„Ohne Arbeitskampf geht es nicht“

Ein Gespräch mit zwei Kollegen der „streikenden Opelaner“.
 
Am 10. Dezember sprachen Jürgen Rosenthal und Jürgen Kreutz auf einer Veranstaltung der Wahlalternative Berlin-Pankow zum Streik der Opel-Beschäftigten im Oktober 2004. Wenige Tage zuvor hatten Geschäftsleitung und Betriebsrat ihre Übereinkunft zum Arbeitsplatzabbau bei der Adam Opel AG veröffentlicht. Sascha Stanicic sprach für www.archiv.sozialismus.info mit den beiden langjährigen Opel-Arbeitern über das Verhandlungsergebnis, die Rolle der Betriebsrates und ihre unerwartete Probleme eine Betriebsgruppe der WASG zu bilden. Beide Kollegen sind Mitglieder der IG metall und haben eine wichtige Rolle beim siebentägigen Ausstand der Belegschaft im Oktober gespielt.

Frage: In den letzten Tagen ist die Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat bekannt geworden, die unter anderem die Einrichtung von Beschäftisgungsgesellschaften vorsieht. IG Metall-Funktionäre gewinnen dieser Vereinbarung viel Positives ab und haben sie als „cleveren Deal“ bezeichnet. Wie seht Ihr das?

Jürgen Rosentahl: Für mich ist das kein cleverer Deal von der IG Metall und dem Betriebsrat. Wir standen im Oktober eine Woche vorm Tor, weil wir betriebsbedingte Kündigungen verhindern wollten. In den sieben Wochen seitdem haben Betriebsrat und IG Metall nichts unternommen. Jetzt geben sie dem Kind nur einen anderen Namen – Auffanggesellschaft. Eine Auffanggesellschaft bedeutet Kündigung auf Raten. Diese soll ab Januar 2005 ein Jahr in Bochum existieren. Wir bekommen dann noch 85 Prozent von unserem jetzigen Lohn. Nach einem Jahr kommt dann die Arbeitslosigkeit, denn es kann sich niemand vorstellen, dass 3.600 Beschäftigte eine Qualifizierung erhalten mit der sie auf dem Arbeitsmarkt, gerade in Bochum und Umgebung, eine Stelle finden könnten.

Jürgen Kreutz:Die Darstellung des Verhandlungsergebnisses ist außerdem eine Lüge, denn betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen. Wenn keine 3.600 Kollegen gefunden werden, die freiwillig in die Auffanggesellschaft wechseln, wird mit Beteiligung des Betriebsrates eine Vermittlungsstelle einberufen, die entscheiden soll, wer seinen Arbeitsplatz bei Opel verliert, in die Auffanggesellschaft wechseln muss und damit auch keinen Anspruch mehr auf eine Abfindung hat.

F: Wie wäre Eurer Meinung nach die jetzt eingetretene Situation zu vermeiden gewesen?

JR: Wir hätten unseren Widerstand im Oktober nicht vom Betriebsrat untergraben lassen dürfen. Wir haben den Fehler gemacht den Arbeitskampf aufzugeben und den Ball an den Betriebsrat zurück zu geben. Leider hat die Mehrheit der Belegschaft geglaubt der Betriebsrat würde in Rüsselsheim vernünftig verhandeln und für uns etwas raus holen. Das war aber nicht der Fall. Der Betriebsrat hat die sieben Wochen seit Ende des Ausstandes nur benutzt, um die Belegschaft weiter unter Druck zu setzen, zu spalten und in Angst zu versetzen. Wir hätten im Oktober den Streik gar nicht erst beenden sollen und spätestens am Donnerstag als die Auffanggesellschaft angekündigt wurde, hätte die Belegschaft wieder auf die Straße gehen müssen.

JK: Der Betriebsrat hat in den letzten Wochen mehrmals erklärt, dass die sogenannte Informationsveranstaltung vom Oktober nur unterbrochen wurde und das jederzeit die Möglichkeit bestehe die Kampfhandlungen, wenn man sie denn so nennen will, wieder aufzunehmen. Davon hat er gehörigen Abstand genommen, ist quasi eingebrochen und bezeichnet die jetzt gefundene Lösung inklusive der Auffanggesellschaft und Abfindungen als gutes Verhandlungsergebnis.

F: Nun ist die sogenannte Informationsveranstaltung im Oktober, also der Streik, auch nicht auf Initiative des Betriebsrates oder der IG Metall zustande gekommen. Wieso ist es am Donnerstag nicht zu ähnlichen spontanen Aktionen gekommen?

JR: Wie schon gesagt hat der Betriebsrat gemeinsam mit der Geschäftsleitung sieben Wochen lang daran gearbeitet die Belegschaft zu spalten. Er hat die Unentschlossenen, die auch im Oktober dafür verantwortlich waren, dass die Arbeit wieder aufgenommen wurde, in Angst und Schrecken und in Ungewissheit versetzt. Man sollte auch den Zeitpunkt kurz vor Weihnachten nicht vergessen, die Angst jetzt arbeitslos zu werden. Das wurde vom Betriebsrat, der die Funktion eines Co-Managers spielt, genutzt. Er hat alles daran gesetzt zu verhindern, dass es wieder zum Arbeitskampf kommt.

JK: Ich denke, dass die Belegschaft Angst bekommen hat, weil ein nächster Arbeitskampf härter geworden wäre und mit größerer Konsequenz hätte geführt werden müssen. Das haben sich viele Kollegen leider nicht zugetraut. Aber ich meine: genau das ist notwendig um die Arbeitsplätze zu sichern und auch längerfristig die Zukunft unserer Familien, Kinder und auch Enkel in Bochum abzusichern. Wir hätten durch Kampfmaßnahmen sicherlich bessere Ergebnisse erzielen können, als die, die uns jetzt präsentiert werden.

F: Nun werden ja nicht nur die Kolleginnen und Kollegen betroffen sein, die in die Auffanggesellschaft wechseln sollen, sondern alle anderen werden mit Lohnkürzungen und anderen Einschnitten konfrontiert. Hat die IG Metall oder der Betriebsrat dazu Position bezogen, Euch darauf vorbereite?. Und denkt Ihr, dass diese Angriffe zu einer gemeinsamen Gegenwehr führen können?

JR: IGM und Betriebsrat haben uns sieben Wochen lang überhaupt nicht informiert. Der Betriebsrat hat es geschafft die Kollegen, die die Belegschaft immer wieder darauf hingewiesen haben, was auf sie zukommen wird, in ein schlechtes Bild zu rücken. Wir haben gesagt, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen werden und es zu Lohnkürzungen kommen wird. Wir haben versucht die Kollegen zu informieren und ihnen die Wahrheit gesagt. Der Betriebsrat hat es aber geschafft nun Vorwürfe gegen uns zu streuen, obwohl wir nur die Wahrheit gesagt haben. Wir werden jetzt als Verräter hingestellt. Die letzten sieben Wochen wurden dazu genutzt sich auf die Kollegen einzuschießen, die den Streik organisiert und geführt haben und die aus Sicht des Betriebsrats die Möglichkeit hätten einen neuen Streik anzustoßen. Ich selber mache jetzt die Erfahrung, dass Kollegen, mit denen ich 15 Jahre zusammen arbeite, nicht mir mir reden. Die Taktik des Betriebsrats hatte leider einen gewissen Erfolg. Das ist eigentlich absurd, denn wir haben die Kollegen darauf hingewiesen, was auf sie zukommt. Wir wussten, dass einige die Wahrheit nicht vertragen konnten und hatten gehofft, dass sie, wenn die Wahrheit auf dem Tisch ist, wieder vors Tor ziehen. Das war jetzt leider nicht so. Ich weiß nicht, was noch passieren muss, damit die Kollegen endlich wach werden. Vielleicht braucht es auch noch etwas Zeit und Weihnachten muss erst einmal verstreichen. Es wird sicher nicht ausreichend Freiwillige für die Auffanggesellschaft geben. Wenn jetzt schon die Namen genannt würden, wäre die Situation sicher anders. Die Listen existieren ja, aber uns werden die bitteren Pillen Stück für Stück verabreicht. Ich hoffe, dass die Kollegen sich über die Feiertage überlegen, welche Situation jetzt entsteht und wenn dann die Namenslisten für die Auffanggesellschaft bekannt werden, wach werden und dann einen Arbeitskampf aufnehmen. Denn ohne geht es nicht.

JK: Ich denke, dass es ein zu starkes Obrigkeitsdenken unter den Kollegen gibt, wovon auch der Betriebsrat profitiert. Dadurch ist auch das unrühmliche Ende des Streiks zu erklären, weil zu viele Kollegen dem Betriebsrat Glauben geschenkt haben, er setze sich für ihre Interessen ein. Und zu viele Kollegen können und wollen sich nicht vorstellen, dass genau diese Betriebsräte es mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen.

F: Welche Vorwürfe werden gegen Euch gestreut. Welche Gefahr soll von Euch ausgehen?

JR: Die Gefahr aus Sicht des Betriebsrates besteht darin, dass wir Informationen haben, die wir bekannt machen, bevor er es macht. Die Gefahr besteht aus Sicht des Betriebsrates nicht nur darin, dass wir im Oktober vorm Tor standen, sondern uns auch organisiert haben. Dazu kam, dass wir mit dem ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Peter Jaszyk versucht haben, das auch über die Wahlalternative auf eine politische Ebene zu tragen. Das missfällt dem Betriebsrat auch. Jaszyk hat eine große Autorität in Bochum und auch da hatte der Betriebsrat Angst vor der Wirkung. So gab es auch Vorwürfe gegen Jaszyk, er verbreite Lügen. Wenn der Betriebsrat konsequent unsere Interessen vertreten würde, würde die Belegschaft wie ein Mann hinter ihm stehen und ihm auch gegen den Druck der Geschäftsleitung den Rücken stärken. Da das aber nicht der Fall ist und sollte der Betriebsrat im Januar so weiter machen, sollten wir die Initiative für Neuwahlen zum Betriebsrat ergreifen. Wir sollten uns nicht weiter verraten und verkaufen lassen.

JK: Uns kann man lediglich vorwerfen unverblümt die Wahrheit zu verbreiten und viele Kollegen wollen die Augen vor der Wahrheit verschließen. Man konnte diese Entwicklung voraussehen. Dazu bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten.

F: Eure Darstellung erinnert an einen Zwei-Fronten-Krieg – gegen die Geschäftsleitung und den Betriebsrat. Wie führt Ihr diese Auseinandersetzung, welche Schritte ergreift ihr um kritische Kollegen zu organisieren?

JR: Es gibt mehrere Gruppierungen, die nebeneinander gearbeitet haben und versucht haben den Betriebsrat unter Druck zu setzen. Diese drei Gruppierungen – Konkret-Gruppe, GOG (Gegenwehr ohne Grenzen) und die streikenden Opelaner (so haben wir uns genannt, die wir noch keine Betriebsgruppe sind) – müssen zusammen kommen. Der Betriebsrat muss merken, dass wir gemeinsam arbeiten. Dazu gehören auch Mitglieder des Betriebsrates, die dort in der Minderheit sind. Wir müssen auch das handeln des Betriebsrates während und nach dem Ausstand dokumentieren und veröffentlichen und erklären, warum eine Neuwahl nötig ist. Das wichtigste ist die drei Gruppen an einen Tisch zu bringen und an einem Strang zu ziehen.

JK: Müssen damit fortfahren die Kollegen mit der Wahrheit zu konfrontieren. Die Kollegen müssen eigentlich zugeben, dass wir schon vor Wochen vorausgesagt haben, was jetzt eingetreten ist. Wir sind keine Propheten, aber wir haben die Zeichen richtig erkannt. Jeder muss begreifen, dass man jetzt nach acht Wochen Verhandlungen vor vollendete Tatsache gestellt wird ohne dass für die Belegschaft etwas dabei herausgekommen wäre.

F: Nicht nur Opel Bochum ist von Arbeitsplatzvernichtung und Lohnkürzungen betroffen. Seht ihr die Möglichkeit Kämpfe zu verbinden?

JR: Ich habe schon zwei Veranstaltungen in anderen Städten mitgemacht und Kollegen aus anderen Betrieben gesagt, dass man zusammen stehen muss. Wir knüpfen Kontakte und prüfen die Möglichkeit Treffen von kämpferischen Kollegen durchzuführen und zu erreichen, dass wir zusammen stehen. Wir sind ja nicht die einzigen, die ausgebeutet und verarscht werden. Die kämpferischen Kollegen müssen wir an einen Tisch bringen. Damit die Gewerkschaftsspitzen auch sehen, dass sich die kämpferischen Kollegen vereinigen. Dann haben wir eine Chance auch große Arbeitskämpfe zu erreichen. Denn wir müssen gemeinsam kämpfen. Alleine hat man verloren. Wir hätten auch im Oktober den Kampf nicht alleine überstehen können. Unsere Zielsetzung war ja auch nicht nur Opel Bochum zu retten, sondern alle 12.000 Arbneitsplätze bei GM in Europa. Und wir haben für alle Millionen Beschäftigte überhaupt gekämpft, damit alle merken, dass es sich lohnt, sich zu wehren.

JK: Wir müssen mit vereinten Kräften den Großangriff der Arbeitgeber auf die lohnabhängig Beschäftigten in Deutschland bekämpfen. Wir brauchen eine starke Vernetzung der Belegschaften und müssen unseren Organisationsgrad erhöhen. Wir müssen das Bewusstsein stärken, dass man für den Erhalt seines Arbeitsplatzes kämpfen muss.

F: Ihr seid in die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit eingetreten und auch schon wieder ausgetreten. Welche Hoffnung habt Ihr mit WASG verbunden?

JR: Die Politik ist mitverantworlich, dass wir in diese Krise für die Arbeitnehmer (für die Arbeitgeber ist es ja keine Krise) geraten sind. Wir hatten die Hoffnung über die WASG den Arbeitskampf über die Grenzen Bochums hinaus und in die Politik hinein zu tragen. Wir wollten eine Plattform finden, wo wir mit anderen gemeinsam agieren können, um vielleicht auf lange Sicht auch Kollegen in Parlamente zu wählen, die dort für unsere Interessen eintreten.

JK: Unsere Hoffnung ist, dass sich die Wahlalternative als eine politische Kraft entwickelt, von der jeder Arbeitnehmer, der von Arbeitsplatzverlust betroffen ist, aufgefangen wird und Hilfe durch die Partei in Anspruch nehmen kann. Der genau weiß, dass er da eine starke Vertretung im Rücken hat auf die er zählen kann.

F: Ihr seid jetzt wieder ausgetreten, weil es Konflikte mit dem Landesvorstand in NRW gab. Was ist geschehen?

JK: Wir wollten eine Betriebsgruppe gründen, aber der Landesvorstand hat mit einer fadenscheinigen Begründung die schnelle Gründung verhindert. Das wäre für uns wichtig gewesen, um an der Wahl eines Sprechers der Bochumer WASG teilzunehmen. Diese schnelle Gründung ist uns untersagt worden. Da haben wir gesagt, dass wir keinen Zwei-Fronten-Krieg führen können und uns nicht gleichzeitig mit der Opel-Geschäftsleitung und dem Landesvorstand der WASG auseinandersetzen können. Wir haben dann die Konsequenz gezogen uns auf eine Sache zu konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass wir für alle Zeiten aus der WASG draußen sind.

JR: Ich habe versucht die Betriebsgruppe mit aufzubauen und den Austritt abzuwenden, schließlich bin ich mit großem Eifer an Sache rangegangen und mir war klar, dass es da Reibungen geben wird. Aber die Kollegen wollten ein Zeichen setzen und Landesvorstand mit dem Austritt unter Druck setzen. Das hätten wir aber auch anders machen können. Ich werde auf jeden Fall wieder in die WASG eintreten und werde versuchen die anderen Kollegen auch davon zu überzeugen. Wir müssen langfristig denken. Ich hoffe, dass wir uns in der Wahlalternative wieder finden werden um den Kampf auch außerhalb von Opel aufzunehmen.

F: Ihr habt auf Veranstaltungen der WASG in Köln und Berlin gesprochen. Wie war dort die Resonanz?

JR: Wir haben eine sehr große Unterstützung erfahren und ich werde auch deswegen wieder eintreten. Nach dem Austritt hatte ich schon aus ganz Deutschland Emails und Anrufe erhalten von WASG-Kollegen, die mir gesagt haben, wir sollten weiter machen. Das hat mich schon bestärkt und das Treffen in Berlin hat mich noch mehr bestärkt. Jetzt wo ich die Kollegen der Wahlalternative auch persönlich kennen gelernt habe, ist es eine Selbstverständlichkeit wieder einzutreten. Ich will dazu beitragen die WASG da hin zu kriegen, wo sie hingehört. Dass sie eine Arbeitnehmerpartei wird, wo Arbeitnehmer zusammen stehen. Schade, wenn man dabei auch gegen Leute in der Wahlalternative kämpfen muss, die scheinbar nur Posten haben wollen und vielleicht jetzt schon über Koalitionen mit anderen Parteien nachdenken. Die WASG muss aber eine Arbeitnehmerpartei werden, die die Interessen der Arbeitnehmer vertritt. Das muss die Grundvoraussetzung sein.

JK: Ich habe am 7.12. bei einer Veranstaltung der Wahlalternative in Köln über unseren Kampf berichtet. Dort gab es viel Unterstützung für uns und auch Kritik am Landesvorstand. Die meisten Teilnehmer waren solidarisch mit uns und haben viel Verständnis für unsere Lage geäußert.