Kampage für Arbeitszeitverkürzung mit Leben füllen!

Bemerkungen zu Winfried Wolfs Artikel „30 Stunden sind genug“
 
Winfried Wolf gebührt Dank, dass er die so zentrale Frage der Arbeitszeitverkürzung in seinem Artikel aufwirft, wichtige Argumente liefert und eine Kampagne zur Durchsetzung deutlich kürzerer Arbeitszeiten vorschlägt. Angesichts von anhaltender Massenarbeitslosigkeit wäre eine Kampagne für drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich eine Möglichkeit für Gewerkschaften und Linke aus der Defensive der Verteidigungskämpfe hinaus und wieder in eine gesellschaftspolitische Offensive zu kommen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass kämpferische und linke GewerkschafterInnen und die sozialistische Linke auch in der aktuellen Kampagne gegen Hartz IV über den Tellerrand der aktuellen Bewegung hinausschauen. Das bedeutet Forderungen aufzustellen, die die Bewegung gegen Hartz IV mit einem nötigen Widerstand gegen die gesamte Agenda 2010 und die Angriffe der Kapitalisten auf betrieblicher Ebene gegen Arbeitszeiten und Löhne verbinden. Also: weg mit Hartz IV und der Agenda 2010! Nein zu Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub!
Zweitens ist jedoch auch eine Kampfstrategie nötig, die kollektiv und koordiniert von Linken in die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen eingebracht und eingefordert werden sollte. Zentral bei einer solchen Kampfstrategie muss sein die Spaltung der Arbeiterklasse – in Beschäftigte und Erwerbslose und in verschiedene „Sorten“ Beschäftigter – zu überwinden. Statt Sektorenkämpfe also eine Mobilisierung aller Betroffenen, der gesamten Arbeiterklasse, ob in Arbeit oder erwerbslos. Ebenso müssen Kampfformen her, die den Herrschenden weh tun. Demonstrationen alleine reichen nicht, obwohl sich der politische Druck von Demonstrationen angesichts der Entwicklung einer neuen linken Partei qualitativ erhöhen wird. Denn das Fehlen einer Arbeiterpartei hat es den Regierenden leichter gemacht, Proteste auszusitzen. Sollte die Wahlalternative zu einer Partei werden, die nicht nur Altlinke, sondern auch bisher unorganisierte ArbeiterInnen und Jugendliche mobilisieren kann, müssten die Regierenden und Herrschenden wieder Angst haben, dass Proteste zu politischer Organisation führen. Das hätte aus Sicht des Kapitals weit bedrohlichere Folgen als nur eine Verschiebung der parlamentarischen Kräfteverhältnisse. Trotzdem müssen wir vom Protest zum aktiven Widerstand kommen. Besetzungen von Arbeitsämtern wie von Professor Grottian im jW-Interview gefordert können dabei eine Rolle spielen, genauso wie andere Formen zivilen Ungehorsams und diekter Aktionen. Hier sind die Erfahrungen der erfolgreichen Steuer- und Wassergebührenboykotte aus Großbritannien und Irland in den 90er Jahren lehrreich. Entscheidend wird aber sein, ob die Beschäftigten ihre ökonomische und gesellschaftliche Macht durch Streiks einsetzen. Ohne eine Streikbewegung kann es kaum eine erfolgreiche Abwehr der Attacken von Regierung und Kapital geben, geschweige denn eine Arbeitszeitverkürzung erkämpft werden. Dies nicht nur, weil Streiks den Kapitalisten materiell schaden und ihr Heiligstes, den Profit, schmälern. Streiks sind auch die Kampfform in der die Arbeiterklasse als Klasse in Erscheinung tritt, dementsprechend Klassenbewusstsein entwickelt (von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich werden kann) und dementsprechend auch die politische Bedrohung für die herrschenden eine höhere Stufe erreicht. Das Tabu des politischen Streiks und des Generalstreiks muss in den Gewerkschaften durchbrochen werden. Dies kann einerseits dadurch geschehen, lokale und betriebliche Streiks durchzuführen, wenn das die Mehrheitsverhältnisse in den Gewerkschaften vo Ort ermöglichen (so geschehen im letzten Jahr in Schweinfurt und Kassel) bzw. Oppositionsstrukturen existieren, die solche Aktionen gegen die Gewerkschaftsführungen durchsetzen können. Andererseits sollte die Gewerkschaftslinke eine Kampagne für Streiks und einen zunächst eintägigen Generalstreik starten und das Thema dadurch enttabuisieren.
In Mobilisierungen und Streiks gegen Agenda 2010 und Lohnraub müssen dann positive Forderungen, wie die nach Arbeitszeitverkürzung eingebracht werden. Eine solche Kampagne kann nicht am grünen Tisch entwickelt werden, sondern nur in den statttfindenden Auseinandersetzungen. Die Arbeiterklasse lernt im Vorwärtsgehen … und manchmal in der Rückwärtsbewegung.

Wolf behandelt in seinem hervorragenden Artikel auch die wichtige Frage des Lohnausgleichs. Dem ist nur eines hinzuzufügen – Arbeitszeitverkürzung muss nicht nur mit Lohnausgleich, sondern auch mit Personalausgleich verbunden werden. Denn es gibt leider keinen Automatismus, dass eine Reduktion der Arbeitszeit um zwanzig Prozent auch mit einer Zunahme der Beschäftigtenzahlen von zwanzig Prozent einhergehen würde.Grund ist nicht nur Produktivitätsfortschritt durch technische Innovationen, sondern auch die Möglichkeit der Kapitalisten durch schnellere Bänder und Arbeitsverdichtung mehr aus den LohnarbeiterInnen herauszupressen. Der Wirtschaftsaufschwung der 90er Jahre basierte nicht zuletzt auf einer solchen Intensivierung der Ausbeutung. Vergleicht man heute die Arbeitsbedingungen bei DaimlerChrysler mit denen vor zehn Jahren, so wird man feststellen, dass Arbeitsdruck und Stress qualitativ zugenommen haben. Die Forderung nach Personalausgleich muss deshalb ebenso integraler Bestandteil einer Kampagne für Arbeitszeitverkürzung sein, wie die Forderung nach Lohnausgleich.

Wolf schreibt, dass im Rahmen einer Kampagne für Arbeitszeitverkürzung früher oder später auch die Grundsatzfrage nach dem „Eigentum an den großen gesellschaftlichen Produktions- und Finanzmitteln“ aufgeworfen werden muss. Dem ist zuzustimmen. Dies muss aber von SozialistInnen mit Leben gefüllt werden und in die realen Auseinandersetzungen konkret eingebracht werden (und nicht abstrakt als Fernziel aufgeworfen werden). Dazu bietet die von Wolf angesprochene Frage der Kapitalflucht, sprich: der Verlagerung von Betrieben und Betriebsteilen ins Ausland, einen Ansatzpunkt. Wiederum sind auch hier inhaltliche Forderungen (nach öffentlichem Eigentum) und Fragen der Kampfstrategie nicht zu trennen, denn erstere ergeben sich für die Masse der Arbeiterklasse aus letzteren. Angesichts von Betriebsschließungen bzw. -verlagerungen sollte nicht nur die Streikfrage aufgeworfen werden, sondern auch die Frage nach Betriebsbesetzungen. Aus Betriebsbesetzungen als unmittelbarer Kampfform zur Verteidigung eines Betriebes ergibt sich die Machtfrage auf der betrieblichen Ebene. Wer kontrolliert den Betrieb – Arbeiter oder Kapitalist? Aus dieser Frage kann sich die Frage nach Eigentum ergeben. Es ist kein Zufall, dass die um den Erhalt ihres Werkes kämpfenden Stahlarbeiter von Krupp-Rheinhausen 1987 die Forderungen nach der Verstaatlichung der Stahlindustrie aufgestellt haben.
Es ist richtig: angesichts der Offensive der Bourgeoisie erscheinen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Verstaatlichung weit weg. Aber ein erfolgreicher Kampf gegen diese Offensive braucht auch eine ideologische Wiederbewaffnung der Arbeiterklasse. Der Widerspruch zwischen der enormen Wut, der Entfremdung mit den kapitalistischen Institutionen und der Kampfbereitschaft in breiten Teilen der Arbeiterklasse und dem niedrigen politischen Bewusstsein ist groß. Und letzteres ist (neben dem völligen Verrat durch die Gewerkschaftsführungen) auch ein Faktor dafür, dass die Wut noch nicht in eine neue Welle von Klassenkämpfen umgeschlagen hat. Dieser Widerspruch kann nur überwunden werden durch die Kombination aus Erfahrung in Kämpfen und dem Scheitern bürgerlicher Lösungsversuche einerseits und der Injektion sozialistischer Idee in solche Kämpfe durch das Eingreifen sozialistischer Organisationen andererseis. SozialistInnen müssen die nächsten Schritte aufzeigen für den Kampf und für die notwendige ideologische Wiederbewaffnung. Das bedeutet ein System von Übergangsforderungen zu entwickeln, das ausgehend von den heutigen Auseinandersetzungen den Weg zu sozialistischen Maßnahmen aufzeigt: Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich ist eine solche zentrale Übergangsforderung. Die Enteignung von Betrieben, die schließen oder verlagern eine weitere. Die Forderung nach Streiks, einem (zunächst) eintägigen Generalstreik und Betriebsbesetzungen können einen Weg für den kollektiven Widerstand aufzeigen. Diese Fragen dürfen aber nicht nur in den Seiten der jungen Welt diskutiert werden. Sie müssen offensiv in die Gewerkschaften, die Wahlalternative, die verschiedenen Bündnisse gegen Sozialkahlschlag und in die Aktionskonferenz am 18. und 19. September getragen werden.

von Sascha Stanicic, Bundessprecher der Sozialistischen Alternative (SAV)

Der Artikel von Winfried Wolf ist hier abzurufen