Mindestlohn!

Hartz IV bringt Niedrigstl?hne
 
Nach wütenden Anti-Hartz-Protesten und schlechten Umfrageergebnissen für die SPD  war wieder ein Ablenkungsmanöver angebracht. So sah es wohl der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering und sprach vom Mindestlohn. Wie ernst solche Manöver von ihm gemeint sind, sieht man an der Ausbildungsabgabe.
Münteferings Vorschlag: Der Mindestlohn sollte sich zwischen drei und sieben Euro bewegen. Das würde monatlich brutto zwischen 480 und 1.120 Euro betragen. Wie man davon leben soll, erklärt Müntefering allerdings nicht. Trotzdem löste Münteferings Idee innerhalb der Gewerkschaften eine Debatte aus. ver.di-Chef Bsirske will einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Das hieße im Monat etwa 1.200 Euro brutto. Netto blieben einem alleinstehenden Menschen (Steuerklasse I) davon noch etwa 900 Euro. Eine Sauerei, dass so ein Vorschlag von jemandem kommt, der selbst ein Spitzengehalt von rund 13.000 Euro im Monat bekommt.
Selbst Bsirskes Kollege Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), meint dazu: ?Ein Mindestlohn von 1.500 Euro brutto würde (…) gerade die Armutsgrenze überschreiten.? (Die NGG bleibt dann bei dieser Forderung stehen und setzt sich für einen Mindestlohn von 1.500 Euro im Monat ein.)
Andere Gewerkschaftsfunktionäre, wie zum Beispiel IG BCE-Chef Schmoldt, stellen sich gleich offen auf die Seite von Arbeitgeberpräsident Hundt und wenden sich gegen einen Mindestlohn. Ihr Argument: Dadurch würde die Tarifautonomie untergraben.

Bisheriger ?Mindestlohn?

Die Sozialhilfe fungierte in Deutschland faktisch als eine Grenze nach unten: Wer Sozialhilfe bekam, konnte kaum dazu gebracht werden, für so wenig Geld zu arbeiten.
Durch Hartz IV wird mit der Einführung von Arbeitslosengeld II und den Ein-Euro-Jobs diese Grenze jetzt weiter nach unten geschraubt. Ein Mindestlohn, der weit über Arbeitslosengeld II liegt, würde diese Lohndumping-Spirale bremsen.
Schon heute gibt es Tariflöhne, die Armutslöhnen gleichkommen. Der niedrigste Tariflohn liegt bei 2,74 Euro brutto pro Stunde. 2,8 Millionen Beschäftigte arbeiten heute in Bereichen, in denen ein Tariflohn von unter sechs Euro brutto vereinbart ist. Das heißt, sie arbeiten am Rande des Sozialhilfeminimums. Mit Hartz IV ist es möglich, Erwerbslose dazu zu zwingen, für vier oder gar zwei Euro brutto zu arbeiten.
Hinzu kommt: Schon heute arbeiten viele Beschäftigte ohne jede Tarifbindung. In Ostdeutschland arbeiten zum Beispiel 45 Prozent aller Beschäftigten ohne Tarifvertrag ? Tendenz steigend.
Die SAV setzt sich für einen Mindestlohn von 2.000 Euro brutto im Monat beziehungsweise zwölf Euro die Stunde ein. Dieser Betrag ist nötig, um ein vernünftiges Leben für sich zu garantieren, um nicht nur Wohnung und vernünftiges Essen und gute Kleidung bezahlen zu können, sondern auch die notwendige Erholung.
Für die Tarifverträge selbst hätte ein solcher allgemein gültiger Mindeslohn eine positive Funktion: Schlagartig würden untere Gehaltsgruppen besser gestellt. Es wäre einfacher, ins-gesamt nachzulegen. Der ?Autonomie? der Arbeitgeber, auch noch Hungerlöhne in die Tarifverträge zu schreiben, wäre ein Riegel vorgelegt. Dass Gewerkschaftsfunktionäre bisher eine solche ?Autonomie? zulassen und wie bei ver.di über Absenkungstarifverträge zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr verhandeln, die in diese Richtung gehen ? das ist der eigentliche Skandal.
Das zeigt: Von den Gewerkschaftsspitzen wird diese Debatte vor allem genutzt, um von ihrer Verantwortung zum Kampf gegen Niedriglöhne abzulenken. Ihr Appell an  den Gesetzgeber soll ihre Untätigkeit kaschieren. Ohne größere Kämpfe ist kein anständiger Mindestlohn zu haben. Und vor diesen Kämpfen drücken sich die Gewerkschaftsführungen: Der Flächentarifvertrag wird mit Öffnungsklauseln ausgehölt. Gegenüber den Arbeitgebern knicken sie ein und stimmen Niedrigslohngruppen zu. Da hilft auch keine Debatte über Mindestlöhne.

von Doreen Ullrich, Aachen