ASG zu einer k?mpferischen Partei werden kann, die konsequent die Interessen der Arbeiterklasse vertritt.
Doch wir w?rden l?gen, wenn wir behaupteten, Eure Haltung w?rde uns ?berraschen. Leider entspricht sie der Haltung, die Ihr von Beginn an innerhalb der (W)ASG eingenommen habt.
Ihr habt eine unkritische Haltung gegen?ber dem Top-Down-Charakter des (W)ASG-Aufbaus eingenommen. Mit einer Ausnahme: als Ihr in der Auseinandersetzung um die Einsetzung von Lothar N?thebusch als Landeskoordinator f?r die WASG Berlin selber betroffen wart, habt Ihr lautstark nach Demokratie gerufen. Aber: Beim Treffen der Europ?ischen Antikapitalistischen Linken im Fr?hjahr 2004 hat Christine Buchholz einen Top-Down-Aufbau als notwendig bezeichnet und diejenigen als Heuchler bezeichnet, die der Meinung sind, man k?nne ein solches Projekt anders starten. Zur Auseinandersetzung um die Aufnahme der Opel-Kollegen aus Bochum habt ihr geschwiegen und Christine hat ihre Position im Bundesvorstand nicht dazu genutzt f?r die Wiederaufnahme der Kollegen zu intervenieren.Christine hat es nicht einmal f?r n?tig befunden, uns ?ber den Beschluss des Bundesvorstands zu informieren. Erst auf Nachfragen war sie ?berhaupt bereit mit uns dar?ber zu sprechen und wollte uns anfangs auf die offizielle Mitteilung durch den ASG-BuVo vertr?sten, die wir ?brigens bis heute nicht erhalten haben.
Wir fragen Euch:
1.Seid Ihr mit uns der Ansicht, dass gew?hlte Gremiumsmitglieder der ASG auf allen Ebenen rechenschaftspflichtig sein sollten? Wem ist Christine Buchholz verpflichtet ? ihren KollegInnen im Bundesvorstand oder der Basis?
2. Fordert Ihr Euer Mitglied Christine dazu auf bei der n?chsten Sitzung des ASG-BuVos einen Antrag zur R?cknahme des Beschlusses vom 13.2.2005
zu stellen?
3. Fordert Ihr Euer Mitglied Christine auf, das Abstimmungsverhalten des Bundesvorstands transparent zu machen und der Mitgliedschaft endlich die Wahrheit mitzuteilen?
Wir wollen die Gelegenheit nutzen, auch zu einigen politischen Fragen Stellung zu beziehen, die in Eurem Brief an uns und in Euren Artikeln zur Zukunft der ASG aufgeworfen werden.
Ihr werft uns vor, dass wir in der ASG f?r ein sozialistisches Programm eintreten. Ihr schreibt: ?Wenn ‚breit und pluralistisch‘ keine Floskel bleiben soll, dann kann man nicht f?r ein sozialistisches Programm als Plattform der ASG k?mpfen.? Darauf k?nnen wir nur entgegnen: Wenn das ’sozialistisch‘ in der Unterzeile des Linksruck kein Lippenbekenntnis sein soll, dann k?nnt Ihr nicht den b?rgerlichen Keynesianismus des ASG-Grundsatzprogramms verteidigen!
Die Idee, man k?nne auf der Basis eines sozialistischen Programms keine Wahlerfolge erzielen, halten wir f?r falsch. Ihr liegt eine schematische Sichtweise auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse zugrunde. Nat?rlich hat die Arbeiterklasse heute in ihrer Mehrheit kein sozialistisches Bewusstsein. Es gibt aber eine breite Ablehnung der bestehenden b?rgerlich-kapitalistischen Parteien und Institutionen und eine Offenheit f?r demokratischen Sozialismus. Die entscheidende Frage f?r eine Partei mit sozialistischen Grunds?tzen w?re, wie sie dieses Selbstverst?ndnis vermittelt. Eine Partei, die sich als k?mpferische und aktive Arbeiterpartei pr?sentiert, die der Wut von Millionen Ausdruck verleiht und Teil der K?mpfe von ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen ist wird auch von einem Teil der Arbeiterklasse gew?hlt werden ? von den einen weil sie auch eine grundlegende Ver?nderung der Gesellschaft anstrebt und in ihrem Programm deutlich macht, dass sie nicht an die Fleischtr?ge der Macht will, f?r andere wird das sozialistische Ziel kein Hinderungsgrund sein, wenn die Partei hier und jetzt ihre Interessen k?mpferisch vertritt (wof?r wiederum ein sozialistisches Programm ein enormer Vorteil ist).Vom Standpunkt des Marxismus ist aber die entscheidende Fragestellung, welche Zukunft eine Partei hat, die auf b?rgerlichem Reformismus basiert. In Zeiten des kapitalistischen Niedergangs besteht kaum Spielraum f?r Reformen im eigentlichen Sinne des Wortes. Eine Partei, die f?r soziale Gerechtigkeit eintritt wird sehr schnell mit dem kapitalistischen System in Konflikt geraten. Der Druck zu Sachzwangpolitik wird enorm sein. Dass dieser Druck auch selbsternannte Trotzkisten erfassen kann, wenn sie in der Praxis die Einheit einer breiten Partei ?ber die Interessen der Arbeiterklasse stellt, zeigt das Beispiel der Regierungsbeteiligung der Sektion der Vierten Internationale in Brasilien.
Das Problem ist doch, dass das ASG-Grundsatzprogramm kein ideologiefreies Aktionsprogramm (welches alle Forderungen enthalten w?rde ohne eine Aussage ?ber die dauerhafte Durchsetzung derselben im Rahmen des Kapitalismus zu machen) ist, sondern einen eindeutig keynesianistisch-marktwirtschaftlichen Charakter tr?gt. Ihr schlagt nicht einmal vor dies zu ?ndern und ein Aktionsprogramm daraus zu machen.Die Aufgabe von MarxistInnen muss es sein, die Bildung einer unabh?ngigen Arbeiterpartei mit voran zu treiben und gleichzeitig sozialistisches Bewusstsen zu schaffen. Das macht man aber nicht, indem man separat von den Auseinandersetzungen in der ASG ? in der Linksruck-Zeitung und bei Linksruck-Treffen ? abstrakt ?ber Sozialismus spricht und schreibt, sondern indem man sich als vorw?rtstreibender Teil der ASG bem?ht in Politik und Praxis Mehrheiten f?r weiter gehende Positionen und Aktionen zu gewinnen. Dass die Annahme eines sozialistischen Programms f?r MarxistInnen keine Bedingung f?r die Mitarbeit in der ASG sein darf ist selbstverst?ndlich und haben wir immer wieder erkl?rt. Aber darauf zu verzichten f?r eine sozialistische Ausrichtung der neuen Partei einzutreten hei?t sich daran beteiligen reformistische Illusionen zu verbreiten.
Statt innerhalb der ASG die politische Auseinandersetzung zu f?hren, beschr?nkt Ihr Euch darauf Aktionismus zu predigen, passt Euch politisch aber an den keynesianistischen Mainstream an indem Ihr diesen nicht offensiv in Frage stellt. Oppotunismus hei?t bekanntlich „Anpassung“. Aber Ihr passt Euch nicht nur selber dem Reformismus an, Ihr wollt jetzt auch noch die ASG der PDS anpassen. Eure offensive Argumentation f?r eine gemeinsame Kandidatur von PDS und ASG bei den Bundestagswahlen 2006 ist ein direkter Angriff auf die politische Unabh?ngigkeit der ASG. Ein solches B?ndnis w?re das Todesurteil f?r die ASG und w?rde die Chance aus der ASG eine k?mpferische Arbeiterpartei zu machen zunichte machen. Nicht nur weil die PDS die ASG organisatorisch schlucken w?rde. Auch weil es v?llig klar ist, dass der Kurs der PDS f?r Regierungsbeteiligungen unumkehrbar ist. Es gibt keine linke Opposition in der Partei, die einen anderen Kurs durchsetzen k?nnte. Dass Ihr ausgerechnet Andr? Brie als Kronzeugen auff?hrt ist grotesk. Brie ist nicht gerade auf dem linken Fl?gel der PDS angesiedelt und argumentiert schon seit Jahren f?r eine Linkspartei unter der F?hrung von Lafontaine und Gysi. Unabh?ngig davon, ob die PDS auf Bundesebene bereit w?re eine Koalition zu bilden oder zu tolerieren (was ja weniger von der PDS als von den anderen Parteien abh?ngt), ist die Regierungsbeteiligung in L?ndern und Kommunen ein geradezu konstitutives Element der Partei. Darauf zu orientieren die PDS zu ver?ndern und eine gemeinsame Partei zu bilden ? denn das w?re f?r eine Kandidatur bei den Bundestagswahlen aufgrund des Wahlgesetzes n?tig ? hei?t den AktivistInnen der ASG Sand in die Augen streuen und sie zu demoralisieren. Die ASG hat die Chance alleine und unabh?ngig in den Bundestag einzuziehen. Die j?ngsten Meinungsumfragen zeigen das. Drei Prozent haben jetzt schon erkl?rt sicher die ASG zu w?hlen, 19 Prozent halten das f?r m?glich. Dieses Potenzial kann erreicht und mobilisiert werden! Dazu muss die ASG sich massiv nach au?en wenden: raus auf die Stra?e, rein in die Betriebe! Sie muss Kampagnen zur Verteidigung der Interessen von ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen starten: gegen Zwangsr?umungen von ALG II-Empf?ngerInnen, gegen Entlassungen und Betriebsschlie?ungen, gegen Studiengeb?hren, gegen Privatisierung von Wohnraum etc. In diesen Kampagnen muss die ASG ihre Forderunen propagieren und sich als die Alternative zu den etablierten Parteien anbieten. Und: um Menschen aus K?mpfen zu begeistern und zu organisieren, muss die ASG demokratisch aufgebaut sein und bedarf es einer solidarischen Atmosph?re in der Partei.
Wir appellieren an Euch gemeinsam mit uns und anderen in der ASG f?r demokratische Strukturen, eine solidarische Atmosph?re und eine k?mpferische und sozialistische Politik einzutreten. Wenn die marxistischen Kr?fte in der ASG mehr an einem Strang ziehen w?rden, k?nnte die Stimme des Sozialismus lauter erklingen und von unseren reformistischen FreundInnen und KollegInnen nicht so leicht als unbedeutend abgetan werden.
Mit sozialistischen Gr??en
Sascha Stanicic
f?r die SAV-Bundesleitung