SozialistInnen und die WASG

Über das Verhältnis der SAV zur neuen Linkspartei
 
Die Mitglieder der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) haben in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit beschlossen: eine neue Partei wird gegründet. Dies ist eine große Chance, dem in den Parlamenten vertretenen neoliberalen Einheitsbrei etwas entgegen zu setzen.
Die SAV unterstützt die Gründung einer Partei für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, RentnerInnen und Jugendliche. Als im Frühjahr 2004 die beiden Initiativen entstanden, aus denen die WASG wurde, haben wir diesen Schritt begrüßt und eine konstruktive und solidarische Mitarbeit begonnen. Wir sind von Beginn an für eine offene, demokratische, kämpferische und sozialistische Partei eingetreten. Seitdem wurden wir von einigen Mitgliedern des WASG-Bundesvorstands und anderen WASG-Funktionären aufgrund unserer Haltung kritisiert und angegriffen. Diese Vorwürfe sollen hier beantwortet werden und die Haltung der SAV zur WASG klar gestellt werden.

Sammlungsbewegung oder Arbeiterpartei?

Auf einer Versammlung in Berlin griff Joachim Bischoff vom WASG-Bundesvorstand die SAV an, weil sie für die Bildung einer Arbeiterpartei eintrete, die WASG aber eine Sammlungsbewegung sei. Schön und gut. Doch wen soll die neue Partei „sammeln“?
Einige der SprecherInnen der WASG sind in den letzten Monaten so weit gegangen CDU-Politiker wie Heiner Geißler und Norbert Blüm in die WASG einzuladen. Andere haben sich monatelang dagegen gewehrt die WASG als „links“ zu bezeichnen.
Die SAV hingegen tritt dafür ein, dass eine Partei gebildet wird, die sich zur Aufgabe macht, die Interessen von Lohnabhängigen, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen zu vertreten. KollegInnen, wie die streikenden Opel-Beschäftigten, gehören in die WASG, keine Ex-Minister und Unternehmer.
Angesichts der niedrigsten Lohnquote seit Ende der 60er Jahre und der höchsten Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik liegt für uns auf der Hand: die Kapitalbesitzer und die Masse der Bevölkerung haben sich widersprechende Interessen. Erstere haben viele Parteien, die ihre Interessen vertreten, Letztere hat keine Partei. Deshalb brauchen wir auch keine Neuauflage der SPD, die versucht den Interessenskonflikt zwischen Kapital und Arbeit zu verschleiern und dabei im besten Fall faule Kompromisse zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit zustande bringen würde. Wir brauchen eine Partei, die weiß auf welcher Seite sie steht.
Für die Bildung einer solchen Partei tritt die SAV schon seit Mitte der 90er Jahre ein. Seitdem die SPD ihre Basis unter ArbeitnehmerInnen verloren hatte und eine durch und durch kapitalistische Partei geworden war, sind wir für eine neue Arbeiterpartei eingetreten und haben darunter eine Partei verstanden, die all die Kräfte aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zusammen bringen und organisieren kann, die sich der neoliberalen und kapitalistischen Offensive entgegenstellen wollen.

Systemtreue oder Antikapitalismus?

Christine Buchholz, Sprecherin der Organisation „Linksruck“ und Mitglied im WASG-Bundesvorstand, hat erklärt, es sei ein Fehler in der WASG für eine antikapitalistische oder sozialistische Ausrichtung einzutreten. Dies enge den Kreis der Menschen ein, die von der WASG erreicht werden können.
Die SAV hingegen ist der Ansicht, dass nur ein antikapitalistisches beziehungsweise sozialistisches Programm verhindern kann, dass die WASG den Weg der Anpassung beschreitet, den vor ihr SPD, Grüne und PDS gegangen sind.
Die Mehrheit des Bundesvorstands der WASG vertritt die Haltung, man könne die Macht der multinationalen Großkonzerne im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft dauerhaft und nachhaltig einschränken und diese dazu bringen, trotz Konkurrenzkampf und Profitgier, höhere Löhne zu zahlen, Arbeitsplätze zu schaffen, die Umwelt zu schonen und keine Kriege zu führen. Dies halten wir für utopisch. Der Kapitalismus basiert auf Profitmaximierung. Daraus ergibt sich der Drang möglichst billig zu produzieren und einen möglichst sicheren und billigen Zugang zu Rohstoffen und Märkten zu haben.
Eine Partei, die eine Lösung für die gesellschaftlichen Probleme aufzeigen will, darf nicht im Rahmen kapitalistischer Macht- und Eigentumsverhältnisse verharren. An die Grenzen dieser Macht- und Eigentumsverhältnisse geraten wir schon, wenn wir hier und heute für den Erhalt unserer Arbeitsplätze kämpfen.
Beispiel Autoindustrie: hier gibt es weltweit Überkapazitäten von 25 Prozent, die Branche steckt in der Krise, die Opel-Bosse sind fest entschlossen tausende Arbeitsplätze zu vernichten. Solange die Autoindustrie in Privatbesitz ist und nach marktwirtschaftlichen Konkurrenzprinzipien funktioniert, kann es keinen Ausweg aus dieser Krise geben: Der Kampf um jeden Arbeitsplatz kann auch hier und heute erfolgreich aufgenommen werden. Die Unternehmer können gezwungen werden, Zugeständnisse zu machen. Doch Konkurrenz und Profitlogik zwingen sie dazu, so schnell wie möglich auch solche Zugeständnisse wieder in Frage zu stellen.
Deshalb müssen Opel und die gesamte Automobilindustrie enteignet werden. Nur wenn diese Werke der kapitalistischen Profitlogik entzogen werden und auf der Basis von öffentlichem Eigentum durch die Beschäftigten kontrolliert und verwaltet werden, können die Jobs dauerhaft gerettet werden und die Produktionskapazitäten und Fähigkeiten der Beschäftigten dazu genutzt werden sinnvolle Güter herzustellen.
Deshalb ist die Frage eines antikapitalistischen beziehungsweise sozialistischen Programms keine abstrakte Frage für eine unbestimmte Zukunft, sondern betrifft die konkrete Ausrichtung der Politik der neuen Partei in den Kämpfen heute und morgen.
Es mag sein, dass die Mehrzahl der ArbeitnehmerInnen heute noch keine SozialistInnen sind. Aber drei Viertel in Ostdeutschland und über 50 Prozent in Westdeutschland haben der Aussage zugestimmt, der Sozialismus sei eine gute Idee, die nur falsch umgesetzt wurde. Diese Offenheit und Sympathie für sozialistische Ideen gilt es zu nutzen.
Die SAV schlägt ein sozialistisches Programm vor und argumentiert in den Reihen der WASG dafür, arbeitet aber solidarisch und konstruktiv mit, auch wenn ein solches Programm nicht angenommen wird. Aus unserer Sicht sollte die programmatische Minimalbasis der WASG die Ablehnung jeder Form von Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierung sein.

Parlamentarismus oder Klassenkampf?

Wir sehen den dringenden Bedarf innerhalb der neuen Partei zu diskutieren, welche Bedeutung die parlamentarische Arbeit im Verhältnis zur außerparlamentarischen Arbeit einnehmen soll. Wir befürchten, dass die Mehrheit des jetzigen Bundesvorstands eine weitgehend parlamentarische Ausrichtung betreibt. Wir treten für eine neue Partei ein, die ihre Hauptaufgabe darin sieht AktivistInnen aus verschiedenen Bereichen zusammen zu bringen, deren Kämpfe zu verbinden und mit einer politischen Perspektive und einem politischen Programm zu bewaffnen. Die Tätigkeit von Abgeordneten kann dabei eine wichtige unterstützende Rolle spielen, darf aber nicht im Mittelpunkt der Parteiarbeit stehen. Die Parlamente müssen als Plattform genutzt werden von der aus das politische Programm verbreitet wird, Parlamentsarbeit darf nicht zum Selbstzweck werden und nicht mit der Illusion betrieben werden, sie sei der Schlüssel zu gesellschaftlicher Veränderung. Das können nur die Proteste und der Widerstand in den Betrieben und auf der Straße sein.
Der Streik bei Opel Bochum war erst ein Anfang und wird von vielen Arbeitskämpfen gefolgt werden. Die Aufgabe der WASG muss dann sein: bundesweite Solidaritätskampagne starten, überall die Gründung von Solidaritätskomitees voran treiben, Spenden sammeln und die Verbindung zu anderen Betrieben ziehen. GewerkschafterInnen in der WASG müssen ihre Möglichkeiten nutzen, um betriebliche und gewerkschaftliche Proteste und Streiks zu erreichen.

Bürokratie oder Demokratie?

Leider ist der Aufbau der WASG bisher sehr stark von oben nach unten konzipiert. Da wurden Landesleiter von oben eingesetzt, Kandidatenlisten für Landesvorstände vorgegeben, Beiträge zum Programmentwurf nicht auf der bundesweiten WASG-Website veröffentlicht, der Bundesvorstand versuchte eine Kandidatur in NRW zu verhindern. Die SAV tritt für eine demokratische Struktur der neuen Partei ein. Das beinhaltet vor allem die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von allen FunktionsträgerInnen. Diese müssen der Basis gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Um zu verhindern, dass hauptamtliche MitarbeiterInnen und Parlamentsabgeordnete ihre Aufgaben aus Eigennutz betreiben und sich von der Basis abheben, schlagen wir vor, dass diese nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn. Demokratie in der WASG muss auch bedeuten, dass es eine offene und freie Debatte gibt und dass Untergliederungen und Mitglieder Möglichkeit haben ihre Positionen auf Websites und einer Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen. Örtliche Gruppen und Landesverbände müssen weitgehende Autonomierechte erhalten, damit sie eigenständige Kampagnen durchführen und inhaltliche Positionen entwickeln und vertreten können, solange diese nicht Sozialkürzungen, Privatisierungen oder Arbeitsplatzvernichtung unterstützen.

Zentralismus oder Föderalismus?

In Nordrhein-Westfalen hat ein ehemaliges Mitglied des WASG-Landesvorstands der SAV vorgeworfen, die WASG zu unterwandern und die Gruppen in Aachen und Köln zu dominieren. Einzelne in der WASG haben uns aufgefordert, die SAV nach der Gründung der neuen Partei aufzulösen und sich gegen das Recht auf eine Doppelmitgliedschaft ausgesprochen.
Wir sind der Meinung, dass die WASG beziehungsweise die neue Partei, Raum bieten muss für die verschiedenen Kräfte, die in den letzten Jahren versucht haben, Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse zu organisieren. Und sie muss zusätzlich ein Angebot für die vielen bisher unorganiserten Menschen sein, die sich angesichts der Angriffe auf ihren Lebensstandard politisieren und aktivieren.
Es wäre ein Fehler den verschiedenen Gruppen, die man für die WASG gewinnen kann, zur Auflage zu machen, ihre eigene Identität aufzugeben. Lokale Wahlbündnisse, Gruppen von linken GewerkschafterInnen, Gewerkschaftsgliederungen, politische Organisationen, Gruppen der sozialen und globalisierungskritischen Bewegung sollten die Möglichkeit haben geschlossen Teil der WASG zu werden.
Ein solches föderatives Konzept würde die neue Partei stärken, weil es viele Kräfte zusammen bringt und bündelt. Ein Zentralismus, der auf Unterordnung hinausläuft, würde die WASG schwächen und wichtige Kräfte davon abhalten einzutreten. Zusätzlich zu dieser Möglichkeit sollte es das Recht geben innerhalb der WASG politische Plattformen und Arbeitsgemeinschaften zu bilden, um auf den Meinungsbildungsprozess kollektiv Einfluss nehmen zu können.
Die neue sozialistische Partei in Brasilien P-SOL und die Schottische Sozialistische Partei zeigen, dass es keinen Sinn macht das Gespenst von „der Partei in der Partei“ zu beschwören. Hier wurde es verschiedensten politischen Organisationen ermöglicht, ihre eigene Identität, Organisationsstruktur und Publikationswesen aufrecht zu erhalten.
Die SAV hat in den 90er Jahren versucht eine sozialistische Alternative zum neoliberal-kapitalistischen Mainstream anzubieten. Wir haben versucht auch bei Wahlen, wo es uns möglich war, die Lücke zu füllen, die durch den Rechtsruck von SPD und PDS entstanden war. Oftmals haben wir das in Wahlbündnissen gemeinsam mit anderen Organisationen und Einzelpersonen getan. Während wir uns als kleine sozialistische Partei angeboten haben, haben wir immer auf die Notwendigkeit einer breiten Arbeiterpartei hingewiesen und diese Idee propagiert.
Die SAV will eine demokratische und breite Partei gemeinsam mit allen Kräften aufbauen, die sich an der WASG beteiligen. Wir treten in diesem Prozess der solidarischen Zusammenarbeit offen für unsere Ideen und Vorschläge ein. Wir setzen uns für kämpferische Wahlkämpfe der WASG ein und für KandidatInnen die offensiv die Interessen der Lohnabhängigen vertreten.
Der Vorwurf der Unterwanderung und Dominanz dient nur dazu, sich nicht mit unseren politischen Ideen auseinanderzusetzen. Wir versuchen so viele ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche wie möglich für die WASG zu gewinnen. Dabei rufen wir jeden und jede auf, auch in die SAV einzutreten, um eine marxistische Organisation zu stärken, die einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann aus der WASG eine kämpferische Arbeiterpartei zu machen.
Natürlich wollen wir für unsere Vorschläge Mehrheiten in der neuen Partei gewinnen, genauso wie das die IG-Metall-Funktionäre um Klaus Ernst auch wollen – aber auf der Basis demokratischer Entscheidungsprozesse und nicht bürokratischer Dominanz von WASG-Gruppen oder -Gremien. Wir sind davon überzeugt, dass wir die richtigen Ideen vertreten und agieren offen und ehrlich. Auf dieser Basis sind SAV-Mitglieder in Regionalgruppen- und Landesvorstände der WASG gewählt worden.

Arbeiterpartei und SAV!

Das Ziel der SAV ist der Aufbau einer marxistischen Massenpartei. Heute ist das weder die SAV noch die WASG. Wir sind der Überzeugung, dass unsere Beteiligung den Aufbau der WASG fördern wird. Im Prozess des Aufbaus dieser neuen breiten Partei, der gemeinsamen Debatten und Kampagnen werden die verschiedenen Ideen und Vorstellungen getestet werden. Wir sind zuversichtlich, dass sich der Marxismus in diesem Prozess als die passende Antwort auf die kapitalistische Krise präsentieren wird und eine Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung wird gewinnen können.

von Sascha Stanicic, Berlin