Stellungnahme der SAV zur Debatte über eine Linkspartei

Für eine neue Partei im Interesse von ArbeitnehmerInnen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten
 
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Anfang März wurden in der Öffentlichkeit zwei überregionale Initiativen für linke Wahlalternativen bekannt: Die wahlpolitische Alternative von führenden ver.di-Mitgliedern und der Vorstoß „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, der von bayrischen IG Metall-Funktionären ausgeht. Eine neue linke Wahlalternative auf bundesweiter Ebene? Die SAV ist der Ansicht: Das ist verdammt nötig!
Die politische und soziale Lage in Deutschland schreit nach einer neuen Interessenvertretung für ArbeiterInnen und Jugendliche. Es ist jetzt genau ein Jahr her, dass Kanzler Schröder seine Agenda 2010 verkündet hat. Diese Agenda 2010 bedeutet für Lohnabhängige, Erwerbslose, RentnerInnen und Jugendliche einen gnadenlosen Ausverkauf sozialer Rechte. In seiner ersten Amtszeit knüpfte der „Genosse der Bosse“ nach „Anlaufschwierigkeiten“ nahtlos an die Politik der Kohl-Regierung an. Zum Beginn der zweiten Legislaturperiode folgt auf die Demontage der sozialen Sicherungssysteme unter Rot-Grün jetzt ein Konfrontationskurs, mit dem die vollständige Zerschlagung des so genannten Sozialstaats und die Abschaffung von erkämpften Rechten ins Visier genommen werden.
Schröder wurde von den Konzernchefs auf Linie getrimmt. Als willfähriger Diener des deutschen Kapitals, das im verschärften kapitalistischen Konkurrenzkampf die Nase vorn haben will, gibt der Kanzler wieder, was die Hundts und Rogowskis hören möchten: Europa (natürlich mit Deutschland an der Spitze) soll bis 2010 „zum dynamischsten Wirtschaftsraum“ werden. Wirtschaftliche und militärische Aufrüstung sind angesagt. Frühkapitalistische Verhältnisse drohen.
Diese neoliberale Offensive muss gestoppt werden. Dafür ist eine Auseinandersetzung in den Gewerkschaften für einen grundlegenden Kurswechsel nötig. Dafür braucht es aber auch eine eigenständige politische Kraft, die konsequent für die Interessen der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung kämpft – eine neue Arbeiterpartei.

Zwei Initiativen: „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und Wahlpolitische Alternative 2006

Für den Ersten Bevollmächtigten der IG Metall in Schweinfurt, Klaus Ernst, hat sich die SPD mittlerweile „in eine Partei der sozialen Kälte verwandelt.“ Vor einem Jahr organisierte Ernst einen Streik von SKF, Kugelfischer und anderen Metallbetrieben gegen die Agenda 2010. Auf dem außerordentlichen IGM-Gewerkschaftstag im letzten Sommer forderte er, den Schmusekurs der DGB-Spitze gegenüber der SPD aufzugeben. Im März diesen Jahres gehörte Klaus Ernst nun zu den Initiatoren eines Aufrufs „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Darin heißt es, dass die SPD „sich zur Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben entwickelt“ habe und zu einem „Kanzlerwahlverein“ mutiert sei. Neben Klaus Ernst sind die Ersten Bevollmächtigten Peter Vetter (Kempten) und Thomas Händel (Fürth), zwei IGM-Vorstandsmitglieder, Gerd Lobboda und Günther Schachner, sowie Herbert Schui von der Hochschule für Wirtschaft und Politik an dieser Initiative beteiligt. Bis auf eine Ausnahme sollen alle Initiatoren SPD-Mitglieder sein und der Partei zwischen 30 und 43 Jahren angehören. Nach eigenen Angaben treten sie für ein Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaats und für ein sozial gerecht finanziertes Gemeinwesen stark machen. Im Aufruf heißt es weiter: „Aus diesem Bündnis könnte eine bei der nächsten Bundestagswahl wählbare soziale Alternative entstehen. Diese mögliche Entwicklung schließen wir ausdrücklich ein.“ Laut Klaus Ernst könnte das Projekt „durchaus in die Gründung einer neuen politischen Partei münden.“ Auf ihrer Pressekonferenz am 19. März wurde das allerdings relativiert. Zunächst wollen sie auf die SPD „Druck ausüben, zuvorderst auf die SPD-Regierungspolitik“. „Wenn sich nichts ändern lässt“, so der Fürther IGM-Funktionär Thomas Händel, „schließen wir die Option nicht aus, zu gegebener Zeit Partei zu werden.“
Neben dem Aufruf „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ peilt eine weitere Initiative ebenfalls eine „wahlpolitische Alternative“, ein mögliches linkes Wahlbündnis für die Bundestagswahl 2006 an. Zu diesem Kreis gehören Mitglieder und Ex-Mitglieder von SPD, PDS und Grünen, sowie Linksintellektuelle und ver.di-Funktionäre, namentlich ver.di-Sekretär Ralf Krämer aus der wirtschaftspolitischen Abteilung von ver.di, Jörg Bischoff, Redakteur der Monatszeitschrift Sozialismus, und Frieder Otto Wolf, früherer Europaabgeordneter für die Grünen. Am 5. März kamen gut 30 Akteure zu einem Strategiegespräch im Berliner DGB-Haus zusammen. Begründet wird dieser Schritt auf der Website www.wahlalternative.de folgendermaßen: „Wahlergebnisse und Mitgliederentwicklung der Sozialdemokratie zeigen, dass viele BürgerInnen sich von der Politik der Agenda 2010 getäuscht fühlen. (…) Politische Resignation und Passivität bringen uns dem unverzichtbaren Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung nicht näher, sondern stärken nur diejenigen, die noch radikaler als Rot-Grün soziale Errungenschaften demontieren wollen.“ In einer „Klarstellung zu Schill“ vom 11. März heißt es: „Wir wollen nicht Sündenböcke für soziale Probleme verantwortlich machen, sondern soziale Ungerechtigkeit bekämpfen.“ Angekündigt wird ein bundesweites Netzwerk zur Diskussion einer Wahlalternative.
In dem Positionspapier „Für eine wahlpolitische Alternative 2006“ ist die Rede davon, dass „den vielen Betroffenen des neoliberalen Umbaus (…) ebenso eine parlamentarisch-politische Repräsentanz“ fehlt „wie der sich entwickelnden sozialen Bewegung und außerparlamentarischen Opposition oder den Gewerkschaften.“ Es wird eingeschätzt, dass das Potenzial für eine solche Kraft „deutlich über das bisherige links von SPD und Grünen hinausgeht und in erheblichen Teilen auch gar kein im Selbstverständnis linkes Potenzial ist.“ „Die zentralen Attribute, die mit dem Projekt verbunden werden müssen, sind: sozial, Gerechtigkeit, Frieden, Arbeit, offener Bildungszugang, Alternative, aber auch Fortschritt und Zukunft für alle.“

Ist eine Linkspartei nötig?

In dem Positionspapier „Für eine wahlpolitische Alternative 2006“ wird richtigerweise festgestellt: „Dass es zu einer erneuten grundlegenden Umorientierung der SPD oder Grünen im Sinne einer sozial orientierten Politik gegen den Neoliberalismus kommen kann, ist unrealistisch.“ Im Bezug auf die PDS heißt es, sie habe sich „insbesondere durch ihre Regierungsbeteiligung in Berlin zusätzlich desavouiert“ (bloßgestellt). „Sie erscheint sehr auf sich selbst und auf Mitregieren fixiert.“
Wohl wahr. Um es auf den Punkt zu bringen: Die SPD hat vollständig die Seiten gewechselt. Die PDS ist kein Angebot für eine kämpferische, antikapitalistische geschweige denn sozialistische Politik. Die Unternehmer haben heute mehrere Parteien; ArbeiterInnen, Jugendliche und sozial Benachteiligte haben derzeit keine eigene politische Interessenvertretung.
Höchste Zeit, eine neue politische Kraft für die arbeitende Bevölkerung aufzubauen. Die Sozialistische Alternative tritt seit einigen Jahren für die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei ein. Um diese Idee zu verbreiten und den Kampf gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau politisch weiter zu bringen, haben SAV-Mitglieder die Gründung linker Wahlbündnisse auf lokaler Ebene unterstützt, selbst angestoßen oder eigenständig mit unserem Programm und der Forderung nach einem Aufbau einer neuen Arbeiterpartei kandidiert. Außerdem haben wir in den Gewerkschaften und in Sozialbündnissen für Schritte in diese Richtung argumentiert.
Eine neue politische Interessenvertretung für ArbeiterInnen und Jugendliche würde helfen, verschiedene Kämpfe miteinander zu verbinden, Erfahrungen auszutauschen und den Widerstand gegen Sozialkürzungen zu stärken. Das könnte dem Protest einen Ausdruck verschaffen, diesen auf die politische Ebene tragen und im Fall von Wahlerfolgen dazu beitragen, dass die Protestbewegung in den Parlamenten ein Sprachrohr bekommt. Eine solche politische Neuformation könnte auch ein bedeutendes Forum für politische Debatten zu Programm und Perspektiven bieten. Darüber wäre es möglich, Ideen für eine grundlegende Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft in den Klassenkämpfen zu verankern. In den neunziger Jahren erschwerte die TINA-Propaganda Gegenwehr („There Is No Alternative“, Maggie Thatcher). Die Entwicklung einer gesellschaftlichen Alternative würde dagegen heute Kämpfe ermutigen.

SPD – Für ArbeiterInnen zurückzugewinnen?

Die Initiative „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ erklärte auf ihrer Pressekonferenz am 19. März, dass die SPD unter Schröder sich zur „Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben“ entwickelt habe. Ein Schlüsselerlebnis sei für die langjährigen Parteimitgliedern gewesen, wie mit den Regionalkonferenzen im vergangenen Jahr im „Top-Down-Stil“ die Agenda 2010 „durchgestellt“ worden sei. Dennoch eierten sie bei der Frage, ob ein klarer Bruch der Gewerkschaften mit der SPD und eine neue Parteigründung nötig ist, herum. Im Hinblick auf die drohenden Parteiausschlüsse erklärte Thomas Händel, Erster Bevollmächtigtet der IG Metall Fürth: „Wir wollen es wissen von der Partei, ob Sozialstaatler in ihr keinen Platz mehr haben.“
Ihre Haltung erinnert an die britische Kampagne „Reclaim Labour“ (gemeint ist damit, Labour für die ArbeiterInnen und für die Gewerkschaftsbewegung zurückzuerobern). Obwohl dort mehrere Gewerkschaftsführer dahinter stehen, hält Tony Blair am Kürzungsmassaker und an der Kriegspolitik fest beziehungsweise gelingt es nicht, Blair und Co zu stürzen und einen grundlegenden Kurswechsel einzuleiten. Vor einem Monat wurde die Eisenbahngewerkschaft RMT aus New Labour ausgeschlossen, nachdem sie entschied, es regionalen Gliederungen frei zu stellen, die (in Großbritannien traditionell üblichen) Beitragszahlungen seitens der Gewerkschaft an Labour weiterhin zu bezahlen.
Eher wird wahrscheinlich ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass New Labour oder Schröders SPD noch einmal für die arbeitende Bevölkerung zurückzugewinnen sein werden. Diese Parteien haben sich in durch und durch kapitalistische Parteien umgewandelt. Die SPD verlor seit 1990 ein Drittel ihrer Mitglieder, unter Schröder forcierte sich der Mitgliederschwund dramatisch: Seit dem Regierungsantrtt 1998 traten 125.000 aus, im Januar 2004 allein 12.000. Auf Wahlebene wenden sich ArbeiterInnen scharenweise von der SPD ab. In Umfragen dümpelt die SPD bei unter 30 Prozent vor sich hin. Außerdem haben sich die Kräfteverhältnisse fundamental gewandelt: Die Jusos sind nur noch ein Karrieresprungbrett, die AfA nicht mehr als einflusslose Phrasendrescher in Sachen „sozialer Gerechtigkeit“ und die Parlamentarische „Linke“ völlig auf Parteilinie. Auch Schröders Rücktritt vom Parteivorsitz wird keinen Wechsel einleiten. Müntefering und Co stehen ebenfalls geschlossen hinter der Agenda 2010. Schröder, Müntefering und der neue Generalsekretär Benneter wurden in den letzten Wochen nicht müde zu betonen, dass keine wirklichen Abstriche an der Agenda 2010 denkbar sind.

Rot-Grün – das kleinere Übel?

Auf dem AfA-Kongress der SPD im März hielt der Delegierte Klaus Schüller aus Eisenach Franz Müntefering vor: „Wir können nicht argumentieren: Ihr könnt die CDU nicht wählen, die amputiert euch zwei Beine. Wählt die SPD, die amputiert euch nur eins.“
CDU/CSU und FDP kommt die Aufgabe zu, Rot-Grün im Interesse der Kapitalisten von rechts unter Druck zu setzen. So preschen sie mit der Forderung nach Kopfpauschale in der Gesundheitspolitik oder nach weiteren drastischen Spitzensteuersenkungen vor. Rogowski, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, und andere aus dem Unternehmerlager sprechen sich heute für die Fortsetzung der Schröder-Regierung aus – solange, bis sie sich aus ihrer Sicht verbraucht hat. Vom Standpunkt der arbeitenden Menschen aus hilft es allerdings wenig, sich damit zu trösten, dass Ulla Schmidts Gesundheitspolitik nur ein Bein amputieren möchte (abgesehen davon, dass ein größerer Unterschied zu Union und FDP gar nicht mehr existiert). Sowohl was Umfang als auch was das Tempo des Sozialabbaus angeht, übertreffen Schröder und Co die Kohl-Regierung. Heute erleben wir, dass jede neue Regierung von etablierten Parteien nicht nur an der Vorgänger-Regierung anknüpft, sondern noch was drauf setzt.
Angeblich stärkt eine linke Kandidatur nur die Rechte? Darum argumentieren Teile des heutigen Gewerkschaftsapparates zum Beispiel dafür, den Schröders und Fischers als „kleineres Übel“ zähneknirschend weiterhin die Stimme zu geben. Sollen wir für dumm verkauft werden? Eine Stimme für rechte Politik stärkt rechte Politik – nichts anderes ist eine Stimme für Schröder oder Fischer. Eine Stimme für eine linke Alternative dagegen stärkt linke Politik.
Die Erfolgsaussichten eines linken Wahlbündnisses sind davon abhängig, in wie weit der Widerstand in den Betrieben und Stadtteilen gestärkt wird. Um wirkliche Veränderungen zu erreichen, muss eine mächtige Protestbewegung von den Lohnabhängigen und anderen vom Sozialkahlschlag Betroffenen aufgebaut werden. Würde eine SPD-geführte Regierung durch solch eine Bewegung gestürzt, hätte es jede neue Regierung schwieriger, die Rotstiftpolitik fortzusetzen.

Welche Schritte sind jetzt nötig?

Für Sonntag, den 6. Juni plant die Wahlpolitische Alternative 2006 eine Konferenz. Für sie sollte offensiv mobilisiert werden. Kämpferische Vertrauensleute, VertreterInnen der Gewerkschaftslinken, AktivistInnen sozialer Bewegungen, GlobalisierungskritikerInnen und politisch organisierte Kräfte auf der Linken sollten angesprochen werden. Zentral wäre es, eine Mobilisierungskampagne mit dem Ziel zu starten, auch ganz neue Schichten zu erreichen, die bislang nicht politisch aktiv waren. Zur Vorbereitung dieser Konferenz sollten bei einem offenen Treffen so schnell wie möglich mehr Kräfte einbezogen werden. Die SAV will sich daran aktiv beteiligen und einbringen.
Mit den Initiatoren des zweiten bekannten Aufrufs, „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, sollte ebenfalls eine gemeinsame Vorbereitung der Konferenz angestrebt werden. Im Vorfeld dieser bundesweiten Zusammenkunft sollten lokale und regionale Vorkonferenzen angeboten sowie örtliche Strukturen gebildet werden. Darüber hinaus wäre es wichtig, Diskussionen zu einer linken Wahlalternative oder einer neuen Arbeiterpartei, Diskussionen zu Charakter und Programmatik, in gewerkschaftlichen Strukturen und Sozialbündnissen anzustoßen. Auch auf der für Mai angesetzten Perspektivkonferenz von Attac und ver.di sollte die Frage einer neuen Partei aufgeworfen werden.
Die Debatten über Kandidaturen und Parteistrukturen sollten nicht losgelöst von der Protestbewegung gegen die Agenda 2010 und den betrieblichen und lokalen Auseinandersetzungen geführt werden. Es gibt die Chance, zehntausende von ArbeiterInnen und Jugendlichen anzuziehen – aber nur dann, wenn die Verbindung zu den akuten Problemen und aktuellen Konflikten gezogen wird.

Warum sind SPD, PDS und Grüne gescheitert?

Wir leben in einer Klassengesellschaft. Auf der einen Seite stehen diejenigen, denen das große Geld, das Kapital, die Banken und die Fabriken gehören. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nichts weiter besitzen als ihre Ware Arbeitskraft, die sie auf dem Markt verkaufen müssen. Auch wenn die Zahl der IndustriearbeiterInnen in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist, nahm die Arbeiterklasse zahlenmäßig stark zu. Immer mehr Reichtum konzentriert sich in immer weniger Händen. Die „Mittelklasse“, die Klasse der kleinen Selbstständigen, Handwerker und Bauern, ist enorm geschrumpft.
Jede Partei muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht. SPD, PDS und Grüne haben sich entschieden. Sie sind nicht bereit, sich mit einem Deutsche-Bank-Chef Ackermann anzulegen, der letztes Jahr elf Millionen Euro kassiert hat. SPD, PDS und Grüne haben den Frieden mit diesem System gemacht. Sie stellen Privateigentum, Konkurrenz und Profitstreben nicht in Frage. Solange die Gesellschaft jedoch in Klassen gespalten ist, solange die Kapitaleigner ihren Profit über die Aneignung des von der Arbeiterklasse geschaffenen Reichtums erzielen, solange werden Lohnabhängige ausgebeutet. In Zeiten kapitalistischer Krise verschärft sich diese Ausbeutung.
Die SPD hat sich seit Mitte der neunziger Jahre in eine durch und durch bürgerliche Partei umgewandelt. Als Arbeiterpartei gegründet, änderte sie spätestens zum Zeitpunkt der Unterstützung des imperialistischen Kriegs 1914 entscheidend den Charakter: von einer Arbeiterpartei in eine Partei, in der die Basis und Anhängerschaft proletarisch blieb, an deren Spitze sich aber eine bürgerliche Führung durchsetzte. Auf Grund dieses Doppelcharakters konnte die Partei jahrzehntelang von ArbeiterInnen, Angestellten und Beamten zumindest noch unter Druck gesetzt werden. Da diese traditionelle Basis der SPD heute weggebrochen ist, konnten Schröder, Müntefering und Co ihre arbeiterfeindliche Politik ohne größeren Widerstand in den eigenen Reihen forcieren. Die PDS ist eine (fast ausschließlich ostdeutsche) reformistische Partei, die kaum in den Betrieben verankert ist. Wegen der Schwäche der Parteilinken konnte die Parteispitze um Lothar Bisky schnell in die Fußstapfen rechtssozialdemokratischer (Regierungs-)Politik treten. Für die Grünen war die Arbeiterbewegung von Anfang an ein Buch mit sieben Siegeln.
In der Erklärung der Wahlalternative wird die Notwendigkeit betont, „ein breites Spektrum der Bevölkerung“ anzusprechen, im Kern „die Arbeitnehmermilieus, die auch die Hauptbasis für Rot-Grün sind beziehungsweise waren.“ Diese Herangehensweise ist begrüßenswert. Allerdings wird sie am Schluss wieder ein Stück weit relativiert: „Es bedarf eines neuen Anlaufs der politischen Artikulation und Formierung eines alternativen gesellschaftlichen Blocks von Arbeit und Wissenschaft, Bewegungen und Kultur gegen den herrschenden Block des Kapitals und des Neoliberalismus.“ Das klingt danach, dass diejenigen, die von der Kürzungsorgie direkt betroffen sind, Fokus aber nicht Hauptakteure eines neuen Bündnisses sein sollen.
Als die SPD vor hundert Jahren immer mehr Parlamentsposten erobern konnte, geriet die Partei immer mehr unter Druck durch bürgerliche Kräfte und war ideologisch dem Einfluss der herrschenden Klasse ausgesetzt. Mangels Diäten bekamen damals diejenigen erheblich mehr Gewicht, die auf Grund höherer Einkommen die Parlamentsarbeit finanzieren konnten. Damit einhergehend bekamen die hauptamtlichen Funktionäre der Partei das Vierfache eines durchschnittlichen Arbeiterlohns. Die wachsenden Privilegien der Parteispitze führten dazu, dass diese sich erst materiell, dann politisch immer mehr von denen entfernte, die sie eigentlich zu vertreten hatten. Damit eine neue Arbeiterpartei nicht den Weg einer zweiten SPD einschlägt, gilt es in Theorie und Praxis konsequent „Partei“ für die arbeitende Bevölkerung zu ergreifen. Außerdem muss neben anderen Maßnahmen auch über eine Begrenzung der Einkommen auf ein durchschnittliches Arbeitnehmergehalt von vornherein sichergestellt werden, dass Parteifunktionäre nicht abheben können.

Für eine kämpferische Politik

Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar kam das linke Wahlbündnis Regenbogen nur auf enttäuschende 1,1 Prozent. Das ist nicht auf einen angeblichen Rechtsruck zurückzuführen. Im Gegenteil. Bei der gleichzeitig durchgeführten Volksabstimmung über den Verkauf der Krankenhäuser votierten von den 800.000 Beteiligten 76 Prozent gegen Privatisierung. Das Regenbogen-Ergebnis zeigt bloß, dass eine linke Kandidatur nicht per se Zuspruch findet. Leider hat Regenbogen mehrheitlich einen linksintellektuellen Szene-Wahlkampf geführt. Regenbogen war in den meisten Stadtteilen nicht präsent. Vor allem wurde Regenbogen nicht als Kampfangebot gesehen. Die große Mehrheit von ArbeiterInnen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten ist heute bei einer neuen Formation sehr skeptisch. Zu oft wurden sie verraten und verkauft. Warum soll ein neues Bündnis oder gar eine neue Partei anders sein?
Vertrauen muss erarbeitet, über gemeinsame Kämpfe erworben werden. Jede linke Kandidatur sollte Beschäftigte, denen die Entlassung droht, oder ErzieherInnen und Eltern, die von der Schließung einer Kita betroffen sind, ansprechen, ein Kampfprogramm entwickeln und Gegenwehr organisieren. Wie müsste sich eine neue politische Interessenvertretung von den existierenden Parteien konkret unterscheiden? Nehmen wir zum Beispiel die drohende Schließung des Bombardier-Werkes in Halle-Ammendorf: Am Anfang sollte Unterstützungs- und Öffentlichkeitsarbeit für die 800 von Entlassung bedrohten KollegInnen stehen. Mit regelmäßigen Besuchen vor Arbeitsbeginn, mit Infoständen in der Umgebung und mit Unterschriftensammlungen und Plakatieraktionen für den Erhalt könnte begonnen werden. Eine reale Hilfe wäre die Gründung eines Solidaritätskomitees. Mit Beschäftigten, Vertrauensleuten und IG Metall-AktivistInnen sollte dann wirksamer Widerstand gegen die Schließung diskutiert werden. Anträge und Zusammenarbeit mit anderen kämpferischen Vertrauensleuten und Gewerkschaftsmitgliedern innerhalb der IG Metall würden dann anstehen. Im Fall eines Streikes oder einer Betriebsbesetzung müssten Streikposten und Unterstützungsaktionen wie Geldsammlungen für die Streikenden mit organisiert werden. Kontakt und Austausch mit den anderen 34 Bombardier-Werken in Europa, allen voran mit den ebenfalls von Schließung bedrohten sechs Betrieben, wären nötig. Rundreisen, öffentliche Veranstaltungen, eine koordinierte Streikbewegung, möglicherweise verbunden mit einer zentralen Großdemonstration wären Kampfmaßnahmen, die vorgeschlagen und mit organisiert werden müssten. Aufgabe einer neuen politischen Interessenvertretung wäre es natürlich auch, gemeinsam mit den Beschäftigten Alternativen zur Stilllegung zu entwickeln. Da Bombardier zur Schienenfahrzeugindustrie gehört, würde es in diesem Fall um ein Programm zum Ausbau des Bahnverkehrs gehen. Hier würden sich Fragen von Umwelt- und Energiepolitik stellen, von der Umstellung der Autoproduktion auf Güter des Nah- und Fernverkehrs, von Weiterbildung und Ersatzarbeitssplätzen, von Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie von Rückverstaatlichung der Bahnindustrie in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung. Eine linke Kandidatur oder Partei wäre gefordert, dazu Positionen zu entwickeln und diese gemeinsam mit den MetallerInnen und allen von der Unternehmerwillkür Betroffenen zu diskutieren. Eine solche Herangehensweise wäre meilenweit entfernt von der Politik durch SPD, Grüne und PDS. Ausgehend von solchen Anstrengungen sollten dann am Besten im Kampf aktive KollegInnen bei den nächsten Wahlen als KandidatInnen vorgeschlagen und aufgestellt werden.
Örtliche oder je nach Stärke auch überregionale Kampagnen sind nicht nur nötig, um Anerkennung und Verankerung zu erreichen. Solche Kämpfe und Kampagnen sind vor allem notwendig, weil sie den einzigen Weg darstellen, was zu bewegen und zu verändern. Das einzige, was Arbeitsplätze rettet, ist und bleibt schließlich der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze.
In dieser Gesellschaft bestimmt die Wirtschaft die Politik, nicht umgekehrt. In den Parlamenten wird nur dann etwas geschehen, wenn vorher über den Kampf in den Betrieben oder in den Stadtteilen das Kräfteverhältnis zu Gunsten der arbeitenden Bevölkerung verschoben wurde. Linke Abgeordnete werden das Parlament in erster Linie als Plattform nutzen können, wo sie die Anliegen von ArbeiterInnen oder Erwerbslosen zu Wort kommen lassen.
In der Erklärung der Wahlalternative werden die außerparlamentarischen Bewegungen korrekt als „primäre Bedeutung für fortschrittliche politische Veränderung“ eingestuft. Allerdings fehlt im Papier eine Strategie für Arbeitskämpfe, Streiks und Massenstreiks. Gleichzeitig wird herausgestellt, dass die Ansprüche der außerparlamentarischen Bewegungen „in staatliches Handeln umgesetzt werden können“. Das macht hellhörig.
Es stellt sich die Frage, ob die VerfasserInnen die Möglichkeiten der Parlamente im bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem überschätzen. Die eigentliche Macht ist jedenfalls in den Chefetagen der Banken, Konzerne und Versicherungen konzentriert. Dort werden die wesentlichen Entscheidungen getroffen. Die Unternehmer sind außerdem in der Lage, über ihre ökonomische Macht auch politische Macht auszuüben, und dank ihrer Finanzmittel auf die parlamentarische Ebene massiv einzuwirken. Es wird von den Autoren der „Wahlpolitischen Alternative 2006“ zudem versäumt, auf die Instrumente der Herrschenden zu verweisen, mit denen dieser Staat in ihrem Interesse genutzt wird: Ob Drohung von Investitionsboykott oder Betriebsverlagerung, ob die Unterdrückungsfunktion von Armee, Polizei und Justiz durch die Kapitalistenklasse oder über Bestechung und Korruption.
Die Entwicklung der Grünen kann als Warnung dienen. Bei ihrem „Gang durch die Institutionen“ nabelten sie sich von ihrer außerparlamentarischen Basis ab (die Basis bestand überwiegend im Kleinbürgertum, also unter StudentInnen, AkademikerInnen, Selbstständigen, nicht in der Arbeiterklasse). Jedenfalls gingen die Grünen ursprünglich aus der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung hervor. Nachdem sie 1978 in Hamburg und Niedersachsen in Landtagswahlen weniger als vier Prozent erhielten, bei der Bundestagswahl 1980 auf 1,5 Prozent kamen, konnten sie bereits 1983 mit 5,6 Prozent in den Bundestag einziehen. Heute werden unter einem grünen Außenminister von deutschem Boden aus Kriege geführt (1999 Balkan, 2001 Afghanistan). Unter einem grünen Umweltminister wird die Atompolitik fortgesetzt. Während die außerparlamentarischen Proteste gegen die Atomlobby immerhin erreichten, dass von den einst achtzig geplanten Atommeilern mehr als die Hälfte nicht gebaut wurden, koppelten sich die parlamentarischen VertreterInnen von der Bewegung schnell ab. Vor zwei Jahren wurde die damalige Grünen-Vorsitzende Claudia Roth ausgepfiffen und vom Traktor runter geholt, als sie im Wendland an den Anti-Castor-Aktionen teilnehmen wollte.

Für ein anti-kapitalistisches und pro-sozialistisches Programm

Heute gibt es zwar eine Reihe verschiedener Parteien und Regierungskonstellationen, aber nur eine Politik: Privatisierungen, Stellenstreichungen, Lohnklau, Unternehmergeschenke… Eine neue Partei, die für die arbeitende Bevölkerung eine grundlegende Alternative bieten soll, muss damit brechen. Ausgangspunkt für eine neue politische Interessenvertretung sollte die Ablehnung unternehmerfreundlicher Politik sein. Außerdem sollte diese Partei den Kampf gegen Sozialraub mit dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus verbinden und damit der Spaltung der arbeitenden Menschen entgegenwirken. Ein Programm, das sich konsequent auf die Seite der Lohnabhängigen stellt, müsste auch gegen Kriege, Abbau demokratischer Rechte und Umweltzerstörung vorgehen, da diese Entwicklungen die Folge des Profitstrebens der Banken und Konzerne sind.
Der neoliberale Einheitsbrei verweist auf die leeren Kassen. Aber wer hat sie in welchem Interesse geplündert? Die Großunternehmen und Finanzhäuser, die Reichen und Superreichen genießen heute Steuerprivilegien, Subventionen und Vergünstigungen, während bei den Beschäftigten, Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen die Daumenschrauben angesetzt werden. In Berlin muss jeder Vierte mit maximal 600 Euro über die Runden kommen, gleichzeitig sind Konzerne wie DaimlerChrysler oder Siemens in der Bundeshauptstadt genauso wie in anderen Städten der Republik von Steuerzahlungen weitgehend freigestellt. Die neue Steuerreform spült den Einkommensmillionären in diesem Jahr monatlich weit mehr als 5.000 Euro zusätzlich in die Kassen.
In dem Positionspapier der Wahlalternative wird die „Schwäche der Binnennachfrage als Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung“ gegeißelt. Damit orientiert es sich an klassischen keynesianistischen Ideen. Der bürgerliche Ökonom Keynes, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkte, stellte den Kapitalismus nicht grundlegend in Frage. Er forderte lediglich, die Nachfrage in Krisenzeiten (unter anderem über eine höhere Kreditaufnahme des Staates) anzukurbeln, um im nächsten Aufschwung antizyklisch die Staatsverschuldung wieder herunterzufahren und die Angebotspolitik zu stärken. Die heutigen Keynesianer setzen verstärkt auf staatliche Interventionen gegen die anarchischen Kräfte des Marktes. Als SozialistInnen kämpfen wir natürlich dafür, die Massenkaufkraft zu unterstützen und dem Profitstreben entgegen zu wirken. Wir geben uns aber weder der Illusion hin, dass damit strukturelle Krisen des Kapitalismus überwunden werden könnten noch, dass die privaten Unternehmer Einschränkungen durch den Staat widerstandslos hinnehmen würden.
Das kapitalistische System ist voller Widersprüche: Auf der einen Seite große gesellschaftliche Bedürfnisse, auf der anderen Seite Betriebsschließungen und Massenentlassungen. Auf der einen Seite 1,9 Milliarden Überstunden in der BRD im Jahr, auf der anderen Seite offiziell 4,5 Millionen Arbeitslose. Auf der einen Seite wurde das jährliche Bruttosozialprodukt seit 1960 verdoppelt, auf der anderen Seite wird Altersarmut wieder ein Massenphänomen. Für die Autoren der Wahlalternative soll sich die Diskussion „nicht um ‘Reform oder Revolution‘, sondern um sozialen Reformismus oder weiteren Vormarsch der neoliberalen Reaktion“ drehen. „Es geht nicht um eine neue explizit linkssozialistische Partei.“ Es wird unumstritten sein, dass eine neue „Linkspartei“ in jedem Fall den Kampf für Reformen aufnehmen soll. Aber was tun, wenn Sozialreformen in Zeiten struktureller statt konjunktureller Krisen, in Zeit von Massenarmut, Arbeitslosigkeit und kapitalistischem Niedergang begrenzt beziehungsweise vorübergehend sind? Die Frage stellt sich dann, ob man sich der Logik der Marktwirtschaft beugt, oder den Kampf gegen Konterreformen mit dem Kampf für eine grundlegend andere, sozialistische Gesellschaft verbindet? Dafür tritt die SAV ein. Unserer Meinung nach sollte eine neue Parteigründung diese Frage nicht von vornherein ausklammern, sondern ergebnisoffen diskutieren.
In der DDR gab es keinen Tag Sozialismus. Dort waren die Produktionsmitel zwar in Gemeineigentum überführt und die Murkswirtschaft durch eine Planwirtschaft ersetzt, doch wurde nicht unter Beteiligung der Arbeiterklasse auf allen Ebenen demokratisch geplant. Stattdessen existierte eine abgehobene privilegierte Bürokratie an der Spitze des Staates, die dafür sorgte, dass eine Karikatur auf die sozialistische Gesellschaft entstand.
Manche auf der Linken mögen denken: Natürlich sind sozialistische Ideen politisch richtig, kosten aber Stimmen und schrecken potenzielle MitstreiterInnen ab. Die SAV teilt diese Ansicht nicht. In Irland konnte die SAV-Schwesterpartei Socialist Party mehrere Stadtratssitze und einen Parlamentsposten erobern. Ausschlaggebend war die Verhinderung von Wassergebühren in Dublin durch eine Massenkampagne, die von Mitgliedern der Socialist Party angeführt wurde. Auf dieser Basis war die sozialistische Ausrichtung kein Hindernis. Viele ArbeiterInnen verstanden, dass das Programm und die Kampfvorschläge der SozialistInnen den Positionen aller anderen politischen Gruppen und Organisationen überlegen waren. Nicht wenige beteiligten sich auch aktiv am Wahlkampf. Generell stellten unsere irischen GenossInnen eine große Offenheit gegenüber sozialistischen Ideen fest. Gleiches gilt für England, wo die dortige Socialist Party in Coventry und London-Lewisham fünf Stadtratspositionen gewann.
In Österreich konnte die dortige Kommunistische Partei, die KPÖ, vor einigen Jahren in Graz ein im bundesweiten Vergleich herausragendes Wahlergebnis erzielen. Das gelang ihnen auf Grundlage einer Kampagne für die Rechte von MieterInnen. In diesem Fall war der Parteiname auch kein Hindernis, in neue Schichten vorzustoßen.

Für demokratische Strukturen

Die Initiative für eine Linkspartei oder ein linkes Wahlbündnis sollte von Anfang an so angelegt sein, dass sich AktivistInnen und Interessierte angesprochen und einbezogen fühlen. Soll ein solcher Vorstoß abheben, benötigt es die aktive Beteiligung von kämpferischen Vertrauensleuten, Gewerkschaftslinken, VertreterInnen aus der sozialen Bewegung, der Antikriegsbewegung, UmweltschutzaktivistInnen, SozialistInnen, vor allem aber auch KollegInnen und Arbeiterjugendlichen, die gerade beginnen sich politisch oder gewerkschaftlich zu engagieren.
Die SPD und die stalinistischen Organisationen waren völlig undemokratisch aufgebaut. Gerade auf Basis dieser Erfahrungen besteht eine besondere Sensibilität bezüglich Demokratie, Transparenz und Offenheit. In Britannien isolierte sich Arthur Scargill mit seiner Mitte der neunziger Jahre gegründeten Socialist Labour Party genau aus diesem Grund. Trotz seines Ansehens als Vorsitzender der britischen Bergarbeitergewerkschaft NUM im Streik 1984/85 stieß er die meisten potenziellen UnterstützerInnen einer solchen Partei vor den Kopf, da Scargills Parteikonzept undemokratisch und sektiererisch war, in dem kein wirklicher Austausch politischer Differenzen zugelassen wurde.
Um so besorgter machen uns die Überlegungen in dem ersten ausführlichen 14-seitigen Entwurf der Wahlalternative vom 5. Februar. Dort heißt es: „Der Ansatz (…) ist in der ersten Etappe ein Top-Down-Projekt.“ Die Ausführungen in dem Papier erwecken den Eindruck, dass zuerst ein ausgewählter Kreis zusammenkommen und das Projekt gestalten sowie politisch ausrichten soll. Erst wenn die Weichen gestellt sind, soll das Ganze dann für andere geöffnet werden. Ohne die unmittelbare Öffnung für alle diejenigen, die mit einer solchen Wahlalternative erreicht und repräsentiert werden sollen, läuft man jedoch Gefahr, das Potenzial der betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen oder der Akteure aus den sozialen Bewegungen nicht zu nutzen. Mehr noch, damit provoziert man Misstrauen und Ablehnung gegenüber dem Projekt.
Die SAV tritt dafür ein, dass eine neue Partei ein Sammelbecken ist für GewerkschafterInnen, GlobalisierungskritikerInnen, SozialistInnen, AntifaschistInnen, UmweltschützerInnen, Frauenrechtlerinnen und andere. Bestehenden Organisationen sollte es möglich sein, ihre Identität und Struktur aufrechtzuerhalten. Es sollte allen Gruppen und Organisationen freigestellt sein, eine Plattform zu bilden und für die eigenen Überzeugungen offen aufzutreten.
Damit eine solche Partei nicht bürokratisch degeneriert, gilt es unserer Meinung nach, bestimmte Grundprinzipien zu beherzigen; Grundprinzipien, wie sie beim Aufbau der Arbeiterbewegung entwickelt wurden. Dazu gehört die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von FunktionärInnen, eine allgemeine Rechenschaftspflicht von Funktionären und Leitungsgremien gegenüber der Mitgliedschaft und regelmäßige Konferenzen auf allen Ebenen. Entscheidungen sollten nach einem intensiven Diskussionsprozess mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Um ein Abheben von Funktionären im Keim zu ersticken, sollten alle in verantwortlichen Positionen nicht mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn erhalten. Diese Ideen gehen auf die Pariser Kommune 1871 zurück, wurden von SozialistInnen wie Luxemburg, Liebknecht, Lenin oder Trotzki aufgegriffen und in den revolutionären Bewegungen am Ende des Ersten Weltkriegs ebenfalls angewendet.
Beim Aufbau einer neuen politischen Formation wird heute auch das Recht auf Autonomie lokaler Gruppen wichtig sein. Auf Grund des Zusammenkommens verschiedener Kräfte mit verschiedenen Erfahrungen und Traditionen in den Protestbewegungen und auf der Linken sollten lokale Gruppen Spielraum für eigene Schwerpunktsetzungen bekommen. Voraussetzung dafür wäre, dass sie auf Grundlage einer gemeinsamen Plattform agieren würden. Darunter wäre mindestens die Ablehnung aller Lohn-, Sozial- und Bildungskürzungen, die Ablehnung von Kriegspolitik und Umweltzerstörung, sowie Opposition gegenüber jeglicher Diskriminierung (ob gegen Frauen, ImmigrantInnen oder gegen Schwule, Lesben und Bisexuelle) zu verstehen.

Für einen Kurswechsel der Gewerkschaften

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hält die Erwägungen einer Parteigründung „für einen Fehler, für eine Torheit“ (FAZ vom 15. März 2004). „Sektierertum hat noch nie zum Erfolg geführt.“ Die Gewerkschaftsführung versucht nach wie vor, die Bande zwischen SPD und Gewerkschaften aufrechtzuerhalten. Bei der Bundestagswahl 2002 ließ sie sich das noch zwei Millionen Euro Wahlkampfhilfe kosten. Da Gewerkschaftsmitglieder das Rückgrat einer neuen Arbeiterpartei darstellen sollten, muss der Kampf um einen Bruch der Gewerkschaften mit der SPD verstärkt werden. In gewerkschaftlichen Gliederungen sollten Anträge eingebracht werden, in denen diese Forderung mit der Diskussion über die beiden Initiativen von IG Metall- beziehungsweise ver.di-Mitgliedern verbunden wird. In den Bezirken sollten Debatten mit den ErstunterzeichnerInnen dieser Initiativen eingefordert werden.
Ein Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie reicht aber nicht. Die Gewerkschaften selber müssen grundlegend verändert werden. Zu Recht sagen sich immer mehr KollegInnen: Verzichten kann ich auch allein, dafür brauche ich keine Gewerkschaft. Die Kampfkraft der immerhin noch 7,4 Millionen DGB-Mitglieder wird nicht entschlossen genutzt. Bei Hartz saßen VertreterInnen der DGB-Spitze mit am Tisch. Während die IG Metall-Führung in der jüngsten Tarifrunde betriebliche Vereinbarungen für Arbeitzeitverlängerungen erleichterte, lässt sich die ver.di-Spitze in Sachen „Neugestaltung des Tarifrechts im Öffentlichen Dienst“ hinter den Kulissen auf Verhandlungen über die Streichung von Sonderzahlungen oder die Förderung von Flexibilisierung ein. Nötig ist eine programmatische und personelle Alternative in den Gewerkschaften. Diese Organisationen der Lohnabhängigen müssen endlich zu echten Kampforganisationen werden. Statt Co-Management ist die Mobilisierung der Beschäftigten branchenübergreifend bis hin zu Streiks, Vollstreiks und einem eintägigen Generalstreik das Gebot der Stunde. Deutliche Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Ausbildung und Übernahme für alle Jugendlichen, Rückverstaatlichungen privatisierter Betriebe, Enteignung von Betrieben, die Firmenschließungen oder Entlassungen planen, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten – das sind Forderungen, die sich die Gewerkschaften wieder auf die Fahnen schreiben sollten. Außerdem ist eine Demokratisierung der Gewerkschaften erforderlich. Hier sind die gleichen Ansprüche wie im Bezug auf eine neue Partei zu stellen.

Welche Chancen hat eine Linkspartei?

Die Aussichten für die Initiative „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und für die Wahlalternative sind völlig offen. Viel wird davon abhängen, ob sie den Diskussionsprozess öffnen und AktivistInnen und neue Schichten aus den Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ansprechen. Sollte im Sommer tatsächlich der Grundstein für ein neues linkes Wahlbündnis gelegt werden, ist auch damit noch kein Erfolg garantiert. An dem Vorstoß aus Bayern sind zwei IG-Metall-Vorstandsmitglieder beteiligt, an der Wahlalternative mehrere mittlere ver.di-Funktionäre. Entscheidend wird sein, ob sie bereit sind die Auseinandersetzung auch innerhalb der Gewerkschaften für eine klassenkämpferische Politik und eine innergewerkschaftliche Demokratisierung einzugehen – oder ob andere, die in diese Richtung gehen wollen, sich in dem Projekt durchsetzen können. Ohne die Einbeziehung einer größeren Zahl von aktiven Kräften oder die Verbindung zu realen Kämpfen und Protesten könnte ein solches Projekt auch im Sande verlaufen.
Ganz gleich, ob die beiden Initiativen abheben oder nicht, bestätigen sie eindeutig die fundamental veränderte Lage in der Bundesrepublik. Mit dem Klassenkampf von oben, mit der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und mit der enormen Wut und Kampfbereitschaft unter ArbeiterInnen und Jugendlichen nehmen die Debatten innerhalb der Gewerkschaften im Hinblick auf einen Bruch mit der SPD und die Bildung einer neuen Arbeiterpartei zu. Auch für AktivistInnen von sozialen Bewegungen stellt sich zugespitzt die Frage nach einer politischen Alternative zum bürgerlichen Establishment.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass es beim Prozess der Herausbildung einer neuen Partei für die arbeitende Bevölkerung auch Rückschläge, Fehlstarts und Verzögerungen geben kann. In Deutschland ist in den kommenden Monaten und Jahren eine dramatische Zunahme von Arbeitskämpfen, Streiks bis hin zu Massenstreiks zu erwarten. Die politische Weiterentwicklung und die Erfahrung von AktivistInnen in diesen Klassenkämpfen wird entscheidend für das Entstehen und den substanziellen Aufbau einer neuen Partei sein.
In Köln, Aachen und anderen Städten von Nordrhein-Westfalen gibt es Bestrebungen, für die anstehenden Kommunalwahlen linke Wahlbündnisse zu gründen. Ähnliche Versuche gibt es in anderen Bundesländern. Schon vor den beiden Initiativen aus IG Metall und ver.di entzündeten sich in den Gewerkschaften Auseinandersetzungen zum Verhältnis mit der SPD, zum Beispiel beim letzten Gewerkschaftstag der IG Metall und der IGM-Bundesjugendkonferenz 2003. Die von ver.di und Attac vorbereitete Perspektivkonferenz im Mai wird eine Gelegenheit für weitergehende Debatten auf der Linken und in der Arbeiterbewegung über gesellschaftliche Alternativen bieten. Solche örtlichen linken Wahlbündnisse, Arbeiterkandidaturen und Diskussionsforen in den Gewerkschaften und in den sozialen Bewegungen können Schritte in Richtung einer neuen politischen Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen, Jugendliche und sozial Benachteiligte darstellen. Sollten sich die Initiativen „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und die Wahlpolitische Alternative für andere AktivistInnen öffnen, neue Schichten ansprechen, demokratisch vorgehen und bereit sein, sich mit dem Kapital anzulegen, könnten daraus wichtige Kristallisationspunkte für eine neue Partei entstehen. Internationale Fortschritte könnten ebenfalls positive Impulse geben. Die SAV wird an diesen Kämpfen und Debatten aktiv und solidarisch teilnehmen, einen Beitrag leisten, um diese Prozesse zu fördern und für antikapitalistische und sozialistische Ideen eintreten.

Berlin, den 23. März 2004