Widerstand in der Autoindustrie

„Entweder streiken wir – oder Hartz IV“ so eine der Parolen im siebentägigen Streik bei Opel Bochum
 
Diese Alternativen – Kampf oder Arbeitslosigkeit – stellen sich auf Grund der Überkapazitäten für die Beschäftigten in der Autoindustrie, nicht nur bei Opel. Im Wettlauf um die Märkte und Profite liefern sich die Autokonzerne seit Jahren einen scharfen Konkurrenzkampf. Während die deutsche Autoindustrie auf Kosten der ausländischen Konkurrenz nochmal Produktion und Beschäftigung erhöhen konnte, wird sie jetzt von der Krise eingeholt. Und wie nicht anders zu erwarten, wollen die Autokonzerne die durch Überkapazitäten verursachte Krise auf die Beschäftigten in den Auto- und Zulieferfabriken abwälzen.
Überall stehen Arbeitsplatzvernichtung, Lohnraub und weitere Intensivierung der Arbeit auf der Tagesordnung. Mit ihren Angriffen gehen die Unternehmer die Konfrontation mit der kampfstärksten und selbstbewusstesten Schicht der abhängig Beschäftigten ein.
Und in Deutschland sind die Beschäftigten der Autoindustrie darüber hinaus noch die mit Abstand größte Gruppe der IndustriearbeiterInnen. Fast 800.000 ArbeiterInnen und Angestellte in Großbetrieben mit bis zu mehreren Zehntausend Beschäftigten sind in Deutschland direkt in der Kraftfahrzeugproduktion beschäftigt. Zuliefererbetriebe mitgerechnet sind es fast zwei Millionen Beschäftigte in der Autoindustrie.

Kampftradition

Die ArbeiterInnen der Autoindustrie sind spätestens seit dem Niedergang des Bergbaus, der Stahl und Druckindustrie die entscheidenden industriellen Kampfbataillone der Arbeiterklasse. Sie haben sich die höchsten Löhne erkämpft und hatten damit im Nachkriegsaufschwung eine Leitfunktion für das Lohnniveau in der Metallindustrie und in der gesamten Wirtschaft. Auch im sieben Wochen langen Streik für die 35-Stunden-Woche war es die Kampfkraft der Beschäftigten in der Autoindustrie, die die Unternehmer in die Knie zwang.
Während die technologische Entwicklung in der Druckindustrie den Druckern die Streikwaffe entschärft hat, ist die Kampfkraft der AutomobilarbeiterInnen durch die weltweite Arbeitsteilung und die just in time produktion weiter gewachsen. Ein Streik in einem Werk, das wichtige Teile für alle anderen Werke rund um den Globus fertigt, bringt innerhalb kürzester Zeit die gesamte Produktion eines ganzen Konzerns zum Stocken. Es gibt keine Halden mehr von Teilen und Autos. Ein Streik schlägt in der Regel sofort auf die Produktion bestellter Autos durch. Und Verzögerungen bei der Auslieferung sind ein Nachteil im Konkurrenzkampf. So musste der Opel-Vorstandsvize, Wolfgang Strinz, bereits im Januar 2003 eingestehen: „Ein Streik in unserem Haus würde innerhalb eines oder von zwei Tagen unsere 17 europäischen Werke stilllegen“.
Als im Oktober 2003 Ford-ArbeiterInnen im belgischen Werk Genk in den Streik traten, fiel kurze Zeit später mangels Teilelieferung die Produktion des Transit im britischen Southampton flach.
Der Streik im süd-italienischen Autoteilewerk in Melfi im April 2004 brachte 95 Prozent der italienischen Autoproduktion zum Erliegen und verursachte für Fiat einen Umsatzverlust von 250 Millionen Euro.
Der Streik bei Opel Bochum im Oktober legte faktisch die Produktion in anderen europäischen Werke lahm.
Veränderungen in der Arbeitsorganisation, wie Gruppenarbeit und flexibler Einsatz von qualifizierten Facharbeitern hat dazu geführt, dass eine beachtliche Schicht von AutomobilarbeiterInnen ein hohes Selbstbewusstsein hat.
Und jeder Beschäftigte in der Autoindustrie weiss, dass nach der Entlassung der freie Fall in die Armut nach Hartz IV sein Schicksal ist. Im Gegensatz zum Abschlachten von ganzen Zechen und Betrieben im Bergbau und der Stahlindustrie sind Unternehmer und Regierungen heute nicht mehr willens relativ großzügige Abfindungen, komibiniert mit Frühverrentungen oder Ersatzarbeitsplätzen anzubieten.
All diese Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass in der Autoindustrie große betriebliche Kämpfe bevorstehen. Bereits in den letzten Jahren haben sich die Beschäftigten der Automobilindustrie an die Spitze gestellt im Kampf gegen Angriffe aus den Chefetagen. Bei den Warnstreiks in den Tarifrunden 2002 und 2004 kam es zu einer enorm hohen Beteiligung. Tom Adler, Betriebsrat bei Daimler Mettingen, sagte über die Warnstreiks in der Tarifrunde 2004, dass sie richtige „Selbstläufer“ waren.
Beim Daimler-Aktionstag am 15. Juli beteiligten sich bundesweit 60.000 Kolleginnen und Kollegen an Arbeitsniederlegungen, Protestkundgebungen und Demonstrationen. Bei Opel beteiligten sich am europäischen Aktionstag am 19. Oktober 50.000 Kolleginnen und Kollegen.
Bezeichnend für die Kampfkraft und das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen in der Autoindustrie ist, dass sie seit 1996 mehrmals ohne Aufruf der IG Metall oder sogar gegen den Willen von Betriebsräten und der IG-Metall-Führung die Brocken hingeschmissen haben.
Die spontane Arbeitsniederlegung bei Daimler und anderen Autofabriken zur Verteidigung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Herbst 1996 war dafür ein Wendepunkt.
Allein bei Opel Bochum gab es in den vier Jahren darauf um die zehn spontane Arbeitsniederlegungen beziehungsweise Proteste während der Arbeitszeit.
Aber auch in anderen Werken kam es zu kurzen wilden Streiks: spontane Arbeitsverweigerung mit fünf Stunden Produktionsausfall in der Presserei bei Daimler-Mettingen im September 2003, spontane Arbeitsniederlegungen von einzelnen Abteilungen bei Ford Köln im November 2003 und im April 2004 die Besetzung der B 10 durch die KollegInnen bei Daimler in Mettingen während des Aktionstages am 15. Juli 2004. Der siebentägige wilde Streik bei Opel Bochum gegen Arbeitsplatzvernichtung ist ein erster Höhepunkt dieser Entwicklung.

Internationalisierung des Protestes

Die Globalisierung der Autoindustrie hat zur Internationalisierung des Widerstands geführt. Diese Internationalisierung wurde in den letzten Jahren positiv von der Antiglobalisierungsbewegung beeinflusst.
Im März 1997 kam es bei Renault zu einem ersten europaweiten Streik in Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal und Slowenien. Anlass war die Ankündigung von Renault das belgische Werk in Vilvoorde zu schließen. Am „Marsch der Arbeit“ am 16. März auf Brüssel nahmen Delegationen aus allen europäischen Renault-Standorten und AutomobilarbeiterInnen aus Deutschland teil.
Als VW im Jahr 2003 wegen eines Streiks 1.300 Arbeiter in Südafrika entließ, kam es in Deutschland zu einer von unten organisierten beeindruckenden Solidarität durch Vertrauensleute und Aktivisten verschiedener VW-Werke. Gewerkschaftsvertreter von VW aus Südafrika organisierten, unterstützt von Gewerkschaftslinken und kämpferischen VW-Vertrauensleuten eine Veranstaltungstour durch Deutschland. Protestaktionen vor VW-Werken und Verkaufsniederlassungen wurden organisiert.
Beim Protesttakt der Daimler-Chrysler-Beschäftigten am 15. Juli erhielten die KollegInnen aktive Unterstützung von ihren KollegInnen in Brasilien und Südafrika.
AktivistInnen der Autoindustrie verfolgen mehr denn je die Kämpfe in anderen Ländern und organisieren sogar Besuche. So nahm eine 14-köpfige Delegation von Beschäftigten bei Opel Bochum im Januar an einer Demonstration in Großbritannien gegen die Schließung des Vauxhall-Werkes in Luton teil.
Eine Woche später legten 40.000 Beschäftigte europaweit die Arbeit nieder. Ein- und mehrstündige Streiks sorgten für Produktionsausfälle in England, Belgien, Deutschland, Portugal und Spanien. Das war die erste internationale Arbeitsniederlegung bei Opel. Der europäische Aktionstag bei GM am 19. Oktober war die zweite. Als bei Opel-Bochum bekannt wurde, dass GM bei Fiat einsteigen will, bauten GewerkschaftsaktivistInnen sofort Verbindungen zu Gewerkschaftern bei Fiat in Italien auf, organisierten gegenseitige Besuche und informierten sich gegenseitig über ihrer Kämpfe.

Vorkämpfer Fiat-Beschäftigte

Den mit Abstand härtesten Kampf in der Autoindustrie in Europa in den letzten Jahren führen die Fiat-ArbeiterInnen. Als der Fiat-Konzern im Herbst 2002 die Entlassung von 8.100 Beschäftigten und die komplette Schließung des sizilianischen Werkes für zwölf Monate in Termini Imerese ankündigte kam es zu einem wochenlangen Aufstand. Nicht nur die Fiat-Beschäftigten in Imeres waren daran beteiligt, sondern die gesamte lohnabhängige Bevölkerung in Süditalien.
Es kam zu einer Werksbesetzung und einer 40-tägigen Auslieferungsblockade von fertigen Puntos. Straßenblockaden wurden organisiert, Bahnhöfe besetzt, die Zugverbindung von Turin nach Mailand und der Flughafen von Palermo blockiert. Am 15. November kam es quer durch Italien in allen Fiat-Werken und der Zulieferindustrie zu einem vierstündigen Solidaritätsstreiks. In der Provinz Cassino, die von der Werksschließung in Imerese betroffen ist, gab es am 10. Dezember 2003 sogar einen Generalstreik.
Die Forderung nach Verstaatlichung von Fiat kam auf und wird seither unter den Fiat-Beschäftigten und darüber hinaus diskutiert. Der Fiat-Konzern musste einen Teilrückzug antreten.
Im April diesen Jahres kam es dann in dem von Fiat bisher als Musterbetrieb betrachteten Werk im süditalienischen Melfi zu einem zehntägigen wilden Streik. Melfi war erst Anfang der 90er Jahre als Antwort auf die „japanische Herausforderung“ mit staatlichen Subventionen als Werk auf der grünen Wiese entstanden. In der Region mit hoher Arbeitslosigkeit und fehlender Streiktradition schaffte es Fiat eine Art Fabrikknast aufzubauen mit Löhnen 15 Prozent unter dem Niveau anderer Fiat-Werke und 20 Prozent höherer Arbeitsproduktivität. Die 5.000 ArbeiterInnen (10 Prozent der Belegschaft sind Frauen) mussten in einem Dreischicht-System mit gleitenden Pausen das Werk an sechs Tagen 24 Stunden am Laufen halten. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit bedeutete unter anderem zwei Nachtschichten in Folge und unbezahlte Kurzarbeit.
Im Laufe von zehn Jahren wurden 9.000 Disziplinarstrafen wie Suspendierung und Lohnabzug verhängt. Der Streik wurde von einer Abteilung mit der Forderung um bezahlte Kurzarbeit begonnen. Er weitete sich aber schnell auf die gesamte Fabrik aus und neue Forderungen kamen dazu.
Als am 26. April die Polizei Streikposten angriff, kam es zu harten Auseinandersetzungen mit mehreren Verletzten auf beiden Seiten. Es war die Auswirkung des Streiks auf die gesamte Fiatproduktion, die die Unternehmer schließlich zwang, viele Forderungen der Streikenden zu erfüllen und Zusagen zu machen über die Abschaffung des harten Fabrikregimes.
Im Herbst 2004 sind die Fiat-ArbeiterInnen vom Demel-Plan bedroht. Der ehemalige VW-Manager Herbert Demel, jetzt Fiat-Chef, hatte Anfang Oktober verkündet, die Personalkosten bei Fiat müssten um 800 Millionen sinken, andernfalls müsste die Produktion nach Asien verlagert werden. Dagegen kam es am 5. November bei Fiat zum landesweiten Streik. Diesem Ausstand folgten am 12. November Arbeitsniederlegungen in einzelnen Werken. Am 25. November soll es einen eintägigen Ausstand der Beschäftigten in Sizilien geben.
Auch den landesweiten Generalstreik gegen die Regierungspolitik am 30. November wollen die Fiat-ArbeiterInnen mit dem Widerstand gegen die Kürzungspläne bei Fiat verbinden.
Kämpfe wie bei Fiat werden sich in der Autoindustrie zu einem europa- und weltweit Phänomen werden. Und auch in Deutschland wird die Wut der AutomobilarbeiterInnen spätestens dann in ähnlichen Widerstand umschlagen, wenn sich herausstellt, dass die derzeit von der IG-Metall-Führung verkauften Opfer völlig sinnlos waren und die von den Betriebsratsfürsten und IG-Metall-Funktionären unterzeichneten „Zukunfts-“, „Beschäftigungssicherungs-“ oder „Standortsicherungsverträge“ nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen.

von Ursel Beck, Stuttgart