Stellungnahme zu den Berliner Montagsdemonstrationen

Konflikte auf den Berliner Montagsdemos lenken von der Kernfrage ab:
Wie k?nnen die Proteste erfolgreich gesteigert werden?
 
Die Anti-Hartz-Bewegung steht am Scheideweg. Nat?rlich ist der von b?rgerlicher Presse, Politikern und Polizei angestimmte Abgesang auf die Montagsdemonstrationen bewusste Propaganda, um die Bewegung weiter zu schw?chen. Trotzdem sind die Teilnehmerzahlen real r?ckl?ufig. Darum stellt sich in aller Dringlichkeit die Frage, wie ein weiteres Abflauen verhindert werden kann. Mehr noch: Wie eine erfolgreiche Ausweitung der Proteste erreicht wird.

Die wochenlangen Auseinandersetzungen verschiedener Organisationen auf den Berliner Montagsdemonstrationen schaden der Bewegung ganz massiv. Ob offene Spaltung der Montagsdemo, wie bei den getrennten Demonstrationen in der zweiten Augusth?lfte, oder Streitigkeiten, wie in den letzten Wochen – beides spielt den Herrschenden in die H?nde. Schlie?lich h?lt der Streit viele ArbeitnehmerInnen und Erwerbslose davon ab, weiter teilzunehmen. Au?erdem lenkt das von den zentralen Fragen ab Welche Rolle spielt der DGB? Wie kann der Protest ausgedehnt und in die Betriebe getragen werden? Was ist n?tig, um Hartz IV noch zu kippen?

Wie ein Fl?chenbrand breiteten sich die von unten initiierten Montagsdemonstrationen im August bundesweit aus. Die Wut ?ber die Folgen von 14 Jahren kapitalistischer Restauration entlud sich im Osten. Aber auch im Westen demonstrierten Zehntausende in mehr als hundert St?dten. Das beweist die gro?e Bereitschaft in Ost und West, gegen Hartz IV Widerstand zu organisieren. Allerdings wird immer deutlicher, dass es nicht reicht, Woche f?r Woche Montags auf die Stra?e zu gehen. N?tig ist es, der Bewegung eine Perspektive zu geben, die n?chsten Kampfschritte zu entwickeln und vom Protest zum Widerstand zu kommen.

Ziel muss es sein, Hartz IV und letztendlich auch die Agenda 2010 zu kippen. Kosmetische Reformen, wie sie der DGB-F?hrung und der PDS vorschweben, reichen nicht. Darum ist auch die Einbeziehung einer Vertreterin des PDS-Vorstandes in den „offenen Koordinierungskreis“ des „Weg mit Hartz IV“-B?ndnisses kritikw?rdig. Die PDS-Spitze betreibt nicht nur selber Sozialk?rzungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, sondern setzt Hartz IV auch widerstandslos mit um. Die bundesweite gemeinsame Demonstration am 2. Oktober in Berlin kann ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche ermutigen, die Gegenwehr zu forcieren. Daf?r muss ab sofort in den Stadtteilen, vor den Arbeits?mtern und Betrieben f?r den 2.10. geworben werden. Die Verantwortung daf?r tragen die Vorst?nde der Gewerkschaften. Doch bis heute weigert sich der DGB-Bundesvorstand, bundesweit zum 2. Oktober aufzurufen und daf?r mit aller Kraft zu mobilisieren. In Berlin riefen in den letzten Wochen zwar GEW, ver.di, IG BAU und IG Metall zu der Montagsdemo (vor dem Roten Rathaus) auf, unterlie?en aber jede offensive Mobilisierung von Belegschaften und Gewerkschaftsbasis; stattdessen bauten sie bei der Werbung weitgehend auf die b?rgerlichen Medien. Darum sollten alle Gruppen und Organisationen, die den 2. Oktober zum Erfolg f?hren wollen, eigenst?ndig Flugblattverteilungen vor den Betrieben organisieren. Darum sollte die Montagsdemo am 27. September eine Zwischenkundgebung vor dem DGB-Haus am Hackeschen Markt durchf?hren.

Um Hartz IV zu stoppen, muss jedoch ein gr??tm?glicher ?konomischer Druck auf die Unternehmer ausge?bt werden. Da Hartz IV das Kernst?ck der Agenda 2010 ist, braucht es Massenstreiks. Die Anti-Hartz-Bewegung muss vermitteln, dass Hartz IV Erwerbslose und Lohnabh?ngige gleicherma?en trifft: durch Massenverarmung und der Ausdehnung des Niedriglohnsektors. Darauf kann es nur eine Antwort geben: Alle gemeinsam! Streiken, massenhaft und organisiert – durch den DGB! Um die Blockade der Sommers, Bsirskes und Peters zu durchbrechen, muss der Kampf in den Gewerkschaften aufgenommen werden. Gleichzeitig gilt es aber auch, Initiativen von unten zu ergreifen, um ?ber „aktive Mittagspausen“ oder Betriebsversammlungen die Streikfrage in den Mittelpunkt zu r?cken. All die brennenden Fragen zur Zukunft der Anti-Hartz-Bewegung werden in Berlin seit Wochen durch die Konflikte zwischen der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) und dem B?ndnis „Weg mit Hartz IV“ beeintr?chtigt.
Nicht zuletzt galt das f?r die Montagdemonstration am 20. September. Im Vorfeld untersagte das B?ndnis der MLPD, mit ihrem Lautsprecherwagen am Ort der Abschlusskundgebung teilnehmen zu d?rfen, blockierte dann den Wagen w?hrend des Demonstrationszuges und setzte die Kundgebung am Ende einfach fort, als der MLPD-Wagen von der Polizei direkt angegriffen wurde. Diese Vorgehensweise der Demoleitung ist zum Schaden der Anti-Hartz-Bewegung als Ganzes – und verhilft der MLPD nur zu unn?tiger Aufmerksamkeit. Genauso falsch war es in den Vorwochen, der MLPD den Alexanderplatz zu ?berlassen und zwei getrennte Demonstrationen durchzuf?hren. Die Mehrheit aller DemoteilnehmerInnen konnte das nicht nachvollziehen. (Volker Gernhardt und BetriebsratskollegInnen im Krankenhaus Neuk?lln entschieden sich beispielsweise, in der Folge beide Auftaktorte bekanntzumachen.) Am 28. August nahm der F?hrungskreis des „Weg mit Hartz IV“-B?ndnisses sogar in Kauf, dass die Polizei gegen die zweite Demo vorging, die hinter ihrer B?ndnis-Demo ebenfalls das Willy-Brandt-Haus ansteuerte. Es kam zu Festnahmen von Sprechern des „Montagsdemo“-B?ndnissees und zur Abschirmung des Lautsprecherwagens.

Das Vorgehen von ver.di-Funktion?ren, PDS-VertreterInnen, attacies und anderen gegen?ber der MLPD ist abzulehnen. Allerdings stellt die MLPD seit Beginn der Anti-Hartz-Bewegung ihre Organisationsinteressen auf Kosten der Bewegung aggressiv in den Vordergrund. Was ging der Spaltung der Berliner Montagsdemo voraus? Nach der Wiederbelebung der Montagsdemonstration in Magdeburg war in Berlin im DGB-Haus ein stadtweites B?ndnis „Weg mit Hartz IV“ ins Leben gerufen worden, an dem sich ver.di, attac, das Berliner B?ndnis gegen Sozial- und Bildungsraub, PDS, das Berliner Sozialforum, Studierende und viele andere Gruppen und Organisationen beteiligen. An jenem Abend wurde zu einer Montagsdemonstration am 14. August aufgerufen. Dort riss die MLPD dann die Demoleitung an sich, verstie? gegen gemeinsam getroffene Absprachen und dominierte die Auftakt- und Abschlusskundgebung. Nachdem die MLPD keine Bereitschaft signalisierte einzulenken und eine kollektive Vorbereitung und Durchf?hrung der Demo den Weg zu ebnen, kam es beim darauf folgenden B?ndnistreffen zum Bruch.

Die MLPD ist eine stalinistische Organisation. Sie schl?gt keine Kampfstrategie vor, um die Bewegung weiter aufzubauen. Stattdessen verk?ndet sie fatalerweise, dass die Fortsetzung der Montagsdemos Schr?der und Kapital stoppen k?nnten. Sie setzt auf die „Einheit des Volkes“ und damit auf den Zusammenschluss der Arbeiterbewegung mit „nichtmonopolistischen Kapitalisten“ und vernebelt somit die Spaltung zwischen Oben und Unten, zwischen Arbeiter- und Unternehmerklasse. (Allerdings sollte nicht das Kind mit dem Bade ausgesch?ttet werden: Die Parole „Wir sind das Volk“ ist keine origin?re MLPD-Parole, sondern kn?pft an die Hauptlosung der gegen die SED-Diktatur gerichteten Massenbewegung vom Herbst 1989 an). Es ist nicht das erste Mal, dass sich die MLPD B?ndnisentscheidungen verweigert und ein solidarisches Auftreten verschiedenen Kr?fte auf der Linken torpediert. Abgesehen von der Spaltung des ersten Oktoberwochenendes (mit einer MLPD-dominierten Demonstration in Berlin am 3.10. einen Tag nach der bundesweiten B?ndnisdemonstration am 2.10) wurden im Vorfeld des 1. November 2003 oder zum Beispiel bei der Kundgebung gegen den Afghanistan-Krieg am Tag X ?hnliche Erfahrungen gemacht. Wie in der Vergangenheit fordert die MLPD heute, dass sich ihr andere in einem B?ndnis unterordnen, kon-kret in dem von ihr beherrschten B?ndnis „Berliner Montagsdemo“ (auch wenn dort unten den hundert Aktiven nicht nur MLPD-Mitglieder sind). Mit einer solchen „Einheitsfront von unten“ ist eine B?ndnispolitik mit Massenorganisationen, konkret den Gewerkschaften, nicht m?glich. (Nat?rlich kann solch eine B?ndnisarbeit nicht um jeden Preis politisch eingegangen werden; trotzdem ?berwindet man die Probleme mit der DGB-Spitze nicht, in dem man den Gewerkschaftsbund rechts liegen l?sst, sondern im B?ndnis die Auseinandersetzung um einen k?mpferischen und demokratischen Kurs aufnimmt).
Der Einfluss, den die MLPD auf die erste gro?e Montagsdemo in Berlin nehmen konnte, basiert nicht auf ihrer Politik und Verankerung. Zugute kam ihr nur, dass sie sich bereits monatelang Montags mit ein paar Dutzend auf dem Alexanderplatz versammelte und weitere Montagdemos auf dem Alex angemeldet hatte.

Es darf kein Tag mehr durch ?ffentlich ausgetragene Konflikte innerhalb der Anti-Hartz-Bewegung verloren werden. Die Zeit dr?ngt, noch das Maximum f?r die Demonstration am 2. Oktober zu erreichen und betriebliche Protest- und Streikma?nahmen zu f?rdern. Um darauf hinzuarbeiten, muss der Druck auf die DGB-Spitze massiv erh?ht werden. Neben Unterschriftensammlungen und Antr?gen f?r einen bundesweiten eint?gigen Generalstreik sollten Initiativen ergriffen werden, die Beteiligung der Besch?ftigten auf der kommenden Montagsdemo am 27.9. zu steigern und Delegationen aus den Betrieben f?r den 2.10. zu erreichen. Schritte in diese Richtung w?ren Mobilisierungsaktionen vor den Betrieben. Au?erdem sollten k?mpferische Vertrauensleute und Betriebsr?te f?r beide Termine als RednerInnen eingeladen werden. (Veranstaltungen von Gewerkschaftslinken zu diesen Fragen wie vom Netzwerk f?r eine k?mpferische und demokratische ver.di am Mittwoch, den 29. September im ver.di-Haus in der K?penickerstra?e 30 um 18 h kommt besondere Bedeutung zu). Die SAV Berlin wird diese Vorschl?ge nicht nur bekanntmachen, sondern auch konkrete Initiativen ergreifen. Wir rufen alle, die f?r Massendemonstrationen und Streiks sind, auf, in der Bewegung offensiv daf?r einzutreten, den Kampf innerhalb der Gewerkschaften aufzunehmen und gemeinsam Schritte in diese Richtung zu ergreifen.

Berlin, den 21. September 2004

SAV Berlin – Tel.: 030/24723802 – Kontakt: Aron Amm