Zur Strategie des deutschen Kapitals
DaimlerChrysler, Opel, Siemens, Karstadt, VW… Das Modell des rheinischen Kapitalismus beziehungsweise der sozialen Marktwirtschaft wird ersetzt durch das Modell des Neoliberalismus.
Die auf lange Sicht angelegte Strategie des Kapitals kann nur vor dem Hintergrund der historischen und ökonomischen Situation ab Mitte der 70er und Anfang der 90er Jahre verstanden werden.
Profitkrise
Die kapitalistische Produktionsweise befindet sich seit der Weltwirtschaftskrise von 1973/74 in einer Restrukturierungsphase der Produktionsverhältnisse, die sich auf ökonomischer, politischer und ideologischer Ebene auswirkt: Ökonomisch ist diese Phase durch sinkende Profitraten und Überproduktionskrisen gekennzeichnet. Politisch wurde das vorherrschende Modell der Sozialpartnerschaft (ermöglicht durch ein relativ konstantes Wirtschaftswachstum, die Stärke der Arbeiterbewegung und den Ost-West-Konflikt) durch den Klassenkampf von oben und einer angebotsorientierten Politik mehr und mehr ersetzt. Ideologisch wurden Begriffe wie schlanker Staat, Eigenverantwortung, Globalisierung und Konkurrenzfähigkeit zur Durchsetzung des ökonomischen und sozial-politischen Umbaus eingebracht. Dieser Prozess wurde durch den Zusammenbruch des Stalinismus beschleunigt.
Die SPD hatte schon seit langem keine alternativen Antworten darauf und übernahm vollständig die neoliberale Ideologie. Die Gewerkschaftsführung konnte vom Kapital in seiner beginnenden Offensive in den 90er Jahren vor sich hergetrieben werden dies als Folge des politischen und ideologischen Klammerns an SPD und Sozialpartnerschaft.
Rot-Grün war entgegen des allgemeinen Unternehmergezeters vor den Bundestagswahlen 1998 für die Zwecke des Kapital hervorragend geeignet wegen der Bindung der DGB-Führung an die SPD.
Aushöhlung der Tarifverträge
Der verlorene Ost-Metaller-Streik für die 35-Stunden-Woche 2003 war für das Kapital nicht nur die Revanche für deren schrittweise Einführung, sondern auch das Signal für den Angriff auf die Flächentarifverträge. Gerade der exportorientierten Industrie reichte die von der DGB-Führung praktizierte Lohnzurückhaltung nicht mehr aus. Statt Auseinandersetzungen in der Fläche (Tarifrunden) steht nun die Verbetrieblichung von Kämpfen auf der Tagesordnung. Siemens konnte Arbeitszeit- verlängerung und Lohnkürzungen durchsetzen, bei VW steht ähnliches an, DaimlerChrysler konnte ein 500-Millionen-Sparprogramm durchsetzen…
Dies ist gleichzeitig eine ökonomische Strategie des Industriekapitals, wie auch eine dem Kapitalismus innewohnende Notwendigkeit, denn die Verbilligung der Ware Arbeitskraft in einem Konzern zwingt andere Konzerne dazu nachzuziehen. Die Abwärtsspirale von Lohn- und Personalabbau beschleunigt sich.
Nur der Anfang
Nachdem es auf sozialstaatlicher Ebene mit Hartz I bis IV, Renten-, Gesundheits- und Steuerreform weitergekommen ist (verständliches Lob von BDI-Präsident Rogowski an Schröder), wird nun auf betrieblicher Ebene durchgegriffen, ohne aber den weiteren Abbau des Sozialstaates zu vergessen: Unternehmen sollen Arbeit schaffen, während die Beschäftigten die soziale Sicherung und das Gesundheitssystem selbst finanzieren. Die primäre Verantwortung der Unternehmen liegt nun einmal nicht in der Sozialfürsorge (Rogowski in Die Zeit vom 16. September).
Schon auf dem BDI-Kongress vom Februar forderte sein Chef die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 30 Prozent, Abschaffung der Gewerbesteuer, Absenkung der Sozialhilfe, Renteneintrittsalter mit 67 Jahren, die weitgehende Abschaffung von Kündigungsschutz und Tarifautonomie. Dies ist nicht nur Provokation, denn es ist bezeichnend, dass folgende Forderungen des BDI-Kongresses vom 1. Mai 2002. schon umgesetzt wurden: Abkehr von der Tarifautonomie auf der Grundlage von Flächentarifverträgen, Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, Absenkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Senkung der Unternehmenssteuern, Einführung von Studiengebühren.
Ende Oktober nannten Rogowski und Henkel die Mitbestimmung einen historischen Irrtum. Der Kündigungsschutz soll weiter aufgeweicht werden.
Die Arbeitgeberoffensive und das sich entwickelnde Erscheinungsbild der Krise erinnern an Weimarer Zeiten. Damals waren auch alle erkämpften Rechte der Lohnabhängigen unter Beschuss. Wie in den 20er Jahren drohen Armut und Arbeitslosigkeit wieder zum Massenphänomen zu werden.
CDU/CSU haben aus Sicht des Kapitals die Aufgabe, durch noch schärfere Forderungen Rot-Grün vor sich herzutreiben. Der CDU/CSU-Streit um die Kopfpauschale widerspiegelt unterschiedliche Überlegungen: Welche Forderungen lassen sich als sozial gerecht besser verkaufen?
Mit dem Stillhalten der Gewerkschaftsführung und der fehlenden politischen Alternative können die Kapitalfraktionen die Profitsanierung vorantreiben es sei denn, dass das Opel-Beispiel Schule macht.
von Frank Nitzsche, Siegen