Ausverkauf im öffentlichen Dienst?

ver.di ist bei Tarifreform und Lohnrunde zu weitgehenden Zugeständnissen bereit
 
In der Auseinandersetzung um Arbeitszeiten und Tarife im öffentlichen Dienst zeigt sich die ver.di-Spitze weiterhin ohne jegliches Konzept. Im Gegenteil: Im Rahmen der Neugestaltung des Tarifrechts (Prozessvereinbarung) bereitet sie die kampflose Aufgabe grundlegender tariflicher Errungenschaften vor.
Knapp 17.000 Landesbedienstete gingen beim bundesweiten Aktionstag am 17. November gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub auf die Straße. In allen Bundesländern stehen Urlaubs- und Weihnachtsgeld zur Disposition, die Arbeitzeiten sollen auf bis zu 42 Wochenstunden angehoben werden.
Bei den BeamtInnen ist das schon beschlossene Sache. Die Folge: Allein in Nordrhein-Westfalen fallen durch die auf 41 Stunden verlängerte Arbeitszeit 11.300 Jobs weg. Sollte ähnliches für die rund sieben Millionen direkt und indirekt im öffentlichen Dienst Beschäftigten durchgesetzt werden, wäre dies das größte Arbeitsplatzvernichtungsprogramm der bundesrepublikanischen Geschichte.
Im öffentlichen Dienst droht „ein Konflikt in bisher nicht bekanntem Ausmaß“, hatte ver.di-Chef Frank Bsirske bereits vor Monaten in der Frankfurter Rundschau verkündet. Leider sind dieser Feststellung keine Konsequenzen gefolgt. Per Dekret verlängerte Arbeitszeiten und gestrichene Sonderzahlungen bei den BeamtInnen wurden kampflos hingenommen. Gleiches gilt für die Kündigung der Tarifverträge für Weihnachts- und Urlaubsgeld durch Bund und Länder – ein klarer Verstoß gegen die in der vergangenen Tarifrunde geschlossene „Prozessvereinbarung“.
Obwohl die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auch die Vereinbarungen zur Arbeitzeit aufkündigte, und der kommunale Arbeitgeberverband VKA erklärte, das Arbeitzeitvolumen im kommenden Jahr auf die Tagesordnung setzen zu wollen, führte die ver.di-Spitze die Verhandlungen über ein neues Tarifrecht fort.
Zu welch weitgehenden Zugeständnissen Bsirske und Co bereit sind, zeigte sich bei den im Oktober mit Innenministier Otto Schily (SPD) vereinbarten „Eckpunkten für eine Reform des Beamtenrechts“. Die Kürzung beziehungsweise Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie die Verlängerung der Arbeitszeiten bei den BeamtInnen hat die Gewerkschaftsführung damit faktisch akzeptiert. Den Widerstand gegen dieselben Maßnahmen für ArbeiterInnen und Angestellte führt das ad absurdum.

„Leistungsbezahlung“

In den „Eckpunkten“ selbst stimmt die ver.di-Spitze der Umwandlung bisheriger nach Familienstand und Dienstalter gezahlten Zuschläge in „Leistungsbezahlung“, sprich: Nasenprämien, weiterer Arbeitszeitflexibilisierung und einer „freiwilligen“ Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu. Und diese „Reformen“ sollen Schule machen. „Das setzt Standards – auch für Länder und Kommunen“, so Bsirske.
Der bisherige Verhandlungsstand für die ArbeiterInnen und Angestellten von Bund und Kommunen geht in eben diese Richtung: Einführung einer Niedriglohngruppe mit Armutslöhnen von 1.286 Euro West / 1.189,55 Ost, Wegfall von Bewährungs- und Zeitaufstieg sowie familienbezogener Lohnbestandteile, stattdessen „leistungsbezogene Entgeltelemente“ von bis zu acht Prozent der Jahresvergütung, Arbeitszeitkorridore von bis zu 45 Wochenstunden, …

Verzicht auf Lohnforderung?!

Und für diese „Erfolge“ scheint die ver.di-Führung gar bereit zu sein, in der anstehenden Tarifrunde auf eine Lohnforderung zu verzichten.
Die Bundestarifkommission wird am 16. Dezember entscheiden, ob die Vergütungstarifverträge überhaupt gekündigt werden. Sollte sie das nicht tun, und somit von vornherein eine Nullrunde – sprich Lohnverlust – zugestehen, wäre dies ein verheerendes Signal für den öffentlichen Dienst und weit darüber hinaus.
Bei dem anstehenden Konflikt geht es um mehr als die Verteidigung der Löhne, Arbeitszeiten und Jobs. Es geht um die Verteidigung des gesamten öffentlichen Dienstes. Die ver.di-Spitze hat die neoliberale Ideologie, nach der alle Dienstleistungen der Konkurrenz auf dem Markt ausgesetzt sein müssen, inzwischen vorbehaltlos akzeptiert. Aber mit Tarifabsenkungen wird Privatisierung nicht verhindert, sondern im Gegenteil vorbereitet. Jedes weitere Zugeständnis ermutigt die Arbeitgeber zu weiteren Dreistigkeiten.
Deshalb fordern wir den Abbruch der Verhandlungen zur Neugestaltung des Tarifrechts und die Kündigung der Entgelttarifverträge auf Ende Januar. Das würde endlich eine gemeinsame und entschlossene Mobilisierung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst ermöglichen.
Nur ein bundesweiter Streik im Öffentlichen Dienst, inklusive der BeamtInnen, kann die Arbeitgeberoffensive stoppen.

von Daniel Behruzi, Mitglied im Berliner Sprecherrat des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di