Seit Montag finden bundesweit Warnstreiks in der privaten Abfallwirtschaft statt. Gestern begann die dritte Runde in den Tarifverhandlungen zwischen ver.di und dem BDE (Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft), voraus gegangen waren extreme Forderungen der Arbeitgeberseite, insgesamt sollen da bis zu 30 Prozent Lohnk?rzungen durchgeboxt werden.
In einer Stellungnahme malte Christian Jeschonek, Vorsitzender der kleinen Tarifkommission des BDE, die Situation mehr als schwarz aus. ?Wir sehen uns einem preisdruck gegenüber, den wir so noch nicht erlebt haben. Unser Arbeitgeberverband steht daher vor einer Zerreißprobe? so Jeschonek. Die Entsorgungspreise sind zwar in den letzten 18 Monaten um ca 20% gesunken, aber am Hungertuch muss die Abfallwirtschaft noch lange nicht nagen. In den letzten Jahren hat auch in der Entsorgungsbranche der Stellenabbau Einzug gehalten, mit den bekannten Folgen für die übriggebliebenen Beschäftigten, längere Arbeitszeiten und massive Zunahme des Arbeitsdruck. Immerhin wird in dieser Branche jährlich ein Umsatz von rund 50 Mrd. Euro erwirtschaftet. Auch staatliche Zuschüsse für den Neubau und die Modernisierung von Abfallverwertungsanlagen betragen einige Millionen pro Jahr. Schon in den letzten Jahren hat sich abgezeichnet, wo die Chefs der privaten Entsorgungswirtschaft hin wollen, immer niedrigere Löhne, längere Arbeitszeiten, kurz gefasst: fette Konten auf Kosten der Arbeitnehmer.
Nicht der erste Angriff
Die jetzigen Angriffe sind nicht die ersten, die in dieser Branche gegen die Beschäftigten gefahren werden. Bereits in den letzten Jahren wurden massiv Stellen abgebaut und Gebühren erhöht. Eine Dreistigkeit, die ihres gleichen sucht, nahmen sich Mitte 2003 die Berliner Firmen Alba Berlin und Alba Recycling raus. Damals wurden in einer Nacht- und Nebelaktion 90 Beschäftigte entlassen, als Antwort gab es von den Belegschaften spontane Streiks, darauf reagierte die Geschäftsführung mit Drohung von fristloser Kündigung ? für alle Beschäftigten. ver.di und der Betriebsrat mussten sogar die Polizei zu Hilfe rufen, um die Akten des Betriebsrates dem Zugriff der Geschäftsführung zu entziehen. Hintergrund dieser rabiaten Aktion der Geschäftsführung war, dass sich beide Betriebe seit Monaten weigerten, Tarifverträge mit ver.di abzuschließen. Die entlassenen Kollegen sollten nach ihrer Kündigung in einer betriebseigene Leiharbeitsfirma eingesetzt werden. Das hätte Lohneinbußen von bis zu 50% mit sich gebracht, Sortierkräfte sollten für 3,50 Euro schuften, Kraftfahrer für 1.400 Euro, Brutto natürlich. Das ist nur ein Beispiel für die Dreistigkeit der Unternehmer, nicht nur in der privaten Entsorgungsbranche wird so agiert. Rausgeschmissen wird wer nach Meinung der Geschäftsführung nicht mehr gebraucht wird oder wer unbequem ist. Neuestes Beispiel dieser Firmenpolitik ist Marc Treude, Stadtrat in Aachen, der bei Cinram in Alsdorf vor kurzem gekündigt wurde. Dort sollten 350 Beschäftigte entlassen werden, Treude, Vertrauensmann der IG BCE, fing an Widerstand gegen die geplanten Kündigungen zu organisieren.
Aktueller Kampf
ver.di fordert in der Tarifrunde 3,9% mehr Lohn und stellt sich gegen Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen. Der Forderungskatalog der Arbeitgeberseite liest sich wie die Wegbeschreibung zurück ins 19. Jahrhunderrt. Angefangen bei 20% weniger Lohn für neueingestellte Kollegen über Senkung des Jahresurlaubs von 30 auf 24 Tage bis zur Streichung der Jahressonderzahlung. Insgesamt sollen die Lohnkosten um runde 30% gesenkt werden, natürlich auf Kosten der Kollegen, Kürzungen bei den Gehältern der Chefs sind, wie zu erwarten, nicht vorgesehen. Das Angebot der Arbeitgeberseite ist nahezu lächerlich, 1% Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von drei Jahren, das wäre noch nicht einmal der Inflationsausgleich.
Dienstag früh um 7
In Berlin fand gestern der erste Warnstreik statt, direkt vor dem Gebäude des Arbeitgeberverbandes BDE. Am gleichen Tag begannen dort die Tarifverhandlungen, in dritter Runde. Die Vertreter der Arbeitgeberseite wurden lautstark begrüßt, Pfeifkonzert, Mülltonnen als Trommel und Spalierlaufen durch die Kollegen, so hatten sich die Herren der BDE-Tarifkommission ihren Dienstagmorgen sicher nicht vorgestellt. Untermalt wurde die Begrüßung der ca 150 ? 200 Kollegen durch rund 100 Müllwagen, die rund um das Gebäude ?geparkt? waren. Die Stimmung unter den Kollegen war extrem geladen, Streik war unter ihnen keine Frage. ?Wenn die uns weiter verarschen, machen wir den Laden dicht?: meinte ein Kollege auf die Frage, ob ein unbefristeter Streik möglich sei.
Die kämpferische Stimmung drückte sich auch in kurzen Reden und auf Transparenten aus, ?Auch meine Kosten steigen?; ?Lohnsenkung: Ohne Uns!? und ?Schluß mit Lohn- und Sozialdumping? war zu lesen. Ein Kollege der Stadtreinigung Dresden berichtete von der Streikaktion am Vortag und bekam ausgiebigen Beifall.
Wie weiter?
Die kämpferische Stimmung unter den Kollegen und die Befürwortung eines unbefristeten Streiks bietet gute Möglichkeiten, die Angriffe der Arbeitgeber zurück zuschlagen. Momentan laufen in vielen Bereichen Auseinandersetzungen, ob in der Entsorgungswirtschaft, bei Volkswagen, der Kampf um die Arbeitsplätze bei Karstadt-Quelle oder der Kampf gegen Hartz und Agenda, überall sehen sich Beschäftigte und Erwerbslose ständigen Angriffen ausgesetzt. Nötig wäre eine Bündelung des Protestes aller Betroffenen. Branchenübergreifender Widerstand und Verbindung des gewerkschaftlichen Kampfes mit der Bewegung gegen Hartz und Agenda sind nötig, um die Angriffe des Kapitals abzuwehren. Wenn weiterhin jeder allein kämpft werden sich die Bosse nur zu sehr freuen. Das denen, die unsere Zukunft opfern wollen, um ihre Taschen zu füllen das Lachen vergeht, ist ein eintägiger Generalstreik notwendig.
von Christian Reichow, Berlin