Venezuela: Eine neue Phase in der Revolution

Bedrohung durch rechte Verschw?rer
 
Dieser Artikel wurde vor der Entscheidung des venezolanischen Obersten Gerichtshofes, dass Referendum zur Abwahl von Präsident Chávez zuzulassen, verfasst. Unabhängig davon analysiert er die wichtigen und dramatischen Entwicklungen in Venezuela. Eine Analyse zur Referendum-Entscheidung wird in Kürze auf www.archiv.sozialismus.info folgen.

Venezuela: Eine neue Phase in der Revolution
Bedrohung durch rechte Verschwörer

Der soziale und politische Aufruhr, der Venezuela seit der Wahl des radikalen links-populistischen ehemaligen Armee-Offiziers Hugo Chávez zum Präsidenten 1999 erschüttert, ist nun in eine neue und kritische Phase eingetreten. Chávez hat jetzt zur Bewaffnung der Bevölkerung und dem Aufbau einer „Volksmiliz“ aufgerufen. Er hat auch zum ersten Mal den Kapitalismus direkt angegriffen und erklärt, dass die ? Bolivarische Revolution in eine neue antiimperialistische Phase eingetreten“ sei. Gleichzeitig sind 7000 ArbeiterInnen in Siderúrgica del Orinoco (Sidor)- Lateinamerikas größtem Stahlunternehmen- seit über einem Monat im Streik und fordern die Verstaatlichung des Werks.
Dieser Linksschwenk von Chávez kam nach der Festnahme von bis zu 130 kolumbianischen Paramilitärs in Venezuela, nach der Entdeckung eines weiteren Komplotts, um ihn zu stürzen oder möglicherweise zu ermorden. Die Bedrohung durch die Konterrevolution und der massive Druck der Arbeiterklasse für radikalere und militantere Maßnahmen der Regierung, hat Chávez nach links gedrückt. Dies könnte wahrscheinlich eine entscheidende Phase für die venezolanische Revolution eröffnen.
Die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, die Ideen des Sozialismus aufzunehmen und Kapitalismus zu überwinden, indem sie eine sozialistische Revolution durchführt, ist jetzt eine Sache höchster Dringlichkeit. Der Aufbau einer revolutionären sozialistischen Massenpartei, die dafür kämpft, ist wesentlich um die sozialistische Revolution durchzuführen und letztendlich die Gefahr durch die Reaktion entscheidend abzuwenden.
Der US- Imperialismus und die venezolanische herrschende Klasse haben bisher zweimal versucht, die Regierung Chávez zu stürzen. Sie wurden zweimal durch die Massenbewegung und das Eingreifen der Arbeiterklasse und der einfachen Soldaten besiegt.
Zuerst schlug eine spontane Massenbewegung, die armen StadtbewohnerInnen und die einfachen Soldaten einen Putschversuch im April 2002 nieder. Nachdem er verhaftet und von seinem Präsidentenamt enthoben worden war, hatte die Massenbewegung der ArbeiterInnen Chávez aus seiner Gefängniszelle befreit und wieder als Präsidenten eingesetzt.
Das zweite Mal wurde die von den Bossen organsierte ?Aussperrung?, die zwischen Dezember 2002 and Januar 2003 stattgefunden hatte, schließlich durch den bestimmten Widerstand der Arbeiterklasse gebrochen.
Während Chávez` Regierungszeit hat die herrschende Klasse eine Politik der ökonomischen und politischen Sabotage betrieben. Eine Kapitalflucht fand statt und die reiche Elite hat ihren Reichtum aus dem Land geschafft. Die ?Aussperrung? allein kostet schätzungsweise 40 Mrd. US $ an ausgebliebenen Öleinkünften.
Der ?Aussperrung? folgte ein Versuch der rechten Opposition, die 2,5 Millionen Unterschriften zu sammeln, die gebraucht werden um die Absetzung Chávez und die Einberufung neuer Präsidentschaftswahlen zu erzwingen. Diese Kampagne – die immer noch vor Gericht ausgetragen wird- war auf fast absurde Ausmaße geschrumpft. Anfangs gab die Rechte bekannt, 3,8 Millionen Namen gesammelt zu haben. Einer der Sprecher korrigierte das und sagte, dass es in Wirklichkeit nur 2,8 Millionen waren. Dann verspäteten sie sich bei der Abgabe zur Überprüfung um 20 Tage.
Zu diesem Zeitpunkt gaben sie bekannt, dass sie 3,4 Millionen hätten, räumten aber ein, dass ein Fehlerquote von mindestens 10 % möglich sei. Zu den eingereichten Namen zählten Leute, die tot waren, und zwar manche länger als ein Jahrzehnt! Der Glaubwürdigkeit der Kampagne wurde dann ein weiterer Schlag versetzt als ein Journalist ein auf Tonband aufgezeichnetes Telefongespräch zwischen einem Oppositionsführer und seinem Vater in Paris veröffentlicht hatte. Während dieses Gesprächs war gesagt worden, dass bei der Kampagne nur 1, 9 Millionen Unterschriften gesammelt worden waren. Die Echtheit des Tonbandes wurde von den Verantwortlichen der Unterschriftenkampagne anerkannt, sie brachten den Journalisten aber vor Gericht, weil er es an eine Zeitung und ans Fernsehen weitergegeben hatte!

Rechtsextreme Todeskommandos

Der letzte Versuch einer Konterrevolution, bei dem kolumbianische Paramilitärs beteiligt waren, ist vor diesem Hintergrund aufgedeckt worden. Obwohl die Details im Unklaren bleiben, ist bewiesen worden, dass bis zu 130 Kolumbianer nach Venezuela eingereist sind und Waffenübungen in einer Ranch ganz in der Nähe von Caracas durchgeführt haben. Diese Ranch gehört Robert Alonso , einem Anti-Castro-Kubaner und führendem Mitglied der venezolanischen Opposition.
Unter den Festgenommenen waren auch bekannte langjährige Mitglieder der ?Autonomen Selbstverteidigungs-Einheiten?, einer extrem-rechten kolumbianischen Paramilitärischen Killertruppe. In diese Verschwörung ist der ehemalige venezolanische Präsident Carlos Andrés Pérez verwickelt. Dieser hatte kürzlich in einem Radiointerview in Kolumbien verlauten lassen, dass man Chávez mit Gewalt loswerden müsse, weil nun erkannt werden müsse, dass dies nicht friedlich geschehen könne.
Es scheint, dass der Plan der Verschwörer darin bestand, eine Militärbasis anzugreifen und Waffen für eine größere Einheit zu beschaffen, die später aus Kolumbien kommen sollte. Einige Berichte weisen auch auf einen Plan hin, ein Militärflugzeug zu sichern und dann den Präsidentenpalast Miraflores zu bombardieren. Andere Berichte geben an, dass eine Kampagne von Bombardements und Schießereien organisiert werden sollte als Mittel, größere Instabilität zu provozieren und einen Versuch, Chávez zu stürzen, zu rechtfertigen.
Das findet auch vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Kolumbien und Venezuela statt. Die kolumbianische Regierung hat vor kurzem über 40 AMX30 Panzer von der spanischen Regierung eingekauft. Kolumbien ist auch nach Israel der größte Empfänger militärischer Hilfe von den USA, nach der Durchführung des ?Plan Columbia?. Dieser war von Clinton initiiert worden, um Kolumbien ins Rampenlicht des US-imperialistischen Operationen in Lateinamerika zu rücken. Unvermeidlicherweise haben sowohl kolumbianische als auch die US- Regierung jegliche Beteiligung in irgendeiner Form an der vergangenen paramilitärischen Operation abgestritten.
Auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese eine unabhängige Operation gewesen sein könnte, von einer kleinen Gruppe die in Eigeninitiative handelt, wollen der US- Imperialismus, die venezolanische herrschende Klasse und die rechte kolumbianische Uribe- Regierung Chávez loswerden. Nur eine Woche vor der Aufdeckung der Operation hat der kolumbianischen Senat eine Resolution verabschiedet, die Chávez angreift. Bushs Regime hat sowohl den Putschversuch im April 2002 unterstützt als auch die ?Aussperrung? 2003/2004. Der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, John Kerry, hat Chávez als ?undemokratisch? angegriffen. Es ist möglich, dass sowohl der US- Imperialismus als auch die herrschende Klasse Kolumbiens und Venezuelas jetzt hoffen, Chávez durch die Arbeit mit Stellvertreterkräften aus Kolumbien abzusetzen, die mit der rechten Opposition in Venezuela zusammenarbeiten.
Venezuela ist der fünftgrößte Ölproduzent international und einer der größten Importöl-Lieferanten in die USA. Die Krise im Nahen Osten hat die Notwendigkeit für den US- Imperialismus unterstrichen, ein aus seiner Sicht ?sicheres? oder ?freundliches? Regime in Venezuela zu haben. Der US- Imperialismus fürchtet, dass die Arbeiterklasse und die Massenbewegung, die sich in Venezuela entwickelt hat, Chávez dazu bringen könnten, ihre Interessen noch stärker anzugreifen als er bis jetzt dazu bereit gewesen war. Die jüngsten Ereignisse weisen darauf hin, dass die Ängste des US- Imperialismus mehr als gerechtfertigt sind.
Chávez ist ein Dorn im Auge des US- Imperialismus. Er hat höhere Ölpreise forciert und die US- Außenpolitik, besonders im Zusammenhang mit dem Irak, angegriffen. Zu Hause hat er einige wichtige Reformen zugunsten der Arbeiterklasse und der ärmsten Schichten der Gesellschaft eingeführt, die korrupte politische Elite angegriffen und einige von deren Privilegien abgeschafft.
Drei Millionen Hektar Land sind den Bauern – Kooperativen zur Verfügung gestellt worden. Die Bildungsreform hat zusätzlich drei Millionen Menschen primäre und sekundäre Ausbildung ermöglicht. Universitäten standen erstmalig der Arbeiterklasse offen. 3200 neue Schulen wurden eröffnet. Eine Million Menschen sind vom Analphabetismus befreit worden, mit einem Ziel von 1,5 Millionen, was bis zum Sommer erreicht werden soll. Millionen erhalten zum ersten Mal primäre Gesundheitsversorgung – eine Million allein in Caracas – durch das ?Barrios ? Adentro? ? Programm ( ?in die Viertel? ). Dies beinhaltet die Einstellung von 3500 Ärzten aus Cuba, die in die ärmsten Gebiete geschickt wurden- inklusive ländlicher Gebiete wo es niemals zuvor Ärzte gegeben hatte.
Diese Reformen sind von der rechten Opposition bekämpft worden. Chávez und seine Regierung haben die überwältigende und enthusiastische Unterstützung der Massen der Arbeitklasse und der Unterdrücktesten. Er wird von Millionen der ärmsten Schichten der Gesellschaft als Repräsentant ihrer Interessen gesehen. Folglich wird er von der herrschenden Klasse gehasst.
Jedoch hat Chávez bisher noch nichts dahingehend unternommen, den Kapitalismus zu stürzen. Die Regierung hat noch keinen Wirtschaftssektor verstaatlicht. Chávez und die ?Bolivarische Revolution?, die er vertreten hat, haben bis jetzt nur die Frage einer ?humaneren Form des Kapitalismus? aufgeworfen und Schritte unternommen, mit der Korruption und dem Vetternwirtschaft ?aufzuräumen? damit denen die herrschende Elite Venezuelas geführt hatte.
Aber selbst das hat den Hass und den Zorn der Herrschenden Klasse erweckt. Das Versagen darin ,weiterzugehen und entschieden mit dem Kapitalismus zu brechen, hat zu einem bestimmten Patt im Klassenkampf in der jüngsten Periode geführt. Die Reaktion hat den Triumph verpasst und ist nicht stark genug gewesen, die Regierung zu stürzen.
Aber gleichzeitig hat die Revolution noch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen, den Kapitalismus zu stürzen und die Aufgabe des Aufbaus von Sozialismus anzugehen.

Sackgasse

Dies hat in eine Sackgasse geführt, was einige Zeit andauern könnte. Das kann jedoch nicht ewig weitergehen. Entweder muss die Revolution dem Kapitalismus einen entscheidenden Schlag verpassen oder die Reaktion wird triumphieren. Unglücklicherweise hat Chávez nicht die Frage danach aufgeworfen, dass die Arbeiterklasse die Führung der Gesellschaft übernehmen muss und beginnen soll, den Sozialismus aufzubauen.
Das Versäumen von Chávez, solch ein Programm anzunehmen, stellt die größte Gefahr für die Revolution dar. Nach dem gescheiterten rechten Putschversuch im April 2002, als er von den Massen wieder als Präsident eingesetzt worden war, machte Chávez den Fehler, zu versuchen, die herrschende Klasse lieber zu beschwichtigen und eine Übereinkunft mit ihr zu treffen, anstatt einen entscheidenden Schlag gegen sie zu führen. Dadurch hat Chávez ihr Zeit gegeben, sich erneut darauf vorzubereiten, sein Regime zu stürzen und eine blutige Niederlage über die Arbeiterklasse zu bringen.
Die derzeitige Sackgasse hat Chávez zweifellos einiger Unterstützung unter der Mittelklasse gekostet. Er war ursprünglich mit über 60 % der Stimmen des Volkes gewählt worden. Die Wirtschaftskrise bedeutet, dass es immer noch massive Arbeitslosigkeit gibt, obwohl einige Reformen eingeführt worden sind. Die Inflation schnellte auf 30 % hoch und hat begonnen, sich in die Ersparnisse der Mittelschicht zu fressen. 70% der Bevölkerung leben nun unter der Armutsgrenze. In den ersten drei Jahren der Regierung Chávez ist das BIP um unglaubliche 47 % gefallen. Ein großer Teil davon kam durch die ? Aussperrung? der Unternehmer, der Kapitalflucht aus dem Land und anderer Akte ökonomischer Sabotage. Die sozialen Konsequenzen dieser Krise untergruben allerdings teilweise die Unterstützung für Chávez` Regierung. Anfangs hatte Chávez die Unterstützung einer bedeutenden Schicht der Mittelklasse gewonnen. Dadurch dass er im Rahmen des Kapitalismus blieb, ohne entschieden darauf hinzuarbeiten, mit ihm zu brechen und dadurch unfähig, ihre Probleme zu lösen hat Chávez jetzt die Unterstützung beachtlicher Teile der Mittelschicht verloren, die ursprünglich hinter ihm gestanden hatten.
Der letzte Ölpreisanstieg, begleitet vom Ende der ? Aussperrung?, hat die Einnahmen der Regierung gesteigert und ihr einigen Raum mehr zu manövrieren gegeben. Der Mai- Bericht der venezolanischen Regierung weist auf ein Wirtschaftswachstum von 29,8% im ersten Quartal 2004 hin verglichen mit dem gleichen Zeitraum 2003. Mit anderen Worten, der Zusammenbruch, der durch die ? Aussperrung? ausgelöst worden war, ist nun ausgeglichen worden. Die ölbezogene Wirtschaftaktivität liegt bei 72,5%. Der Mindestlohn ist am 1. Mai um 30 % angestiegen.
Dies verringert jedoch nicht die Bedrohung durch die Reaktion, wie die Ereignisse vor kurzem illustriert haben. Die Krise im Nahen Osten, und besonders im Irak, erhöht die Notwendigkeit für den US- Imperialismus, ein ?sicheres Paar Hände? zu haben, die die Dinge in Caracas regeln.
Konfrontiert mit diesen neuen Versuchen der Reaktion, sein Regime zu stürzen und dem wachsendem Druck der Massen, scheint sich Chávez in eine radikalere linke Richtung bewegt zu haben. Er wird von der Bedrohung der Konterrevolution getrieben – die ihn diesmal vielleicht nicht nur ins Gefängnis stecken wird, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte, erneut zuzuschlagen und einen Sieg davonzutragen.
Hunderttausende gingen am 17. Mai gegen die kolumbianische Intervention auf die Strasse. Chávez rief zur Volksbewaffnung und Aufstellung einer ? Volksmiliz? auf. Am 14. Mai hatte Chávez zur ?Enteignung jedes Gebäudes, jedes Grundstücks oder Anlage, wo erwiesen ist, dass diese Paramilitärs dort trainiert haben? aufgerufen. Er kritisierte auch die Tatsache, dass ? … nach dem Kalten Krieg viele Linke auf hörten, von Kapitalismus zu sprechen und ihn mit Neo- Liberalismus ersetzten. Beide Begriffe beziehen sich auf dieselbe mörderische, perverse und stinkende Herrschaft.? Unglücklicherweise hat Chávez immer noch nicht die Notwendigkeit von Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus aufgeworfen, und hat zur UNO geschaut als Schlüssel zur Lösung des Konfliktes im Nahen Osten. Ohne Warnung vor der neuen ?sozialistischen ? Regierung für den Kapitalismus hat Chávez auch den kürzlichen Wahlsieg Zapateros in Spanien einfach begrüßt.
Nach der Ankündigung, dass der Nationale Verteidigungsrates nun in permanenter Sitzung tagt, erklärte Chávez am 17. Mai, dass er in den nächsten paar Wochen beginnen wird, ?Direktiven und Linien auszugeben, ich appelliere an die Stadträte, die sozialen Bewegungen, der Volksströmungen zur Unterstützung. Erwachsene Männer und Frauen, die nicht in der Reserve, aber auf andere Art und Weise bereit sind, SoldatInnen zu werden ohne durch die Kasernen gehen zu müssen, militärisches Training zu erhalten und sich militärisch für die Verteidigung des Landes zu organisieren.?
Dieser generelle Appell muss durch die Arbeiterklasse und die Massenbewegung in Realität umgewandelt werden. Die venezolanische Revolution braucht keine Freunde, die nur radikalen Schritten und Reden Beifall klatschen. Was sie braucht ist wirkliche internationale Arbeitersolidarität und ein revolutionäres sozialistisches Programm, das auf der kollektiven internationalen Erfahrung der Arbeiterklasse aufbaut. Ein revolutionäres sozialistisches Programm und Austausch der internationalen Erfahrungen der Arbeiterklasse wird die venezolanischen Massen im Kampf um die Beseitigung von Kapitalismus und Imperialismus stärken.
Chávez‘ Aufruf für die Bewaffnung der Bevölkerung muss jetzt durch die unabhängige Aktion der Arbeiterklasse und der Basis der Armee konkret gemacht werden. In Chile, vor dem blutigen Putsch 1973, der die linke Regierung Allendes gestürzt hatte, hatte die Arbeiterklasse Waffen verlangt, um die Revolution zu verteidigen. 500.000 waren vor den Präsidentenpalast marschiert und forderten Waffen. Einige ArbeiterInnen besaßen sogar einige leichte Waffen und in einigen Fabriken wurden Verteidigungstrupps aufgebaut. Die Führer antworteten, dass Waffen verteilt würden, ?sobald die Zeit reif ? sei.
Tragischerweise war jedoch selbst das nicht genug. Als der Putsch kam gab es keine Waffen. Die ArbeiterInnen gingen zu den Fabriken, als die Allende- Regierung verlangte dass sie ?sie zu Festungen der Revolution? machen sollten anstatt in die Offensive zu gehen und der Konterrevolution durch einen Marsch zum Präsidentenpalast entgegenzutreten. Ohne Verteidigung wurden die ArbeiterInnen durch die pro- putschistischen Teile der Armee abgeschlachtet.
Diese tragische Niederlage steht im Kontrast zu den Ereignissen während der Revolution in Spanien Juli 1936 in Barcelona, wo die Arbeiterklasse in die Offensive ging, Waffen aus den Kasernen holte, die Kontrolle über die Stadt übernahm und die Konterrevolution zu diesem Zeitpunkt besiegt hatte. Die Revolution erlitt schließlich während des Bürgerkrieges, wegen der falschen Politik der Führung der Arbeiterbewegung, eine Niederlage.

Arbeitermilizen

Die Arbeiterklasse Venezuelas und die Basis der Armee müssen die konkreten notwendigen Schritte unternehmen, um eine bewaffnete Arbeitermiliz zu schaffen. Die Soldaten müssen Basiskomitees wählen und beginnen Waffen an Arbeiterselbstverteidigungstrupps zu verteilen, die zusammengestellt werden müssen. Diese Soldatenkomitees sollten auch ein System entwickeln, ihre Offiziere zu wählen und die, welche mit den rechten pro- putschistischen Kräften sympathisiert haben, abzusetzen. Einige pro- putschistische Offiziere sind bereits abgesetzt worden, aber das muss nun ausgeweitet werden. Jeder Offizier, der sich zur Wahl stellt, muss jederzeit wieder durch die gewählten Komitees der Basissoldaten abwählbar sein können.
Jede Fabrik, jeder Betrieb und Slum muss eine Selbstverteidigungstruppe organisieren. Diese müssen vernetzt und von den Bolivarischen Komitees organisiert werden. Die Bolivarischen Komitees müssen vergrößert werden, um gewählte Delegierte aus allen Betrieben, Gemeindeorganisationen, UNT und anderen. Gewählte Delegierte müssen sich dem Recht auf Abwahl durch Betriebsversammlungen unterwerfen. Die Bolivarische Komitees müssen sich auf stadtviertel-, stadtweiter, regionaler und nationaler Ebene vernetzen, um eine revolutionäre Regierung der ArbeiterInnen und armen BäuerInnen zu errichten.
Der Aufbau einer Arbeitermiliz, unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse, würde einen gewaltigen Schritt vorwärts darstellen. Allein würde jedoch selbst dieser Schritt nicht sicherstellen, dass die Reaktion überwältigt wird und die Arbeiterklasse erfolgreich ist. Die Lehren aus dem Spanischen Bürgerkrieg 1936-39 sind noch aktuell. Die Spanische Arbeiterklasse war bewaffnet und kämpfte heldenhaft. Aber wegen der falschen Politik der sozialistischen und kommunistischen Führer wurde der Kapitalismus nicht gestürzt und es wurde keine Arbeiterregierung aufgebaut. Am Ende blieben Francos faschistischen Kräfte siegreich.
Der Aufbau einer Arbeitermiliz in Venezuela muss auch mit dem Aufbau einer Regierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen und mit einem revolutionären sozialistischen Programm verbunden werden. Die wichtigsten Banken und Finanzinstitutionen, sowohl national als multi-national, müssen unter demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung verstaatlicht werden. Ein wirtschaftlicher Notfallplan muss aufgestellt werden.
Ein Element von Arbeiterkontrolle ist schon in einigen Betrieben aufgebaut worden und im entscheidenden staatseigenen Ölunternehmen PVDSA. Arbeiter in jedem Betrieb müssen den täglichen Ablauf jeder Fabrik und jeden Betriebes übernehmen. Dies muss verbunden werden mit einem System von demokratischer Arbeiterkontrolle über die gesamte Wirtschaft. Die Körperschaften der verstaatlichten Unternehmen müssen aus gewählten RepräsentantInnen der ArbeiterInnen der Industrie, der Arbeiterregierung und der UNT ( Bolivarische Gewerkschaftsföderation )gebildet werden. Alle diese Delegierten sollten jederzeit abwählbar sein und nicht mehr als den durchschnittlichen Lohn eines Facharbeiters erhalten. Alle Regierungsfunktionäre sollten derselben Prüfung und demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse unterstellt sein.
Die Arbeiterorganisationen werden gestärkt. Der UNT gab bekannt, dass sie 2 Millionen Mitglieder hat, die in 500 Gewerkschaften eingegliedert sind. Diese schließen die zwei größten Ölgewerkschaften mit ein, Fedepetrol and Sinutrapetrol, die Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes Fentrasep und Gewerkschaften des privaten Sektors in Firestone, Pirelli, Ford, Polar und Bigott. Die alte korrupte Gewerkschaft der Bosse, die CTV, hat mehr und mehr an Unterstützung verloren. Aber nur 20 % der Arbeiterschaft ist gewerkschaftlich organisiert. Die UNT hat eine Kampagne gestartet, mehr als 80 % der ArbeitnehmerInnen zu organisieren.
Die Besetzung einiger Betreibe und die Massenmobilisierung deuten auf einen militantere Wendung nach links durch die Massen hin, die fordern, dass die Revolution weitergeht. So trugen einige Gewerkschaften, wie die Gewerkschaft der Graphischen Künste auf der diesjährigen 1. Mai- Demonstration Transparente, die verkündeten: ? Lasst uns unser Vaterland verteidigen. Nein zur US -Invasion. Venezuela zum Sozialismus.?
Der Linksschwenk seitens Chávez und der Massenbewegung kann sein Regime auch dazu bringen, direktere Schläge gegen den Kapitalismus und Imperialismus zu tätigen, einschließlich der Verstaatlichung einiger Industrien. Sollte das passieren, und die Idee des Sozialismus sich innerhalb der Revolution stärker verbreiten, wird der Kampf in Venezuela zweifellos weitreichendere internationale Auswirkungen haben als er sie bis jetzt hatte.
Um den Erfolg zu sichern, muss der Kapitalismus durch das Ausführen eines revolutionären sozialistischen Programms überwunden werden. Dies muss auch einen Appell an die Arbeiterklasse Lateinamerikas und den USA für Solidarität und Unterstützung beinhalten, und für den solidarischen Kampf gegen jeden Versuch des Imperialismus, solch eine Revolution niederzuschlagen. Solch ein Appell, im Kontext des massiven anti- imperialistischen Bewusstseins, das sich als Konsequenz aus dem Irak ?Krieg entwickelt hat, würde massive Unterstützung international bekommen ? auch unter den ArbeiterInnen und Jugendlichen der USA. Ein Appell für internationale Solidarität müsste mit der Idee verbunden werden, eine demokratische sozialistische Föderation Lateinamerikas und der USA aufzubauen. Nur solch ein Programm kann den Imperialismus und die herrschende Klasse in Venezuela besiegen.

Tony Saunois (Internationales Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale),
24. Mai 2004