Solidarität sprach mit dem niederländischen Sozialisten Ron Blom. Er ist Mitglied der Leitung von Offensief, der Schwesterorganisation der SAV in den Niederlanden, und Vertrauensmann für die ABVA-KABO, einer Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes.
Massendemonstrationen und Streiks gegen Sozialabbau und Arbeitszeitverlängerung erschütterten die Niederlande im Oktober. Seit der Ermordung des kontroversen Filmregisseurs Theo van Gogh am 2. November stehen Anschläge auf Moscheen und muslimische Schulen und die Gefahr eines wachsenden Rassismus im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte.
Welche Wirkung hatte der Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden?
Die meisten Menschen waren geschockt. Viele betrachten den Mord als einen Angriff gegen die Meinungsfreiheit, obwohl van Gogh eine kontroverse Figur war. Jetzt breitet sich Angst aus, dass die Spannungen zwischen der niederländischen Bevölkerung und muslimischen ImmigrantInnen wachsen.
Dabei wäre es vereinfacht zu sagen, dass die extreme Rechte jetzt den Ton setzt. Bei der vom Amsterdamer Bürgermeister ausgerufenen Gedenkveranstaltung waren zum Beispiel kaum Rechtsextreme, obwohl viele MarokkanerInnen sich nicht trauten daran teilzunehmen. Eine rechtsextreme Demo wenige Tage später war kein Erfolg. Aber die Polarisierung in der Gesellschaft wächst.
In den Wochen vor dem Mord wuchs vor allem die Klassenpolarisierung. Welche Rückwirkung haben die Ereignisse um van Goghs Tod auf die Klassenkämpfe?
Der Mord wurde begangen, als die Kämpfe ihren Höhepunkt schon überschritten hatten. In diesem Sinne wirkte der Mord und die gesellschaftliche Debatte um ihn nicht als eine Barriere für die Bewegung. Aber jetzt müssen die Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis abstimmen. Das Abstimmungsverhalten kann natürlich beeinflusst werden. Ein Problem ist auch, dass weder die Gewerkschaftsführungen noch die gewerkschaftliche Basiskampagne Genug ist Genug etwas zu den Ereignissen gesagt haben und keine Vorschläge gemacht haben, wie der Gefahr der Spaltung und des wachsenden Rassismus begegnet werden kann.
Wie hätten sie reagieren sollen?
Vor allem muss betont werden, dass die Regierung für die Lage verantwortlich ist. Sowohl durch ihre zum Beispiel gegen Flüchtlinge gerichtete Politik und durch den Rassismus, der durch viele der etablierten Parteien geschürt wird, als auch durch die von ihr zu verantwortende soziale Polarisierung und Verunsicherung. Probleme wie die Wohnungsnot und Massenarbeitslosigkeit können von rassistischen Gruppen genutzt werden. Um das zu verhindern wäre es nötig gewesen, den gemeinsamen Kampf von NiederländerInnen und ImmigrantInnen zur Verbesserung der Lebenssituation in den Mittelpunkt zu stellen und gleichzeitig gegen die Rechtsextremen zu mobilisieren.
Das Interview führte Sascha Stanicic