Bei der Landtagswahl im Saarland erteilten die Menschen den Agenda-Parteiensystems eine klare Absage
Der neoliberale Einheitsbrei der Agenda-Parteien hat in der Bevölkerung immer weniger Rückhalt – bei der saarländischen Landtagswahl vom 5. September setzte sich diese seit Jahren zu beobachtende und sich stetig verstärkende Entwicklung weiter fort. Bei der ersten Landtagswahl seit dem Beginn der sozialen Proteste gegen Hartz IV und die anderen Zumutungen der herrschenden Parteien ging die Wahlbeteiligung von 68,7 Prozent auf nur noch 55,5 Prozent zurück und lag damit noch unter der Wahlbeteiligung im Saarland bei der Europawahl vom Juni diesen Jahres mit 57,2 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der ungültigen Stimmen bei der Landtagswahl von 1,4 Prozent auf 2,5 Prozent. Tatsächlich haben also nur 53 Prozent der Wahlberechtigten einen Sinn darin gesehen, einer der angetretenen Parteien ihre Stimme zu geben ? für 47 Prozent stellte keine der auf dem Stimmzettel aufgeführten Parteien eine akzeptable Wahl dar.
Einen gigantischen Absturz erlebte erneut die SPD ? in ihrer einstiegen Hochburg fiel die Schröderpartei von 44,4 % auf 30,8 % zurück. Damit setzt sich der Niedergang der Sozialdemokraten fort: In ihren ?Stammländern? wird die SPD zur 30-Prozent-Partei. Allerdings nur dank des Umstandes, daß keine Wahlalternative auf dem Stimmzettel stand ? wäre dies der Fall gewesen, wäre die Wahlbeteiligung bedeutend höher und der SPD-Anteil noch erheblich geringer ausgefallen. Die CDU konnte sich zwar prozentual leicht verbessern, verlor aber im Vergleich zur Landtagswahl 1999 fast 50.000 WählerInnen. Dank der niedrigen Wahlbeteiligung schafften Grüne und FDP die Rückkehr in den Landtag.
PDS keine Alternative
Die PDS erhielt 2,3 Prozent der Stimmen und schnitt enttäuschend ab, im Vergleich zur Europawahl konnte sie nur knapp 1.400 WählerInnen hinzugewinnen. Obwohl die Partei mediengerecht versucht, von den Protesten gegen die Sozialraubpolitik zu profitieren, wird sie doch kaum als Alternative angesehen. Das kann auch nicht überraschen ? steht doch die reale Regierungspraxis der PDS in Mecklenburg-Vorpommern und gerade in Berlin im krassen Widerspruch zu ihren verbalen Protesten gegen Hartz IV und Agenda 2010. In den beiden Bundesländern, in denen die PDS jeweils in Koalitionen mit der SPD regiert, beteiligt sie sich fleißig an den Kürzungs- und Sozialrauborgien.
Neonazis erstarken
Einen beachtlichen Erfolg konnte die neofaschistische NPD verbuchen. Mit 17.584 Stimmen erreichte die NPD 4,0 Prozent, ihren höchsten Stimmenanteil bei einer bundesdeutschen Landtagswahl seit 1968. Bei der Europawahl im Juni hatten im Saarland die NPD 7.302 Stimmen (1,7%), die ?Republikaner? 5.504 Stimmen (1,3%) und die ?Deutsche Partei? 1.123 Stimmen (0,3%) erreicht, zusammen also 13.929 Stimmen (3,3%). In den ?Wahlanalysen? nach der Landtagswahl wurde behauptet, hauptsächlich Erwerbslose hätten die NPD gewählt ? der Stimmenanteil der NPD bei den Erwerbslosen, so wurde behauptet, hätte bei 14 Prozent gelegen. Diese Darstellung ist freilich nicht den Fakten entsprechend. Tatsächlich lag der NPD-Anteil nicht bei ?den Erwerbslosen?, sondern bei den zur Wahl gegangenen Erwerbslosen bei 14 Prozent. Vergessen werden darf hier aber nicht, daß gerade die am derzeit massivsten betroffenen Opfer der Sozialraubpolitik, also z.B. die Erwerbslosen, den Wahlen fernbleiben. Real dürfte der NPD-Anteil hier bei 5 bis 6 Prozent gelegen haben ? immer noch viel zu hoch, aber eben keine 14 Prozent. Ihr Rekordergebnis fuhr die NPD erwartungsgemäß in Völklingen ein, wo sie ? wie bei den Europa- und Kommunalwahlen ? auf rund 10 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen kam. In der ehemaligen Stahlarbeiterstadt lag die Wahlbeteiligung mit 51 Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt.
Hysterische Beschimpfungen
Die Reaktionen der Sozialraubpolitiker auf ihre Niederlage fiel erwartungsgemäß aus. Gerade Vertreter der SPD ergingen sich hauptsächlich in wüsten Beschimpfungen der Menschen und in zynischen Unterstellungen. So verstiegen sich maßgebliche Vertreter der SPD darauf, das die Opfer der herrschenden Politik die Sinnhaftigkeit der ?Reformen? nicht erkennen und verstehen würden, und deshalb nicht mehr SPD wählten. Damit setzt gerade die SPD die Beschimpfungen der Opfer ihrer Politik fort, wie sie dies bereits anlässlich der Monatsdemonstrationen praktiziert.
Als nächstes stehen am 19. September die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg an. Hier wird eine verstärkte Fortsetzung der Abwendung der Masse der Menschen vom etablierten Parteiensystem erwartet. Insbesondere die SPD steuert auf noch größere Debakel als bisher schon hin. In Sachsen, dem bevölkerungsreichsten der neuen Bundesländer, wird sogar ein Absturz der SPD unter die 10-Prozent-Marke möglich sein. Zwar verkündet Kanzler Schröder mit der Sturheit und der Ignoranz einer tibetanischen Gebetsmühle, er würde sich weder von den wachsenden Protesten gegen seine Politik, noch von dem beispiellosen Niedergang seiner Partei beeindrucken lassen. Gleichwohl wird es abzuwarten bleiben, ob die Stellung von Schröder tatsächlich so unantastbar ist, wie er verkündet. Gerade wenn auch bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen am 26. September ? die als wichtiger Test für die Landtagswahl im Mai 2005 in dieser ehemaligen SPD-Hochburg gilt ? sich das absehbare Ergebnis einstellen wird, werden wohl einige Fragen offen gestellt werden.
Für eine Alternative
Die Saarlandwahl hat erneut gezeigt: Die Menschen erkennen im immer größeren Umfang die Perspektivlosigkeit der herrschenden Sozialraubpolitik, die die Lebensverhältnisse im Interesse der Profitsteigerung der Banken, Konzerne und der Reichen immer weiter verschlechtern, die die Reichen immer reichen und die Armen immer ärmer macht. Und sie fangen an sich zu wehren. Ob wie am 1. November in Berlin, als 100.000 Menschen gegen die ?Sozialpolitik? der Bundesregierung demonstrierten, ob wie am 3. April, als in Berlin, Köln und Stuttgart über 500.000 Menschen gegen die Agenda 2010 auf die Straße gingen, ob jeden Montag, an dem sich immer mehr Menschen in immer mehr Städten an der Montagsdemonstrationsbewegung beteiligen. Eine weitere Konsequenz aus der Saarland-Wahl muß jetzt auch sein, die bereits langsam anlaufende Diskussion um den Wahlantritt der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im kommenden Mai verstärkt und produktiv fortzusetzen. Gerade auch in NRW ? und dies werden die Kommunalwahlen am 26. September in diesem bevölkerungsreichsten Bundesland erneut zeigen ? wie groß das Bedürfnis und die politische Notwendigkeit nach einer wählbaren Alternative zu den etablierten Agenda-Parteien ist. Jetzt muss es darum gehen, diese Bewegung zu stärken, den Widerstand gegen die Angriffe auf die Lebensverhältnisse der Erwerbslosen zu verbinden mit den Kämpfen um eine Verbesserung der Arbeitsbedienungen der Erwerbstätigen, der Jugend für eine Zukunft mit Perspektive, der Rentnerinnen und Rentner für eine gesicherte und sozial gerechte Sicherung im Alter. Der Kampf gegen Hartz IV muss verbunden werden mit dem Kampf gegen die gesamte ?Agenda 2010?, gegen ?Gesundheitsreform? und andere Schweinereien von oben. Und diese Kämpfe müssen verbunden werden mit dem Aufbau der Wahlalternative ASG auf der Grundlage von demokratischen und transparenten Strukturen, damit sie die außerparlamentarischen und betrieblichen Kämpfe unterstützen und mittragen kann, und so zu einer wichtigen Teil der wirkungsvollen Antwort auf die herrschende Politik wird. Nur in Verbindung mit den realen Kämpfen der Menschen kann die Wahlalternative von unten aufgebaut werden und muss es auch, will sie nicht nur Makulatur und zum trojanischen Esel der Schröder-Regierung werden.
von Jörg Fischer, Berlin/Köln