Europäische Union – Kein Licht am Ende des Tunnels

Massive Unzufriedenheit hinter dem Streit um die Kommission
 
Die neue EU-Kommission unter José Manül Barroso, muss umgebildet werden, noch bevor sie nach Brüssel ging. Die Abstimmung im Europäischen Parlament am Mittwoch wurde verschoben, da eine Mehrheit gegen Barroso’s ursprünglichen Vorschlag gestimmt hätte. Der Grund für das nicht ausgesprochnene Vertrauen war der italienischen Kommissar, Rocco Buttiglione, aufgrund seiner reaktionären Ansichten über Frauen, Homosexuelle und ImmigrantInnen. Aber hinter dieser neuen Stufe der Krise der EU steckt die extrem schwache wirtschaftliche Entwicklung der Euro-Zone und die wachsenden Unzufriedenheit mit der Europäischen Union.
Die Kritik im Europäischen Parlament jedoch bedeutet keinen Politikwechsel. Verglichen mit den US-Wahlen sind Buttigliones Ansichten mit denen Bushs vergleichbar, während die, die gegen ihn waren, Kerry näherstehen. Keiner von beiden kann einen Ausweg aus der Krise aufzeigen und beide werden die Kosten für ihre Pläne den ArbeiterInnen aufzwingen. Diese Kritiker Buttigliones haben meistens keine Einwände gegen Privatisierungen oder die Militärprojekte der EU.
Hinter der gegenwärtigen Krise der Kommission steckt die Vertrauenskrise der ganzen EU. Die großen Pläne der EU-Führer – der gemeiname Markt, der Euro und die Erweiterung – haben keines der versprochenen Ergebnisse gebracht. Sie haben im Gegenteil die gegenwärtige Wirtschaftskrise noch verschärft weil sie die Regierungen davon abhielten, ihre Wirtschaft anzukurbeln.
Die Wirtschaftswachstumsrate der Eurozone lag letztes Jahr unter 1 %, und für 2004 liegt die Prognose bei einem Wachstum von unter 2%.
Statt Verbesserungen haben sich ArbeiterInnen und besonders RentnerInnen in der ganzen EU neün, noch schärferen Angriffen auf ihren Lebensstandard gegenübergesehen. Kahlschlagspläne der Regierungen sind von einer neue Angriffswelle der Grosskonzerne auf Löhne, Arbeitsbedingungen, usw ergänzt oder überholt worden. Dies hat zu zunehmender Unzufriedenheit und Protesten geführt, besonders in Deutschland und den Niederlanden. In Deutschland haben die Montagsdemonstrationen und besonders die Aktionen der ArbeiterInnen bei Opel (General Motors) die Politiker in ganz Europa in Schrecken versetzt.

Mehr vom Althergebrachten

Das generelle Rezept der Politiker und der Kapitalisten gegen die Wirtschaftskrise ist jedoch nur eine höhere Dosis des althergebrachten. Der mutmassliche Präsident in spe der Eu-Kommission, José Manül Barroso, hat “ Wirtschaftsreformen” zu seiner Hauptaufgabe erklärt. Die Zusammensetzung seiner vorgschlagenen Kommission stellt, verglichen mit der letzten, einen Rechsruck dar. Barroso wurde in der Financial Times dafür gelobt, dass er die “Kandidaten des freien Marktes” für die wichtigsten Jobs in der Kommission ausgewählt hatte.
Alle EU-Regierungen verfolgen den allgemeinen Trend von Angriffe auf Arbeitsbedingungen. Die Frage ist, welche Rolle die EU selbst spielen wird. Während der letzten Jahre gibt es neü Anzeichen bei den EU – Regierungen, sich offener von der EU selbst zu distanzieren. Zum ersten Mal gehören die Regierungen Deutschlands und der Niederlande zu denen, die ernsthafte Kritik an der EU vorbringen. Gleichzeitig brauchen sie die EU immer noch um die Art und Weise der „Re-organisierung” der europeaischen Industrie durchzuführen – vor allem cross-border mergers, gemeinsame Standards und einheitliche Angriffe auf Arbeitsbedingungen, die alle notwendig sind, um mit den USA und China konkurrieren zu können. Sogar der EU-Kritiker und italienische Premierminister Silvio Berlusconi hat eine EU-weite „Rentenreform” gefordert.

Ökonomische Zwangsjacke

Die Bestimmungen der Währungsunion haben die gegenwärtige Wirtschaftskrise vertieft. Die portugiesische Regierung, früher unter Barroso, befolgte die Regeln des “Stabilitätspaktes” und vernichtete tausende Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Statt dem beabsichtigten Gegenteil vertiefte dies die Rezession und trieb das Hauhaltsdefizit hoch.
In Deutschland haben die Kahlschlagsmassnahmen der “Agenda 2010” in diesem Jahr einen Rückgang der Inlandsnachfrage von 0,7% verursacht. Diese könnte durch die vor kurzem eingekündigten Entlassungen bei Opel und anderen Unternehmen angekündigt sogar noch weiter fallen. Sogar noch bedeutender ist der scharfe Rückgang bei den Investitionen. Unternehmerprofite werden für Spekulation verwendet oder verlassen das Land und werden nicht in Deutschland investiert. Dieses schwache Wachstum im zweiten Quartal ist ganz und gar den niedrigeren Profiten zuzuschreiben. Der Fall des Dollar und die steigenden ölpreise brachten die EU-Kommission am Dienstag dazu, ihre Wachstumsvorhersagen für 2005 auf 2.0% zu senken.
Für nächstes Jahr ist für das deutsche BIP ein Wachstum von nur 1,5% prognostiziert. Oberflächlich betrachtet sieht das für Frankreich vorhergesagte Wachstum von 2,3% viel besser aus. Aber das französische Wachstum basiert im wesentlichen auf Finanzminister Sarkozys Variante der US-Wirtschaftspolitik. Der Konsum der privaten Haushalte ist angekurbelt worden. In den letzten drei Jahren sind die Gebäudepreise in Frankreich um 40% gestiegen. Aber die Arbeitslosigkeit ist immer noch eine der höchsten in der EU und die hohen Gebäudepreise werden nicht so bleiben.
Ein weiteres Problem sind die von der Europeaischen Zentralbank festgelegten gemeinsamen Zinsraten der Eurozone. Während die deutsche Wirtschaft niedrigere Zinsraten braucht, um ihre Wirtschaft anzukurbeln, braucht der französische Grundstücksmarkt, wie in den USA, höhere Zinsraten. Bis jetzt war die EZB in der Lage, die Spannungen zu managen, aber die Probleme werden zunehmen.
Sowohl die deutsche als auch die französische Regierung versuchen, für ein „nationales Profil“ zu werben, um Arbeitsplätze (und Profite) zu sichern. Sarkozy verurteilte einige der neuen EU Staaten wegen ihrer niedrigen Steuern und Schröder sagte, dass es “unpatriotisch“ sei, Jobs aus Deutschand abzuziehen. Beide Regierungen fordern auch eine gemeinsame EU-Politik zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und einheimischen Unternehmen. Hier deuten sich neue Spannungen und Krisen an.

Reform des Stabilitätspaktes?

Die EU-Kommission hat eine Aufweichung des “Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ prognostiziert. Letztes Jahr haben sowohl Deutschland als auch Frankreich die Regeln ignoriert, das Strafen für ein staatliches Haushaltsdefizit festlegt, dass höher ist als 3% des BIP. Eine Mehrheit der EU-Finanzminister stimmte zugunsten der beiden, um die drohenden Strafgebühren abzuwenden. Seitdem ist Griechenland mit über Jahre vertuschten Defiziten von bis zu 5% aufgeflogen. Deutschland, Frankreich und Portugal werden die Regeln diese Jahr wieder brechen, Italien und die Niederlande sind auch nahe daran. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Von der „Agenda 2010’” zum Beispiel wird berichtet, dass sie die Einnahmen für das staatliche Gesundheitswesen und die Rentenversicherungen verrringere.
Der neue, durch die Notwendigkeiten ausfgezwunge Vorschlag, gibt den Regierungen mehr Zeit, die Haushalte, besonders unter nicht näher definierten „außerdordentlichen Umständen“, auszugleichen. Staaten mit niedrigen Schulden werden auch mehr Zeit bekommen.
Der Vorschlag hat im Gegenzug zu scharfer Kritik seitens des EZB-Chefs, Jean-Claude Trichet, geführt. Er bezeichnete den Vorschlag als „gefährlich“ und die „Festigkeit“ der Eurozone gefährdend. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm meinte dasselbe, als er Deutschland bezichtigte, langfristig höhere Zinsraten in andere EU-Staaten zu exportieren. Er selbst verabschiedete einen neo-liberalen Haushalt mit “Strukturreformen ” (sowohl Stürsenkungen als auch drastische Keurzungsmassnahmen) – ein Haushalt, der vor kurzem zu einer Demonstration von 200.000 in Amsterdam führte.
Die französische Regierung diskutiert, auf der anderen Seite, den ganzen Pakt auszusetzen. Frankreich wird voraussichtlich im nächsten Jahr ein Defizit von 2,9% schaffen, aber nur dank des Geldes das von dem staatlichen Stromunternehmen EDF konfisziert worden ist.
Die Sorgen der EZB sind sehr berechtigt. Normalerweise führen Haushaltdefizite in einem Land zu höheren Zinsraten, vielleicht zu einer Währungsabsenkung und Inflation. In der Eurozone muss das von allen Mitgliedstaaten mitgetragen werden. Warum sollte dann irgend ein Land sein Defizit niedrig halten? Natürlich würde ein nicht ausgeglichener Haushalt den ArbeiterInnen nichts bringen, sondern vor allem den Grosskonzernen und den Reichen, wie in den USA.

Lissabon-Prozess

Romano Prodi, der nun als Präsident der EU-Kommission zurücktritt, verurteilte letzte Woche den EU’- “Lissabon-Prozess” als ”einen großen Fehler”. Die Pläne des EU-Gipfels in Lissabon 2000 zielten grundsätzlich auf massive Privatisierungen, Deregulierungen und Anti-Gewerkschafts-Massnahmen ab, die US-Wirtschaft wurde als Modell dafür präsentiert.
Der “Lissabon-Prozess” ist jedoch auf großen Widerstand und auch enttäuschten Erwartungen in steigendem wirtschaftlichen Wachstum getroffen. Ein Bericht des ehemaligen niederländischen Premierministers Wim Kok, der bald veröffentlicht wird, zeigt, dass nur 5 von 25 EU-Staaten die Deadline eingehalten haben. Das sind die wirtschaftlich weniger wichtigen Länder – Belgien, österreich, Finnland, Schweden und Dänemark.
Gerhard Schröder und der ehemalige französische IWF-Chef Michel Camdessus sind unter den lautesten Stimmen, die jetzt eine Wiederaufnahme des Lissabon-Prozesses fordern. Der Plan des deutschen Kanzlers mit dem Titel „Sieben Chancen für einen gemeinsamen Europäischen Markt”, tritt für die komplette Liberalisierung des europäischen Energiemarktes ab 2007 ein, mehr Kooperation in der Rüstungsindustrie und einheitliche Standards für Kreditkartenoperationen und Banküberweisungen, berichtet ‚EUobserver.com’.
Neben diesen Vorschläge sind noch verschiedene andere Reformen in Planung. Die Schröderregierung betrachtet die angelsächsische Wirtschaft immer noch als ein Modell. „In Deutschland hat die Regierung Schritte vorgesehen, um die Kontrolle der Handelsgesellschaften und die Abläufe des Kapitalmarktes zu verbessern, z.B. in dem die Einführung von Hedgefunds unterstützt wird”, (FT, 23. July 2004).
In Frankreich führt die Regierung 1 Million befristeter Arbeitsverträge ein, plus Kürzungen bei Renten und Arbeitslosenunterstützung. 10.000 Verwaltungsstellen werden gestrichen. Ein anderer Trend ist, teile des Staates zu „dezentralisieren”, und die Schuld für weitere Kürzungen auf die lokalen Behörden zu schieben.

Erweiterung

Die Rolle der EU-Erweiterung ist auch ziemlich klar. „Die Erweiterung der EU, und das Wissen dass direkt auf der anderen Seite der Grenze Arbeiter bereit sind, den Job für sehr viel weniger Geld zu machen, hat deutlich als ein Anreiz für Reformen gewirkt”, schrieb der „Economist“ vor kurzem in einem Special über die EU. Das Magazin fährt fort: „Ein neues Element ist durch die Aufnahme der neuen zentraleuropäischen Mitgliedstaaten dazugekommemn, die um die Erhaltung ihrer Wettbewerbsvorteiel fürchten: niedrige Löhne, niedrige Steuern und leichte Regulierung.”
Die Arbeitgeberverband der EU, Unice, betonte dasselbe: „Die Erweiterung ist eine goldene Gelegenheit, die Wettbewerbsfähigkeit anzuheizen”. Eine EU mit 25 Mitgliedern würde die “Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen” an erste Stelle setzen, meinte Barroso als er seine – jetzt abgelehnte – Kommission zusammenstellte.
Die Erweiterung ist ein Hauptargument , wenn Unternehmen niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten fordern. Die EU-Kommission bereitet sich jetzt darauf vor, die EU-Regeln über die maximale Arbeitsstundenzahl pro Woche zu verwässern. Diese wurden 1993 als Antwort auf die Gewerkschaften eingeführt.

Neue Krise

Die Ablehnung von Barrosos Kommission ist nicht das einzige Anzeichen der Krise der EU in dieser Woche. Am Freitag werden sich die EU-Regierungschefs in Rom treffen, um die neue EU-Verfassung zu unterzeichnen. Diese Verfassung könnte jedoch eventuell bis zum Oktober 2005 nicht überleben, wenn sie von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden soll. Elf Länder haben bis jetzt Referenden zu diesem Thema angekündigt (Belgien, Grossbritannien, die Tschechische Republik, Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal und Spanien. Sogar Schröder denkt über ein Referendum in Deutschland nach. Formal gesehen kann kein Land die Verfassung blockieren.
Im allgemeinen wird der mit der EU verbundenden neo-liberalen Politik mit wachsender Gegenwehr begegnet. Es ist eine Frage der Zeit, bis führende Politiker ebenfalls versuchen, die EU offen für ihr Versagen, bezüglich Arbeitslosigkeit etc anzuklagen. Die Regierugen Deutschlands und der Niederlande und andere haben erklärt, dass sie nicht länger bereit sind, mehr als andere in den EU-Haushalt einzubezahlen. Ein neuer Haushalt für 2007 ist gerade in Vorbereitung.
Die Stimmung gegen die EU wächst in den Mitgliedstaaten. In der letzten Euro-Barometer-Umfrage gaben nur 43% an, ein positives Bild von der Union zu haben. Nur 39% in Deutschland denken, dass das Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Die Politiker versuchen, diese Stimmmung auszunutzen, in dem sie die nationalistische Kart ausspielen.
Die Europäische Union wird durch den gemeinsamen Willen der Kapitalisten in Europa zusammengehalten, den Sozialstaat auszuschlachten und die Arbeiterklasse anzugreifen. Aber sie stehen auch unvermeidlich unter dem Druck der nationalen Interessen der Politiker und Kapitalisten. Jedes der aktuellen Krisenthemen – die Verfassung, der Stabilitätspakt, der kommende EU-Haushalt – könnten zu einer EU mit zwei oder drei verschiedenen Lagern mit unterschiedlichen Integrationsstufen fuheren.
Die einzige Alternative zur EU des Kapitals ist ein sozialistisches Europa, das nur durch den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse europaweit erreicht werden kann. Die Schrittte für einen gemeinsamen Kampfes in den General Motors-Werken können ein Anknüpfungspunkt für weitere,schärfere Klassenkämpfe sein, die das Bewusstsein verändern und neü sozialistische Massenparteien schaffen.

Per-Åke Westerlund, Rättvisepartiet Socialisterna (CWI Schweden)
Übersetzung: Conny Dahmen