Ölreichtum, kapitalistische Plünderung und Widerstand

Zur Geschichte Venezuelas und die Bedeutung seiner Ölindustrie
 
Venezuela war niemals so wichtig für das spanische Reich wie dessen andere Kolonien. Kolumbien war wichtig wegen seines Kaffees, Peru wegen seines Goldes und Bolivien wegen seines Silbers; allen kam größere Bedeutung zu als Venezuela. Während des 17. Jahrhunderts wurde Kakao Venezuelas einziges bedeutendes Handelsprodukt. Kakao wurde durch indigene Menschen und Sklaven angebaut, die aus Afrika herüber gebracht wurden. Sie litten unter der unmenschlichen Behandlung, die ihnen die Kolonisten und deren Nachkommen zufügten.
Später wurde während des Unabhängigkeitskrieges (1811-1821) die Wirtschaft zerstört. Dies verschlimmerte sich durch die Teilnahme Venezuelas an den Unabhängigkeitskriegen, die in anderen lateinamerikanischen Kolonien ausgefochten wurden: Peru, Kolumbien, Panama, Ecuador und Bolivien.
Am Ende des Unabhängigkeitskrieges kamen die großen Familien der „Claudillos“ an die Macht und von da an setzen die Präsidenten gemäßigte Militärherrschaft ein, um ihre Position zu sichern und die Bevölkerung zu beherrschen.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann Venezuela mit dem Kaffeeanbau. Venezuela behielt jedoch seine Monoproduktion aus der Kolonialzeit, die nie wirkliche nationale wirtschaftliche Entwicklung erlaubte.
Während dieser Periode – dem Großteil des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts – begann eine Oligarchie Venezuela zu kontrollieren, die das Land in seine eigene „Hacienda“, ein großes Landgut, umwandelte. Eine Kaffee-Mono-Kultur entstand, was zur Unterdrückung der Rechtlosesten führte; zuerst als Sklaven und dann als sehr arme bezahlte Bauern.

Öl wird gefunden

Obwohl die indigenen Menschen und die Spanier von der Existenz des Öls wussten („Mené“, wie die Indigenen es nannten), fing der Abbau von Kohlenwasserstoffen erst nach 1917 ernsthaft an. Bis 1904 war die Produktion schon geregelt. Der Präsident verfügte über die totale Macht, die Konzessionen zu vergeben, die er für notwendig hielt, um die Ölkonzerne zu ermutigen. Er legte einen Steuersatz von 25% fest, ein Geschenk an die Ölunternehmen, das damals dem Präsidenten Probleme bereitete. Wenig überraschend war, dass das Steuerschnäppchen von den britischen Konzernen angenommen wurde, die offensichtlich die gesamte Benzinproduktion kontrollierten.
Gegen Ende des Jahres 1919, nach dem 1. Weltkrieg, wurden den US- Konzernen größere Zugeständnisse gemacht. Die USA begannen, sich über die strategische Bedeutung Venezuelas für die Ölproduktion klar zu werden, wegen seiner geographischen Lage und seiner großen Reserven dieses wertvollen Guts.
Kurzes Résumé der Regierungen der AD-COPEI
Im Oktober 1945 siegte die Partido Acción Democrática (AD), eine sozialdemokratische Organisation, durch einen Putsch zusammen mit einigen jüngeren Militäroffizieren über die nationalistische Regierung. Die anschließenden Präsidentschaftswahlen gewann der Schriftsteller Rómulo Gallegos, ein AD- Mitglied, der einen neuen Gesetzentwurf zur Kontrolle der Ölproduktion einbrachte. Dazu zählte der Vorschlag, dass die Konzerne über 50% ihrer Profite an den Staat abgeben müssen. Obwohl diese sozialdemokratische Partei sich selbst als „aus dem Volk“ präsentierte, wurde der große ökonomische Gewinn aus den höheren Steuern nicht unter den unterprivilegierten Schichten verteilt, die das Land verlassen hatten und in die Städte gezogen waren.
1948, nur einige Monate, nachdem Präsident Gallego an die Macht gekommen war, setzte eine militärische Verfügung dem „Novum” der „demokratischen Regierung” ein Ende. Sie war von denselben Teilen des Militärs veranlasst worden die Gallego 1945 zur Macht verholfen hatten. Dieser Putsch setzte eine Militärjunta unter Pérez Jiménez ein, die schließlich Venezuela bis zum Januar 1958 regieren sollte.
Die Diktatur von Pérez Jiménez (1952-1958) fiel mit einer Flut von Öleinkünften und massiven öffentlichen Arbeitsprogrammen zusammen, die dem Land einen Anflug von Fortschritt gaben. Als die ArbeiterInnen jedoch versuchten, ihre Rechte, die in der Verfassung garantiert waren, wahrzunehmen und für ihre Forderungen kämpften, wurden sie unter der „Obhut des Staates” ins Gefängnis gesteckt und einige verloren sogar ihr Leben.
In der Zeitspanne von 1958-1998 war die „Demokratie” in Venezuela errichtet worden, die den Bedürfnissen der wirtschaftlichen Interessen und US-Imperialismus entsprach. Während dieser 40 Jahre war das Einkommen der VenezolanerInnen (wegen des Ölexports) fünfzehnmal so hoch wie der Betrag, der für den Marshall-Plan in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg investiert worden war. Aber „fünfzehn Marshall-Pläne” endeten nur in einer Erweiterung der Kluft zwischen Reich und Arm. Die Bevölkerung Venezuelas wuchs während dieser Zeit von 7 Millionen 1958 auf 23 Millionen 1998.
Rómulo Betancourt (AD, 1959-1964) und Raúl Leoni (AD 1964-1969) nutzen ihre Mandate, um gegen linke Parteien vorzugehen und die finanziellen Ressourcen aus der Ölindustrie der herrschenden Klasse zukommen zu lassen.
Die Regierung Rafael Calderas (1969-74) versuchte, den Anteil der Staatsanteile an der Ölindustrie auf 60% zu steigern. Trotzdem einte und festigte diese erste Regierung der Sozialen Christlichen Partei (COPEI) schließlich die kapitalistische Klasse in den verschiedenen Abteilungen der Wirtschaft. Diese Kräfte wollten nicht nur die Gewinne aus der Ölbranche, sondern auch in die Entscheidungen miteinbezogen werden.
Unter der ersten Regierung von Carlos Andrés Pérez (1974-1979) kam es zu einem großen Anstieg des Ölpreises, der ein Einkommenswachstum für Venezuela mit sich brachte und auch eine Zunahme des politischen „Populismus“. Dieser Populismus brachte Pérez soweit, Bolivien ein Schiff zum Geschenk zu machen (auch wenn Bolivien keine Seezugang hat), aber die venezolanischen Armen wurden immer noch dem Hunger überlassen.
Die Ölindustrie war „verstaatlicht”, alte Raffinerien wurden zum Preis für neue gekauft und massive Kompensationsbeträge an US-Konzerne gezahlt. Die Arbeiterklasse konnte niemals von dieser neuen Entwicklungsstufe der Schlüsselindustrie profitieren. Stattdessen war eine Klasse von „Technokraten“ um den neuen staatlichen Ölkonzern PDVSA geschaffen worden. Sie bildeten einen Staat im Staate. Die „Technokratie” waren die Senior Manager in der PDVSA und die Strukturen, die sie in diesem „staatlichen Konzern” geschaffen hatten.
Die 80er waren eine Ära des Öl – Bonanza, in der Venezuela aus dem Ölverkauf die höchsten Einkünfte aller Zeiten erworben hatte. Aber die Massen litten unter einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Große Teile der Bevölkerung waren vom kapitalistischen System ausgebeutet, das die großen Ressourcen akkumuliert hatte, aber keinen gleichwertige Verteilung des Reichtums bot.
Vor diesem Hintergrund, während der zweiten Regierung von Carlos Andrés Pérez, ging das venezolanische Volk auf die Strasse, um an Essen zu kommen – weil es einfach kein Geld hatte, um welches zu kaufen. Die Massen füllten die Strassen – zuerst mit Menschen, dann mit Blut. Auf Befehl des Präsidenten hin war die Armee eingesetzt worden, um „die öffentliche Ordnung wiederherzustellen”. Das bedeutete, dass die Regierungskräfte Menschen ermordeten, um das Wohlbefinden der Kapitalisten zu erhalten.
Das war die erste große Krise in einem Land mit enormen Ressourcen, wo allerdings 80% der Bevölkerung unter ärmlichen Bedingungen leben. Sie stellte ein kollektives Erwachen der Arbeiterklasse dar und einen Versuch, einen Weg nach vorne zu finden.
Venezuela blieb ein Land von strategischer Bedeutung, vor allem wegen seiner Energievorräte. Seine historisch unterdrückte Bevölkerung allerdings verstand mehr und mehr, dass ihr Reichtum nicht unter der Erde, sondern in der Tiefe ihrer Ideale liegt, ihrer Aktivitäten und ihrem Klassenzusammenhalt.

Chávez’ Aufstieg

Zu Beginn der Achtziger, als Venezuela das zweihundertjährige Jubiläum der Geburt von Simón Bolívar (1783-1830) erlebte, dem Führer des nationalen Befreiungskampfes in ganz Lateinamerika, war die militärische Intelligenz schon auf die Existenz einer Gruppe junger Offiziere aufmerksam geworden, die in den Kasernen die Ideen Bolívars diskutierten und das Aufkommen eines Nationalismus, der allerdings ohne irgendwelche ausgereiften Ideen war. Im Februar 1989, während die Armut in Caracas und anderen Städten wuchs, begriffen einige dieser „Revolutionäre” im Militär, dass der Einsatz bewaffneter Kräfte zur Unterdrückung der hungernden Menschen nicht weiterhin die Basis sein konnte, auf der eine Zwei – Parteien – Diktatur als „Demokratie“ aufrecht zu erhalten war.
Man muss bedenken, dass Venezuela sich von anderen lateinamerikanischen Ländern darin unterschiedet, dass eine Menge aufstrebender Offiziere zu den bewaffneten Kräften zählen, die aus Familien mit sehr begrenzten finanziellen Mitteln kommen. Dies rührt teilweise daher, dass die Militärakademien oft ein Gehalt, Essen und Unterkunft anbieten. In den Universitäten aber wird den Studenten nur Essen gegeben und viele Studenten können ihre anderen Bedürfnisse nicht finanzieren.
Eine vorher unbekannter Kolonel der venezolanischen Armee, Hugo Chávez Frías, Sohn eines Schullehrers, war Teil der Gruppe der Offiziere, die mit der „Zwei – Parteien – Demokratie” unzufrieden waren. 1992 führte Chávez zusammen mit dreien seiner Genossen einen militärischen Aufstand an, um den damaligen Präsidenten, Carlos Andrés Pérez, zu stürzen. Nach ihren letzten Aussagen zielten Chávez und seine Helfer auf die Errichtung einer „Zivilen Militärjunta“ von „angesehenen Leuten” ab, die das Land auf einen neuen Pfad leiten würde.
Diese militärische Rebellion schlug in Caracas fehl, wo Chávez das Kommando hatte, obwohl sie in anderen wichtigen Städten des Landes erfolgreich war.
Am Morgen des 4. Februars 1992 rief Hugo Chávez nach Stunden der Konfrontation in einer Rede an die Öffentlichkeit seine Genossen auf, aufgrund der Niederlage der Rebellion ihre Waffen niederzulegen und ihre Verantwortung „wieder gerecht zu werden”.
Chávez’s Worte wurden von der Mehrheit der Menschen, die den damaligen Meinungsumfragen zufolge den Putschversuch mit bis zu 70% unterstützten, mit großer Hoffnung aufgenommen. Der Ex- Präsident der Sozialen Christlichen Partei, Rafael Caldera, beschrieb die Situation in einer Rede an den Nationalen Kongress: „Man kann die Menschen nicht dazu bringen, die Demokratie zu unterstützen wenn der IWF mit dem Gefühl ins Land gelassen wird, dass es sein eigenes sei.” Politische Anlaysten sagten, dass Caldera diese Rede mit dem Ziel hielt, die nächsten Präsidentschaftswahlen 1994 zu gewinnen. Chávez hatte gesagt, dass Caldera eine „ungewolltes Kind” des Putschversuches 1992 sei.
In seiner öffentlichen Ansprache waren Chávez’ erste Worte: “Genossen, für heute haben wir versagt…” aber er hatte als Führer des Aufstandes fast die gesamte augenblickliche Unterstützung der Menschen. Die VenezolanerInnen hatten (zumindest in der jüngeren Geschichte) noch keinen Mann gesehen, der bereit war, entscheidende Aktionen zu unternehmen, um ihr Los zu verbessern und die Verantwortung zu übernehmen für das, was er getan hatte. Chávez wurde verhaftet und man hörte nichts von ihm, bis Caldera, um die Präsidentschaftswahlen 1994 zu gewinnen, überraschenderweise seine Freilassung veranlasste.