Auf zu alten Ufern!

Eine neue Linkspartei sollte sich an den SPD-Gründern orientieren
 
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst der neuen Linkspartei. Und wie das bei einem Gespenst so üblich ist, zeigt es sich selten, aber trotzdem reden alle darüber. Seit dem 5. März vergeht kaum ein Tag ohne eine Zeitungsmeldung zur dieser Frage. Eine intensive Debatte in der Linken hat begonnen. Aber: Reden ist Silber, Handeln ist Gold! Es darf keine Zeit verloren werden, eine neue Partei für Lohnabhängige, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen aufzubauen.
Die Austrittswelle aus der SPD hält unvermindert an. Aus der „stärksten der Partei’n“ ist ein neoliberaler Kanzlerwahlverein geworden. Und als hätte Kanzler Schröder nicht schon genug Probleme, zieht sein Bruder ins Big Brother Haus und wird landauf landab über die Bildung einer neuen linken Partei debattiert. Die Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (ASG) der bayrischen IG-Metall-Funktionäre und SPD-Mitglieder um den Schweinfurter IG-Metall-Sekretär Klaus Ernst hat mittlerweile über 2.000 UnterstützerInnen, über 3.000 Menschen haben sich in den Newsletter der anderen bundesweiten Gruppe – Wahlalternative 2006 – eingetragen. Diese Gruppe besteht aus ver.di-Funktionären, PDS-Linken wie Uwe Hiksch und Joachim Bischoff und anderen Einzelpersonen. Hunderttausende Zugriffe wurden auf den jeweiligen Websites verzeichnet. Die ASG spricht von geplanten Regionalgruppengründungen in 50 bis 70 Städten. Aber das ist noch nicht alles: in Hannover haben sozialdemokratische Stadträte die SPD verlassen und eine „Hannoveraner Linke“ gebildet; in Chemnitz bildete der örtliche IG Metall-Sekretär Bender eine kommunale Wählervereinigung und wurde deshalb aus der SPD ausgeschlossen; in Sachsen diskutiert der DGB-Landesvorsitzende Hanjo Lucassen die Gründung einer „Sächsischen Arbeiterpartei“.
Die Einsicht, dass mit dieser SPD auch nicht annähernd eine Politik für ArbeitnehmerInnen gemacht werden kann, hat aufgrund der Agenda 2010 also auch Teile der mittleren Funktionärsebene der Gewerkschaften erreicht. Besser spät als nie.
Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit und die Gruppe Wahlalternative arbeiten zusammen. Erste Regionaltreffen wurden in Frankfurt/Main, Bremen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Lei-der wurde nicht zu allen Treffen öffentlich eingeladen. Gerade die GewerkschafterInnen der ASG scheinen sehr darauf bedacht zu sein, ihr Projekt nicht für alle interessierten Kräfte zu öffnen, um es unter Kontrolle zu halten. Das geht einher mit einer politischen Orientierung, die ganz im Rahmen kapitalistischer Marktwirtschaft verharrt und darauf setzt, den Kapitalismus besser zu managen, als es die Kapitalisten tun beziehungsweise im Rahmen des Kapitalismus soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Bundesweiter Kongress

Am 6. Juni wird es aber in Berlin zu einem bundesweiten Kongress kommen, der hoffentlich für alle Interessierten offen sein wird und zu dem über 1.000 TeilnehmerInnen erwartet werden. Dieser Kongress sollte die Gründung einer Bewegung für eine neue Partei für Lohnabhängige, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen proklamieren. Ausgehend davon sollten bundesweit lokale Initiativgruppen gebildet werden. Da, wo es wie in einigen Städten Nordrhein-Westfalens linke kommunale Wahlbündnisse gibt, sollte die Verbindung zur Kommunalwahl im September gezogen werden.
Wenn eine solche Bewegung erfolgreich sein will muss von diesem Kongress ein klares Signal ausgehen: wir wollen nicht zurück zur SPD der 90er Jahre, also zu etwas weniger Sozialkürzungen und etwas weniger Kriegseinsätzen der Bundeswehr – wir wollen zurück zur SPD von Lassalle, Bebel und Liebknecht! Wir wollen eine kämpferische Partei, die ArbeiterInnen organisiert, um diesen als Kampfinstrument zu dienen. Wir wollen eine Partei die kapitalistische Kriegspolitik grundsätzlich zurückweist. Wir wollen eine Partei, die demokratisch ist und die kapitalistische Profitwirtschaft ablehnt. Auf zu alten Ufern!

Das Potenzial nutzen!

Doch die Initiatoren des Projekts scheinen zu zögern. Die bayrischen GewerkschafterInnen erklären immer wieder, dass die Gründung einer neuen Partei nur eine Option sei und sie nicht die Hoffnung aufgeben wollen, die SPD für eine soziale Politik zu gewinnen. Das schafft nicht nur Illusionen in eine Reform der Sozialdemokratie. Zu einem Zeitpunkt, an dem eine entschlossene Strategie zum Aufbau einer neuen Partei verkündet werden müsste, wird gezögert. Mit Zögern wird man aber niemanden begeistern können.
Die Gruppe Wahlalternative hingegen spricht tatsächlich nur von einer Wahlalternative. Sie gibt zwar verbal das unter Linken zum guten Ton gehörende Bekenntnis zum Vorrang außerparlamentarischer Aktivitäten ab, in Wirklichkeit jedoch hat die Gruppe eine weitgehend parlamentarische Orientierung.
Diese Haltungen der führenden Köpfe der beiden Initiativen birgt die Gefahr, dass das große Potenzial für eine neue Arbeiterpartei nicht ausgeschöpft wird. Dieses Potenzial zählt hunderttausende von den etablierten Parteien enttäuschter und von den Angriffen durch Regierung und Kapital radikalisierter ArbeiterInnen, Erwerbsloser und Jugendlicher. Diese können nur mobilisiert werden, wenn sie davon überzeugt werden, dass kein neuer Selbstbedienungsladen für privilegierte BerufspolitikerInnen entsteht, sondern eine Kraft, die in den täglichen Kämpfen im Betrieb, im Stadtteil, in Schule und Hochschule an ihrer Seite steht. Nur eine Partei des aktiven Widerstands kann dieses Potenzial mobilisieren.
Das repräsentieren die Protagonisten der beiden bundesweiten Initiativen bisher nicht. Aber sie können in der Lage sein, zehntausende linke und gewerkschaftliche AktivistInnen in einer parlamentarischen Plattform zusammen zu bringen und bei den kommenden Bundestagswahlen eine ernsthafte Wahlalternative anzubieten, die den Einzug in den Bundestag schaffen könnte.
Die SAV unterstützt einen solchen Prozess und tritt dafür ein, dass eine wirkliche Arbeiterpartei mit einem sozialistischen Programm geschaffen wird.
(18.4.2004) 

von Sascha Stanicic, Berlin