Seit Beginn der Besetzung des Irak unter Führung des US-Imperialismus kamen 98.000 IrakerInnen ums Leben.
Zu diesem Schluss kam das medizinische Fachmagazin The Lancet in Britannien. Die Studie war noch vor der Zerstörung von Falludscha vorgenommen worden. Das Risiko eines gewaltsamen Todes soll seit der US-Invasion im Frühjahr 2003 um das 58-fache angestiegen sein. Mit jedem neuen Angriff seitens der Besatzungstruppen, mit jeder weiteren Truppenverstärkung nimmt der Widerstand innerhalb der irakischen Bevölkerung weiter zu. Vor diesem Hintergrund sind die angeblich freien und demokratischen Wahlen am 30. Januar ein schlechter Witz.
In einer seiner ersten Amtshandlungen nach seinem Wahlsieg präsentierte US-Präsident George W. Bush die Hardlinerin Condoleezza Rice als neue Außenministerin: In Dr. Rice wird die Welt die Stärke und Anständigkeit unseres Landes sehen. Was Bush unter Stärke und Anständigkeit versteht, zeigte sich direkt im Anschluss daran in der Offensive auf Falludscha. Nach der völligen Verwüstung dieser 300.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt verkündete Bush am 1. Dezember die Erhöhung der US-Truppenstärke um 12.000 GIs auf 150.000 Soldaten. Das erinnert einmal mehr an den Vietnam-Krieg, in dem der US-Imperialismus seine Truppen auch immer wieder aufs Neue aufstocken musste, und damit nur die Probleme vertiefte, die er eigentlich lösen wollte. Mit dieser gigantischen Anzahl von Besatzungskräften will das Weiße Haus die Durchführung der Wahlen im Irak am 30. Januar absichern.
Pläne der neuen Bush-Regierung
Nach der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten verfolgen Bush und Co keinen neuen Kurs, erwarten sich jedoch von einer Intensivierung ihrer Politik schnellere Erfolge. Falludscha wurde zum Symbol dafür: Mit aller Macht sollte jeglicher Widerstand gebrochen werden. Der Preis dafür war die Verwüstung einer Großstadt. Eine 200.000 Menschen starke Flüchtlingswelle wurde in Kauf genommen, Kriegsgefangene kaltblütig erschossen. Selbst in der konservativen New York Times wird das, was in Falludscha stattgefunden hat, als Zerstörung einer ganzen Stadt bezeichnet.
Während Regionen des Irak in Schutt und Asche gelegt werden, halten die Falken in Washington gleichzeitig an dem Wahltermin am 30. Januar fest. Ihnen ist es gleich, dass weite Teile des Landes gar nicht teilnehmen können und die meisten Sunniten (immerhin ein Drittel der Gesamtbevölkerung) die Wahlen boykottieren wollen. Die neue irakische Regierung wird eine Scheinregierung sein. Mit dieser Regierung, mit dem Schein staatlicher Strukturen, mit der Wiedereröffnung mancher Amtsgebäude, Schulen oder Gerichtssäle zieht das Bush-Regiment Potemkinsche Dörfer hoch. Hauptsache, die Kontrolle über die Ölvorkommen ist gesichert…
Falludscha ein Pyrrussieg
Die Zerstörung Falludschas sollte eine Demonstration der Stärke sein. Von Falludscha sollte die Botschaft an alle irakischen Terroristen ausgehen, dass ihr Widerstand chancenlos bleiben wird. Doch schon unmittelbar nach der Einnahme der Stadt zeigte sich das Scheitern der US-Pläne.
Schon vor Falludscha waren 24 Städte und Ortschaften von Aufständischen kontrolliert. Im September wurden 39 Autobomben gezündet, im August waren es 24. Die US-Truppen mussten zugeben, dass die Zahl der Aufständischen deutlich größer ist als bislang behauptet. Längst ist ihre These nicht mehr aufrechtzuerhalten, dass so gut wie alle Taten auf al-Sarkawi zurückgeführt werden könnten. Längst sprechen sie von 20.000 statt 2-3.000 Widerstandskämpfern.
Trotz der Eroberung Falludschas durch die Besatzungstruppen gingen die Gefechte im Süden der Stadt über längere Zeit weiter. Seitdem nahmen die Anschläge auf irakische Sicherheitskräfte, die auf Grund ihrer Kollaboration mit dem US-Regime besonders verhasst sind, weiter zu.
Falludscha bewies vor allem eines: Dank ihrer militärischen Überlegenheit sind die US-Truppen natürlich in der Lage, taktische Erfolge zu erzielen, doch ein strategischer Sieg rückt gleichzeitig in immer weitere Ferne. In dem Maß, in dem die Angriffe der Besatzungskräfte zunehmen, steigt die Zahl der Anschläge. In dem Maß, in dem die Truppenstärken für die Armeen der USA und Britanniens sowie der irakischen Streitkräfte erhöht werden, wächst die Unterstützung für den Widerstand.
Kurz nach Falludscha wurde Mossul, mit 1,2 Millionen Menschen die drittgrößte Stadt des Irak, zum neuen Zentrum der Auseinandersetzungen. Hier ist der Rückhalt für die Aufständischen innerhalb der Bevölkerung noch größer als das in Falludscha der Fall war. Dies erklärt auch, warum die Besatzungstruppen bislang nur wenige der Aufständischen fassen oder töten konnten. Am Dienstag, den 21. Dezember kamen mindestens 19 US-Soldaten bei einem Anschlag auf einen Militärstützpunkt nördlich von Mossul ums Leben. Das war der bislang folgenschwerste Anschlag auf die Besatzungstruppen überhaupt. Die US-Offensive auf Falludscha und Mossul war ein Schock für große Schichten der verarmten Massen im Irak.
Ähnlich wie die Tet-Offensive 1968 im Irak, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, untergräbt diese Politik das Ansehen der US-Administration. Damals kam es auf dieser Basis zu einem neuen Aufschwung der Proteste gegen US-Präsident Johnson und den Vietnam-Krieg in den USA. Auf Grund verschiedener Faktoren sind neue Massenproteste kurzfristig nicht zu erwarten. Trotzdem ist eine Stärkung der Antikriegsbewegung gerade in den USA und in Britannien in nächster Zeit möglich. Von großer Bedeutung ist auch der wachsende Unmut innerhalb der Besatzungsarmeen selber. So wurden im Norden Bagdads unlängst 17 US-Reserveristen verhaftet, weil sie einen Befehl verweigerten.
Scheinwahlen
Neben vielen kleineren Gruppen treten drei große Blöcke zu den Wahlen am 30. Januar an. Die besten Karten hat die Liste Vereinigte irakische Koalition, auf derdie führenden schiitischen Parteien, darunter der Hohe Rat für die islamische Revolution im Irak (Sciri) vertreten sind und die von Großajatollah al Sistani unterstützt wird. Da al Sistani von der Mehrheit der Schiiten derzeit als geistliches Oberhaupt anerkannt wird und die Schiiten zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, ist ein Wahlsieg dieser Liste wahrscheinlich.
In getrennten Parteien, aber in einem gemeinsamen Wahlbündnis gehen Ministerpräsident Allawi und Staatspräsident al Jawar in die Wahl. Die US-Regierung und die Besatzungstruppen werden alles daran setzen, dass ihre willfährigen Lakaien im Irak gut abschneiden. Unterstützung kommt möglicherweise auch von der Kommunistischen Partei, die allerdings mit dem Kommunismus nichts außer den Namen gemein hat.
Der dritte Block besteht aus den beiden großen bürgerlichen Parteien der KurdInnen, PUK und KDP. Die kurdische Bevölkerung macht ein Fünftel der irakischen Gesamtbevölkerung aus.
Die Arbeiterklasse und die verarmten Bauernmassen haben am 30. Januar keine Wahl. Keine dieser Listen wird ihre Interessen vertreten.
Da die Sunniten die Wahlen fast vollständig boykottieren werden, droht mit der Bildung einer überwiegend schiitischen Regierung nach dem 30. Januar eine Vertiefung der ethnischen Spaltung zwischen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und der sunnitischen Minderheit. Damit könnten die Herrschenden in den USA und im Irak das Gegenteil von dem erreichen, was sie sich mit den Wahlen versprechen. Nicht unerheblich ist allerdings auch, dass der neben al Sistani einflussreichste Geistliche unter den Schiiten, al Sadr, die Wahlen nicht unterstützen will. Damit hält er sich eine Hintertür offen und spekuliert darauf, zu einem späteren Zeitpunkt al Sistani seine Basis weiter streitig machen zu können.
Der neuen Regierung blüht das gleiche Schicksal wie der Karsai-Administration in Afghanistan, die als Marionettenregierung des US-Imperialismus im eigenen Land völlig isoliert ist und außerhalb von Kabul fast keine Basis hat (im Übrigen wurde laut UN in diesem Jahr so viel Schafmohn wie nie zuvor geerntet, 87 Prozent des weltweit gehandelten Opiums stammen heute aus Afghanistan).
Bürgerkrieg?
Der Disput zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Imperialismus setzt sich im Fall vom Irak auch heute noch fort, zumeist unterschwellig. Einige Kreise der deutschen herrschenden Klasse spekulieren weiter auf eine Niederlage der USA im Irak und damit auf eine Schwächung des imperialistischen Kontrahenten. BND warnt vor Zerfall des Irak lautete die Schlagzeile der Financial Times Deutschland auf der Titelseite vom 8. Oktober. Der Irak ist ein Flächenstaat mit unterschiedlichen Volks- und Religionsgruppen. Sein Zusammenhalt sei wegen der realen militärischen Lage schwer zu sichern, wird der Chef des deutschen Geheimdienstes, August Hanning, zitiert. Die Rede ist davon, dass eine Dreiteilung schiitischer Süden, sunnitisches Zentrum und kurdischer Norden droht.
Schon heute charakterisieren einige Korrespondenten bürgerlicher Medien den Irak als ein Bürgerkriegsgebiet. Das ist sicherlich eine Übertreibung. Es gilt jedoch, dass eine irakische Regierung, an der die Sunniten nicht beteiligt sein sollten, verbunden mit der Politik, die von den führenden Kräften der verschiedenen ethnischen Gruppen heute verfolgt wird, Rezepte für einen künftigen Bürgerkrieg darstellen.
Bislang richteten sich die meisten Anschläge gegen die Besatzungsarmeen und die irakischen Sicherheitskräfte. In jüngster Zeit nahmen aber auch vom Hass auf andere religiöse und ethnische Gruppen motivierte Handlungen zu. So wurden bei einem Selbstmordanschlag auf eine Moschee in Bagdad 27 Menschen getötet. Außerdem gibt es Berichte, wonach Schiiten damit anfangen, ihre eigenen Milizen zu bilden und Sunniten Rache zu schwören.
Zu einem Bürgerkrieg muss es jedoch nicht zwangläufig kommen. Ethnische Konflikte können überwunden werden, sollten multiethnische Milizen gebildet zu werden, um sich effektiv zu schützen und Widerstand gegen die imperialistische Besatzung zu organisieren. Dabei sind Anschläge, die den Tod von ZivilistInnen mutwillig in Kauf nehmen, kontraproduktiv. Stattdessen gilt es, den Kampf gegen Besatzung und Unterdrückung mit dem Kampf für eine demokratische Kontrolle und Verwaltung der Ölindustrie und aller anderen Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbinden. Um das verwirklichen zu können, muss ein sozialistischer Irak als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens erkämpft werden.
von Aron Amm, Berlin
Systematische Folter
Ein Gefangener reißt sich in seinem Schmerz bis zur Bewusstlosigkeit die eigenen Haare aus.
Ein anderer wird in eine israelische Fahne eingewickelt und mit ohrenbetäubender Musik beschallt.
Dem nächsten werden brennende Zigaretten ins Ohr gedrückt.
Einzelfälle? Bloße Behauptungen irakischer Widerstandskämpfer? Nein, Beispiele einer Serie von Verbrechen, die FBI-Agenten notiert haben. Die Memoranden dieser Misshandlungen im Irak und auf Guantanamo wurden jetzt öffentlich gemacht.
Einige Vorfälle datieren aus der Zeit nach dem Folterskandal von Abu Ghraib. Das heißt: Die These von wenigen Einzeltätern ist falsch. Unter US-Präsident Bush und seinem Verteidigungsminister Dr. Seltsam alias Donald Rumsfeld haben US-Soldaten Gefangene systematisch und anhaltend gefoltert.