Zur aktuellen Lage in Österreich

Der soziale Kahlschlag geht weiter – Regierung ohne echte Opposition – weitere Klassenkämpfe stehen auf der Tagesordnung

Stellungnahme der SLP, März 2004
 
Nach dem turbulenten 2003 mit Streiks, scheinen sich Anfang 2004 die Konflikte eher auf die Wahlebene verlagert zu haben. Tatsächlich ist die Regierung aber geschwächt und der Unmut in der ArbeiterInnenklasse groß. Das Vertrauen in die Regierung, aber auch die Parlamentsparteien an sich, ist auf einem Tiefpunkt. Laut einer Profil-Umfrage vom Februar, bei der der Saldo aus Vertrauen-kein Vertrauen errechnet wurde, lag Schüssel bei -5 % (in Worten: Minus Fünf). Der Sozialabbau sowie die offensichtliche Freunderlwirtschaft der Regierung (die nach exzessivem Umfärben in der Affäre Grasser einen neuen Höhepunkt erreichte) machen die Regierung extrem unbeliebt. Ein nächstes Debakel, v.a. für die ÖVP, könnte bei den Präsidentschafts- und EU-Wahlen folgen. Die Regierung, aber auch die gesamte Situation ist alles andere als stabil, die Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Darüber hinaus bietet die wirtschaftliche und damit soziale Entwicklung Sprengstoff für weitere Klassenkämpfe. Die Enttäuschung über die sich permanent verschlechternde soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung und v.a. die wachsende Unsicherheit der Zukunft, bei der sich viele Fragen, was mit ihnen geschehen wird, wenn sie alt und/oder krank werden, sind die Basis für künftige Proteste. Innerhalb der Gewerkschaft wächst die Unzufriedenheit mit der Gewerkschaftsführung und die Suche nach politischen Alternativen.

Wirtschaftliche Entwicklung

Von Seiten der Wirtschaft sowie der Politik wird für die nächsten Monate ein Aufschwung prognostiziert. Wie dynamisch dieser allerdings ist und inwiefern er die sozialen Probleme mildern wird, ist äußerst fraglich. „Mit der schwachen Entwicklung gegen Jahresende dürfte Österreich 2003 das schwächste reale Wirtschaftswachstum seit zehn Jahren eingefahren haben…Damit erlebt Österreich derzeit die schwächste Erholung nach einer Rezession seit den 70er Jahren.“ (online standard 17.3.04)
Nicht vergessen werden darf außerdem, dass die letzten Prognosen stets nach unten korrigiert werden mussten (IHS Prognose für 2003: 2.5%; real 0.9%). Darüber hinaus sind die Vorraussetzungen, die die Basis der optimistischen Prognosen bilden, weitreichend. Die WIFO-Prognose geht von +2,3% jährlich bis 2008 aus – allerdings unter den Vorrausetzungen, dass a) der Euro gegenüber dem Dollar abwertet, b) der Ölpreis stabil bleibt und c) die USA künftig weniger Schulden macht. Das alle drei Bedingungen eintreten ist eher unwahrscheinlich. Aber selbst wenn die EZB den Euro abwertet um die europäische Exportwirtschaft zu stärken so wird das die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Europa keineswegs lösen.
Aufgrund der starken Exportabhängigkeit der österreichischen Wirtschaft ist der starke Euro direkt (für den Handel mit nicht EU Staaten, 1999: EU + Beitrittsländer 22,4 % des Außenhandels, 2002: 23,9 %) und indirekt (die Deutsche Wirtschaft, mit rund 1/3 der Exporte Österreichs wichtigster Handelspartner leidet unter dem starken Euro) ein Konjunkturproblem.
Fraglich ist, wie stark die Osterweiterung sich auf die Konjunktur auswirken wird, da stimulierenden Effekte in vielen Bereichen schon vorweggenommen wurde. Benützt wird sie v.a. um Druck auf die ArbeiterInnenklasse in Österreich auszuüben, die Lohnkosten zu senken bzw. für Steuererleichterungen für Unternehmen (wie jüngst durch die Absenkung der Körperschaftssteuer) die mit Sozialabbau gegenfinanziert werden „müssen“.
Noch nicht absehbar sind die längerfristigen Folgen des Anschlages von Madrid auf die Wirtschaft – ein neuerlicher Einbruch, z.B. im Flug- und Tourismusbereich sowie Turbulenzen an den Börsen, die den fragilen Aufschwung gefährden würden – sind aber nicht auszuschließen.
Selbst wenn es zu einem Wachstum beim BIP kommt, so ist nicht zu erwarten, dass sich das positiv bei Beschäftigung oder Lebensstandard der breiten Massen wiederspiegeln wird. Die Hoffnung auf eine positive Entwicklung der Inlandsnachfrage ist eher unrealistisch. Von der Steuerreform werden Wachstumsimpulse von 0,3-0.5 % erwartet, wobei eine Zunahme der Kaufkraft unterer Einkommensschichten nicht zu erwarten ist, da z.B. alleine die steigenden Energiesteuern die Ersparnis durch die Steuerreform auffressen bzw. durch die Nicht-Anhebung der Negativsteuer das verfügbare Einkommen dieser Schichten real sogar sinken wird.
Nach einer aktuellen EU-Umfragen (in Österreich bei 1500 Haushalten) geht die Mehrheit der KonsumentInnen davon aus, dass ihre finanzielle Situation in zwölf Monaten schlechter sein werde als derzeit. (Standard 12.2.04)

Sozialer Raubbau geht weiter

Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage – wachsende Konkurrenz, schrumpfende Märkte – kann Wirtschaftsaufschwung nur auf Kosten der Beschäftigten gehen, da die Profite v.a. durch Kosteneinsparungen beim Personal erzielt werden. Das bedeutet entweder Personalabbau bzw. Abbau von Arbeitsstunden durch Teilzeit- und Kurzarbeit oder Kürzungen bei Löhnen/Gehältern durch direkte Kürzung bzw. Abbau von Zuschlägen und betrieblichen Sonderzahlungen.
Wenn der Standard titelt „Aufschwung kommt, Jobsorgen bleiben” (19.2.04) so fasst das die Substanz des kommenden „Aufschwunges“ gut zusammen: Arbeitslosigkeit und Verschlechterungen bei existierenden Beschäftigungsverhältnissen sowie weiterer Sozialabbau werden auch künftig zentrale Themen sein.
Nach einer WIFO-Studie liegt die Arbeitslosenquote für 03 bei rund 9,5 % – die Regierung schönt, indem sie TeilnehmerInnen an Schulungen, Arbeitslose im Krankenstand und Pensionsvorschussbezieher nicht rechnet. Mit 302.319 beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkten Personen gab es im Februar 04 um 7.515 Menschen oder 2,5 Prozent mehr Arbeitslose als ein Jahr zuvor. Nicht enthalten sind in den Arbeitslosenzahlen jene 41.932 Personen die sich in Schulungsmaßnahmen befinden. Zählt man diese dazu, waren im Februar 04 344.251 Menschen ohne Job
Die von der Regierung gefeierte „Rekord-Beschäftigung“ entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Kartenspielertrick: Die gestiegene Beschäftigung ist auf den Anstieg der Kindergeldbezieherinnen, die als beschäftigt gelten, sowie auf die Zunahme von Teilzeitjobs, bei gleichzeitigem Abbau von Vollzeitjobs zurückzuführen.
2003 wurden rund 60.000 Vollzeit- durch Teilzeitarbeitsplätze ersetzt. Eine Entwicklung, die v.a. Frauen in eine Armuts- und damit Abhängigkeitsfalle zwingt.
Auch die bunte und „jugendliche“ Kampagne der Bundeswirtschaftskammer kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation für Jugendliche sich zunehmend verschlechtert. Ende Februar kamen offiziell 4.396 Lehrstellen Suchende auf nur 2.342 offene Stellen, dazu kamen mehr als 8.000 Jugendliche, die sich in Lehrgängen oder kurzfristigen Schulungen befanden. Seit 2000 ist die Jugendarbeitslosigkeit um 55% angestiegen.
Jede künftige Regierung die sich an der Logik des Kapitalismus orientiert wird vor einem Dilemma stehen: die Defizite bei den Sozialausgaben wachsen, weil es mehr Arbeitslose und Ältere und damit mehr Ausgaben gibt, aber gleichzeitig aufgrund der Arbeitslosigkeit weniger BeitragszahlerInnen. Zusätzlich verlangt die heimische Wirtschaft sowie internationale Unternehmen um sich anzusiedeln/zu bleiben Steuererleichterungen oder direkte Subventionen. „Lösen“ werden künftige Regierungen diese Dilemma durch weiteren Sozialabbau.
Geplant sind bereits die Abschaffung der Notstandshilfe, was nur eine Vorbereitung des „Aussteuerns“ ist – also das Arbeitslose nach einer gewissen Zeit der Arbeitslosigkeit keine Unterstützung mehr erhalten. Die Kosten für Arbeitslose werden damit auf die Familie bzw. Hilfsorganisationen abgewälzt.
Die „Harmonisierung“ der Pensionen ist – obwohl die SPÖ versucht, sie als Verbesserung darzustellen – ein weiterer Angriff auf die Beschäftigten. Selbst wenn größere „Gerechtigkeit“ hergestellt wird, so wird doch eine Angleichung nach unten stattfinden und damit eine Gleichheit in Armut erzeugt. Der ÖGB ist Teil der Diskussion und akzeptiert, dass lediglich entlang von Generationsfragen diskutiert wird, und das „gespart“ werden muss. Die Frage einer Umverteilung von arm zu reich wird nicht angesprochen.
Geplant sind weitere Kürzungen im Bildungs- und v.a. Gesundheitsbereich. Nach Schüssels Motto „Wer kostet soll zahlen“ werden bei den PensionistInnen die Krankenversicherungsbeiträge insgesamt von 3,75 auf 4,75 % erhöht. Die WKÖ hat ein Konzept vorgelegt in dem sie durch Selbstbehalte 2 Mrd. oder fast ein Zehntel der Kosten im Gesundheitssystem senken will.
Im Bildungsbereich sind nach den Studiengebühren die Einführung von Zugangsbeschränkungen zu erwarten. Noch heuer wird eine Klage der EU-Kommission entschieden, bei der es um die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Studierenden geht. Mit dem Argument „sonst werden wir von StudentInnen aus ganz Europa überschwemmt“ wird die Regierung mit der Einführung von Zugangsbeschränkungen entgegenwirken.
Den steigenden Ausgaben von ArbeitnehmerInnen für Gesundheit, Bildung, Pensionsvorsorge, Steuern&Abgaben stehen aber keine steigenden Einkommen gegenüber. Im Gegensatz zu den vom ÖGB vollmundig angekündigten guten KV-Abschlüssen, vielen diese 2003 mager aus. Der Unmut über die Regierung aber auch die Gewerkschaftsführung wächst.
Ein wesentliches Ziel der Angriffe, u.a. der Veränderung der Arbeitsverhältnisse, ist die Zurückdrängung des Gewerkschaftseinflusses. Auch wenn die ÖGB-Führung ihrerseits – ergebnislos – auf die Sozialpartnerschaft hofft, steht sie doch auch unter wachsendem Druck der Beschäftigten. Je weniger Einfluss und Rechte sie hat, je individualisierter die Beschäftigten sind, umso leichter können künftige Angriffe von Regierung und Unternehmen durchgesetzt werden.

Die Regierung nach den Landtagswahlen

Die Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg waren ein deutlicher Ausdruck für die Anti-Regierungs-Stimmung. Bei den Wahlen am 7. März erhielt Schwarzblau die Rechnung für ihre Politik: gemeinsam verloren sie in Kärnten 32.000, in Salzburg 19.000 WählerInnen.
Die große Verliererin ist die ÖVP. Ein Minus von 9,1 % in Kärnten (und Platz 4 hinter den Grünen in Klagenfurt) und der Verlust des Landeshauptmannes in Salzburg zeigen die Unzufriedenheit über den Sozialabbau deutlich. Viele WählerInnen der letzten Jahre fühlen sich von der Politik der ÖVP betrogen – der Sozialabbau von SPÖVP der 90er ging mit verstärktem Tempo weiter, die parteipolitische Umfärberei erreichte neuen Höhepunkte. Die Arroganz mit der von Schüssel & Co die Sorgen und Einwände der Gewerkschaft, aber auch „normaler BürgerInnen“ weggewischt wurde, und die Grasser-Affäre, in der Schüssel die zumindest schiefe Optik und „seinen“ Finanzminister deckte, taten ein übriges.
Die Versuche Schüssel, die Ursachen auf Landesebene oder gar bei den SpitzenkandidatInnen zu suchen geht an der Realität vorbei. Egal wie wahrscheinlich es ist, das Schüssel nach Brüssel geht, allein die Tatsache, dass er die Option nicht sofort scharf dementiert, zeigt, dass er selbst nicht mehr viel Vertrauen in die Haltbarkeit seiner Regierung hat. Das Köpferollen, das den Verlusten folgt, ist reine Kosmetik, die Ursachen werden nicht angesprochen, am neoliberalen Kurs wird, und kann sich auch nichts ändern.
Selbst der „strahlende Sieger“ Jörg Haider büßte – in absoluten Zahlen gerechnet – Stimmen ein. Auch in Kärnten wanderten rund 34.000 WählerInnen von 1999 (= 27% ihrer Wählerschaft) von den Freiheitlichen zu anderen Parteien oder zu den NichtwählerIn. Der FPÖ gelang es v.a., die eigenen Verluste durch den Zulauf aus einer zerbröselten ÖVP zu kompensieren.
Durch Wahlerfolg und das Arbeitsübereinkommen mit der SPÖ ist die FPÖ gestärkt worden. Ob der Erfolg Haiders längerfristig ein Erfolg für die FPÖ sein wird, wird sich noch zeigen. Insgesamt stehen die + 0,4% in Kärnten einer Reihe von Niederlagen der FPÖ, mehrheitlich im zweistelligen Bereich, gegenüber. Obwohl mitverantwortlich für die Politik der Bundesregierung schaffte es Haider aber doch, sich als „Opposition“ zu präsentieren. Die Diskussion über den Parteivorsitz und den Kurs der FPÖ sind bereits voll entbrannt. Ganz nach dem Motto „am Kärntner Wesen soll die FPÖ genesen“ wird der Druck in Richtung mehr rechtsextremer Populismus und damit mehr Druck auf die Regierungsfraktion der FPÖ einerseits und die ÖVP andererseits Sprengkraft für FPÖ und Regierung bringen.
Die Idee vom „Drachentöter“ Schüssel, also dass durch die Regierungsbeteiligung die FPÖ gezähmt worden wäre, musste spätestens am 7. März zu Grabe getragen werden. Die SLP hat immer betont, dass das Potential für rechtsextreme Formationen nicht kleiner wird, sondern angesichts des Fehlens einer linken Alternative existiert und vor dem Hintergrund wachsender sozialer Probleme auch größer werden kann. Ob sich dieses letztlich in der FPÖ, einer FPÖ-Kärnten nach dem Modell der CSU, einer neuen rechtsextremen Formation rund um Haider oder auch ohne ihn, ausdrückt ist zweitrangig. Es ist zu erwarten, dass rassistische und ausländerInnenfeindliche Propaganda wieder zunehmen wird. Insbesondere Ängste vor Arbeitslosigkeit im Zuge der EU-Osterweiterung können von der FPÖ, aber auch anderen Parteien, zum Stimmenfang mit rechten Phrasen beantwortet werden. Inwieweit sie damit erfolgreich sind, wird v.a. von der Entwicklung von Klassenkämpfen und damit dem Entstehen von Alternativen – politischer und organisatorischer – sein. Ein Erstarken der ArbeiterInnenbewegung füllt das Vakuum, das es zur Zeit auf der politischen Ebene gibt und das v.a. von rechtsextremen und populistischen Kräfte gefüllt wird.
Ein Grund für Haiders Widerwahl war auch der Wunsch nach Stabilität und die Tatsache, dass die SPÖ keine Alternative zu schwarz-blau darstellt. Das völlige Versagen der SPÖ gegen die Bundesregierung zu mobilisieren, bzw. Haider aggressiv als Landeshauptmann in Frage zu stellen, erlaubten diesem einen einmaligen Spagat, wo er sich als Vertreter des „kleinen Mannes, der kleinen Frau“ präsentieren konnte. Die Schwäche der SPÖ wurde in der Person von Ambrozy überdeutlich. Das ein unbeliebter und erfolgloser Politiker wie Ambrozy der Spitzenkandidat der SPÖ war, zeigt die schrumpfende Personalreserve der SPÖ. Einerseits verlassen v.a. in Kärnten KarrieristInnen die SPÖ direkt zur FPÖ, andererseits fehlt aufgrund der Verbürgerlichung der SPÖ und ihrer Schwäche der Zufluss neuer KandidatInnen.
Auch wenn manche hoffen werden, dass der Wahlsieg der SPÖ in Salzburg einen Linksruck bedeutet, so werden diese Hoffnungen doch rasch enttäuscht werden. Die SPÖ-Kandidatin Burgstaller versuchte alles, um sich im Wahlkampf nach links abzugrenzen und setze in erster Linie auf eine „nettes“ Image („Eine von uns“ – aber wer ist „uns“? ArbeitnehmerInnen, Bauern, UnternehmerInnen…). Auch sie wurde eher als Garantin für Stabilität gesehen, da sie von vornherein auf eine Koalition mit ÖVP orientierte. Die ÖVP hingegen lies die Koalitionsfrage offen und ging mit einer Doppel-Kandidaten-Lösung ins Rennen.
Von Seiten der Wirtschaft gibt es wieder stärkere Signale in Richtung SPÖ, für sie ist es wichtig, eine Regierung zu haben, die den neoliberalen Umbau in ihrem Interesse durchführt, ohne zu hohe Kosten. Die ÖVP konnte die Gewerkschaften 2003 nicht ruhigstellen, die Streiks verursachten für die Wirtschaft unangenehme Kosten. Ein Umschwenken und damit Druck für eine SPÖ-ÖVP-Koalition ist daher nicht auszuschliesen.
Durch das Arbeitsübereinkommen zwischen SPÖ und FPÖ in Kärnten ist die SPÖ in Aufruhr geraten. WählerInnen und Mitglieder sind enttäuscht und fühlen sich verraten. Für Viele war nach dem massiven Sozialabbau durch die SPÖ nur mehr die Ablehnung der FPÖ durch die SPÖ als Grund für die Unterstützung der SPÖ über geblieben. Dem jetzigen Tabubruch sind allerdings in den letzten Jahren eine Reihe von Annäherungsschritten vorausgegangen – restriktive AusländerInnenpolitik und damit Erfüllung von FPÖ-Forderungen, Zusammenarbeit auf lokaler Ebene und 2003 das Spargelessen von Gusenbauer und Haider. Beim Arbeitsübereinkommen handelt es sich auch nicht – wie versucht wird zu behaupten – um eine „autonome Entscheidung“ der SPÖ-Kärnten, sondern es findet im Wissen und zumindest mit Billigung der Bundes-SPÖ statt. Die Verwechselbarkeit der Parteien nimmt mit diesem Schritt zu, ein Teil der enttäuschten WählerInnen, Mitglieder und AktivistInnen von SPÖ und nahestehender Organisationen (FSG, SJ etc.) wird sich von der SPÖ abwenden. Die SPÖ ist trotz Stimmen- und Landeshauptfrau-Zuwachs nicht wirklich gestärkt aus den Wahlen herausgegangen. Die Bundespartei ist im Gegenteil geschwächt und Gussenbauer selbst wird zunehmend in Frage gestellt.
In den letzten Jahren mehren sich die „Erdrutschsiege“. Wenn Meinungsforscher Ogris meint das „Stammwähler(Innen) eine Minderheit werden“, dann zeigt das weniger eine „Mobilität“ der WählerInnen als eine Verwechselbarkeit der Parteien und das Fehlen einer Alternative. Das wichtigste Motiv für die Wahl einer Partei ist die Ablehnung einer anderen Partei. Rund ein Viertel NichtswählerInnen sind auch Ausdruck für eine Suche nach Alternativen. Die Wahlbeteiligung ist zwar in etwa gleich geblieben (leichter Rückgang in Kärnten, leichter Anstieg in Salzburg) – aber angesichts der „Schicksalswahl“ die proklamiert wurden – ist das wenig.

Stimmung in der ArbeiterInnenklasse und kommende Klassenkämpfe

Vor wenigen Monaten schrieben die Medien noch von einem angeblich schwarzen Österreich. Heute ist es klar, dass Schüssel schon in paar Wochen politisch erledigt sein könnte – vor allem wenn es eine echte Opposition zur schwarz-blauen Regierung und ihrer Politik gäbe.
Das sich die Regierung trotzdem solange halten kann, liegt am Fehlen einer Alternative. Die Erinnerungen an den Sozialabbau unter SPÖ-geführter Regierung in den 80er und 90er Jahren ist noch frisch, und auch ihre heutige Politik unterscheidet sich nicht wesentlich von jener von schwarz-blau (was z.B. in der Wiener Privatisierungspolitik im Sozialbereich deutlich wird). Die SPÖ wird von ArbeitnehmerInnen immer weniger als Bündnispartnerin für Widerstand gesehen.
Die Grünen, die als linke Hoffnung gesehen wurden, haben in den letzten Jahren eine rasche Rechtsentwicklung durchgemacht, über die auch einzelne Linke nicht hinwegtäuschen können und die ihren sichtbaren Ausfluss in der Regierungsbeteiligung in OÖ gefunden hat. Das die Grünen auch nicht mehr als „links“ gesehen werden, zeigt sich u.a. daran, dass sie in Salzburg den größten Teil von ehemaligen LiF-WählerInnen erhalten haben.
Weder für SPÖ noch für Grüne gibt es Begeisterung, sie werden bestenfalls als kleineres Übel gewählt. Die Hauptmotivation, für eine Partei zu stimmen ist nicht ihr jeweiliges Programm, sondern die Ablehnung anderer Parteien und die Hoffnung, diese zu verhindern. Die WählerInnen stehen den Wahlversprechen eher mit Zynismus als Erwartung gegenüber. Die Enttäuschung über alle etablierten Parteien und das Establishement an sich birgt auch die Gefahr einer Stimmung, gegen Politik an sich. Wenn Menschen auf der Wahlebene keine Alternative mehr sehen und sich auch keine Möglichkeit in organisierter Form zum Widerstand findet, weil z.B. von den Gewerkschaften nichts angeboten wird, kann das zu einem Rückzug ins Privatleben und Zynismus führen. Zur Zeit ist die „Politikverdrossenheit“ aber eher eine Ablehnung der existierenden Parteien, als eine fehlende Bereitschaft, selbst etwas zu tun.
Ausdruck fand die Wut 2003 in den Streiks. Nach Jahrzehnten des streikmässigen Dörnröschenschlafes beteiligte sich rund 1/3 der ArbeitnehmerInnen an Streiks. Auch wenn diese sehr „von oben herab“ organisiert waren und die Streikenden von der Gewerkschaftsführung passiv gehalten wurden, und auch wenn die Streiks – mit Ausnahme des AUA-Streiks – nicht wirklich erfolgreich waren, so wurde damit doch endgütig ein Damm gebrochen. Viele ArbeiterInnen sprechen heute von sich aus an, dass es notwendig wäre „zu streiken“. Die wichtigste Erfahrung der ArbeiterInnenklasse aus 2003 ist, dass es möglich ist, zu kämpfen. Viele haben das erste Mal in ihrem Leben die potentielle Stärke der ArbeiterInnenklasse erlebt und entwickeln ein Klassenbewusstsein.
In den nächsten Monaten wird es eine Reihe von Themen geben, um die sich Protest bis hin zu Streiks entwickeln können, teilweise auch gegen den Willen der Gewerkschaftsführung. Die Entwicklungen innerhalb des ÖGB sind durchaus widersprüchlich und spiegeln den unterschiedlichen Druck, unter dem die Gewerkschaftsführung steht, wieder.
Gerade unter den EisenbahnerInnen ist die Enttäuschung über den Streikabbruch groß. Verzetnisch ist alles andere als beliebt und auch an GDE-Vorsitzendem Haberzettel gibt es scharfe Kritik von der Basis. Die KollegInnen sind aber durchwegs stolz auf den Streik, wären bereit gewesen, länger zu streiken und es gibt auch eine große Bereitschaft, noch einmal zu streiken, um die ärgsten Angriffe abzuwehren. Der Druck aus der Gewerkschaftsbasis hat dazu geführt, dass die GDE laut darüber nachdenkt, das Verhandlungsergebnis mit dem ÖBB-Management einer Urabstimmung zu unterziehen. Gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen – Dienststellenversammlungen, aber auch ein neuerlicher Streik – rund um den 1.5. sind nicht auszuschliessen.
Die Gewerkschaftsführung reagiert auf die unterschiedlichen Drucke – aus der ArbeiterInnenklasse und von Unternehmens/Regierungsseite. Die Folge ist ein Zick-Zack-Kurs und der ständige Versuch, die eigenen Basis ruhig zu halten. Nach den Streiks hat die ÖGB-Führung auch wieder einen Schritt zurück gemacht. Sie sitzt wieder am „Runden Tisch“ und verhandelt über die „Pensionsharmonisierung“, die ÖGJ erklärt sogar ihre Bereitschaft, gemeinsam mit VP-Wurstemmel-Preis-Expertin Fuhrmann für „gerechte Pensionen“ einzutreten. In Bezug auf die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose kam es sogar zur Vorlage eines gemeinsamen Papiers mit der Wirtschaftskammer, das extreme Verschlechterungen für die Arbeitslosen bedeutet. Bei den Privatisierung im Sozialbereich der Gemeinde Wien gab es nicht einmal verbalen Widerstand von der GdG. Für die Beschäftigten in diesem Bereich wird es aber aller Vorraussicht nach massive Veränderungen und Verschlechterungen geben. Es gibt hier eine zunehmende Vernetzung der Betroffenen und Proteste in den nächsten Monaten sind durchaus möglich.
Die Niederlagen 2003 – die Pensionsreform wurde verabschiedet, die Voest privatisiert, die ÖBB umstrukturiert – sind eine bittere Erfahrung für die österreichische ArbeiterInnenklasse. Sie bedeuten aber nicht das Ende von Klassenkämpfen. Die Angriffe auf den Lebensstandard der Klasse werden weitergehen, und Streiks dagegen sind Notwehrhandlungen, die zunehmen werden. Dies kann sich im Bereich der ÖBB, im Sozial- und Gesundheitsbereich, aber auch bei kleineren Unternehmen, die massiv Personal abbauen bzw. ganz Zusperren (bei der Insolvenzstatistik ist Österreich europaweit auf Platz 2) entwickeln. Will der ÖGB hier Antworten anbieten, muss er Kämpfe organisieren und für eine Übernahme dieser Unternehmen durch die öffentliche Hand eintreten.
Wenn die ÖGB-Führung proklamiert: “Sozialpartnerschaft täglich neu erkämpfen”, dann zeigt dass, das sie die Veränderungen im wirtschaftlichen und politischen Rahmen nicht erkennt und meint, weitermachen zu können wie bisher. Die Basis hat längst erkannt, dass das nicht funktioniert. Die Erfahrungen mit der bremsenden Rolle der ÖGB-Führung haben Unmut aber auch Diskussionen innerhalb der Gewerkschaften geführt.
Am deutlichsten zeigt sich der Unmut unter FSG-Mitgliedern. Einerseits, weil diese die größte Fraktion ist, aber auch deshalb, weil hier die Enttäuschung über das Versagen der „eigenen“ Führung am größten ist. Im Gegensatz zur SPÖ, die verbürgerlicht ist, ist die FSG eine ArbeiterInnenorganisation, in der sich Druck und Stimmung der Klasse widerspiegeln.
In der FSG gibt es viele KollegInnen, die für die „alten“, „traditionellen“ Ziele der Sozialdemokratie stehen. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der neoliberalen Kürzungs-Logik die entsteht, wenn der Kapitalismus an sich akzeptiert wird und dem Wunsch, die KollegInnen und ihren Lebensstandard zu verteidigen. Es ist notwendig, hier eine Alternative zur Logik des Kapitalismus aufzuzeigen und Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn, gegen Privatisierung und für Umverteilung von oben nach unten zu entwickeln. Die SPÖ ist für diese KollegInnen keine Bündnispartnerin, da sie selbst Trägerin neoliberaler Politik ist – ein Bruch der FSG mit der SPÖ ist daher notwendig.
Auch die anderen „linken“ Fraktionen, wie GLB oder UG, waren im letzten Jahr nicht in der Lage, Programm und Perspektiven für die Streiks und gegen die Regierung anzubieten. Sie setzten keine eigenständigen Mobilisierungen, versuchten nicht, die Bewegung weiterzubringen, sondern intervenierten bestenfalls in vom ÖGB organisierten Aktionen. Die Fraktionen insgesamt verlieren zunehmend an Attraktivität für GewerkschaftsaktivistInnen. Viele sehen diese als Erfüllungsgehilfen von Parteien und deren Politik.
Im Herbst 2003 ist aus dem Diskussionsprozess rund um die Bilanz der Streiks gegen den Pensionsraub auf Initiative der SLP die „Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften“ entstanden. Fraktions- und gewerkschaftsübergreifend arbeiten KollegInnen an der Vernetzung gewerkschaftlichen Widerstandes. Das Interesse und die Unterstützung von BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und auch Teilen der unteren Funktionärsebene des ÖGB zeigt den Unmut über die sozialpartnerschaftliche Orientierung der ÖGB-Spitze, die zum Ausverkauf der Interessen der Beschäftigten führt. Die Plattform ist auch ein Attraktionspool von KollegInnen, die von der Arbeit der etablierten Fraktionen enttäuscht sind.
In Deutschland findet zur Zeit ein Diskussionsprozess rund um u.a. Attac, GewerkschafterInnen etc. statt, der erste Schritte für die Formierung einer neuen linken Partei setzen. Die Entwicklung steckt erst in den Anfängen, wird aber zu beobachten sein. Auch in Österreich fehlt es an einer ArbeiterInnenpartei. Entstehen wird diese in den kommenden Klassenkämpfen, die Vernetzungsarbeit der Plattform kann dazu konkrete Ansatzpunkte liefern.

In den kommenden Kämpfen und Auseinandersetzungen wird sich immer häufiger die Frage nach Alternativen stellen. Nach organisatorischen zu den etablierten Parteien und zur Gewerkschaftsbürokratie, aber auch nach inhaltlichen Alternativen zur Logik des Kapitalismus. Die SLP versucht auf beides Antworten zu geben. Der Kapitalismus birgt in sich Krisen, Ausbeutung und Sozialabbau – der Kampf gegen diese Übel ist für uns untrennbar mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft verbunden. Die SLP ist maßgeblich am Aufbau der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften beteiligt, deren Ziel es ist, den ÖGB zu dem zu machen, was notwendig ist: eine schlagkräftige Organisation der ArbeiterInnenklasse. Und die SLP baut, als Teil des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale, eine sozialistische Organisation auf, deren Ziel es ist, den Kampf gegen Sozialabbau, Krieg und Rassismus zu unterstützen, zu initiieren und mit sozialistischen Inhalten zu verbinden.