Der Einzug von Marc Treude in den Aachener Stadtrat und von Claus Ludwig in den Kölner Rat für die Wahlbündnisse Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag bzw. Gemeinsam gegen Sozialraub stellen einen wichtigen Erfolg dar.
Das politische Establishment in Aachen reagiert nervös. So schreibt die Aachener Nachrichten: Es gibt Überlegungen, die Redezeit zu begrenzen. Hintergrund ist die Befürchtung, beispielsweise die neu mit einem Mandat im Rat vertretene Gruppe «Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag» (GGSO) könne die Redezeit «zu langen Monologen zu Themen missbrauchen, die nichts mit Kommunalpolitik zu tun haben», so ein langjähriger Ratsherr. Dann ginge es etwa «eine Stunde lang gegen Hartz IV», ohne dass dagegen etwas unternommen werden könne. Das verwundert nicht, denn schließlich sind sich die Sozialräuber von SPD, CDU, FDP und Grünen im Grundsatz einig und haben nicht viel zu sagen. Die Stimme der von ihrer arbeitnehmer- und erwerbslosenfeindlichen Politik Betroffenen wollen sie nicht hören.
Die Präsenz der zwei SAV-Mitglieder, die auf der Basis der Programme der Wahlbündnisse jegliche Form von Sozialabbau, Privatisierungen und Arbeitsplatzvernichtung ablehnen, wird die Entscheidungen der Stadträte kaum verändern. Sie bietet trotzdem eine gute Ausgangsposition, um von ArbeitnehmerInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen stärker wahrgenommen zu werden und eine größere Öffentlichkeit für eine alternative Politik zu erreichen. Die beiden neuen Ratsherren und die Bündnisse, die sie vertreten, haben im Wahlkampf unter Beweis gestellt, dass die außerparlamentarische Bewegung für sie die oberste Priorität hat: durch die Unterstützung der Montagsdemonstrationen, betrieblicher Proteste und in Köln durch die Mobilisierung für eine antifaschistische Demonstration am 16.10. gegen einen Nazi-Aufmarsch. Nicht zuletzt sind sie selber Arbeitnehmer und aktive gewerkschaftliche Vertrauensmänner in ihren Betrieben. Die Ratsmandate werden sie nutzen, um den Widerstand auf der Straße und in den Betrieben zu unterstützen und voran zu treiben. Marc Treude hat die ersten Anträge von Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag schon formuliert. Sie werden fordern, dass der Verkauf der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GeWoGe in dieser Legislaturperiode ausgeschlossen wird und die Stadt Aachen die Hartz IV-Gesetze nicht umsetzen wird. Eine Protestaktion zur Unterstützung dieser Anträge vor der Ratssitzung ist geplant.
Die Sozialistische Alternative (SAV) hatte die Initiative zur Gründung der Wahlbündnisse in beiden Städten ergriffen. Ziel war es dem wachsenden Widerstand gegen Agenda 2010 und Lohnraub einen breiten politischen Ausdruck zu verschaffen. Uns war klar, dass viele Betroffene und AktivistInnen der sozialen Bewegungen, denen es noch schwer fällt eine revolutionär-sozialistische Organisation aktiv zu unterstützen, bereit sein werden aktiv ein breites Wahlbündnis zu unterstützen. Dementsprechend sind wir für einheitliche und demokratische linke Listen eingetreten, die zur Grundlage eine Ablehnung jeglichen Sozialabbaus haben sollten. Leider ist es in beiden Städten nicht gelungen eine solche Einheit herzustellen. Sowohl die örtliche PDS entschied sich gegen eine Teilnahme an der Bündniskandidatur, als auch andere Linke, die eigenständige Listen bildeten: in Köln die Ökologische Linke und in Aachen gleich drei weitere Listen, die ein linkes oder zumindest soziales Image hatten: UWG, ILAC und ELA. Diese Zersplitterung auf der Linken erschwerte es den Wahlbündnissen das existierende Potenzial für einen Wahlerfolg zu mobilisieren. Ebenfalls nicht geholfen hat in Köln die Weigerung der lokalen Führung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Wahl von gemeinsam gegen Sozialraub aufzurufen, obwohl viele WASG-Mitglieder auch das Wahlbündnis unterstützten und dieses weitgehend Forderungen aufstellte, die die WASG auch unterstützt.
Dieses Verhalten anderer linker Kräfte mag unterschiedliche Ursachen haben. Für die PDS trifft sicher zu, dass sie die kompromisslose Haltung der Wahlbündnisse nicht mittragen wollte. So konnten sich PDS-Vertreter in Aachen und Köln vorstellen rot-grün zu unterstützen, um zum Beispiel eine Ratsmehrheit zu erreichen. Auch wollten so manche KandidatInnen anderer Listen das Prinzip der Wahlbündnisse nicht mitmachen, welches es gewählten Ratsmitgliedern verbietet aus dem Mandat irgendwelche Privilegien anzunehmen.
Trotzdem gelang es den Bündnissen ihre Basis über die an ihnen beteiligten organisierten Gruppen hinaus zu erweitern. Beide Bündnisse haben jeweils über 100 Mitglieder und viele weitere UnterstützerInnen, die nicht formal beigetreten sind.
In beiden Städten wurden sehr engagierte und intensive Wahlkampagnen geführt, trotz der bescheidenen Mittel, die zur Verfügung standen. Mit täglichen Aktionen vor Betrieben, Arbeitsämtern und in den Stadtvierteln wurde das direkte Gespräch mit der Bevölkerung gesucht, denn eines war klar: es musste um jede einzelne Stimme gekämpft werden. Das veranlasste auch über 60 SAV-Mitglieder aus anderen Städten und sogar Mitglieder der belgischen und österreichischen Schwesterorganisationen der SAV zur Wahlkampfunterstützung in die Domstädte anzureisen.
Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten sind ein schwieriges Feld für die Arbeiterbewegung und die Linke. Die bürgerliche Propagandamaschine der Medien und pro-kapitalistischen Parteien funktioniert ausschließlich für die bürgerlichen Parteien. In Aachen und Köln gab es einen fast kompletten Presseboykott der Lokalmedien gegen die Wahlbündnisse. Zu offiziellen Wahlveranstaltungen wurden die Bündnis-Kandidaten kaum eingeladen. Gleichzeitig war man mit einer Materialschlacht der etablierten Parteien (und in Köln der finanzstarken Faschisten von Pro Köln) konfrontiert, mit der die Wahlbündnisse nicht konkurrieren konnten.
Die Hoffnung, die Ablehnung der etablierten Parteien relativ leicht in eine Stimmabgabe für die Wahlbündnisse umwandeln zu können, erwies sich als trügerisch. Mit dem geringen Bekanntheitsgrad und den bescheidenen finanziellen Mitteln war es nicht möglich die dominierende Stimmung in der Arbeiterklasse zu ändern. Diese war: wählen bringt nichts. Demzufolge sank die Wahlbeteiligung landesweit ein weiteres Mal (in Köln stieg sie zwar leicht, liegt aber trotzdem mit 48,2 Prozent unter Landesniveau) und es gelang den Wahlbündnissen nicht mehr Menschen aus diesen Schichten zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Sicher ist das auch Ausdruck der Tatsache, dass die Verankerung der an den Bündnissen beteiligten Kräfte noch gering ist. Aber vor allem heißt das: die Sympathie, die den Wahlbündnissen auf der Straße, vor Betrieben und den Arbeitsämtern entgegenschlug war weitaus größer als es die Stimmenergebnisse ausdrücken. Die Stimmung gegen die etablierten Parteien der Sozialräuber ging zwar klar in die Richtung der Wahlbündnisse, konnte aber nicht in aktive Wahlteilnahme verwandelt werden, sicher auch, weil viele nicht daran glaubten, dass die Wahlbündnisse überhaupt eine Chance auf einen Ratssitz haben. Diese Erfahrung machte auch die Rostocker SAV/Liste gegen Sozialkahlschlag. Nach dem Wahlerfolg im Juni sagten viele Menschen, die wir später auf der Straße oder den Montagsdemonstrationen getroffen haben: Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr eine Chance habt, hätte ich Euch auch gewählt.
Wahlen sind Momentaufnahmen von Stimmungen. Hätten die Wahlen einige Wochen früher stattgefunden, wären die Stimmergebnisse sicher besser gewesen. Doch Ende September war die Bewegung der Montagsdemonstrationen, die ohnehin kaum auf Westdeutschland übergeschwappt war, schon wieder rückläufig und bei einigen der Beteiligten machte sich Enttäuschung darüber breit. Diese Enttäuschung ist umso mehr nachvollziehbar, da es innerhalb von einem Jahr die dritte größere Mobilisierung ist, die durch die Gewerkschaftsführungen nicht zu wirklichem Widerstand weiter entwickelt wird.
Auch drückt sich aus, dass für kleine Gruppierungen ein reiner Propagandawahlkampf unter den bestehenden Bedingungen nur eine begrenzte Wirkung erzielen kann. Leider war es den Wahlbündnissen nicht möglich eine konkrete Auseinandersetzung vor Ort zu führen, die breitere Teile der Arbeiterklasse in Aktivität und Widerstand gezogen hätte.
Ein weiterer Faktor war sicher, dass die Wahlerfolge der Faschisten bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen einige WählerInnen dazu verleitet hat mit der Faust in der Tasche noch einmal SPD oder Grüne zu wählen, um zu verhindern, dass die Rechtsextremisten in den Stadträten zum Zünglein an der Waage werden. Die heuchlerische Wahlwerbung der Kölner SPD, die kurz vor dem Wahltag noch ein neues Plakat mit der Aufschrift gegen Rechts wählen klebte, hatte sicher bei einigen eine Wirkung erzielt.
Vor diesem Hintergrund sind die Stimmenergebnisse von 785 in Aachen (0,8 Prozent) und 2253 in Köln (0,6 Prozent) als wichtige Achtungserfolge zu werten. Die deutlich besseren Ergebnisse in den Stimmbezirken, in denen mehr Wahlkampfaktivitäten stattfanden zeigen, was bei mehr finanziellen Ressourcen und mehr aktiven WahlkämpferInnen möglich gewesen wäre. Die Gesamtergebnisse für die linken Kandidaturen (in Aachen 5,6 und in Köln vier Prozent) und auch die Erfolge vieler weiterer kleiner linker Kandidaturen in anderen Städten Nordrhein-Westfalens zeigen das Potenzial, das für eine neue Arbeiterpartei existiert. Dabei ist klar, dass diese aufgrund der begrenzten Mittel und der schwachen Medienberichterstattung dieses Potenzial nur ankratzen konnten. Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (bzw. die sich daraus wahrscheinlich bildende Linkspartei) wird in der Lage sein deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen, wenn sie eine kämpferische Wahlkampagne führt. Dies sollte bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr geschehen.
Sascha Stanicic, Berlin (und Wahlkampfhelfer in Köln und Aachen)