Ein Schritt nach links …. auf dünnes Eis

WASG-Landeskonferenz in NRW: Basis wehrt sich, Landesvorstand demontiert sich selbst
 
Die Delegierten der Landeskonferenz der nordrhein-westfälischen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WAsG), die am 15. Januar in Dortmund tagte, haben auf ihrer Tagung deutlich gemacht, dass sie selbstbewusst und souverän über die Geschicke der neuen Linkspartei entscheiden und sich von ihrem Landesvorstand nichts vorschreiben lassen. Dieser hatte, nicht einmal 24 Stunden vor Beginn der Konferenz und entgegen vorheriger Aussagen, eine Vorschlagsliste für die ersten 25 Plätze der zu wählenden Landesreserveliste der KandidatInnen für die Landtagswahlen im Mai bekannt gegeben. Von diesem Vorgehen fühlte sich eine große Mehrheit der Delegierten überfahren. Doch damit nicht genug: acht der ersten 12 Listenplätze wollte der Landesvorstand mit Landesvorstandsmitgliedern besetzt sehen. Dementsprechend erntete der Landessprecher Hüseyin Aydin bei der Eröffnung der Konferenz nur Gelächter als er von „einem bisschen Unmut“ sprach. Der Unmut der Delegierten brach sich explosiv Bahn und Aydin wurde zum prominentesten Opfer. Er unterlag in einer Stichwahl um Listenplatz 9 dem Sozialisten Michael Aggelidis. Dieser ist neben Edith Bartelmus-Scholich das zweite Landesvorstandsmitglied, das sich offen gegen das Vorgehen der Vorstandsmehrheit ausgesprochen hatte. Doch diese Wahl fand nach zwölf turbulenten Stunden Kongressverlauf statt, die mit einem traurigen Skandal begonnen hatten.

Opel-Kollegen rausgeworfen

Die Delegierten hatten kaum Platz genommen, da forderte Hüseyin Aydin zu Beginn seiner Konferenzeröffnung „alle, die aus der WasG ausgetreten sind“ auf, den Saal zu verlassen. Für alle Nicht-Eingeweihten erschien diese Aufforderung als selbstverständlich – was will man auch auf der Konferenz einer Organisation, die man verlassen hat.
Mit allen Wassern bürokratischer Tricks gewaschen, verzichtete Aydin darauf zu erklären, um wen und was es ging. Im Saal waren Jürgen Rosenthal, Jürgen Kreutz und Norbert Spittka. Alle drei sind Arbeiter im Bochumer Opel Werk und haben eine wichtige Rolle beim siebentägigen Streik im Oktober gespielt (Artikel hier), den sie gegen die Führung ihres Betriebsrates und der IG Metall organisieren mussten. Sie waren im Zuge des Arbeitskampfes in die WAsG eingetreten und wollten eine Betriebsgruppe gründen. Dies wurde damals von der Bochumer WAsG-Gruppe und dem Landesvorstand verhindert bzw. die Anerkennung einer solchen Gruppe aus Satzungsgründen verzögert. Hintergrund war eine Auseinandersetzung in der Bochumer WAsG, an der der ehemalige Opel-Betriebsratsvorsitzende Peter Jaszyk, aber nicht die Opel-Kollegen, beteiligt war. Dieser hatte Rosenthal und die anderen Kollegen motiviert in die WAsG einzutreten. Nun sollte verhindert werden, dass diese Kollegen, die nicht alle ihren Wohnsitz in Bochum haben, an der Wahl zum Vorstand der Regionalgruppe teilnehmen können. Jaszyk seinerseits nahm die Verzögerungstaktik des Landesvorstands zum Anlass diesem ein Ultimatum zu stellen und drohte mit Austritt. Der Landesvorstand gab nicht nach, Jaszyk trat aus und nahm seine 16 Kollegen aus dem Opel-Werk mit. Einige der Opelaner waren im Dezember 2004 in verschiedenen Städten von WAsG-Gruppen zu öffentlichen Veranstaltungen über den Streik eingeladen worden und zogen, nachdem sie ein anderes Bild der WAsG kennen gelernt hatten, die Schlussfolgerung wieder einzutreten. Dies wurde nun vom Vorstand der Bochumer Regionalgruppe verhindert, der einen Wiedereintritt an Bedingungen küpfte. Unter anderem sollten die Kollegen sich entschuldigen (weshalb wurde ihnen nicht mitgeteilt) und sie sollten ihr Verhältnis zur SAV öffentlich erklären. Dies wirft die Frage auf, ob Landesvorstand und andere Kräfte in der WAsG kein Interesse daran haben kämpferische Arbeiter in die neue Partei aufzunehmen, die eine kritische Haltung zur IG Metall-Führung mitbringen und unter Beweis gestellt haben, dass sie sich durch diese nicht vom streiken abhalten lassen. Der Landesvorstand jedenfall hat niemals versucht das direkte Gespräch mit den Opel-Kollegen zu suchen und hat nicht moderierend in die Auseinandersetzung eingegriffen.
Auf der Landeskonferenz wollten die Opelaner die Situation aus ihrer Sicht der Dinge darstellen und erklären, dass sie die WAsG mit aufbauen wollen. Doch dazu kam es nicht. Im Eilverfahren ließ Aydin darüber abstimmen, ob die „aus der WasG ausgetretenen“ den Saal verlassen sollten. 64 Delegierte stimmten dafür, 55 dagegen. Ein Antrag des Aachener Ratsherren und SAV-Mitglieds Marc Treude die Kollegen sprechen zu lassen wurde ebenso niedergestimmt. Ein schlechter Auftakt für eine Organisation, die sich auf die Fahne geschrieben hat, eine Partei zu bilden, die anders sein wird als die etablierten Parteien.
Diese Abstimmung drückte aber keineswegs blinden Gehorsam der Delegierten aus, sondern vielmehr ein Phänomen, das im weiteren Verlauf der Konferenz von den Delegierten selber scharf kritisiert wurde: die mangelhafte Informationspolitik des Landesvorstands.

Nicht integrativer Führungsstil

Bevor es zur Debatte über den Führungsstil des Landesvorstands kam, wurde einmal mehr deutlich, dass die Mitglieder der WAsG NRW fest entschlossen sind, bei den Landtagswahlen im Mai anzutreten. Ein Antrag zur Tagesordnung die Debatte über Pro und Contra einer Kandidatur neu zu führen, wurde bei nur zwei Ja-Stimmen fast einstimmig abgelehnt. Eine klare Botschaft: Steinbrück – wir kommen!
In der Aussprache über die Vorgehensweise des Vorstands machten viele Delegierte ihrer Enttäuschung und Unzufriedenheit Luft. Noch wenige Tage vor der Konferenz war bei einer Länderratssitzung gesagt worden, dass nicht mehr als vier bis fünf Kandidatenvorschläge in allgemeiner Form vom Landesvorstand gemacht werden und hatte dieser noch erklärt, selber nicht antreten zu wollen. Hüseyin Aydin bestand auf das Recht des Vorstandes eine Empfehlung abzugeben. Darauf konterte Matthias Fiege aus Bonn: „Du redest immer nur über die Rechte des Vorstands. Über die Rechte der Delegierten sich über die Kandidaten zu informieren sprichst Du nicht.“ Auch Angela Bankert, stellvertretende Regionalgruppensprecherin aus Köln und Delegierte wies darauf hin, dass es nicht um die Frage nach dem prinzipiellen Recht des Vorstands gehe, eine Empfehlung auszusprechen. Das Problem sei die Vorgehensweise, die keine kollektive Diskussion in der Mitgliedschaft über diese Empfehlung möglich machte. Tatsächlich hatten selbst Landesvorstandsmitglieder ihre Kandidatur nicht fristgerecht eingereicht und traten auch solche an, die sich in der Vergangenheit gegen eine Kandidatur bei den Wahlen ausgesprochen hatten. Diesen wurde dann auch von einem Delegierten „Charakterlosigkeit“ vorgeworfen. Die Kritik ging aber weiter: so wurde darauf hingewiesen, dass die Empfehlung des Vorstands keinen Querschnitt der Mitgliedschaft repräsentiere und wurde die mangelnde Transparenz, das fehlende Fingerspitzengefühl und der nicht integrative Führungsstil des Landesvorstands angeprangert.
Hüseyin Aydin redete sich um Kopf und Kragen, so behauptete er unter anderem dieselbe Kritik wäre vorgebracht worden, hätte der Landesvorstand keinen Vorschlag gemacht und unterstellte den KritikerInnen damit unlautere Motive. Nach Ende seines Beitrages in dieser Debatte herrschte Totenstille im Saal und kein/e Delegierte/r applaudierte.

Wahl zum Spitzenkandidaten

Schon vor einigen Wochen hatte der ehemalige SPD-Mann Hans Wallow seine Kandidatur angekündigt. Unterstützt von Linken wie Michael Aggelidis trat er gegen den vom Landesvorstand aus dem Hut gezauberten Industriepfarrer Jürgen Klute an. Inhaltlich unterschieden sich die beiden kaum, abgesehen davon, dass Hans Wallow den Saal aufforderte die Opelaner wieder hinein zu lassen, die im Foyer warteten und versuchten mit möglichst vielen Delegierten ins Gespräch zu kommen. Immerhin Wallow hatte in den Tagen zuvor geäußert, dass die Eigentumsfrage für ihn kein Tabu ist und sich für einen integrativen Führungsstil in der WasG ausgesprochen. Allerdings versäumte er es, kritische Fragen nach seiner Öffentlichkeitsarbeit für die SPD unter Helmut Schmidt und Willy Brandt zu beantworten und blieb in seiner Vorstellung farb- und profillos. Linke Delegierte spekulierten darauf, dass eine Sieg Wallows den bürokratischen Griff des Landesvorstands auf den Landesverband sprengen könnte. Dazu sollte es nicht kommen. Der Pfarrer Klute wurde im zweiten Wahlgang gewählt (im ersten Wahlgang waren zwei weitere KandidatInnen angetreten, die aber chancenlos waren). Der Griff des Vorstands wurde trotzdem gesprengt.

Vorstandsmitglieder erhalten Quittung

Schon auf Listenplatz 2 fiel dann das Vorstandsmitglied Brigitte Halgebauer gegen Oda von Mohrenschildt durch. Und auf Platz 6 erzielte im ersten Wahlgang der zum linken Flügel gehörende verdi-Gewerkschafter Wolfgang Zimmermann aus Düsseldorf eine klare Mehrheit gegen das Vorstandsmitglied Heinz Hillebrandt. Vorher war das Kölner SAV-Mitglied Angela Bankert erst in der Stichwahl an dem Vorstandsmitglied Britta Pietsch gescheitert. Mit einer radikalen Vorstellungsrede und einem klaren Bekenntnis zum Marxismus hatte Angela Bankert 54 Stimmen von 133 erhalten. Dabei hatte sie nicht zuletzt gegen eine Hetzkampagne gegen die SAV zu kämpfen, die seit Wochen hinter den Kulissen im Landesverband durchgeführt wird. Viele der Delegierten kamen später auf SAV-Mitglieder zu und sagten, sie seien verwundert, dass die SAV-Leute ja in Wirklichkeit gar keine Chaoten seien. Angela Bankert schaffte es ein zweites Mal in die Stichwahl und auch Marc Treude aus Aachen schaffte es in die Stichwahl gegen das Vorstandsmitglied Ulrich Sander. Diese wird allerdings erst am kommenden Sonntag stattfinden, da die Konferenz um 22.20 Uhr aus Zeitgründen unterbrochen werden musste.
Dass der Landesvorstand aus der Kritik nicht gelernt zu haben scheint, zeigt sich in der Darstellung dieses Wahlgangs auf der Website des Landesverbandes. Dort wird nur Sander als Teilnehmer an der Stichwahl namentlich erwähnt und darauf hingewiesen, dass er deutlich in Führung lag – ohne Marc Treudes Namen zu erwähnen und ohne zu erwähnen, dass es insgesamt zehn KandidatInnen gab (von denen übrigens mehrere als KritikerInnen des Landesvorstands aufgetreten waren).
Wie weiter?

Zu diesem Zeitpunkt war gerade das Ergebnis der Stichwahl zwischen Hüseyin Aydin und Michael Aggelidis bekannt gegeben worden. Mit 68 zu 62 Stimmen gewann der Sozialist Aggelidis, der in seiner Vorstellungsrede unter anderem zu einem integrativen Führungsstil im Landesverband aufgerufen hatte. Das Wort vom „Königsmord“ ging leise durch den Saal, doch hatte der König wohl eher Selbstmord begangen. Das Ergebnis schlug ein wie eine Bombe. Landesvorstandsmitglieder waren offensichtlich erregt, Krisengespräche an allen Ecken. Vom Rücktritt war die Rede, der bei der Landesvorstandssitzung am Mittwoch erklärt werden solle. Sicher hat der Verlauf der Konferenz verdeutlicht, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Basis und Führung nicht besteht. Nun sind aber ohnehin Vorstandswahlen für die nächste Landeskonferenz am 23. Januar angesetzt. Wieso also Rücktritt? Als Signal des Eingeständnisses des Scheiterns? Oder als Sabotageakt? Denn am Samstag tagt der bundesweite Länderrat der WAsG und soll endgültig über die Wahlteilnahme in NRW entscheiden. Ob dieser einen führungslosen Landesverband ins Rennen schickt ist zweifelhaft. Deshalb wäre es die Verantwortung des aktuellen Vorstands gemeinsam mit den Regionalsprechern eine konstruktive und demokratische Landeskonferenz vorzubereiten und die Wahl eines neuen Vorstands zu gewährleisten, der in der Lage ist, den Landesverband in den Wahlkampf zu führen, der integrativ wirkt und alle politischen Richtungen repräsentiert.

Form und Inhalt

Debatten um programmatische Fragen fanden kaum statt und es wäre sicherlich eine Fehleinschätzung jedeN KritikerIn des Landesvorstands als LinkeN im WasG-Spektrum zu bezeichnen. Allerdings gibt es einen Zusammenhang zwischen Form und Inhalt. Die bürokratischen Methoden von Hüseyin Aydin und der Mehrheit seiner VorstandskollegInnen stehen in einem Zusammenhang mit einer politischen Konzeption der neuen Linkspartei. Teil dieser Konzeption ist sicherlich eine Orientierung auf die Parlamente, das Vermeiden von allzu großen Konflikten mit der Gewerkschaftsführung, das Ausschließen antikapitalistischer Positionen für die WAsG-Programmatik und ein Herausdrängen marxistischer Strömungen aus der WAsG. Demokratische Strukturen sind eine notwendige Voraussetzung, um eine offene Debatte zur Programmatik zu haben und in der WasG für einen kämpferischen Wahlkampf und für linke und antikapitalistische Positionen, die über den Sozialstaats-Keynesianismus der jetzigen Führung hinausgehen, werben zu können.
In diesem Sinne war die Landesdelegiertenkonferenz ein Schritt in die richtige, die linke, Richtung. Auch wenn inhaltliche Fragen kaum diskutiert wurden, hat der Kampf um eine demokratische Partei einen Etappensieg errungen. Die guten Wahlergebnisse für SAV-Mitglieder und die Wahlsiege anderer sozialistischer Linker drücken die Unterstützung und das Potenzial für antikapitalistische Positionen in der WAsG aus. Allerdings geht die WAsG in NRW auf dünnem Eis. Die Mitgliedschaft stagnierte in den letzten Monaten und die Organisation beschäftigte sich weitgehend mit sich selbst. Die nun entstandene potenzielle Krisensituation birgt die Gefahr, dass diese Nabelschau weiter geht. Das muss verhindert werden. Sie birgt aber auch die Chance den Landesverband zu stärken. Die kommende Landeskonferenz muss einen neuen Vorstand wählen und das Signal geben: raus auf die Straße! Rein in die Betriebe!

Sascha Stanicic, Teilnehmer an der Landedelegiertenkonferenz am 15.1.2005